Europa DIALOG mit Dr. Klaus Albrecht Schröder
Diesmal beantwortet der österreichische Kunsthistoriker und Direktor der Albertina Dr. Klaus Albrecht Schröder sämtliche kulturpolitischen Fragen von Moderator Benedikt Weingartner. Schröders erste Zusammenfassung, wenn es darum geht, Europa kurz zu beschreiben:
„Europa ist für mich ein Teil meiner Heimat – in welchem Zustand auch immer es sich befindet.“
Der Dialog
Ihr Zitat, was meinen Sie damit genau?
Heimat verbinde man ja gerne mit der Kindheit und in der habe der Kunsthistoriker nicht die überstaatliche Organisation „Europa“ im Kopf gehabt. In den 50er, 60er und 70er Jahren sei das Wort „Europa“ nämlich kaum vorgekommen. Heute betrachtet Schröder Europa sehr wohl als Heimat, da er beruflich bedingt viel reisen müsse. Und so sei der Kontinent sukzessive zu seiner Heimat geworden. Der Zustand Europas sei zugegebenermaßen deplorabel, das ändere aber nichts an seinen Gefühlen. Wenn das Schließen der Grenzen bedeuten würde, dass Reisen kompliziert würde, dann verenge sich sein Heimatbegriff wieder auf Österreich – wie es als Kind der Fall gewesen sei.
Der Begriff „Heimat“ wird sehr schnell in den Mund genommen. Können Sie näher ausführen, was Sie mit Heimat verbindet?
„Ich bin nicht mehr nur an einem Ort Zuhause. Außer in meiner Wohnung – das ist schon fast der letzte Ort, an dem ich Zuhause bin. Ansonsten fühle ich mich dort Zuhause, wo ich wunderbare Erinnerungen gewinnen konnte, wo ich herrliche Erlebnisse gehabt habe, wo ich Freunde finde.“
Lange Zeit sei Linz seine Heimat gewesen, und es sei nicht Wien gewesen, das von diesem Zeitpunkt an als Heimat gegolten hätte. Er sieht es vielmehr in einem größeren Zusammenhang: Sehr stark prägte ihn das Milieu, in dem er sich befunden habe. Es war und ist ein intellektuelles, ein mit Bildungsprivilegien ausgestattetes Milieu, und da spielte es keine Rolle, woher der Freund gekommen sei, betont Schröder.
„Ich bin Direktor der Albertina seit bald 20 Jahren, davor war ich 15 Jahre lang Direktor des Kunstforums des Leopold Museum. Womit hatte ich zu tun: mit Nolde, Turner, Waldmüller, Picasso, Prack, Matisse. Das sind alles Künstler, bei denen sich die Einschränkung auf ein Land gar nicht erlaubt.“
Er empfindet es abstrus, wenn er die Lokalität auf die Heimat beschränke, betrachte man die Internationalität seiner Freunde. Schröder führt weiter aus:
„Die Heimat ist die Kunst. Und die Kunst ist international. Michelangelo steht mir näher als der oberösterreichische Landeshauptmann.“
Der oberösterreichische Dialekt. Das hat ja auch mit Heimat zu tun, die Sprache?
„Nein, da habe ich mich überhaupt nie Zuhause gefühlt. In dieser Sprache war ich nie sesshaft, die war mir fremd. Das war mir wirklich bis in die Seele hinein fremd. Ich wusste nicht warum, und wie. Und als ich in meiner Schulklasse begrüßt wurde, war mir das fremd.“
Mit Reinhard Mey, Udo Jürgen und André Heller habe er sich eher in sprachlicher Verbindung gesehen.
„Ich hatte gegen diesen Dialekt in Bad Ischl, in Rohrbach, im Bindermichl – ich sage es offen – eine Abneigung.“
Weiters prägte ihn in der Pubertät ein Erlebnis: Er hatte das Gefühl, diese Sprache sei kontaminiert mit einem ihm widerwärtigen Nationalismus. Wenn man frühe Stellen von Stelzhammer lese, dann merke man, wie hier ein Antisemitismus, ein Rassismus nicht nur ausgeführt werde, sondern in der Sprache gesättigt ist. Seinen gesamten Widerstand gegen sein dumpfes Dasein im Bindermichl (Bezirk im Linzer Stadtteil Waldegg) habe er also auf die Sprache projiziert. Er wollte sie verlernen. Und das sei laut Schröder nicht leicht gewesen:
„Wenn man aufwächst mit einem Satz ‚I hob‘ und plötzlich stattdessen sagen muss ‚Ich habe‘, dann ist das sehr, sehr schwer. Man muss es stunden-, tage- und wochenlang sagen – von außen bekommt man ja keine Nachhilfe.“
Mittlerweile liebe er die Mundart, Dialekte, seine engste Umgebung spricht Dialekt, damit habe er also kein Problem.
Wie ist die europäische Identität von Seiten der Kultur manifestiert?
Da Europa in Nationalismen zerfalle, ist er sich nicht mehr sicher, ob die Kultur stark genug sei, jene Einheit darzustellen, mit der er sich auch identifizieren möchte. Er liebt vielmehr die Vorstellung, dass die großen Maler, Dichter, Musiker, Komponisten der unterschiedlichen europäischen Länder Geistesverwandte sind. Und er möchte diese Vorstellung nicht durch einen wie auch immer gearteten Nationalismus unterminiert sehen.
„Dieser Traum einer Einheit des Geistes, in der selbst Amerikaner eine große Rolle spielen (…), diese Idee zu leben, bereichert ein Leben unendlich. Das war seit den 80ern möglich.“
Er sieht diese Idee aber jetzt als gefährdet.
Europa braucht ein neues Narrativ: eine Beschreibung, eine Identität …
Er hält es als Beschönigung, dass Europa ein Narrativ brauche: „Was sollte das sein?“ Die Identität, wovon er nämlich spricht, lebe nicht nur von einem Narrativ: Sie lebe von der Vielfalt. Er zeigt als Beispiel Fußball auf:
„Wie kann eine europäische Idee des Gemeinsamen entstehen, wenn man – nicht nur die Hooligans – im Stadium steht und eine Kriegsbemalung, die eigene Flagge, auf der Stirn trägt gegen die Niederländer, gegen die Ungarn, gegen die Albanier, gegen die Engländer und gegen die Spanier.“
Also ein Narrativ, das ihn nicht besonders „anturnen“ würde, aber das wahrscheinlich sehr vielen gefallen würde, wäre demnach eine „europäische Fußballmannschaft“:
„Die gibt es aber nicht. Es spielen weiter die Engländer, die Franzosen, die Italiener gegen die Österreicher und der andere ist mehr als nur der Feind: So eine Feindschaft, eine Gegnerschaft, so einen Triumph, wenn man gesiegt hat, habe ich selten erlebt, wie das heute im Fußball stattfindet. Und diese Begeisterung sollte uns eine Warnung sein.“
Die Kultur ist grenzenlos …
Die Kultur sei nach Schröders Dafürhalten das Einzige, was grenzenlos ist: die Musik Mozarts z.B.:
„Die Welt des Geistes hat Flügel und sie fliegt über Grenzen. Es ist nicht Zufall, dass Dichter, Komponisten, Philosophen, Mathematiker und Naturwissenschafter letzten Endes nicht in Grenzen denken. Die Welt des Geistes lässt sich nicht limitieren. Und wer in dieser Welt seine Heimat gefunden hat, von ihr bereichert wird, der will den Föderalismus nicht mehr.“
In der Kunst gibt es die unterschiedlichsten Strömungen, Traditionen – und das fließt alles zusammen – gibt es in Europa etwas, bei dem man sagen könnte: „Eure Kultur?“
Damit meine man sicher nur die Kunst der Vergangenheit, meint Schröder. Die der Gegenwart sei schon sehr, sehr global – globalisiert wie die Wirtschaft. Die chinesische Malerei sei auf ganz wenige Wurzeln zurückzuführen. Gerhard Richter habe die Kunst verändert, wie kein anderer eben die chinesische Malerei revolutioniert hat. Da könne man z.B. nicht von europäischer versus chinesischer Kunst sprechen. Heute seien Kunst und Kultur nur noch global zu verstehen, ist sich der Kunsthistoriker sicher.
Integration kann man auch übertreiben, sagten Sie mal …
Schröder findet es als übertrieben, dass die vielen österreichischen Regierungsmitglieder beispielsweise das Beherrschen der deutschen Sprache als wichtiges Integrationsmerkmal sehen. Wenn er an China Town in San Francisco denke: Dort spreche niemand Englisch, dort können wahrscheinlich auch viele kein Englisch und trotzdem seien die Chinesen komplett integriert. Auch die Kalifornier haben mit den Chinesen kein Problem. Man habe in China Town auch keine einzige Sekunde das Gefühl, nicht in San Francisco zu sein. Von überall her kommen Leute, die bedient und nicht als Fremde behandelt werden.
„Man kann in Österreich nicht den Dativ vom Akkusativ unterscheiden, aber auf einmal sagt man: ‚Deutsch müssen die können. Mir net, aber die schon.‘ – Ich verstehe das nicht.“
Sprache sieht er nur als eine „Möglichkeit der Integration“. – Es gebe aber auch andere Integrationsmöglichkeiten.
„Integration wird bei uns komplett als Instrument der Unterdrückung verwendet. Woran erkenne ich bitte einen integrierten Nachbarn? Dass er dasselbe liest wie ich?“
Beschreiben Sie bitte, was Sie unter Integration verstehen
Schröder verspüre nicht das Bedürfnis dazu, dass z.B. diejenigen, die „unter ihm“ wohnen, integriert sind.
„Zwei Stockwerke unter mir befindet sich die Ordination einer Kinderärztin. Reger Verkehr. Zu 90% Afrikanerinnen, v.a. Araberinnen mit ihren Kindern. Rechts von mir ist die Post mit 350 Flüchtlingen, links, 300 Meter entfernt, das Kurier-Gebäude mit 300 Flüchtlingen. Bis vor kurzem am Westbahnhof das Blaue Haus mit 600 Flüchtlingen. Ich bin also umgeben von Flüchtlingen. Hat sich seither mein Leben gewandelt? Irgendwie, ja. Man sieht sie – sie sind da. Sonst aber nicht. Nicht bedroht. Ich befinde sie nicht fremdartiger, als ich vorher meinen Hausmeister als fremdartig betrachtet habe. Es gibt übrigens nichts Exotischeres als einen Wiener Hausmeister.“
Man müsse mal nach Bad Ischl fahren und dort mit einem Bad Ischler Ureinwohner sprechen, das sehe er als sehr exotisch.
Weiters meint der Kunsthistoriker, dass es unrealistisch sei, dass Menschen, die 20, 30 Jahre in einer völlig anderen Gesellschaft gelebt haben, westliche Überzeugungen binnen kürzester Zeit teilen:
„Das kann nicht sein. Dazu brauchen wir einen langen Atem. Da müssen wir helfen. Da müssen wir keineswegs alles akzeptieren. Aber nur, weil wir etwas nicht akzeptieren, ist das noch lange kein Ausschließungsgrund.“
Als Beispiel führt er die Lernweise seines Sohnes an:
„Nur weil mein Sohn nicht so lernt, wie ich es möchte, verstoße ich ihn doch nicht. Ich werde mich vielleicht über ihn ärgern. Aber ich werde ihn deshalb mit Sicherheit nicht verstoßen.“
Man verkenne, wie vielfältig bereits unsere eigene Gesellschaft sei, wie wenig sie also einem Integrationsbegriff gehorchen würde. Weiters bezweifelt er, dass „wir so richtig alle eine Familie“ seien … Man müsse also liberaler, offener sein, insbesondere wenn man auf fremde Kulturen stößt.
Integrationspolitik
Er sieht unsere vielgerühmte Integrationspolitik übrigens nur darauf angelegt, dass man stolpere. Die Barrieren seien sehr hoch angelegt. So habe man immer, für den Notfall, ein Argument zur Hand, dass man sage: „Das reicht nicht, der war integrationsunwillig.“
Wenn man die Sprache als Integrationsbegriff nämlich wirklich ernst nehmen würde, so Schröder, hätte man die 20 Millionen Euro in Deutschkurse investiert. Das eigentliche Problem in der Fremdenfeindlichkeit, z.B. in Österreich:
„Es ist Fremdenangst. Und Rassismus. Und das ist in jeder Form zu verurteilen. Wenn sich viele Juden im Augenblick durch den Islam bedroht fühlen, sich aus dieser Angst mit der FPÖ verbünden, so sollen sie dabei eines nie vergessen: Sie werden morgen diejenigen sein, die aus dem Boot geschubst werden. Der Rassismus ist ein Teufel.“
Wo sind die Wurzeln für Vorurteile, Fremdenfeindlichkeit und Rassismus?
Individualpsychologisch habe der Albertina-Direktor Verständnis für die Angst vor dem Fremden. Man solle aber lernen – mehr als Integration zu versuchen –, sich durch das Fremde bereichert zu fühlen:
„Das Fremde als Fremdes anzunehmen und zu akzeptieren, ist dabei das Faszinierende. Man muss lernen, das Fremde auch zu ertragen. Man muss aufhören, einen Fremden aus Somalia so lange anzustarren, bis er aussieht, denkt und spricht wie man selbst. Es ist anstrengend und wenig bequem, und ich bevorzuge den unbequemen Weg.“
Der größte Teil von „Anti-Amerikanismus“ in Europa sei übrigens in Österreich verbreitet. Man solle darüber nachdenken, wie tief Rassismus in Österreich verhaftet sei.
Das hängt in Österreich sehr stark mit Bildung zusammen …
Das Dritte Reich habe uns leider gelehrt, dass Bildung nicht immunisiert gegen Antisemitismus, Fremdenhass und Rassismus. Aber generell sei es richtig: Diejenigen, die sich immer benachteiligt fühlen, neigen besonders leicht dazu, der folgenden Verführung zu erlegen: „Wenn es die Fremden nicht gäbe, ginge es mir besser. Sie nehmen mir mein Geld, meine Heimat, alles weg.“ Und Bildung sei seines Erachtens immer noch der beste Impfstoff gegen Fremdenfeindlichkeit.
Als Museumsdirektor wollen Sie den Menschen einen Zugang schaffen, sie aber auch mit der Kunst „verzaubern“
In der Kunst gebe es so viele verschiedenen Reaktionen, wie Kunst gesehen würde, so Schröder, aber alle empfänden es sehr intensiv. Auch ganz einfache Gemüter würden gefesselt, fasziniert. Da könne man auch wenig wissen – und Kunst reißt trotzdem mit. Kunst sei also bereichernd, ein ästhetisches Erlebnis, das auch kein Naturerlebnis geben kann, so der Albertina-Direktor, und schreibe dabei nicht die Gefühle vor, die man haben sollte, wenn man Kunst betrachtet.
„Aber ich schreibe vor, dass man hinschaut. Dass man hinhört. Vielleicht kriegt man was zurück. Kunst kann einen entrücken – von dieser Welt. Auf eine sehr unterschiedliche Weise. Und so toll ist unsere Welt nicht. Das fand schon Albert, der Gründer der Albertina.“
Er regt an, sich die Institution der Albertina allein zu vergegenwärtigen: Die Albertina wurde am 4. Juli 1776 gegründet. Am Amerikanischen Unabhängigkeitstag. Am selben Tag wird das Dokument in Venedig unterzeichnet mit den Zielen, mit denen diese Sammlung gegründet werden soll. Die Albertina existiert noch. Französische Revolution. Napoleonische und Freiheitskriege. Wiener Kongress. 48er Revolution. Das Deutsche Reich. Kleindeutscher Bund. Großdeutscher Bund. Österreichisches Kaiserreich. Erster Weltkrieg. Zerfall der Monarchie. Erste Republik. Terror. Austrofaschismus. Zweite Republik:
„Welche Bank existiert noch? Welches Lebensmittelgeschäft existiert noch? Die Albertina existiert immer noch. Das Einzige, was wir haben, was wir geben können, ist Dauer. Weil, so verschieden diese Gesellschaften auch waren: Totalitäre, Feudale, Radikal-Demokratische – aber sie alle glauben daran, dass das, was wir haben in der Albertina, im Louvre, im British Museum, dass das etwas ist, was die Menschheit bereichert. Was bleiben soll. Was wir erhalten müssen. Auch wenn es unsere ‚Feinde‘ gemacht haben. Vieles wurde vernichtet – die Kunst meistens nicht.“
Er sehe es als europäische Idee von globaler, universaler Gültigkeit, wenn man danach trachte, Kunst zu erhalten.
Durch Ihre Führung als Direktor seit 2010 stiegen die Zahlen von 10.000 bis 20.000 Besucher auf derzeit 700.000 bis 1 Million. Auch die Einnahmen stiegen von unter 100.000 auf 52 Millionen Euro. Und anstelle von 60 Mitarbeitern haben Sie heute 300. – Die Schröder-Albertina ist ein Erfolgskonzept ..
„Die Idee, die ich hatte, war offensichtlich nicht falsch. Und viele haben sie geteilt. (…) Die Vision kann man haben, und die Überzeugungskraft dabei hatte ich wohl. Die Idee muss richtig gewesen, sonst hätten wir das Vertrauen des Publikums nicht zurückbekommen.“
Ein Besuch sei für ihn eine Abstimmung.
„Wir haben offensichtlich den Nerv der Zeit getroffen. Ich bin ohnehin von meinem Publikum begeistert.“
Wenn man die Albertina vergleichen würde mit „Europa“ – wen sähen Sie als passenden Europa-„Architekten“?
Es fehle tatsächlich ein starker Staatsmann – jemand wie Helmut Kohl oder Gerhard Schröder, meint der Museumsdirektor:
„Es ist nur Mario Draghi. Und das ist traurig für Europa, dass der Kommissionspräsident Europas im Augenblick der EZB-Chef ist. Denn das Einzige, was alle Europäer wollen, ist das billige Geld, das ausgeschüttet wird. Und das ist das Einzige, was derzeit alle in Europa teilen. Alles zerfällt in Partialbereiche. Nur die EZB scheint als einzige europäische Institution derzeit zu überwintern. Das ist nicht ein Lob, sondern meine Kritik an den derzeitigen Zustand Europas. Und das soll man durch nichts beschönigen.“
Die Vizepräsidentin der EU-Kommission, Federica Mogherini, sagte:
„Kultur muss ein fester Bestandteil unserer Außenpolitik sein. Kultur ist ein wirksames Instrument, um Brücken zwischen Menschen zu bauen und v.a. der Jugend zu bauen und um für ein besseres gegenseitiges Verständnis zu sorgen. Auch für die wirtschaftliche und soziale Entwicklung kann Kultur ein Motor sein. Angesichts gemeinsamer Herausforderungen kann Kultur für uns alle in Europa, in Afrika, im Nahen Osten und in Asien ein Mittel sein, vereint gegen Radikalisierung vorzugehen und eine Allianz der Zivilisation gegen diejenigen zu bilden, die einen Keil zwischen uns treiben möchten. Darum muss die Kulturdiplomatie in unseren Beziehungen mit der Welt von Heute in den Mittelpunkt rücken.“
… klingt doch schön?
„Es ist unerträglich“, so der Kunsthistoriker. Es käme immer darauf an, wer was sagt: Mogherini sei doch in der italienischen Regierung gewesen, und just in ihrer Zeit habe das Kulturbudget so eine Kürzung erlitten, dass heute nicht nur die Rialtobrücke, das Kolosseum und das Moseo di Capodimonte in Neapel daniederliegen:
„Das sind Krokodilstränen. Das ist Gerede, an das ich nicht mehr glaube. Für uns ist es so und so irrelevant – wir sind autonom.“
Brüssel solle sich vielmehr um die „großen Fragen kümmern“, und Mogherinis Aussage halte er nicht für eine „Unterstützung“. Es freue ihn aber, dass sie Kunst und Kultur interessiere.
Schröder bekrittelt das „Management Europas“ vehement und merkt an, dass vieles unter der Leitung von Spitzenpolitikern nicht passiert wäre:
„Am Ende des Tages, in gruppendynamischen Prozessen entscheiden Menschen: eine starke Persönlichkeit – eine schwache. Und ich sehe, wie Viktor Orbàn gewinnt – nicht, weil ich sein Weltbild teile, sondern weil er so stark ist, Kraft seines Charismas, seines Auftretens, seines Wissens. Er ist so stark, wie andere schwach sind. Orbàn wäre aber nicht so stark, wenn Kohl ihm gegenübersäße. Und er wäre nicht so stark, wenn Schröder ihm gegenübersäße. Ob Juncker wirklich jene Kraft hat, im Augenblick, die Europa brauchen würde, um nicht zu zerfallen, wage ich zu bezweifeln.“
Dem österreichischen Ex-Präsident Kurt Waldheim habe man seine Vergangenheit angerechnet, und, so wie er mit ihr umgegangen sei: „..mit gutem Grund“, meint der Historiker.
Der Museumsdirektor sieht die individuellen Steuerlösungen in Europa als eine der großen Ursachen, auch in der Finanztechnik, für den Zerfall Europas:
„‚Wir sind eine Einheit – und die Kultur vereint, aber wir haben unsere eigenen Steuergesetze.‘ (…) Auf diese ‚Geschichte‘ vergisst man. Aber bei Waldheim schaute man sehr wohl, und das zurecht, auf seine Vergangenheit. Jetzt trennen wir?“
Man habe derzeit einen Selektionsmechanismus an Versorgung von nationalen Politikern, die ihm nicht die Gewissheit geben können, dass wirklich die „brillantesten und besten Köpfe“ nach Brüssel entsendet würden.
Warum gibt es diese starken Köpfe, diese maßgeblichen Figuren heute nicht in Europa?
Das wisse er nicht. Es sei nur schwierig, mit den derzeitigen Personen in der EU-Kommission zu diskutieren. Das schnelle Wachstum auf zuerst 21, dann 23, 25 und schließlich 28 Länder, habe sicher nicht verkraftet werden können, aber die Klammern, die man gebraucht hätte, die würden in den nächsten Jahren nicht entstehen, so der Historiker.
„Neben der EZB gibt es noch eine ganz große Kraft, die Europa heute fast zur Gänze eint: die NATO. Wenn ich Recht habe – eine furchtbare Analyse: Als einigende Kraft zum ersten Mal nach einer tiefen Identitätskrise seit 1989, hat die NATO heute in Europa wieder ein Betätigungsfeld gefunden. (…) Wir haben kaum mehr friedensbildende, einigende Institutionen: Das eine ist eine ‚Feuerwehr‘ – die EZB. Und das andere versucht, sich als ‚Feuerwehr‘ zu verkaufen und anzubieten. Und spielt einen Brandstifter der ‚Feuerwehr‘ …“
Ein uraltes Muster: Dass die Militärkräfte unter der Überschrift „Friedenssicherung“ dann eben die Macht konstruieren …
Er sehe kaum Diskurse, die die europäische Debatte mit dieser Debatte verknüpfen. Das finde er bedenklich.
Warum gehen Sie nicht in die Politik?
„Weil ich zu alt bin“,
antwortet der Kunsthistoriker, aber er habe schon mal vor dieser Frage gestanden.
Was müsste man da „richten“, in diesem Europa?
„Wenn ich das wüsste, ginge ich doch in die Politik“,
kontert Schröder. Er habe kein Rezept, aber sicher sei eines: Dass die zwei großen Krisen, die man im Augenblick habe – die Staatsschuldenkrise sowie Sparpolitik auf der einen Seite, und die Flüchtlingskrise auf der anderen –, die gesamte Aufmerksamkeit brauchen würden. Diese beiden Fragen allein seien wichtig in Brüssel, und nicht die Kulturfrage.
„Die Flüchtlingskrise, der Zerfall des Nahen Osten – das ist keine innerarabische Angelegenheit gewesen. Das hat ein Datum: Es begann 2003. Das hat ein Datum mit der amerikanischen Politik, und es wurde tatsächlich europäisch dagegengehalten. Und heute senden fast alle, die produktiv sind, Waffen dorthin. Damit endlich Friede entsteht. Und man bekommt etwas dafür. Selbst dort könnten wir wesentlich mehr tun, um die Ursache nicht an der lybischen Grenze zu lösen. Die Schlepper befinden übrigens nicht darüber, wer zu uns kommt: Die Flüchtlinge wollen flüchten und suchen jemand, der ihnen das ermöglicht. Das sind dann Schlepper – ein verabscheuungswürdiges Business. Die Schlepper erfinden aber nicht die Flüchtlinge. Sie haben auch nicht den Krieg initiiert und auch nicht das Fluchtland erfunden, sondern sehen sich als ‚Brückenbauer‘.“
Volksbegehren: „Mehr Geld nach Afrika/Syrien“ – das hat es noch nie gegeben …
Die Einzelnen seien hilfsbereit in Österreich/Deutschland, die Spendenbereitschaft sei gegeben, so Schröder. Aber er wüsste gar nicht, wie ein Volksbegehren ausginge im Sinne von: „Wir wollen helfen, an der Ursache“, ohne es durch Exportförderung zu machen. Es hieße auch, eine andere Stellung gegenüber der NATO einzunehmen, betont der Historiker.
Was wünschen Sie Europa?
„Ich wünsche der Bundesrepublik Deutschland, dass sie einen oder eine Kanzler/in hat, der/die dem ökonomischen Gewicht und der politischen Macht entspricht, welche dieses Land repräsentiert. Und, im selben Atemzug auch Frankreich. (…) Ich sehe, dass jene großen mächtigen Länder in Europa im Augenblick keine Führungspositionen haben, die an die europäische Idee der Einigung, der Stabilisierung glauben und auch die Persönlichkeit und die Kraft haben, diese durchzusetzen. Meine Hoffnung beruht deshalb nur auf den verschiedenen Wahlvölkern: Dass ‚richtig‘ gewählt wird z.B. in Spanien, in einem Jahr in Frankreich. Und wir Persönlichkeiten haben werden, die diese zentrifugalen Kräftewieder zusammenfassen. Das bedeutet gleichzeitig, ich muss an Wähler glauben, die im Augenblick mehrheitlich zu einer Politik des Zerfalls tendieren: AfD, FPÖ, Le Pen. Das sind schwierige Auspizien. P9litk wird von Politikern gemacht. Wenn wir die nicht haben, dann wird es nichts werden.“
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