Für Anstand und eine neue politische Kultur
In der BSA-Diskussionsrunde tauschen sich Dr. Irmgard Griss, Juristin, ehemalige Präsidentin des Obersten Gerichtshofs und Nationalratsabgeordnete, Mag. Christian Kern, Unternehmer und ehemaliger Bundeskanzler sowie SPÖ-Parteivorsitzender, und Armin Thurnher, Herausgeber und Chefredakteur der Wochenzeitung Falter zu den Themen „Demokratie, Oligarchie und österreichische Abwege“ aus.
Ausgehend vom Vertrauensverlust in die Politik, die auch im Aufgeben bestehender Regeln mündet, werden Möglichkeiten erörtert, wie man der grassierenden Politikverdrossenheit begegnen kann.
Für Irmgard Griss ist Anstand in der Politik nicht an fixen Regeln fest zu machen. Diesen muss man im Gefühl haben, er ist instinktives Wissen. Es geht darum, zu sagen, was man tut und zu tun, was man sagt. Politik ist diesbezüglich besonders gefährdet, weil es ums Gestalten der Zukunft geht. Das gelingt nur, wenn man Macht hat. Diese wiederum verführt, man gibt sie nur schwer auf und will mit Gewalt daran festhalten. Viel zu oft endet ein als Demokrat in die Politik Eingestiegener als Autokrat. Es ist schwer, dem zu widerstehen, man muss ständig an sich arbeiten, der hohe Außendruck verhindert das aber oft. Ein Verhaltenskodex für Abgeordnete ist eine wichtige Basis für Grundvertrauen in die Politik.
Armin Thurnher hat sich in seinem aktuellen Buch zu den Vorgängen in der ÖVP mit dem Thema auseinandergesetzt. Er bestätigt die Sichtweisen seiner Vorrednerin, gibt aber auch zu bedenken, dass der Begriff Anstand ein sehr prekärer ist, der auch zur Heuchelei verleitet und bis heute als politischer Kampfbegriff verwendet wird. Der Philosoph Immanuel Kant hat in diesem Zusammenhang gesagt, dass ihm ein Heuchler lieber ist als einer, der sich offen unmoralisch verhält. Thurnher betont, dass man „im öffentlichen Theater“ immer auch Vorbildfunktion hat.
Auch Christian Kern bestätigt Irmgard Griss’ Sichtweise und kommt auf die Shakespear’schen Königsdramen zu sprechen, die ein beredetes Beispiel für die politische Kultur geben. Die Begriffe Anstand und Demut sind extrem problematisch, vor allem wenn sie zur Bewertung anderer Personen herangezogen werden. Diesen Anspruch kann man nur an sich selbst stellen. „Mäßige dein Urteil“ ist ein wichtiger Grundsatz, den er im Rahmen seiner politischen Funktionen und seiner unternehmerische Tätigkeiten kennen gelernt hat. Wer in die Politik gehen will, muss sich über ein Thema klar sein, dass er umsetzen mag. Klar muss auch sein, was der eigene Antrieb und das höhere Ziel ist.
Zur Wiederbelebung der Demokratie hält Irmgard Griss Bürgerversammlungen, wie sie beispielsweise in Vorarlberg oder in Irland abgehalten werden, für sinnvoll. Dafür werden Leute ausgelost, die die Bevölkerung repräsentieren, der Prozess wird moderiert und das Ergebnis ist für die Politik bindend. Beginnen sollte man auf der Gemeindeebene mit Themen, die die Menschen betreffen. Wichtig ist: Mitreden, verschiedene Sichtweisen und Interessen einbringen und sichtbar machen und einander anhören! Interessensabwägung ist eine wichtige Grundlage politischer Entscheidungsprozesse. „Wo nicht gestritten wird, ist keine Demokratie“, zitiert sie Helmut Schmid.
Armin Thurnher ist für öffentlich ausgetragenen Richtungsstreit. Er erinnert an die griechische Demokratie, wo auf der Agora zumindest theoretisch jeder politisch sprechen konnte. Das öffentliche Sprechen wird aber in unserer Gesellschaft durch die Medien transportiert, die aktuellen Entwicklungen in diesem Bereich aber befeuern die Manipulation. Es gibt eine Machtkonzentrationen von Aufmerksamkeit, deren Eigentümer andere Ziele als die Demokratie verfolgen. Wer sich gegen deren Interessen stellt, wird durch die diesem System innewohnenden Mechanismen „abgestraft“, was hoch problematisch ist. Die Aufgabe eines öffentlich-rechtlichen Mediums ist es, Diskurse zu ermöglichen. Das Grundproblem wird von der Politik egal welcher Couleur leider nicht erkannt.
Christian Kern weiß aus seiner Erfahrung als Leader in der Wirtschaft und in der Politik, dass es immer auch darum geht, mit seinen Ideen die eigenen Leute nicht zu verlieren. Er outet sich als Fan des aktuellen demokratischen Modells, das nicht die Bürgerbeteiligung in den Mittelpunkt stellt, sondern den übergeordneten Interessen dient und verweist auf die aktuelle Klimadebatte. Es geht auch darum, das Unpopuläre populär zu machen.
Abschließend werden die Verbindung zwischen Politik und Medien auf ihre Anständigkeit überprüft und Fragen aus dem Publikum beantwortet.
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