Gunther Sosna: Nach der Diktatur des Profits – aus der vollendeten Zukunft heraus planen
In seinem Vortrag empfiehlt Gunther Sosna, die Gegenwart abzuschütteln, um Klarheit zu bekommen. Er orientiert sich dabei am Maler Salvadore Dali, dessen Bilder als Skizze bereits im Kopf vorhanden waren, ehe er noch einen einzigen Strich auf die Leinwand gemalt hatte.
Auch in der Philosophie gilt die Idee, die man denkt, schon als Realität, ehe sie sich noch im Außen manifestiert hat. Demnach sei es also wichtig, Problemlösungen nicht aus der Gegenwart heraus zu entwickeln, sondern aus einer fernen Zukunft für die nahe Zukunft zu planen und zu schauen, auf welchem Weg, mit welchen Schritten man dorthin gekommen sei.
Es gelte Optionen zu erschaffen für diese Zeit nach der Diktatur des Profits. Dieses System werde im eigentlichen Sinne nicht mehr auferstehen: es brauche „Tapferkeit, denn die Titanic sinkt.“ Auf dem Unterdeck, also im globalen Süden, werde bereits ertrunken wie 30.000 Hungertote pro Tag bewiesen. Diese – wie auch andere Realitäten – blenden wir aktuell derzeit aus, weil sie eben nicht in unserer Realität stattfänden, da sie weit weg sind. Mit Corona habe nun durch die aktuelle Berichterstattung dazu der Tod an unsere Türe geklopft.
Im Geiste Gerhard Mersmanns und dessen Initiative Futur 2 – vom Ziel her denken – ließen sich Szenarien entwickeln, von denen anzunehmen sei, dass sie so sein würden. Denn, „wenn ich mich auf die Erkenntnisse der Gegenwart verlasse, dann werde ich nicht auf den Mond kommen“, betont Sosna und verweist auf Elon Musk und seine Vision, Internetsatelliten im Weltall zu platzieren. Jener habe durch seinen Besitz die Möglichkeit, seine Ideen umzusetzen; er sei dabei aber auf die Unterstützung vor allem erwerbsarbeitender Menschen angewiesen, weil er alleine es so nicht schaffen könne.
Weiters führt Gunther Sosna aus, dass immer die gesamte Gesellschaft betroffen ist, wenn einer der Gesellschaftsbereiche (Ethik, Soziales, Ökologie, Ökonomie und Politik) in Schieflage gerät; damit werde auch das große Ganze instabil. Politik schaffe bloß Ideen: wenn keiner mitmache, dann passiere gar nichts. Ein Zitat von Karl Marx paßt er dahingehend an, dass er es der aktuellen Lage, nämlich dem Wechsel von der Erwerbsarbeitsgesellschaft hin zur Aufmerksamkeitsökonomie und -gesellschaft umformuliert: „Bedeutsamkeit (nicht Kapital) ist verstorbene Aufmerksamkeit (nicht Arbeit), die sich nur vampirmäßig wiederbelebt durch Einsaugung lebendiger Aufmerksamkeit (nicht Arbeit) und umso mehr lebt desto mehr sie davon einsaugt.“
Anschließend lässt er die Hörer an seiner Vision für 2100 teilhaben: Es werde eine „Dominanz temporär zivilisationsbildender Netzwerke, autonomer und überdauernder Gemeinschaften, realisiert von freien Menschen“ geben, so Sosna. Eine Vision, die in eine so ferne Zukunft projiziert werde, habe den Vorteil, dass wir sie alle nicht erleben würden und damit auch frei seien von der Enttäuschung, wenn sie nicht eintritt.
Auf dem Weg in diese Zukunft entstehe Entscheidendes: so müsse etwa die uneingeschränkte Verfügungsgewalt über Besitz diskutiert werden; denn eine überwältigende Mehrheit der Weltbevölkerung werde schon bald nichts mehr besitzen, Besitz sei aber die Basis, um etwas verändern zu können. Dadurch würden auch alle Bereiche in Frage gestellt werden müssen, die diese Besitzverhältnisse absichern, wie das Rechtssystem, Polizei, Militär oder Verträge. Er verweist in diesem Zusammenhang auf die von ihm zu gründende Freie Akademie für kritische Wissenschaft und Bildung. Es wäre notwendig, sich zusammenzutun, um etwas entwickeln zu können, ohne zu wissen, ob das tatsächlich erreicht werde.
Seine Reise aus der Zukunft beendet Sosna bei den Philosophen Platon und Zenon; ersterer plädierte für einen starken Staat, der den Menschen zum tugendhaften Leben führen könne; letzterer sah die Kraft in der Gemeinschaft der vernunftbegabten Menschen, die als freie Menschen zusammenkommen, um gemeinsam etwas zu tun.
Die Staaten werden zerfallen, schließt Sosna: solange der Souverän, nämlich die Bevölkerung und jeder Einzelne, bereit ist, mit den aktuellen Strukturen mitzugehen, wird die Zukunft nicht erreicht werden können. Er appelliert an jeden, sich morgens in den Spiegel zu schauen und zu entscheiden, ob das Leben in der Gegenwart optimal sei, oder ob es notwendig sei, da nicht mehr mitzumachen.
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Gunther Sosna – Vortrag | Wolfgang Müller | CC BY SA 4.0 |