Frauenbild und Mutterrolle
Wieder einmal war Muttertag. Man kann zu dem Tag unterschiedlicher Meinung sein. Man kann ihn als kommerziellen Tag sehen, der eingeführt wurde, um tonnenweise Schokolade, Blumen, Parfum oder andere Geschenke zu kaufen, über die Mütter sich freuen. Man kann ihn als Ehrentag der Mutter sehen, um ihr einmal im Jahr aus tiefstem Herzen zu danken und zu huldigen. Oder man hat dazu eine Meinung, die sich irgendwo dazwischen befindet.
Mir persönlich sind die 364 anderen Tage im Jahr viel wichtiger, weil es die sind, die die Beziehung zwischen meinen Kindern und mir ausmachen. Es ist für mich aber auch ein Tag, an dem ich häufig nachdenklich werde und über Frauenbild, Mutterrolle, Emanzipation und Gesellschaft sinniere.
Und dabei stelle ich mir immer öfter die Frage, ob auch hier – wie bei vielen anderen Themen – die veröffentlichte Meinung doch nicht der öffentlichen Meinung entspricht? Oder wurde die veröffentlichte Meinung einfach nur so oft veröffentlicht, bis sie gesellschaftlich akzeptiert wurde? Die richtige Meinung in dieser Frage ist – wieder einmal – alternativlos, oder? Eine Frau, die was erreicht hat, will doch nach der Geburt ihres Kindes nicht „Heim an den Herd“
Oder etwa doch?
Von „Herd“ allein kann keine Rede sein, wenn man bedenkt, welche Aufgaben Mütter zwangsläufig übernehmen. Während man als Elementarpädagogin mindestens Matura benötigt und als Volksschullehrerin mittlerweile ein Studium, wird uns gleichzeitig erzählt, dass Mütter, wenn sie ihre Aufgabe Vollzeit ausführen, zu Hause verblöden würden? Als Mutter ist man zuerst Elementarpädagogin, dann Volksschullehrerin, später Englisch-, Mathematik und Deutschlehrerin, Lerncoach, abgesehen davon aber natürlich auch Krankenschwester, Psychologin, Sporttrainerin, Mediatorin und Schlichtungsstelle. Ja, und ein kleiner Anteil ist auch Köchin nebst Ernährungswissenschaftlerin. Es gibt dermaßen viel, was es zu wissen gibt, wenn man seine Rolle als Eltern ernst nimmt, dass von „Verblöden zu Hause“ nicht im Mindesten die Rede sein kann. Trotzdem wird uns erzählt, dass es für die moderne Frau von heute undenkbar ist, sich „nur“ um ihre Familie zu kümmern. Allroundgenie, Familienmanagement, Ruhepol nach innen und Fels in der Brandung nach außen ist einfach zu wenig. Die emanzipierte Frau von heute ist
beruflich erfolgreich, eine geduldige, liebevolle Mutter, eine Vorzeige-Ehefrau, natürlich sportlich und top-gestylt, hat einen funktionierenden Haushalt und einen großen Freundeskreis. Das alles schafft sie natürlich mit Leichtigkeit!
Oder doch nicht?
Die Befreiung von der Entscheidungsfreiheit
Die Emanzipationsbewegung heftet sich an die Fahnen, die Frauen befreit zu haben. Befreit davon, zu Hause zu sein und sich um ihre Familie zu kümmern und durch das Verdienen eigenen Geldes auch befreit von finanzieller Abhängigkeit.
In Befreiung steckt Freiheit.
Freiheit bezieht sich aber nicht nur darauf finanziell auf eigenen Beinen stehen zu können oder zu entscheiden, was ich kaufe oder womit ich mich beschäftige.
Freiheit ist auch Entscheidungsfreiheit und Meinungsfreiheit.
Ob eine Frau einem Beruf nachgehen möchte oder die Aufgaben als Mutter bevorzugt, darf sie nicht mehr entscheiden. Das entscheidet die Gesellschaft. Denn diese beurteilt, was richtig oder falsch ist, gut oder schlecht, modern oder veraltet. Damit wird der Druck auf Frauen, die gesellschaftlichen Erwartungen zu erfüllen, so massiv, dass wir Frauen, die sich „trauen“ „nur“ Vollzeitmutter zu sein, als „mutig“ bezeichnen. Mutig, eben weil sie sich dafür entschieden haben, anders zu leben als die „befreiten“ Frauen. Ich frage mich bei diesen Reflektionen, in was für einer Gesellschaft wir leben, in der sich eine Frau, die ihre Hauptaufgabe darin sieht, sich um die wichtigsten Menschen in ihrem Leben zu kümmern, dafür rechtfertigen muss.
Entlastung durch staatliche Kinderbetreuung?
Etwa zu dem Zeitpunkt als ich begonnen habe Kurse für Babys und Kleinkinder anzubieten, gab es eine Novelle zum Karenzgeld. Das einkommensabhängige Kinderbetreuungsgeld wurde als revolutionär gepriesen, weil frau ein Jahr lang 80% ihrer Letztbezüge ausbezahlt bekommt. Parallel dazu wurde propagiert, dass neue Krippenplätze für Kleinkindbetreuung geschaffen werden, damit frau möglichst schnell wieder zurück an ihre Arbeit gehen kann.
Die Rückmeldung der Mütter, die an meinen Kursen teilnahmen, war allerdings eher verhalten. Nach außen fühlten sie sich verpflichtet, die veröffentlichte Meinung nachzusprechen und zu loben, wie großartig es sei, nach einem Jahr Windel wechseln endlich wieder einer geistreichen Arbeit nachgehen zu können. Dazwischen aber gab es die eine oder andere vorsichtige Stimme, die schüchtern erklärte, warum sie lieber länger in Karenz blieben und sich selbst um ihr Kind kümmern möchte.
Nach etwa zwei Jahren besuchten viele Familien meine Kurse erneut, diesmal mit ihrem zweiten Kind. Der Tenor hatte sich deutlich verändert, weil mindestens die Hälfte der Mütter nun offen dazu stand, sich sicherlich nicht schon nach einem Jahr von ihrem Kind zu trennen. Sie hätten festgestellt, dass das deutlich zu früh sei und sie den Eindruck hätten, ihre Kinder wären damit überlastet.
Es gibt Studien, die aufzeigen, dass Betreuung außer Haus Kleinkindern nicht schadet, sondern ihre Entwicklung sogar unterstützt. Das ist richtig – aber unter der Bedingung, dass eine Maximalanzahl von Kindern pro betreuende Pädagogin eingehalten wird und die Betreuungszeit sich auf ein paar wenige Stunden pro Tag beschränkt – allerdings zu wenige, um die Stundenanzahl einer Vollzeit arbeitenden Frau am Arbeitsplatz plus Hin- und Rückfahrt vom/zum Kindergarten abzudecken.
Ebenso gibt es Studien, die zeigen, dass Kinder, die schon als in der Krippe eingewöhnt angesehen werden, noch immer einen erhöhten Cortisolspiegel aufweisen. Cortisol ist ein Stresshormon, das über den Speichel messbar ist. Es zeigt also, dass in die Gruppe integrierte Kinder die Fremdbetreuung noch nach vielen Wochen oder sogar Monaten als Stresssituation erleben. Stress kann kognitive Prozesse im Gehirn hemmen und sich negativ auf das Befinden und die Entwicklung auswirken.
Nicht nur für viele Kinder ist die Abwesenheit der Mutter zu früh. Umgekehrt geben viele Frauen zu, dass sie unter der stundenlangen Trennung von ihrem Kleinkind leiden. Sie nehmen lieber gewisse finanzielle Einschränkungen in Kauf und die oft anstrengende und kräftezehrende 24h-Betreuung, weil das Bedürfnis beim Kind zu sein so stark ist.
Endstation Burnout
Was in der Theorie toll klingt und politisch als optimale Unterstützung gedacht war, ist in der Realität nicht so umsetzbar wie geplant:
Es gibt nicht genug Krippenplätze, die Betreuenden dort sind überlastet, die Kinder sind gestresst und die Mütter auch. Der Alltag wird zur Zerreißprobe, weil jeder Teil des Lebens gerade mal hinreichend erfüllt wird. Oder auch nicht.
Anstatt alles im Griff zu haben, sitzt die emanzipierte Frau von heute nicht selten in der Küche ihrer Mutter und weint sich aus, weil sie hoffnungslos überfordert ist. Sie ist beruflich unter Druck, sie ist öfters ungeduldig und hastig im Umgang mit ihrem Kind als sie es möchte, sie ist sehr oft nicht mehr top-gestylt sondern überdeckt die dunklen Augenringe mit Camouflage, für Sport ist keine Zeit, der funktionierende Haushalt ist Utopie und die harmonische Partnerschaft war einmal.
Natürlich, denn das Frauenbild, das gesellschaftlich und medial idealisiert wird, kann keine Frau erfüllen. Immer mehr Familien erkennen das und suchen einen Ausweg, der meistens mit wirtschaftlichen Einbußen einher geht. Dennoch bevorzugen sie das, weil das Familienleben Priorität hat. Sie haben erkannt, dass Zeit unwiederbringlich vergeht und versäumte Erlebnisse nicht nachgeholt werden können.
Immer mehr erfolgreiche Frauen und Mütter haben den Mut, zu dieser Meinung zu stehen. Das zeigt eine aktuelle Petition, die fordert, dass die Karenzzeit politisch verlängert anstatt verkürzt werden soll. Wer ehrlich zurückblickt und die Entwicklung seiner Kinder beobachtet, kommt vermutlich zu dem Schluss, dass sich Kinder glücklicher entwickeln und psychisch deutlich stabiler sind, wenn ein Elternteil bis mindestens zur ersten Klasse Volksschule Vollzeit für sie verfügbar ist. Übrigens sehen die Kinder das genauso: Unter jenen Volksschülern, mit denen ich beruflich zu tun habe, wird es wie eine Art Statussymbol angesehen, wenn sie zu jenen Privilegierten gehören, die nicht in den Hort gehen „müssen“.
Verblödung oder Überforderung
Es gibt Kinder, die sich im Kindergarten oder in die Nachmittagsbetreuung wohlfühlen und solche, die das gar nicht mögen. Es gibt Männer, die in ihrer Vaterrolle aufgehen und solche, die der Meinung sind, Kindererziehung sei eher Frauensache. Es gibt Frauen, die leidenschaftlich an ihrer Karriere arbeiten und solche, die echte Familienmenschen sind. Wir sind alle verschieden und deshalb haben wir verschiedene Bedürfnisse. Wir haben ein Recht darauf, verschieden zu sein.
Fast scheint es so, als wären Frauen heute vor die Wahl gestellt, ob sie sich für die vermeintliche „Verblödung“ entscheiden, indem sie ihre Hauptaufgabe als Mutter sehen und damit massiver Kritik aussetzen oder für die „Überforderung“, weil sie verzweifelt versuchen, Beruf und Familie unter einen Hut zu bringen.
Die gut gemeinte Befreiung der Frauen hat für viele Mütter dazu geführt, dass sie aufgrund der Mehrfachbelastung tagtäglich an ihre Grenzen stoßen und das nach außen nicht einmal zugeben dürfen. Eine Frau, die nur den Aufgaben zu Hause für die Familie nachgeht, gilt schnell als Heimchen am Herd oder als arbeitsscheu, obwohl das bedeutet, 24 Stunden am Tag im Einsatz zu sein.
Wenn wir echte Emanzipation leben wollen, dann darf das für Frauen nicht den tagtäglichen Spagat zwischen unzähligen Pflichten bedeuten, sondern eine Begegnung auf Augenhöhe, in der Frauen gleichberechtigt mit Männern entscheiden, wie sie leben wollen und dass diese Entscheidung gesellschaftlich nicht kommentiert und nicht bewertet wird. Und dass die Politik junge Familien mit verschiedenen Karenz- und Arbeitsmodellen unterstützt.
Wenn wir ehrlich zu uns selbst sind, sehen wir am Zustand unserer Gesellschaft, unserer Kinder, unserer Schulen, unserer Scheidungsrate und der Quote jener Menschen, die sich psychologische Hilfe suchen, dass das System, in dem wir uns derzeit befinden wider die menschliche Natur arbeitet.
Wir müssen zurück zu Menschlichkeit, Liebe, Familie, Elternschaft und Zusammenhalt. Denn was gibt es Wertvolleres als eine sichere, liebevolle und stressfreie Eltern-Kind-Bindung, die durch viel Präsenz eines Elternteils verstärkt wird als bestmöglicher Start in ein erfolgreiches Leben?
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PNG – 028-DE-FB+IPHP | Wolfgang Müller | CC BY-SA 4.0 | |
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