Friedlicher Protest
Nachdem ich am Tag zuvor diesen schrecklichen Fund gemacht hatte (siehe Link oben), ging es am nächsten Morgen gleich wieder weiter. Mein erster Tag als Ärztin in der Klinik von „Better days of Moria“ stand vor der Tür und ich wusste nicht, was mich erwarten würde.
Ich konnte vor lauter Aufregung kaum schlafen, da mein erster Tag als Ärztin, in der Klinik von „Better days for Moria“, vor der Tür stand. Alles, was ich wusste, war, dass ich im inoffiziellen Camp arbeiten würde und sich dort hauptsächlich männliche Flüchtlinge aus Pakistan permanent aufhielten.
Um 07:00 Uhr klingelte mein Wecker und um 08:00 Uhr war ich bereits vor Ort, um meinen Arbeitstag zu beginnen. Nachdem ich mein Team kennen lernte, führte mich eine der Ärztinnen in alles ein und zeigte und mir den Rest der Klinik: Sie bestand aus einem Aufenthaltsraum, einem Übernachtungsraum, einer Apotheke, einer Kochnische und einem Entspannungsraum.
Nach dem Rundgang ging es auch schon gleich los. Die Ärztin meinte nach ein paar Minuten: “Are you ready to see your first patient?“ Eine gewisse Aufregung überkam mich, da es sich hier um das erste Mal handelte, dass ich als frischgebackene Ärztin einen Patienten alleine behandeln durfte. Ich antwortete: „Yes, I am ready!“
Als ich die Tür öffnete, um meinen Patienten reinzuholen, warteten schon mindestens 20 Pakistaner vor der Tür. Die anderen Ärzte meinten, dass ca. 100-200 Patienten an einem Tag zu untersuchen wären.
Mein allererster Patient war ein junger Pakistaner, gerade mal 17 Jahre alt; er litt unter Symptomen wie Husten, Schnupfen und Halsweh. Ich brachte ihm infolgedessen ein paar Halswehtabletten und erklärte ihm, dass es sich hier um einen Virus handelte und er sich besser schonen sollte. Er guckte mich nur komisch an und meinte in seinem gebrochenen Englisch: “Pakistan, doctor, a lot of tablets.” Im Gespräch fand ich also heraus, dass man bei einem Arztbesuch in Pakistan stets viele verschiedene Tabletten erhält, die meistens gar nicht notwendig sind.
Bevor ich auf die Uhr gucken konnte, war es schon 14:00 Uhr; die Zeit verging wirklich wie im Fluge. Einige Volontäre waren so nett und brachten uns Essensteller aus der Küche mit. Es herrschte nun „Lunch“-Time. Wir gingen in den Entspannungsraum, um zu essen – und es schmeckte wirklich hervorragend. Die Volontäre, die in der Küche arbeiten, bereiteten einen wunderbaren vegetarischen Teller mit Pita Brot und Kichererbsenauflauf zu – einfach köstlich!
Nach einer kurzen Kaffeepause ging es gleich wieder los. Pro Schicht waren drei Ärzte und drei Krankenschwestern anwesend, und es gab Nonstop permanent zu tun. Langeweile konnte da sicherlich keine aufkommen ..
Später wurde uns mitgeteilt, dass es heute um 17:00 Uhr einen friedlichen Protest gegen die Schließung der Grenzen geben werde. Um 17:00 Uhr gingen wir raus, um an der Protestaktion teilzunehmen und so unsere Solidarität zu zeigen.
Einer der Pakistaner sang uns auf Urdu, der Nationalsprache aus Pakistan, etwas vor. Daraufhin nahmen sich alle Volontäre an der Hand und sangen und auf Englisch das Lied “Imagine” von John Lennon. In diesem Lied geht es um eine Welt, in der es keine Staaten und keine Religionen gibt, eine Welt, in der wir in Frieden leben; es geht darum, dass wir Träumer sind und eines Tages die Welt eins sein würde.
Alle, die anwesend waren, haben mitgesungen und mitgesummt; auch jene, die den Text nicht kannten.
Es ging sehr emotional her, und viele Tränen wurden vergossen. Ich weiß nicht, ob es an dem Lied lag oder einfach an der Situation oder vielleicht an beidem, aber es war einer dieser Momente, in denen man sich fühlt, als wäre die ganze Welt wirklich eins. Ich habe mich gefühlt als würden wir alle zusammengehören und auch zusammenhalten, als gäbe es Hoffnung, als gäbe es eine bessere Zukunft und als gäbe es Frieden. Es war einer dieser Momente, in denen man alles Negative beiseite legt und nur noch das Positive sieht; es war einer dieser Momente, den ich für immer in meinem Herzen tragen werde. Es war wirklich einzigartig, den Zusammenhalt der Menschen zu fühlen.
Während der Demonstration spürte man, wie diese jungen pakistanischen Männer leiden; man konnte ihren größten Wunsch und ihre größte Hoffnung, in Europa zu leben und eine bessere Zukunft bzw. überhaupt eine Zukunft zu haben, bis in die Knochen spüren. Es war beeindruckend. Alle diese Männer sind von weit hergereist, haben Gefahren auf sich genommen, ihr Hab und Gut verkauft und sich Geld geliehen; all das, um nach Europa zu gelangen.
Das nun folgende Bild zeigt einen jungen Mann, der auf einem Baum sitzt und ein Seil um seinen Hals geschlungen hat. Das erinnert an diejenigen, die vor einigen Tagen versucht haben, sich ihr Leben zu nehmen. Der Vorfall hat sich aufgrund der aussichtslosen Lage ereignet.
Es dauerte nicht lange, bis ich mich in der Klinik zurechtgefunden habe und verstand, wo ich was finde. Nach einigen Stunden Arbeit fühlte man sich schon so, als wäre man eine ganze Woche dort gewesen. Wir Volontäre saßen alle im gleichen Boot und halfen uns gegenseitig; es war mir eine Freude, zu sehen, welch Teamgeist in dieser Klinik sich bildete.
Heute habe ich mich so wirklich “alive” gefühlt; es war viel zu tun, ich habe mehrere Flüchtlinge untersucht und konnte wirklich aktiv mitwirken – es war ein guter Tag. Ich kann es kaum erwarten, morgen wieder dabei zu sein.