Frau Dr. Griss, wie halten Sie es mit Europa?
Veranstaltungsdaten
- Datum
- 7. 3. 2016
- Veranstalter
- Europa Club Wien
- Ort
- Europa Club Wien
- Veranstaltungsart
- Diskussion
- Teilnehmer
- Dr. Irmgard Griss, Präsidentschaftskandidatin 2016
- Paul Schmidt, Generalsekretär d. Österr. Gesellschaft für Europapolitik
Die Veranstaltung war sehr gut besucht, das überwiegend ältere Publikum schien großes Interesse an Frau Dr. Griss zu haben.
Paul Schmidt, Generalsekretär der Österreichischen Gesellschaft für Europapolitik, eröffnet die Diskussionsrunde,
die sich bewusst nur dem Thema „Europa“ widmen will, mit der Frage nach Frau Griss Meinung über den aktuellen Zustand der EU.
Frau Dr. Griss empfindet es als „deprimierend“, „wie wenig Problemlösungskompetenz der EU zugebilligt wird“ und ist
„traurig, wie die Zustimmung zur EU sinkt“. Sie bezeichnet sich selbst als „begeisterte“ Europäerin, gesteht aber Fehler der EU ein, die „zu spät auf die Wanderbewegung reagiert“ hat (Stichwort Lampedusa).
Sie begründet dies mit der „unterschiedlichen Betroffenheit“ und dem Fokus der nationalen Politiker auf ihre eigenen Wähler in ihrem Heimatland. Für die Visegrad-Länder, die sich in der Flüchtlingsfrage unsolidarisch zeigen, äußert sie Verständnis. Aufgrund ihrer Geschichte müsse man verstehen, dass die Vorbehalte haben, wenn „wieder jemand vorgibt, was zu tun ist“. Sehr pragmatisch verweist Frau Dr. Griss auch auf die Freizügigkeit und die damit verbundenen Probleme, da ja die Flüchtlinge nicht in den Visegrad-Ländern bleiben wollen würden, selbst wenn diese eine Aufnahme nicht blockieren würden.
Auf die Frage nach der Sinnhaftigkeit eines Plans B antwortet Frau Dr. Griss, dass „jedes EU-Land, auch Österreich, zunächst irgendeinen Plan braucht“, es aber „keinen Plan A, B oder C gibt“. Sie fordert eine Neustrukturierung und Beschleunigung der Asylverfahren sowie eine Grenzsicherung und Registrierung. Mehrmals kritisiert sie die fehlenden Kontrollen im Herbst 2015. Außerdem fehlte die Kommunikation, dass es sich bei der Grenzöffnung nur um eine Ausnahme handelte.
Merkel hebt Frau Dr. Griss als Politikerin hervor, die „für Lösungen gesorgt hat“, auch bei der Euro-Krise.
Österreichs Obergrenze für Flüchtlinge dürfe nicht heißen, dass Asylanträge nicht mehr behandelt werden, wenn die Flüchtlinge die österreichische Grenze erreichen. Es wäre eine „Illusion, Österreich abzuschotten“. Trotzdem war die Vorgangsweise „realpolitisch ein Weckruf“ und eine Maßnahme, über die Deutschland „nicht unglücklich“ wäre.
Frau Dr. Griss sieht keine Alternativen zu einer Lösung gemeinsam mit der Türkei, erkennt aber die „ganz prekäre, schwierige Situation“ der EU durch das türkische Vorgehen gegen Kurden oder Medien.
Ganz falsch wäre es, wenn die EU die Gespräche mit der Türkei deswegen verweigern würde, da die „Aussicht auf Mitgliedschaft ein Motor für eine rechtsstaatliche Entwicklung“ ist.
Eine Publikumsfrage beschäftigt sich mit den Wahlen in der Slowakei. Frau Dr. Griss betont erneut, dass sie trotz „bedenklicher Entwicklungen“ in manchen Bereichen jedenfalls Gespräche bevorzugt als eine Haltung, die sagt „Die kommen nicht in Frage“. Die EU-Mitgliedschaft stärkt die Demokratie, doch dauern derartige Prozesse Zeit, und der Beitritt der Visegrad Länder wäre noch nicht so lange her.
Gefragt nach ihrer Meinung zu TTIP antwortet Frau Dr. Griss diplomatisch, dass „Freihandel – gerade auch für Österreich – positiv“ ist, aber das Abkommen „nur vertretbar ist, wenn unsere Standards nicht gefährdet sind“.
Frau Dr. Griss wünscht sich mehr direkte Demokratie und eine Änderung des Wahlrechts, die dazu führen soll, dass sich Politiker mehr den Bürgern und weniger den Parteien verpflichtet fühlen.
Die Sanktionen der EU gegen Russland begrüßte Frau Dr. Griss.
In einem netten Schlusswort bezeichnet Frau Dr. Griss die EU als das „größte Friedensprojekt“ und erinnert daran, dass „Europa das ist, was wir daraus machen“.
Frau Dr. Griss präsentierte sich meines Erachtens überaus professionell. Nach meinem Dafürhalten gelang ihr ein sehr ausgewogener Weg zwischen konkreter Kritik, die aber nie in verallgemeinertes ‚Schlechtmachen‘ der egierungsarbeit abglitt, und positiver Sichtweise, die diese Tage wohl häufig zu kurz kommt. Meine Befürchtung, sie würde sich bei vielen Themen hinter einem viel- und zugleich nichtssagenden „Ja, aber“ verstecken, erwies sich als
unbegründet. Ich kann mir vorstellen, dass Frau Dr. Griss mit ihrer sachlichen und sehr glaubwürdig vermittelten positiven Sichtweise etliche Politikverdrossene ansprechen kann.
Credits
Image | Title | Autor | License |
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Irmgard Griss | Thomas Farthofer | CC BY-SA 4.0 | |
EU-FLAGGE | phl59 | CC BY-SA 2.0 |
Mit der Befürwortung der Sanktionen wird sie sich in Wirtschaftskreisen keine Freunde machen.
Ihre Ansichten zur Obergrenze teile ich.
Mehr Demokratie – wäre interessant, was da genau ihre Vorschläge sind (mehr Direktwahlen, Auswahl der Spitzenkandidaten a la USA etc).