Griechenland – eine hausgemachte Tragödie ?
Mit den folgenden Anmerkungen will ich keineswegs die Verfehlungen in Griechenland in den letzten 40 Jahren leugnen. Die gab es und die sind auch die Hauptursache für den heutigen Zustand. Aber im Gegensatz zur momentan vorherrschenden veröffentlichten Meinung gibt es eine zweite Seite der Medaille, und die Verfehlungen außerhalb Griechenlands bzw der griechischen Vorgängerregierungen, die Schwesternparteien von Rot und Schwarz waren, sollten ebenso beachtet werden.
Die Sache mit der Moral
Über Jahrzehnte haben sich einige wenige Familien (man spricht von 220) das Land aufgeteilt und Milliarden gehamstert. Sie haben den Menschen vorgelebt, daß Moral egal und Sittenwidrigkeit kein Problem ist. Und der einfache Bürger hat sich das zu Herzen genommen und irgendwann auch keine Steuern mehr bezahlt. „Warum soll ich der einzige Dumme sein ?“ fragte er sich zu Recht. Der Fisch begann, wie so oft, am Kopf zu stinken, und irgendwann war er komplett verrottet. Da schrieben wir das Jahr 2010.
Wo war Europa in der Zeit ? Beim Beitritt zum Euro sprach sich die EU-Kommission anfangs gegen eine Aufnahme der Griechen aus. Der EU-Rat (der sich bekanntlich aus Vertretern der einzelnen Nationalstaaten zusammensetzt) setzte sich jedoch durch. Daß die Griechen die Maastricht-Kriterien nie erfüllten und auch nie erfüllen werden, mußte jedem Menschen, der (die griechische) Geschichte kennt, eigentlich klar sein. Doch was tut man nicht alles für einen weiteren Absatzmarkt ?
Griechenlands Problem mit dem Euro – nicht das einzige Land
Länder wie Griechenland, Portugal, Spanien oder Italien hatten über Jahrzehnte die Möglichkeit, die ihnen aus vielerlei Gründen fehlende Produktivität (Mentalität, Klima, Lage am Rande Europas, korrupte Regierungen etc) gegenüber Deutschland oder Österreich mit der Abwertung ihrer Währung auszugleichen. Mit dem Euro ist das nicht mehr möglich. Der Euro stellt alle Volkswirtschaften auf ein Niveau, ohne aber eine gemeinsame Wirtschaftspolitik, die die Basis jeder Währung sein muß, wenn sie funktionieren soll, zu akkordieren. Es versucht also ein Greißler ums Eck mit Aldi oder Billa zu konkurrieren. Das leuchtet jedem mit etwas gesundem Menschenverstand ein, daß das nur schwer funktionieren kann.
Hinzu kommt noch, daß die stärkste Volkswirtschaft Europas seit 15 Jahren ein Lohndumping sondergleichen betreibt. In keinem Land der EU sind die Löhne so wenig gestiegen, wie in Deutschland. Und das, obwohl Deutschland Exportweltmeister ist und eine Produktivität hat, die sich sehen lassen kann.
Das Militärbudget
Selten liest man, daß Griechenland sein (bis 2010 exorbitant angewachsenes) Militärbudget bereits bis Ende 2014 um 47% gekürzt hat. Es ist immer noch hoch, aber im Vergleich zb zu Deutschland nicht mehr so weit entfernt, wenn man das BIP zu Grunde legt. Daß hier nach so einem drastischen Sparprogramm die Spielräume eng werden, liegt nicht zuletzt daran, daß bis vor Kurzem (2013) deutsche und französische Kriegsschiffe geliefert wurden. Und nicht nur das: sogar heuer noch werden deutsche Waffen in mehrfacher Millionenhöhe an Griechenland verkauft.
Moment mal: verlangt Schäuble nicht dauernd, daß Syriza endlich (!!) das Militärbudget kürzen solle ? Und gleichzeitig verkaufen die Deutschen (sogar mit Ausfallsgarantien, für die der Steuerzahler haftet) weiterhin Waffen nach Griechenland ? Ja, so ist das im Land der Doppelzüngigkeit.
Die Reeder
Daß das Gesetz, welches den Reedern massive Steuererleichterungen bietet, Verfassungsrang hat, dürfte sich mittlerweile rumgesprochen haben. Um das zu ändern benötigt es also eine zweidrittel Mehrheit, die die aktuelle Regierung nicht hat.
Und selbst wenn: in fast jedem Land, das einen nennenswerten Schiffsbau- und transport aufweist, sind Reeder nahezu steuerbefreit. Deutschland steht da an forderster Front. Würden die Griechen also diese Erleichterungen streichen, dann würden die Reeder wohl bald das Weite suchen (die meisten haben ihre Milliarden sowieso schon in Europa geparkt, dazu später mehr).
Nicht, daß es dennoch eine Lösung für diese Ungerechtigkeit geben muß – aber ist das nicht das gleiche Argument, das deutsche und österreichische Politiker hierzulande immer gegen Vermögenssteuern ins Feld führen ? Arbeitsplätze Arbeitsplätze Arbeitsplätze !
Wann werden endlich die Reichen Griechen besteuert !
In Griechenland gibt es weder eine funktionierende Steuerverwaltung noch einen Immobilienkataster. Man fragt sich, warum dieses Projekt nicht schon längst von den Vorgängerregierungen angegangen wurde. Genaugenommen fragt man sich das nur so lange, bis man sich die Proponenten dieser Vorgängerregierungen ansieht. Dann weiß man, warum da recht wenig passiert ist.
Weiters ist doch verwunderlich, daß bei all den Auflagen der Gläubiger scheinbar kein Schwerpunkt auf den Aufbau obiger Instrumente gelegt wurde. Warum verhandelt erst die aktuelle Regierung ernsthaft mit den Bayern über eine Entsendung bayrischer Finanzexperten, die eine Unterstützung zum Aufbau der Strukturen geben sollen ? Das Angebot von deutschen Beamten gab es ja schon vor Jahren, warum wurde das den Griechen nicht aus Voraussetzung für Hilfsgelder aufoktroiert, wie zb die Pensionskürzungen ?
Diese Zusammenarbeit gab es übrigens schon mal im 19. Jahrhundert, in einer ähnlich schwierigen Konstellation (nach der griechischen Unabhängigkeit). Und bitte nicht die Ausrede von der Souveränität des Landes – die hat die Gläubiger bei anderen (Spar)Maßnahmen auch nicht geschert, als Mitarbeiter der Troika in Griechenland direkt in die Gesetzgebung eingegriffen haben.
Das Geld der reichen Griechen ist also nicht so leicht dingfest zu machen. Vor allem das Geld jener, die in den letzten 5 Jahren ins Ausland geflüchtet sind. Die Kapitalverkehrskontrollen wurden viel zu spät eingeführt (erst von Syriza, aber selbst da sehr spät). Das Geld im Ausland liegt über Europa verteilt und wahrscheinlich noch in einigen Steueroasen. An die ist mal kein Rankommen in einer realistischen Zeitspanne – das wissen wir seit Grasser & Co mit all den schönen Briefkastenfirmen und Verschachtelungen. Diesen Einfallsreichtum darf man den griechischen Reichen wohl auch zutrauen.
Dann gibt es noch das Geld, das in der Schweiz liegt. Erst vor wenigen Wochen hat Griechenland mit selbiger ein Abkommen zur Verfolgung von Steuerhinterziehung abgeschlossen. Warum erst jetzt, warum nicht schon unter den Vorgängerregierungen ? Fragt man sich – aber genaugenommen … siehe oben.
Nicht nur in deutschen TV-Diskussionen munkelt man über griechische Milliarden, die nach Berlin und London geflossen sind um reihenweise Luxusimmobilien aufzukaufen. Ob das alles versteuertes Geld ist ? Unwahrscheinlich. Hier könnten europäische Behörden mithelfen, diesem Geld nachzugehen. Denn in Deutschland gibt es – im Gegensatz zu Griechenland – ja funktionierende Instrumente dafür. Insgesamt soll es laut Schätzungen etwa 200Mrd an griechischem Schwarzgeld geben, das meiste wohl im Ausland. Da könnte ein wenig europäische Solidarität wohl recht viel bringen.
Die berühmte Lagarde-Liste (angeblich 2000 Namen von einer Steuer-CD) liegt seit 3 Jahren bei den griechischen Behörden, bisher wurden wenige Verfahren angestrengt. Tsipras hat jetzt ein neues Gesetz auf den Weg gebracht, das diesbezüglich weiterhelfen soll. Warum erst jetzt ?
Verhofstadt fordert im Europäischen Parlament – Setzen sie endlich Reformen um !
Ein kleiner Auszug: Renten wurden bisher um bis zu 50% gekürzt (und dennoch verlangen Gläubiger weitere Kürzungen), Löhne sind um 30% gefallen, es gibt praktisch keine Arbeitslosenversicherung. Im Gesundheitswesen wurde massiv gespart. Beim Militär detto. Kein Zuckerschlecken für die Griechen, wie man an den täglichen Bildern und Zeitungsberichten sieht.
Der angeblich so große öffentliche Sektor wurde schon längst stark geschrumpft und gehört mittlerweile zu den kleineren in Europa.
Es gibt ein Abkommen mit der Schweiz bgzl Schwarzgeldverfolgung. Diverse Verfahren wegen Steuerhinterziehung wurden begonnen, sind aber (oh Wunder) nach 5 Monaten noch nicht abgeschlossen. Unternehmens- und viele andere Steuern wurden erhöht. Der gläserne Bürger ist in Griechenland bereits Realität.
Bei all dem sollten man nicht vergessen, daß die griechische Regierung mit den Gläubigern um ein Gesamtpaket an Maßnahmen verhandelt. Einzelmaßnahme, die Griechenland unilateral startet, werden da nicht akzeptiert. Ein wichtiger Grund dafür, warum in der ach so langen Regierungszeit von nicht mal 6 Monaten (in D und Ö dauerts meist 3 Monate, bis überhaupt eine Regierung steht) noch nicht all das umgesetzt wurde, was versprochen wurde.
Daß Griechenland Reformen verweigert, ist jedenfalls laut einer OECD-Studie falsch. Richtig ist aber, daß manche Reformen nur zögerlich umgesetzt wurden.
Zsipras‘ zweite Rede
Von dieser las man in den Medien recht wenig. Hier erklärt er, warum es mit den Reformen nicht in gewünschtem Tempo vorangeht und welche Reformen schon angegangen wurden. Und er stellt einige wie ich meine interessante Fragen, auf die es natürlich keine Antwort der Angesprochenen gab und gibt: zB warum man in die berühmte Troika den IWF als nichteuropäische Institution hereinnahm, aber die transparenteste Institution der EU – das europäische Parlament – nicht.
Die armen Bulgaren und Balten mit ihren geringen Pensionen
Es ist richtig, daß einige Länder der EU geringere Löhne und Pensionen bezahlen, wie in Griechenland. Allerdings hinkt dieser Vergleich nur dann nicht, wenn man auch das entsprechende Lohnniveau in den Ländern miteinander vergleicht. Und da sind die Differenzen (obwohl immer noch zu Gunsten Griechenlands gegeben) gar nicht mehr so groß, wie von vielen Politikern ins Feld geführt. Griechenland lag 2013 nur 7% unter dem deutschen Preisniveau. Bulgarien satte 51%.
Und wenn sich die Balten und Portugiesen durch harte Sparprogramme duchgekämpft haben, dann sollten sie sich fragen, ob sie tatsächlich die richtigen Regierungen gewählt haben, und wer von diesen Sparmaßnahmen denn profitiert hat. Ein Blick auch die Schere zwischen Arm und Reich könnte eine Antwort geben. Wie so oft (zb auch beim Flüchtlingsthema) wird von Medien und Politik gekonnt Arm gegen Arm – manchmal auch Mittelstand gegen Arm – ausgespielt, um von der wahren Ursache abzulenken. Wettbewerbsfähigkeit um jeden Preis, damit man mit Deutschland oder (noch utopischer) China mithalten kann, hat eben seinen Preis. Und den bezahlt – heute und noch viel mehr in der Zukunft – vor allem der Mittelstand, in Griechenland auch die Armen.
Die Griechen stehen alleine da
Das mag in Europa momentan stimmen (wobei sich mit Spanien das Verhältnis im Herbst ändern könnte). Deshalb ist es auch zu erklären, warum so viel Zeit und Energie der griechischen Regierung in Verhandlungen fließt, die bei Reformumsetzungen fehlt. Immerhin steht man ja von Tag 1 an gegen die geballte Medienlandschaft Europas, vor allem der TV-Sender. Und dort wird mit der Wahrheit meist sehr schleißíg umgegangen.
Ganz so allein steht Griechenland allerdings nicht. Denn sowohl der IWF, also auch namhafte Wirtschaftswissenschafter und Politiker unterstützen die zentralen Forderungen von Syriza, zb nach einer europäischen Schuldenkonferenz (Griechenland ist im Gegensatz zur offiziellen Propaganda keineswegs das einzige Land, welches langfristig nicht aus seiner Schuldennot herauskommen wird) oder nach einem Ende der einseitigen Auteritätspolitik zum Vorteil der Nordländer. Man rechne sich einfach nur mal aus, was sich Deutschland und Österreich alleine an Zinszahlungen für die Staatsanleihen bisher und in den kommenden Jahren auf Grund der Euro-Krise ersparen. Das sind mindestens dreifache Milliardenbeträge. Da sind die Risiken durch Ausfälle für die gehafteten Beträge im Zuge der Griechenlandrettung dann gar nicht mehr so groß. Das mal so nebenbei.
Das zerstörte Vertrauen
Grundsätzlich kann ich die Aufregung verstehen. Tsipras und vor allem Varoufakis haben nicht immer klug gehandelt und ihre Verhandlungspartner manchmal im Regen stehen lassen. Das lag vlt auch daran, daß sich zwei Verhandlungspartner gegenüber saßen, die ganz verschiedene Dinge besprechen wollten. Während es den Griechen darum ging, eine langfristige Veränderung der Wirtschafts- und Schuldenpolitik zu diskutieren (was mehr als sinnvoll wäre), waren die Gläubiger nur daran interessiert, das nächste Hilfspaket und die damit verbundenen Maßnahmen zu fixieren.
Was muß die griechische Regierung wohl davon halten, wenn ein kritischer IWF-Bericht extra wegen dem Referendum nicht veröffentlicht wird ?
Tsipras bot den Gläubigern in letzter Minute (am Dienstag vor dem Referendum) einen Ausweg an. Dieser wurde aber sogleich abgewimmelt. Praktisch die gleichen Forderungen, wie sie die Gläubiger davor hatten, mit kleinen (sinnvollen) Änderungen. Schäuble sagte njet.
Und wenn Schäuble am Tag vor dem Referendum offen mit einem Euro-Exit auf Zeit für die Griechen spekuliert, ist das auch keine vertrauensbildende Maßnahme.
Die Sozialisierung von Schulden
Nicht nur in Griechenland läßt sich der Trend der letzten Jahre seit der Finanzkrise 2008 klar erkennen: während die davor gemachten Profite in private Hände flossen, wurden die danach gemachten Schulden von Staaten aufgenommen bzw übernommen. Einzelne Schuldenschnitte (wie im Falle Griechenlands) sind da nur relativ kleine Beiträge der Finanzwirtschaft.
Der Vorteil für manche Politiker (vor allem in der wie immer populistischen CSU) ist jetzt natürlich, daß man das einfache Argument: „Wir haben ihnen Geld geborgt, waren solidarisch, und wollen das Geld wieder zurück“ ins Feld führen kann. Solange die griechischen Schulden „privat“ waren, hätte diese Argumentation kaum jemand in der Öffentlichkeit interessiert. Jetzt gehts aber „ums eigene Geld“, da funktioniert Populismus besonders gut.
Nur jeder vierte Euro, der nach Griechenland ging, kam dort im Haushalt an. Wurde also wirklich Griechenland gerettet ? Ein „Ja“ auf diese Antwort müßte mir mal ein europäischer Politiker genauer erklären.
Griechenland war auf einem Guten Weg, bis Syriza kam
Auch ein beliebtes Argument, vor allem in CSU-Kreisen. Wie definiert man „guten Weg“ ? Wenn man sich das geringe (aber immerhin) Wirtschaftswachstum ansieht, dann war schon im 4. Quartal 2014 Schluß mit der Minierholung. Wenn man sich den Schuldenzuwachs und andere Statistiken ansieht, dann war Griechenland keineswegs auf einem guten Weg. 5 Jahre Austeritätspolitik, ein Schuldenschnitt, und dennoch sind die Schulden dramatisch gestiegen.
Privatisierungen müssen her !
50 Milliarden wurden von den Gläubigern an Privatisierungsvolumen gefordert. Immerhin in diesem Punkt konnte Tsipras einen kleinen Sieg in einer sonst rundwegen Niederlage im letzten Verhandlungsmarathon einfahren. Denn von den 50Mrd werden 12,5 Mrd in die griechische Wirtschaft investiert, und nur weitere 12,5 Mrd werden zur direkten Schuldentilgung herangezogen.
Wie das mit den Privatisierungen beim IWF läuft, kennt man aus diversen südamerikanischen Erfahrungen. Da wird auch vor Wasser nicht halt gemacht, wie man in Griechenland und Portugal bereits weiß. Auch das Beispiel des Flughafenareals Elliniko in Athen, bei dem der Bieter mit einem massiven Abschlag auf den realen Wert den Zuschlag erhielt, läßt nichts Gutes erhoffen. Daß sich ein Land gegen solche Maßnahmen wehrt, ist mehr als verständlich und aus Sicht der lokalen Bevölkerung auch absolut gerechtfertigt. Da es unwahrscheinlich ist, daß mit dem aktuellen Privatisierungsplan überhaupt die 50Mrd zu erreichen sind, wird es in Zukunft mit hoher Wahrscheinlichkeit ein weiteres Privatisierungspaket geben (müssen).
Zum Schluß eine, wie ich finde, zwar mißglückte (weil einseitige) Analogie zum Thema. Der Kommentar von fredd ist allerdings mehr als gelungen.
http://www.godmode-trader.de/artikel/griechenlandkrise-fuer-einsteiger,4269840
Credits
Image | Title | Autor | License |
---|---|---|---|
acropolis | Wladyslaw | CC BY-SA 3.0 |