Frau, Leben, Freiheit (BSA)

Politik

Die Proteste der Bevölkerung gegen das Regime im Iran, die vor allem von Frauen getragen werden, stehen im Mittelpunkt dieser Online-Diskussionsrunde des BSA, die am 10.11.2022 stattfand und von der ehemaligen Staatssekretärin für Diversität, Mag. Muna Duzdar, moderiert wird.

Der Soziologe Dr. Behrouz Alikhani sieht den Hauptunterschied zur Grünen Revolution von 2009 darin, dass die damalige Bewegung von der städtischen Mittelschicht getragen wurde, während dieses Mal breite Bevölkerungsschichten aufbegehren. Auch dauert die aktuelle Revolution schon wesentlich länger an, und man geht nicht mehr davon aus, dass man mit Reformen Veränderungen erreichen kann: das Regime muss fallen (Eine Parole lautet „Tod dem Diktator“). Wie bei den Protesten davor so spielen auch dieses Mal sozioökonomische Faktoren eine entscheidende Rolle, wie Alikhani im Folgenden ausführt.

Während die Proteste 2009 auf politische Institutionen abzielten, und es 2017 um hohe Benzinpreise ging, basiert die aktuelle Revolte auf dem Verbrechen von Sittenwächtern und Polizei an einer jungen Frau, die das Kopftuch falsch trug, meint Islamwissenschaftler Univ.-Prof. Dr. Reinhard Schulze. Es zeigt sich, dass sich große Teile der iranischen Bevölkerung vom System der islamischen Republik verabschiedet haben: sie wollen ein modernes Leben leben, mit allen persönlichen Freiheiten. Dies zeigt auch auch der Slogan „Frau, Leben, Freiheit“.

Die aktuelle Protestbewegung habe aus vergangenen Fehlern gelernt: sie ist dezentralisiert und egalitär, hat keine klaren Führungsfiguren. Die Chance auf einen Erfolg sieht Alikhani auf Grund der gesellschaftlichen Breite und der starken Urbanisierung der iranischen Gesellschaft als gegeben an. Nicht-Anerkennung durch die Gesellschaft ist für das Regime die größte Gefahr, so Schulze: selbst massive Gewaltandrohungen reichen nicht mehr aus, um die Menschen unter Kontrolle zu bringen. Die alte Ordnung der islamischen Republik gibt es nicht mehr; nur das Regime besteht – noch. Schulze sieht hier historische Parallelen zum Zerfall der Sowjetunion 1990.

Iran habe auf den gesamten mittleren Osten einen negativen Einfluss, meint der Facharzt für Nuklearmedizin Univ.-Prof. Dr. Siroos Mirzaei. Einen Regimewechsel würde die gesamte Region begrüßen. Während die Kinder im Iran in desolate Schulen gehen müssen, kauft sich das Regime zB im Südlibanon mit Hilfe sozialer Projekte Einfluss. Im Ukrainekrieg steht der Iran eng an der Seite Russlands. Die Sanktionen, die sich gegen den ganzen Iran richten, haben einen extrem negativen Effekt auf die Zivilgesellschaft, während sich der Reichtum in wenigen Händen sammelt. Das Regime hat mittlerweile auch Milliarden ins Ausland geschafft und dort angelegt. Auch Österreich ist Zielland. Personelle Sanktionen, wie im Falle Russlands, hätten einen positiven Effekt.

Wie der Abschuss eines Passagierflugzeugs den Veränderungswillen der iranischen Bevölkerung befeuert hat, wie wichtig das Militär für eine politische Weiterentwicklung sein könnte, wie ein System der Zukunft im Iran aussehen könnte und welche Rolle die jungen Menschen bei den Demokratisierungsprozessen spielen sind weitere Themen dieses Gesprächs.

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