Heimat, wo bist du eigentlich?
Wenn ich von einer der vielen Reisen zu meinem Lebensmittelpunkt zurückkomme und die letzten Kilometer zu unserer kleinen Stadt zurücklege, werde ich immer angenehm müde. Die vertraute Umgebung und das Versprechen eines ruhigen, sicheren Platzes zum Ausruhen lassen Geist und Körper sich entspannen.
Nach vielen unerwarteten und teils doch recht dramatischen Wendungen erlaubte mir das Leben, eine essenzielle Wahl zu treffen: die Wahl des Wohnorts. Doch das allein macht noch keine ‚Heimat‘.
Der Name der Stadt ist in der Deutschen Sprache ‚Zlabings‘ und im Lateinischen, wie im Tschechischen, ‚Slavonice‘. So steht es auch bereits auf historischen Karten, und so steht es heute auf den Ortstafeln.
Wenn man am fast nördlichsten Punkt Österreichs, oder im Süden Tschechiens, die Grenze ins Nachbarland übertritt, sieht man aus einer Senke aufragend einen Turm. Um ihn herum liegt elliptisch angelegt die kleine Stadt, in ihrer Form seit dem Mittelalter nahezu unverändert.
Besiedelt war diese Region natürlich schon viel früher, zu einer Zeit, als nationale Grenzen keine Rolle spielten (siehe die weiblichen Figurinen von Willendorf und Dolní Věstonice …). Aber davon erzählt die Geschichte unserer Kultur selten. Vielleicht weiß sie zu wenig davon.
Durch dieses Gebiet oder nahe daran vorbei verliefen die Salz-, die Textil- und die Bernsteinstraße. Handel, Handwerk und Landwirtschaft prägten das Leben der Bewohner – natürlich zentral auch die Religion und der Krieg. Das nahezu ununterbrochene Hin und Her herrschaftlicher Interessen … Aber das geht ja doch wohl Hand in Hand.
Die Daten der Geschichte sind in den Büchern, das Gefühl dafür liegt in der Luft.
In den Jahren 1918, 1938 und 1945 erlitt die Region dramatische Einschnitte. Ein Imperium fiel, andere entstiegen seiner Asche, die Geschichte warf die Menschen hin und her. Die Geschichte, die sie, die Menschen, aber doch selbst auch gestalten und am Ende verantworten müssen. Das Leid derer, die zu jung, zu alt, zu schwach oder zu beschränkt sind, kümmert wenig.
In der Zeit des ‚Eisernen Vorhangs‘ (für alle, die es vergessen oder noch nie gehört haben: die Teilung Europas mit elektrifiziertem Stacheldraht, Minen, Wachtürmen und tausenden Soldaten … über 12000 Kilometer unüberwindliche Barriere, von Finnland bis ans Schwarze Meer) war die Stadt praktisch verschwunden.
1989 tauchte sie dann plötzlich und unerwartet wieder auf, als Teil einer ganzen Welt, die man ‚Osteuropa‘ nannte und noch immer nennt – auch wenn das teils Unsinn ist, aber wen kümmert das schon?
Oft fragt man mich: Und wie lebt man heute hier?
Nun: die Bevölkerungszahl ist nahezu gleich hoch, wie sie es 1945 war, fast 3.000. Man spricht nahezu ausschließlich Tschechisch, obwohl einige der Alten und zunehmend auch Junge Deutsch beherrschen.
Ja, das Bier ist noch günstig, und ja, es wird recht viel davon getrunken, aber ich denke nicht mehr als in den Nachbarländern. Das soziale Leben ist eng, aber wie überall sonst auch in verschiedene Gruppen geteilt. Die Fußballer, die Musiker …
Es gibt noch einen Kindergarten, eine Schule, aber wie lange, ist schwer zu sagen. Ich habe das Gefühl, wieder mehr Kinder auf der Straße zu sehen, vielleicht wächst die Zuversicht? Aber auch die Angst ist groß, die Angst vor der Zukunft, vor dem, was wieder über die Grenze kommen könnte. Wie überall schimpft man auf die Politik, auf die Wirtschaft … und vergisst, wie überall, das man Teil davon ist und vielleicht sich mehr beteiligen könnte. Wie war das noch mit dem Preis der Freiheit?
Die Frage der ‚Heimat‘ bleibt, so scheint es mir, eine sehr persönliche. Mit meinen Lieben, hinter der Tür der Wohnung, aber auch im Wald und am Teich. Manchmal auch im Wirtshaus oder am Straßenrand, als unlängst mein Auto streikte und die Nachbarin zufällig vorbeikam und mich vor dem aufkommenden Gewitter rettete. Das ist schon viel, und das wünsche ich jedem.
Habe 1994 bei den Dreharbeiten für „Mühlviertler Hasenjagd“ (Regie Andreas Gruber) mitgewirkt. Ein großer Teil davon spielte in Slavonice. Meine Aufgabe dabei war: Verwandeln des Hauptplatzes in Situation Winter 1945. D.h. Alles was nicht in die Zeit passt abmontieren oder verstecken, Schilder, Auslagen, der Geschäfte tauschen, Dächer mit Watte eindecken, Hauptplatz einschneien, Winterlandschaft – Es herrschte akuter Schneemangel, Winter 1994 war zu warm. Die Bürger von Slavonice müssten sich daran erinnern. Hab noch eine Menge Fotos.
Wow, das klingt sehr spannend – waere nett die Bilder zu sehen!
herrlich zu lesen/sehen wenn jemand sein schauspielerisch poetisches talent auch nach vielen jahren (ca.20) nicht verlernt hat und noch immer faszinierend natürlich aus seinem leben berichtet !!
damals: „…dann ist der teig bereitet der die götter nährt…..“
heute: „Die Daten der Geschichte sind in den Büchern, das Gefühl dafür liegt in der Luft.“
„Ein Imperium fiel, andere entstiegen seiner Asche“ ……
einfach wunderbar formuliert !!
ich denke eines der ersten u wichtigsten dinge in der neuen heimat ist die sprache zu lernen !! es macht einen reich , es verbindet, …. für mich war es immer irgendwie wichtig und interessant eine andere sprache zu verstehen , oder gar zu sprechen, denn es zeigt dem anderen auch interesse an seinem leben, umfeld, man versteht … in vielerlei hinsicht…. sprache verbindet …(oder entzweit im negativen fall)