Europaskepsis und Nationalismus – was kann das Europaparlament dagegen tun?
Veranstaltungsdaten
- Datum
- 31. 1. 2018
- Veranstalter
- Bürgerforum Europa
- Ort
- Haus der Europäischen Union, Wien
- Veranstaltungsart
- Podiumsdiskussion
- Teilnehmer
- Verica Trestenjak, Professorin für Europarecht an der Universität Wien, ehemalige Generalanwältin am Europäischen Gerichtshof
- Heidi Glück, Kommunikationsexpertin und ehem. Sprecherin von Bundeskanzler Wolfgang Schüssel
- Jörg Leichtfried, Nationalratsabgeordneter der SPÖ, ehem. Europaparlamentarier und Verkehrsminister
- Reinhold Lopatka, Europasprecher der ÖVP im Nationalrat, ehem. Clubobmann der ÖVP
- Sonja Puntscher-Riekmann, Professorin für Europarecht an der Universität Salzburg
- Dr. Roland Adrowitzer, Journalist beim ORF (Moderation)
Am 31. Jänner 2017 fand das „Bürgerforum Europa“ im Haus der Europäischen Union in Wien statt. Unter dem Titel „Die europäische Demokratie – Grenzen und Möglichkeiten des europäischen Parlaments“ befasste sich die hochkarätig besetzte Podiumsdiskussion mit der Bedeutung des Europaparlaments in der heutigen Zeit.
Die Europarechtsexpertin Sonja Puntscher-Riekmann stellte in ihrem Eingangsstatement fest, dass das Europaparlament seit seiner Gründung in den Siebzigerjahren „sensationelle Meilensteine“ wie etwa die Einführung der Direktwahl oder die beständige Erweiterung seiner Mitspracherechte bis hin zu ordentlichen Gesetzgebungsverfahren erlebt habe. Daher sei weniger das Parlament zu reformieren, sondern das informelle Gefüge insgesamt. Es gebe aber durchaus berechtigte Kritikpunkte am Europäischen Parlament, etwa „unübersehbare Lücken“ in dessen Kompetenzen. Allerdings werde alles oft im Licht der nationalen Interessen abgehandelt, für Kandidaten sei es schwierig, europäische Themen in ihren Heimatländern überhaupt zu lancieren. Auch die niedrige Beteiligung an den Wahlen zum Europaparlament sei ein Problem, denn diese sei regelmäßig und in fast allen Ländern viel niedriger als bei den nationalen Wahlen.
Jörg Leichtfried, langjähriger Europaabgeordneter der SPÖ, beginnt mit einem optimistischen Ansatz und sieht die europäische Politik sehr positiv. „Dieses Europäische Parlament ist eines der faszinierendsten Parlamente, die es auf der Welt gibt.“ Es werde in der öffentlichen Wahrnehmung sehr oft unter seinen Wert geschlagen. Der Vertrag von Lissabon und die Durchsetzung des Spitzenkandidatenprinzips seien große Schritte gewesen, weil durch die Involvierung des Parlaments die Außenhandelspolitik ganz neue Bedeutung bekommen habe und es seine Position gegenüber der Kommission und den Mitgliedsstaaten verbessern konnte.
Leichtfried findet es allerdings wichtig, die Gegner nicht auszugrenzen: „Meines Erachtens geht es jetzt darum, diese Kluft zu überwinden.“ Das Europäische Parlament sei auf der europäischen Ebene die geeignetste Institution zur Zurückdrängung dieser Nationalismen. Leichtfried wünscht sich als Lösung für das Problem der Europaskepsis mehr Kompetenzen für das Europäische Parlament sowie eine Schwächung der Möglichkeiten der Nationalstaaten, gemeinsame Projekte zu blockieren.
Verica Trestenjak, Juristin und ehemalige Generalanwältin am Europäischen Gerichtshof, antwortet auf die Frage, wie man mit Staaten verfahren könne, die aktiv gegen die Interessen Europas arbeiten:
Es gebe eigentlich kein mit effektiven Sanktionen verbundenes Verfahren, um mit Ländern umzugehen, die europäische Werte missachten.
So sei etwa für ein Verfahren nach Artikel 7 Einstimmigkeit notwendig, und der Europäische Gerichtshof habe dabei keine wirklich wirksamen Sanktionsmittel. Es wäre hilfreich, das zu ändern: „Wir brauchen einen effektiven Rechtsschutz, mit dem der Europäische Gerichtshof auch finanzielle Sanktionen verhängen kann.“
Reinhold Lopatka, Europasprecher der ÖVP, ging speziell auf die Flüchtlingskrise ein – mit einem pessimistischen Unterton: In diesem Zusammenhang „hat alles, was wir an Rechtsstaatlichkeit gewohnt sind, nicht mehr funktioniert“, so Lopatka. Das größte aktuelle Problem der EU sei der Brexit, der Austritt Großbritanniens, der die EU enorm schwäche, weil mit Großbritannien ein ganz wichtiges Mitglied wegfalle. Nach Ansicht Lopatkas war die Flüchtlingskrise ein wichtiger Grund für den Brexit: Er sei „absolut sicher“, dass das Brexit-Votum ohne die Flüchtlingskrise anders ausgefallen wäre.
Das europäische Projekt dürfe aber nicht zu einem Projekt der Eliten werden. „Wenn Europa sich positiv weiterentwickeln will, dürfen wir uns nicht auf die europäischen Institutionen konzentrieren, sondern müssen von unten nach oben denken.“ Das europäische Projekt sei zu kopflastig und müsse mehr von der unteren politischen Ebene, also den Kommunen aus, gedacht werden. Um die Europaskepsis der Bevölkerung zu überwinden, müssen nach seiner Ansicht aber die Nationalstaaten stärker eingebunden werden, europaskeptische Staaten wie etwa Polen und Ungarn dürfen nicht ausgegrenzt werden: „Die wieder zurückholen, das halte ich für eine ganz, ganz wesentliche Aufgabe.“
Auch die Kommunikationsexpertin Heidi Glück fürchtet, dass Europa als Elitenprojekt wahrgenommen werde, weil es noch zu wenig bei den Bürger angekommen sei. Sie sieht einen Lösungsansatz in der Kommunikation: „Europapolitik braucht Inszenierung, aber im positiven Sinne.“
Sonja Puntscher-Riekmann bestätigt, dass es in der Bevölkerung breite Zweifel an der Rationalität Europas gebe, eine Debatte darüber sei dringend notwendig. Sie sieht aber weniger die europäischen Institutionen in der Pflicht: „Es ist Aufgabe der nationalen Regierungen, Europa zu vermitteln.“ Politiker würden sich der eigenen Bevölkerung gegenüber immer als Helden der Demokratie feiern, die Komplexität der EU werde von ihnen als Ausrede für Nichtkommunikation benutzt.
Verica Trestenjak beklagt, dass die Rechtsprechung der EU von den Mitgliedsstaaten oft nicht akzeptiert werde. Die Staaten würden nur Mitglieder der EU sein wollen, wenn es ihnen Vorteile bringe, die Nachteile aber nicht in Kauf nehmen. Sie weist darauf hin, dass am Brexit-Votum vor allem die Gegner der EU teilgenommen hätten, die Befürworter seien zu Hause geblieben.
Auch Jörg Leichtfried bestätigt, dass die EU bessere Akzeptanz bei ihren Bürgern finden müsse. Derzeit werde leidenschaftliche Europapolitik nur von ihren Gegnern betrieben, die Befürworter hätten dem nichts entgegenzusetzen. Die Regierungen aller europäischen Mitgliedsstaaten würden nicht um Europa kämpfen, inklusive aller österreichischen Regierungen seit dem Beitritt. Ähnlich wie Heidi Glück sieht er ein Problem bei der Kommunikation: Diese sei zu abgehoben, die ganze Sprache „eine für Spezialistinnen und Spezialisten“.
Insgesamt waren sich die Diskutierenden darüber einig, dass die Europäische Union ausgesprochen positiv zu bewerten sei und das Europäische Parlament eine wichtige Rolle spiele. Weitgehende Einigkeit schien allerdings auch darüber zu bestehen, dass diese Vorteile den Bürgerinnen und Bürgern viel zu wenig kommuniziert würden. Abgehobene Sprache führe dazu, dass die EU als Elitenprojekt wahrgenommen würde, die Instrumentalisierung zur politischen Profilierung einzelner Politiker auf der nationalen Ebene fördere die verbreitete Europaskepsis.
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Europaskepsis und Nationalismus | Julia Hahn | Mit freundlicher Genehmigung von Bürgerforum Europa |