Europa DIALOG – mit Oscarpreisträger Stefan Ruzowitzky

Europa: DIALOG mit Stefan Ruzowitzky
Politik

Veranstaltungsdaten

Datum
7. 6. 2016
Veranstalter
Europa Club Wien
Ort
Haus der Europäischen Union
Veranstaltungsart
Diskussion

In der Europa-Diskussionsrunde, die wöchentlich mit Benedikt Weingartner als Moderator gehalten wird und diesmal am 7. Juni 2016 im Haus der Europäischen Union um 18:00 Uhr mit Stefan Ruzowitzky, dem charismatischen österreichischen Filmregisseur und Drehbuchautor (2008 wurde er für den Spielfilm „Die Fälscher“ mit dem Oscar für den besten fremdsprachigen Film ausgezeichnet) statt fand, erklärt dieser seine Bedeutung zum Thema „Europa“, kurz und bündig:

„Europa ist für mich Heimat.“

Der Dialog:

Ruzowitzkys nächstes Filmprojekt – „Die Hölle“

Seine neueste österreichische Produktion „Die Hölle“ würde ein Action-Thriller mit wilden Verfolgungsjagden am Ring, mit einem überschlagenden Auto am Schwedenplatz und mit einer türkischstämmigen Muslimin als Filmheldin, die als Taxifahrerin zufällig Zeugin eines Ritualmordes werde. Dass der Film politischer Natur sei, könne man natürlich vermuten, meint er, sei er aber nicht:

„Der Film ist an sich unpolitisch. Doch die Tatsache, dass die Heldin eine junge Muslimin ist, die einen männlichen Bösewicht zur Strecke bringt, das impliziert natürlich eine gesellschaftspolitische Botschaft.“

Nach „Anatomie“, „Die Fälscher“ und „Das radikal Böse“: Action – wieso?

„Anatomie war etwas, das ich fürs Publikum machte“,

so der Regisseur und setzt fort: „Europäisches Kino tut man sich an.“ Unsere Multiplexkinos seien nach wie vor von Hollywood-Produktionen beherrscht. „Anatomie“ hingegen sei absurderweise, obwohl schon 16 Jahre alt, der erfolgreichste deutsche Genrefilm. Eine Entwicklung in diese Richtung sähe er als besonders wichtig, im kulturpolitischen Sinne. Wichtiger als der in diesen Filmen verkörperte amerikanische Geist sei ihm der europäische.

Braucht die Jugend „Action“?

„Dass die Jugend Action ‚braucht‘, wäre mir zu platt gesagt“,

so der Künstler. Vom Publikum könne man nicht immer erwarten, dass schwere Themen konsumiert gewollt würden. Er findet Filme gut, in denen einerseits große Gefühle hervorgerufen würden wie Romantik, Humor, Angst und andererseits, neben den Schauwerten, eine Wahrheit über das Leben erfahren werden könnte – über das Leben, über unsere Zeit und über unsere Gesellschaft. Das „Schwere“ sei bei europäischen Filmen manchmal so ermüdend. Die Jugend als Publikum entscheide sich deshalb oft lieber für Hollywoodfilme.

Sprengt Hollywood alle Rekorde?

Dass Hollywood am erfolgreichsten sei im Filmemachen, sieht Ruzowitzky nicht als absolute Wahrheit, wie man an dem Beispiel der deutschen Komödie „Fack ju Göhte“ erkennen könne. Bei Komödien sei das aber etwas anderes, so der Experte: Der Humor sei immer auf die jeweilige Kultur des Landes bezogen; es gäbe, aus der anderen Perspektive betrachtet, auch amerikanische Komödien, welche in ihren kulturellen Feinheiten keinen Erfolg hierzulande hätten. Im Bereich „Drama“ hingegen, wo es einen Austausch geben sollte, müsste dieser aber auch funktionieren.

„Tut es aber nicht“,

so der Oscarpreisträger.

Scheitert es am Budget –  z.B. in Osteuropa?

Budget sei immer ein Thema, so Ruzowitzky. Gewisse Dinge könne man nur mit großen Budgets erreichen. In der Liga der großen Blockbuster in Amerika wären z.B. 100-200 Mio. Dollar Budget zur Verfügung – damit sei nicht zu konkurrieren, da gäbe es eben keine „Augenhöhe“. Man könne aber immer eine Nische zu finden. Der Erfolg, die Blüte, in der Österreich immer noch stecke, hinge sicher damit zusammen, dass auf einmal gut funktionierende Fördersysteme da gewesen und diese auch entsprechend dotiert gewesen seien. Da kämen dann talentierte Menschen wie Michael Haneke, wuchsen in diesem Biotop und konnten aufblühen, deklariert sich der Drehbuchautor.

Plötzlich schmücken sich, von den Ministerien angefangen, alle mit dem „österreichischen Film“. Hat sich in Österreich wirklich so viel verändert?

„Ja. Atmosphärisch hat sich etwas verändert,“

meint er. Allen Beteiligten, auch die Medien, die Presse, sei angeraten gewesen, sich zum österreichischen Film zu bekennen. Das habe dann auch Auswirkungen aufs Publikum, auf die Politik, die halt notwendig sei, um die Förderinstrumente zu installieren oder höher zu dotieren. Und so entstünde eine prosperierende heimische Filmkultur. Da sei schon viel seit damals passiert.

Der Blick hinter die Kulissen: Wie lange dauert die Produktion eines Filmes?

Ruzowitzky erklärt das anhand seines aktuellen Filmes: Er habe im Januar/Februar 2016 begonnen; davor richtete man ein Hauptbüro ein, suchte nach den passenden Locations, Castings fanden statt, die Hauptdarstellerin musste Thaiboxen lernen und Taxifahren üben; gleich anschließend kümmerte man sich um die Finanzierung und das Drehbuch – welches übrigens Jahre dauern könne, um es als „gute Arbeit“ zu erachten; und dann passierte der tatsächliche Produktionsbeginn Januar/Februar, Dreh war März/April, Schneiden geschieht Mai/Juni. Anschließend dann noch Musik, Tonnachbearbeitung, Visual Effects und der Regisseur hofft, im Oktober 2016 zu finalisieren.

Für einen größeren Publikumsfilm brauche man für die Pressearbeit übrigens drei Monate: Für das Erscheinen in den Magazinen müssen die Redakteure vorher den Film gesehen haben und informiert sein, dass der Film relevant sei; dann käme noch die Arbeit für die Modestrecken in der Gala hinzu. Und der Trailer. Ruzowitzkys Plan sei, dass der neue Film Anfang des nächsten Jahres rauskommt. Insgesamt könne man also mit einem guten Jahr als Zeitspanne für einen Film rechnen.

Die Darsteller zum neuen Film – verrät Ruzowitzky sie uns?

Ja: Violetta Schurawlow, Tobias Moretti, Robert Palfrader – um nur einige zu nennen.

Gibt es Gelder von der EU für einen europäischen Film?

Das bejaht der Filmexperte: „Aber eher als Spitzenfinanzierung, also wenn einem am Schluss ein bisschen etwas fehlt.“ Die großen Brocken müsse man aber über Verleih, Vorverkäufe bzw. über nationale Filmförderungen und regionale Wirtschaftsförderungen lukrieren. Der Grund für die Förderungen sei der, dass man nun wisse, mit Film viel Geld verdienen und zur Volkswirtschaft viel beitragen zu können. In Amerika z.B. gebe es Rabatte. Das Filmeschaffen sei übrigens sehr personalintensiv. Der Großteil der Gelder fließe direkt ins Personal.

Letztes Jahr habe Ruzowitzky in England einen Film gedreht für ein amerikanisches Studio: Tony Blair habe erkannt, dass man mit James Bond und Harry Potter Großbritannien sehr gut umschreiben könne. Zwischen der Imagebildung Bond/Potter entstünde die Möglichkeit, Traditionelles zu zeigen und gleichzeitig Modernes, Schickes. Und damit könne man Großbritannien auf der ganzen Welt gut „verkaufen“.

Der Filmemacher habe nun so ein Rabattmodell und hofft auf dessen Entwicklung. Bei dem Film, den er machte, überlegte er, zwischen Berlin und London zu drehen; proaktiv meldete sich eine Dame vom British Filminstitut und bot Förderungen an. Das sei in Österreich und Deutschland anders, da sage man: „Schauen wir mal; da können wir schon etwas machen.“ Nur betrachte man den Erfolg: von 18 Mio Dollar blieb nicht alles da; 10-15 Mio seien in England geblieben.

Die Einstellung zum Film – im Vergleich

In Amerika werde Entertainment ernst genommen, betont der Künstler. Die Scherze würden am nächsten Tag in der Washington Post z.B. analysiert und: ernst genommen. In Österreich hingegen würde man nicht ernst genommen. Man würde zwar dafür geschätzt, ein „Paradiesvogel“ zu sein, auch schlimm und frech dürfe man sein – weil man eben nicht ernst genommen würde.

In Amerika sei das anders. Amerika sieht diese Art des Entertainments als „Wirtschaftsfaktor“. Als Filmemacher sei das natürlich eine großartige Sache, stellt der Künstler fest.

Mit dem Dokumentarfilm „Das radikal Böse“ wurde ein neues Genre geschaffen

Ein Drittel der Holocaust-Opfer – 200 Millionen Menschen – seien aufgrund von Massenerschießungen getötet worden; diesen nicht allzu bekannten Aspekt zeigt Ruzowitzky in dem Film „Das radikal Böse“ und konzentriert sich auf die ganz „normalen“ deutschen Soldaten, die im Akkord Menschen umgebracht hatten, also Genozid begangen. Der Film beschäftigt sich mit der Psychologie, die dahinter steckt, dass ganz normale Männer dazu fähig (gemacht) wurden, täglich im Akkord unbewaffnete Zivilisten (Kinder, Frauen, Alte, Babies, …) zu massakrieren.

Für Ruzowitzky taucht dabei die Frage auf: Wie geht das, dass ganz normale Menschen so etwas tun? Das Ganze ist aufgebaut mit Originalzitaten der Täter, die sie in Briefen verfasst haben, Tagebuch-Eintragungen, die später vor Gericht wiedergegeben wurden. Interessant seien die Mechanismen, wie man „in so etwas“ hineingerät. Und der Punkt, an dem die Schwelle des „ersten Mals“ übertreten wird. Und wie der Mechanismus funktioniert, sich selbst zu überreden, dass das, was man tat, gut und richtig gewesen sei. Und wie es weitergeht, da man sich ja selber nicht eingestehen darf, dass das ein Verbrechen war und dass man selber zum Mörder wurde.

Das seien laut Ruzowitzky „unangenehme Wahrheiten“: Der Zuschauer erkenne plötzlich, dass man sich nicht mehr selber sicher sein könne, der eine Einzige sein, der sagt: „Nein ich mache das sicher nicht!“

Wie kann es passieren, dass ein normaler Mann, ein Familienvater, zur Bestie wird?

Dafür gibt es laut Ruzowitzky viele Erklärungsmuster. Das besonders Erschreckende sei für ihn, wie schnell das gehen könne. Dazu brauche es nämlich gar nicht viel Propaganda. Die Täter hätten sich übergeben, nachdem sie zum ersten Mal bei einer Massenerschießung dabei gewesen waren; sie hätten sich sinnlos betrunken, doch hernach ging es ihnen „leicht von der Hand“, nur noch um die Technik – und schon seien sie bereit für den Genozid gewesen. Es zeige sich seines Erachtens dabei die unwahrscheinliche Empathielosigkeit, indem z.B. erklärt worden war, dass einer keine Babys sondern nur Kleinkinder getötet habe.

Wie das Ganze funktioniere, also der Chorgedanke, die Uniformierung, das sei für den Regisseur nachvollziehbar, aber wie leicht und schnell eine Gesellschaft kippen könne, das sei das eigentlich Bedenkliche. Und gleichzeitig Beängstigende.

Man sagt: Das ist Vergangenheit – inwiefern lässt sich dieses Phänomen vergegenwärtigen?

Ruzowitzky habe Historiker, Psychologen interviewt und es seien viele dabei gewesen, die sich mit der Genozidforschung beschäftigten. Laut dieser Experten gebe es sehr wohl Warnsysteme für Genozid: Der erste Schritt sei „Rassismus“. Gefährlich sei es, wenn man eine „Outgroup“ entstehen ließe, also eine verstoßene Volksgruppe. Eine Gruppe, die weniger wert sei, die geächtet würde und deren Rechtlosigkeit einzementiert würde. Dieser Weg könnte garantiert in Richtung Genozid führen, warnt Ruzowitzky.

In puncto Nationalisozialismus – was kann man aus der Vergangenheit lernen? Kann es sich „so“ wiederholen?

So, wie es war, würde es nicht mehr werden, meint der Regisseur. Aber was man lernen könne aus der Vergangenheit: Die Mechanismen, die zu derart gefährlichen, politischen Entwicklungen führen könnten, zu erkennen. Es sei für ihn seltsam, dass FPÖ Anhänger nicht verstünden, woher denn die Verbindung mit der Vergangenheit käme; dass z.B. das Wort „Lügenpresse“ von Goebbels geschaffen wurde. Und dass man im verschwörerischen Sinne denke, dass z.B. „alle anderen“ korrupt seien.

Wenn man eine Partei habe, die mit solchen Mechanismen arbeite, dann sei es für ihn beunruhigend, dass behauptet würde, damit nicht den nächsten Holocaust anstreben zu wollen. Man wisse schließlich, wie diese Dinge funktionieren. Und es ginge gegenwärtig in Österreich darum, Flüchtlinge und Ausländer zu Outgroups zu erklären – und das würde propagistisch aufgeheizt. Und genau das könne in sehr gefährliche Bahnen geleitet werden.

Verharmlosung: Wird Rechtspopulismus beinahe „salonfähig“?

Dessen ist sich der Regisseur sicher:

„Aber ich für mich bin noch nicht draufgekommen, wie man dem am besten begegnet. Im persönlichen Gespräch oder als jemand, der in den Medien arbeitet. Wie spricht man zu solchen Leuten? Ich habe teilweise versucht, auf Facebook zu argumentieren. Aber da merkt man: Man kommt mit Argumenten gar nicht mehr durch. Das ist das Beunruhigende für mich. Nämlich nicht, dass niemand was tut, sondern die Antwort auf die Frage zu finden: Was muss man tun sollte, um wirklich etwas zu bewirken und zu überzeugen?“

Das sei seiner Meinung nach nicht nur ein österreichisches Phänomen: Das gebe es auch in Amerika, da seien z.B. die Mexikaner an allem „schuld“.

Ruzowitzky findet indes die Tatsache unerklärlich, wieso jetzt auf einmal so eine Bewegung auf der ganzen Welt stattfinde. Kosmische Strahlung? In Österreich könne man ja sagen, dass der Grund dafür ein visionsloser Bundeskanzler gewesen sei. Aber Amerika mit Obama, der ein Visionär sei und unter dem die Wirtschaft aufgegangen sei, da befände sich ein ähnliches politisches Phänomen. „Das finde ich spooky“, so der Regisseur.

Kann man den Moment versäumen, etwas dagegen zu tun?

„Ich versuche pragmatisch zu sein, ich packe an, egal bei welchem Problem. Ich mache was. Das ist sicher beruflich bedingt. Wenn ich z.B. so eine wilde Verfolgungsjagd inszeniere, dann fängt man mal an und am Ende des Tages, nach Hunderten Einzelentscheidungen, funktioniert das Ganze. Und genau so behandle ich das in meinem Leben. Das ist zugegebenermaßen amerikanisch. (…), naiv vielleicht, aber besser als das klassische Wienerische ‚es ist olles Oasch und gemma zum Heurigen und Saufen‘. Das ist nicht so meins“,

verrät uns der Oscarpreisträger.

Wo müsse man in Österreich anpacken?

Am Beispiel der vieldiskutierten Flüchtlingsproblematik: Es sei ihm klar, dass diese nicht so schnell lösbar sein würde. Ruzowitzky überlegte sich in der Familie, was getan werden könnte: Lebensmittel spenden, bei ihm in Klosterneuburg Deutschkurse geben; und nun habe er selber einen jungen Flüchtling bei sich zu Hause, das sei nett und angenehm. Damit rette er zwar nicht die Welt, aber ein kleiner Schritt sei getan. Es sei wenigstens einem geholfen, sich hier gut zu integrieren. Das fände er konstruktiver als zu behaupten, dass alles so schrecklich sei. Vielleicht sei seine Einstellung eine egoistische, das sei sie auch, aber dieser Weg sei dankbarer als das klassische „Wiener Raunzen“.

Europa ist für Ruzowitzky kurz: Heimat – Wie ist das zu verstehen?

Diese Aussage sei kurz vor den BP Wahlen entstanden, da sei Ruzowitzky bei einer Fernsehdiskussion dabei gewesen, im Servus TV, und es sei ihm bewusst geworden, welches Bild die Norbert Hofer-Partie von Heimat habe: und zwar ein Bild im Sinne von Kronländern, vom deutschen Kulturraum.

Das Tolle an Europa sei seiner Meinung nach eben, dass es heute nicht mehr zu Zwangsumsiedelungen kommen müsse – die Grenze sei also „wurscht“. Man könne von Nord nach Süd fahren und überall einen Grund kaufen.

„Diese Idee des kronländischen Deutschtums kommt mir dann besonders absurd vor“,

so der Regisseur. Seine damalige Aussage sei also als Gegenposition zu dem Heimatbegriff und dem beengten Horizont zu verstehen. Und schließlich fügt er hinzu: „dass ich mittlerweile auch in LA an gewissen Orten Heimatgefühl habe.“

Was macht Europa manchmal nicht zur Heimat?

Dort, wo die EU versage, dort gäbe es „zu wenig Europa“, glaubt Ruzowitzky. Dort befänden sich die nationalen Egoismen. Der große Konflikt jetzt sei gar nicht Europa gegen Russland oder gegen Amerika. Sondern Demokratien gegen große multinationale Kooperationen. Dieser Konflikt könne nur in einem größeren Verbund überwunden werden.

„Was nutzt es mir, Glyphosat zu verbieten in Österreich, wenn alle anderen Nachbarländer es nutzen“,

überlegt der Regisseur. Man könne Lobbyieren und die Entscheidungen nicht den großen Konzernen überlassen. Man könne also viel selber machen.

Hat man in Europa eine Stimme?

„Ja, ich glaube sehr wohl, dass man das hat“, so der Künstler. Und wieder: Diese eine Stimme würde nicht alles verändern, sei aber ein wichtiger kleiner Teil. Und das sei das Wesen der Demokratie. Wenn man seine kleine Stimme geschickt einsetze, könne man viel verändern. Man könne als Einzelperson ein Bild schaffen und damit Kultur und Politik verändern.

Politische Message im europäischen Unterhaltungsfilm

Der Film sei laut Ruzowitzky ein wirksames Propagandainstrument. Man könne damit ein breites Spektrum an Weltbildern verkaufen. z.B. könnte man eine „starke“ Frau als „böse“ verkaufen, oder einen Helden in eine „schwule“ Richtung stoßen. Interessant sei für ihn auch, dass man z.B. in seinem Film gegen die Heldin protestieren würde, gegen die junge Muslimin, die sich prügeln kann – aber nicht gegen den religiös psychopathischen Antihelden.

Wie könnte ein Film aussehen, der über die EU gedreht würde?

Der Oscarpreisträger würde einen Actionfilm drehen, in dem die Superhelden aus verschiedenen Ländern stammten. Das erinnere ihn an einen netten Film, da ging es um ein Erasmus-Programm: Es kam aus jedem Land ein Student. Und wieder würde er nicht die heile Welt vermitteln, sondern viel lieber eine „coole Welt“.

Die Einheit Europas – Modell

Da denkt er wieder „pragmatisch“ und meint, dass die relevante Einheit eine größere als die in Österreich sei. Man solle die Finanzmärkte einbremsen, und das könne Österreich nicht allein schaffen. Dazu brauche es größere Einheiten, ein „organisiertes Europa“. Als Auftrag solle nicht die „Gleichmacherei“ gesehen werden. Wie das allerdings konstitutionell umgesetzt werden könne, das habe Ruzowitzky noch nicht so genau durchdacht.

Wäre ein Filmprojekt über die Ursachen der Flüchtlingsbewegung möglich? Und: Gibt es ein Wunschfilm-Projekt?

Wunschfilmprojekte habe er viele. Für nächstes Jahr sei „Narziss und Goldmund“ (Hermann Hesse) geplant. Das werde bereits eine große Herausforderung, die darin bestünde, den Kern der Gefühle der Zuseher in ihren vielen Facetten zu treffen.

Der prominente Regisseur kriege viel Stoff angeboten, und wenn er sich einen „Flüchtlingsfilm“ vorstellt, so würde er es als Herausforderung sehen, da besonders den emotionalen Kern zu treffen: die Lust, die Flucht; dort anzukommen, wo sich jeder mit den Gefühlen, Ängsten und Hoffnungen identifizieren könne.

Ruzowitzkys Lieblingsfilm

„Spiel mir das Lied vom Tod“, ist Ruzowitzkys Lieblingsfilm. Der habe ihn fasziniert, weil er alle Regeln breche und trotzdem funktioniere. Dieses Phänomen gebe es in anderen Filmen nicht. Und da zeige sich das Handwerk besonders – die wahre Kunst, nämlich einen

„Tisch mit zwei Beinen zu konstruieren, der trotzdem stehen bleibt.“

Action – junges Publikum?

Ruzowitzky hofft, sich mit seinem Actionfilm nicht auf eine bestimmte Zielgruppe zu beschränken. „Ich versuche eine Mischung.“ Mit einer hübsche Frau, einer spektakuläre Autoverfolgungsjagd, einigen interessanten Kommentaren über das Leben und über die Gesellschaft – das sei sein Anspruch.

Wie Ruzowitzky als Vater zweier Teenager junge Leute einschätzt

Der Oscarpreisträger ist sich sicher, dass die Probleme der Jugendlichen immer dieselben seien. Er habe schon so seine Diskussionen gehabt mit seiner Tochter, die mit 14 sagte: „Du hast ja keine Ahnung, heute ist alles ganz anders als damals im ‚Mittelalter‘.“ Die Elternkonflikte seien immer dieselben. Vielleicht gewinnen gewisse Gruppierungen an Gewicht. Aber die Jugend sei genauso politisch interessiert oder auch nicht wie zu seiner Zeit. Oder wie zu jeder Zeit.

Thema Jugendträume und Wohlstandsgesellschaft – herrscht Perspektivlosigkeit?

Ruznowitzy findet es gut, gewisse Ziele und auch Utopien zu haben. Man solle sich wenigstens in seinen Träumen etwas trauen, für etwas brennen. Er z.B. beschloss mit 10 Regisseur zu werden – und dieser Traum sei hilfreich gewesen. Seine Frau hingegen wisse bis heute nicht, was sie werden wolle. Und gleichgültig, was seine Kinder einmal werden wollten: Er würde sie dabei unterstützen und sie an die Möglichkeit erinnern, eine Nische finden zu können, und damit eine Existenz gründen zu können.

Freihandelsabkommen TTIP – sind die Folgen für den europäischen Film absehbar?

Das seien Dinge, die auch in Amerika ausdiskutiert würden, informiert der Regisseur. Deshalb findet er es irreführend, zu glauben, dass es da um „Europa gegen Amerika“ ginge. Da geht es seiner Meinung nach um Demokratie gegen Konzerne.

Was braucht Österreich, Europa, um erfolgreicher Filme machen zu können?

Ruzowitzky streicht die Gretchenfrage hervor: Was ist Erfolg? Für ihn ist Erfolg, wenn man ungefähr das erreiche, was man sich vorgestellt habe. Wichtig sei es, dass der europäische Film einen Platz neben dem amerikanischen finde. Was derzeit nicht der Fall sei. Und es würde immer schwieriger, für fremdsprachige (nichtenglische) Filme, einen Platz zu finden. Das hänge übrigens damit zusammen, dass das Publikum zuviele europäische Filme gesehen habe, die dem Publikum eben nicht gefallen hätten.

Wünsche an Europa

Die hat er. Die Bewältigung der Flüchtlingskrise steht für den Movie-Experten ganz weit vorne. Es müssten vernünftige Lösungen gefunden werden. Er selber wüsste keine, aber er glaube daran, dass man es gerade als vereintes Europa schaffen werde.

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Europa: DIALOG mit Stefan Ruzowitzky Europa: DIALOG mit Stefan Ruzowitzky Anna Dichen CC BY-SA 4.0