Europa: DIALOG – mit der Fernsehdirektorin des ORF Mag. Kathrin Zechner
Veranstaltungsdaten
- Datum
- 31. 5. 2016
- Veranstalter
- Europa Club Wien
- Ort
- Haus der Europäischen Union
Und wieder wurde Europa aus einem kulturellen Blickwinkel betrachtet im „Europa DIALOG“: Am 31. Mai 2016 war die Fernsehdirektorin des ORF, Mag. Kathrin Zechner, ins Haus der Europäischen Union zu Gast und beantwortete dort alle möglichen Fragen zu Europa. Der European Networker Benedikt Weingartner moderierte – wieder sensibel, mit der nötigen Ernsthaftigkeit aber auch mit Humor an den richtigen Stellen. „Europa“ sieht die Fernsehdirektorin in erster Linie als ein „Miteinander“:
„Europa ist für mich ein lebendiges, sich stetig veränderndes Miteinander, erschaffen von Menschen im Streben nach mehr Verbindung und Abgrenzung, mehr Offenheit als Gegeneinander. Ich bin Europäerin – das ist meine Heimat, Teil meiner (Werte-)Basis und bleibt es – hoffentlich auch weiterhin – für meine Kinder.“
Die Homepage für die DIALOG-Reihe ist im übrigen: http://www.europadialog.eu/
DIALOG
Welche Rolle spielt Europa in Ihrem alltäglichen Leben?
Auf der einen Seite gebe es die sehr spannende, berufliche Tangente mit Europa in der Berichterstattung, Dokumentationsreihen bis hin zum „WELTjournal“ oder „Eco“ – das sei laut Zechner eigentlich schon zum Alltag geworden. Im aktuellen Dienst handle es sich um verschiedene Ressorts: Innenpolitik, Außenpolitik, Wirtschaft, Chronik etc.
„und da ist Europa schon Innenpoltik geworden“, so die Direktorin.
Diese Themen seien alle spannend. Abseits von aktuellen politischen Geschehen beschäftige sie sich gemeinsam mit ihren Kollegen mit den Fragen: Wie macht man dieses Europa begreifbar? Wie macht man es erlebbar? Wie bringt man Europa den Menschen näher? Wie spielen wir zusammen – mit den verschiedenen Kulturen aber auch mit den diversen Sprachen?
Europa habe mit Sprache, Kultur, Traditionen zu tun. Und da sei die kindliche Neugier hilfreich, beispielsweise erfahren zu wollen: Was macht Frankreich? Was macht Luxemburg? Oder, jetzt sehr aktuell, was machen die immer wieder sehr eigenwilligen Briten? Europa als Projekt sei sehr spannend in seiner Verschiedenartigkeit, so die ehemalige Fernsehintendantin.
„Ich habe zwei Söhne: einen 16jährigen und einen 12jährigen, denen ich versuche beizubringen, dass Fremdsprache nicht Fremdsprache sondern Zweitsprache ist und dass Mehrsprachigkeit ein unglaubliches Geschenk ist, wenn man das in einem Alter lernen kann, in dem das noch kein Problem ist; wenn es noch spielerisch geht.“
Ihr jüngerer Sohn kommt aus Kambodscha, ist ein Adoptivkind, also habe sie sich automatisch mit anderen Kulturkreisen auseinandergesetzt.
Das Erleben und das Spüren „Was ist Europa“, ist ja so unkonkret – wie macht man das nun?
Bilder und kluge Gesprächsführungen seien der Schlüssel, um dem Bürger Persönlichkeiten „als Mensch“ näherzubringen und Europa in seiner Verschiedenartigkeit zu begreifen, betont Zechner. Das sei bei der EU „Wahlfahrt“, die der ORF gezeigt hat, gut geglückt.
Auch im Zuge eines europaweiten Lehrlingsförderungsprojektes, das der ORF brachte ist das gelungen: Da wurde von Lehrlingen erzählt, die in Betrieben anderer EU-Staaten und auch umgekehrt untergebracht wurden. Wenn man dann die Etappen der jungen Menschen mitverfolgt, so die Direktorin, wie sie zum ersten Mal in einer Schlosserei oder in einer Lebensmittelkette in Frankreich arbeiten und man erfährt, wie es ihnen dabei ging, dann habe man reüssiert, was das „Begreifbar-Machen“ betreffe. Man erkenne so zum Einen die Chancen für die jungen Menschen, aber auch die Hürden und Hindernisse in der Auseinandersetzung mit einem anderen Lebensraum: Eine andere Sprache, andere Lebensabläufe, das Entdecken einer neuen Stadt, andere Kollegen, die nicht nur eine andere Sprache sprechen, sondern vielleicht auch eine andere Religion haben. Da ginge es um eine persönliche und mitmenschliche Begegnung mit dem Individuum.
Aber: Interessiert das Ihr Publikum?
Das bejaht Zechner: Man sehe es an der Lehrlingsgeschichte und der EU Wahlfahrt, da sei es eben gelungen, große Persönlichkeiten aus der Politik als Mensch näher zu bringen.
„400.000-500.000 Menschen sahen das freiwillig. Man kann ja umschalten, man ist nicht angebunden, man würde auch nicht ‚ausgepeitscht,‘ wenn man das Programm nicht konsumiert. Dieses Neugierigmachen, dieser anständige und hochwertige Verführungsprozess – das wirkt schon.“
Einmal im Jahr gibt es in Eco die „Europameister Österreichs“: Da würde ein Betrieb – es könne sich dabei um einen kleinen Familienbetrieb aber auch um einen Großkonzern handeln – vorgestellt, der es aus Österreich raus nach Europa schafft, erfolgreich tätig zu sein. Dieses Format würde der ORF ob des Publikumserfolges noch weiter ausbauen. Des weiteren müsse man, so Zechner, bedenken, dass man auch in einem kleinen Land, als einzelner mit einer Idee ein Grundbewusstsein schaffen könne. Wir seien nun mal kleiner als Frankreich oder Deutschland. Man müsse aber auch nicht alles „können“, dafür gäbe es dann andere, die diese Aufgaben übernehmen könnten. Es sei also vollkommen „Wurscht“, falls man wenn man etwas nicht könne. Österreich ein gesundes Selbstwertgefühl zu vermitteln, empfindet Zechner als eine schöne Chance.
Dieses Vermitteln von Selbstbewusstsein sei ja seitens des ORF schon erfolgreich geschehen, nämlich über die Bereiche Kultur oder Musik. Beispiel: Die Sommernachtskonzertübertragung: Da seien 100.000 Personen nach Schönbrunn gepilgert, über 80 Länder haben es übernommen und es haben Public Viewings in Madrin, Prag, London, Paris stattgefunden. Das seien schöne Fakten, auf die Zechner sich bewusst stolz zeigt.
„Aber das ist Kultur. Da sind wir stark und das haben wir gelernt. Das auch über Wirtschaft zu vermitteln, da kann man noch viel ausrichten. Ich glaube, je persönlicher das man macht und nicht abgehoben agiert, desto besser. Auch in Ergänzung zur aktuellen Berichterstattung.“
In Ihrer täglichen Arbeit als Fernsehintendantin gibt es ja ein Netzwerk: Funktioniert da der Austausch europaweit gut?
Ja, der ORF sei auf der positiv vernetzt auf der Kulturebene: 3Sat, phoenix, ARTE – da würde man bereits sehr geschätzt. In anderen Angelegenheiten stehe lediglich die Sprache dazwischen. Im deutschsprachigen Raum gebe es mit dem ZDF, SRF und auch ARD-seitig sehr gute Projekte, die sehr gut funktionieren; da tausche man sich aus und koproduziere miteinander.
„Das Geld sitzt in deutschen Sendern. Wir hingegen präsentieren die Kreativität und den Mut. Deshalb funktioniert das so gut. Man sehe es am Beispiel in der Hauptabteilung „Film und Serie“: Der ZDF hat mehr Budget als ich für vier Sender.“
Auch die Kontakte über die langen Jahre hinweg mit den Deutschen, der Charme dabei, die Ausdauer, die Konsequenz darin, verhelfe dazu, gut verhandeln zu können. Da sehe man wieder die Wichtigkeit im persönlichen Kontakt. Die deutschen Kollegen drücken auch stets Bewunderung aus und fragen: Wie machen das die Österreicher? Mit so wenig Geld und so wenig Leuten so Gutes aufzustellen. Die Vermutung liege da laut der Direktorin nahe, dass Österreich vielleicht kreativer, flexibler, wirksamer und/oder auffälliger sei. Unser Land, unser Leute „können“ also – und darüber freue sich die Intendantin besonders. Sie sei dem ORF auch emotional verbunden, und sie schätze die leidenschaftlichen und professionellen Menschen vor und hinter der Kamera sehr.
Stichwort „Vorstadtweiber“: Das ist ja ein „Kind“, das zum Großteil von Ihnen geschaffen wurde. Damit wird jedoch eine Message transportiert. 80 Millionen Deutsche sehen es. – Was wollen Sie damit bewirken?
Die Serie „Vorstadtweiber“ sei, so wie die Piefke-Saga damals, ein gutes Beispiel für das Handwerk der Selbstironie und der satirischen Überhöhung, welche ja traditionell tief im Österreichischen bereits seit Jahrzehnten verwurzelt sei, definiert Zechner. Mit unglaublich tollen Schauspielern, Regie-Leuten etc. wurde es möglich gemacht aufzuzeigen, dass Österreich diese Art des Humors auch heute noch beherrsche. Und dass es nicht immer nur um die Schadenfreude ginge, auf andere nämlich „zuzuhauen“.
Es sei auch sehr interessant, dass sich am Anfang sehr stark Feministinnen aber auch Männer gegen dieses Format gewehrt hätten. Das erkennt die Direktorin als positive Reaktion an, denn da hätten sie schlussendlich etwas richtig gemacht.
„Wir wollten ja spielen mit Männerbildern, die auf Frauen umgelegt werden. Das, was man normalerweise von den Männern kennt, wurde von den Frauen übernommen. Wir spielen also mit einem subtilen Rollentausch. Das ist es.“
Es sei auch noch etwas weiteres damit gelungen: Man habe verehrungswürdige Theaterschauspielerinnen dazu bewegen können, in dem Terrain „Serie“ mitzuwirken.
Als letzten Punkt zu dieser Frage spricht die Direktorin an, dass sie einfach genug gehabt hätte, immer Krimis zu machen. Ob in Leipzig, in Wien, im Kitz oder am Land: Es scheine nur noch Krimis zu geben. Aber, so zeigt sich Zechner zuversichtlich:
„Wir können auch Komödie.“
Das sind Projekte, da geht es um die Einschaltquoten, damit die Finanzen stimmen. Kostspieliger ist der Film. Was die Filmproduktionen betrifft: Wie steht es um den österreichischen Film und dem ORF?
Da sehe die Direktorin die spannende Tangente: die europäische Förderung – neben der nationalen und der regionalen Förderung.
Beim Kinofilm gebe es im übrigen drei grobe Richtungen:
- Den Innovations/Nachwuchs-Film: Da fördere man junge FilmerInnen, neue Stoffe, neue Zugänge; den Nachwuchs eben. Die Nachwuchsförderung sei ein sehr starkes Element.
- Das Mainstream-Kino: Da zeige man, dass die jungen Leute nicht nur in amerikanische oder französische sondern auch in österreichische Filme zu locken seien.
- Der Autorenfilm: Den wolle man pflegen.
Beim koproduzierten oder eigenproduzierte Fernsehfilm handle es sich um eine europäische Produktion, „The Team“ beispielsweise – das sei extrem schwierig ob der Sprache: In welcher Sprache dreht man das? Oder, noch ein Beispiel, das sie allerdings schon abgedreht hätten: das Projekt „Kaiser Maximilian“; da seien Belgier, Franzosen, das ZDF und den ORF vereint worden; da wurde Geschichte hochwertig in Spielfilmlänge beleuchtet und zu einem Mehrteiler. Oder aber wendete sich der ORF starken Frauenthemen zu: von der deutschen Friedensnobelpreisträgerin Bertha von Suttner bis zur deutschen chemischen Clara Immerwahr. Oder: Landkrimis, da sei man wieder ins Regionale gegangen und man hätte erneut Wert auf eine zarte Sprachfärbung gelegt.
Welche Rolle spielt die Filmförderung der Europäischen Union?
Die Förderungen gingen immer nur über den Produzenten oder über die Produzentin; diese entwickeln den Stoff, und dabei unterstütze der ORF – also das Drehbuch bis hin zu einer Entscheidungsreife der Produktionsförderung. Und dann müsse der Produzent oder die Produzent das an den mit Jurien besetzten Förderer stellen, es einreichen und am Ende: Kriegt man etwas oder aber auch nicht. Das seien (leider) überschaubare Größen. Das wirklich Schwierige dabei sei, so Zechner, übrigens immer das Sprachenproblem.
Europa – ganz persönlich aus Ihrer Sicht: „Europa ist für mich ein lebendiges, sich stetig veränderndes Miteinander. (…)“. Wie haben Sie Europa persönlich erlebt? Sie stammen aus Graz und sind nach Wien gegangen.
Die Direktorin verrät uns:
„Ich ‚wurde‘ nach Wien gegangen: Ich war 12, als mein Vater beruflich nach Wien wechseln musste. Und das wurde nicht – wie bei mir in der Familie – basisdemokratisch diskutiert, d.h. wir gingen einfach alle mit. (…) Ich bin aber auch froh darüber.“
1994 war die Phase der EU-Abstimmung, und da starteten Sie als Fernsehintendantin beim ORF. Als 1995 der Beitritt zur EU geschah, waren Sie sozusagen mittendrin begleitend als Fernsehintendantin ..
Zechner habe den EU-Beitritt mehr „als Mensch“ und weniger als Fernsehintendantin begleitet. Damals seien die Bereiche „Programm“ und „Information“ noch getrennt gewesen und sie habe ihre Passion für Geschichtenerzählen, für Filme, europäische Serien und Dokumentationen entwickelt; aber noch nicht für den „harten Kern“ der Tagespolitik. Dank ihrer Eltern, wirklich „lässiger“ LehrerInnen und auch ihrer „Großmutter im Himmel“, sei Zechner zutiefst humanistisch, weltoffen und zweisprachig (das sei damals „schon ganz toll“ gewesen) erzogen worden. Als „genetisch veranlagt“ sehe sie besonders ihre Neugierde im Leben:
„Ich gehe bis heute kindlich neugierig auf andere Menschen zu; mich interessiert jeder einzelne Mensch, egal, wo er herkommt. (…) Prinzipiell interessiert mich die Begegnung mit Menschen; mich interessiert die Begegnung mit Kulturen. Ob ich sie dann spannend finde, teilen möchte oder ablehne, ist wieder etwas anderes, aber ich interessiere mich dafür.“
Geprägt durch ihren Vater habe sich die Direktorin intensiv mit Religionen auseinandergesetzt – immer aus dem Blick auf Weltreligionen. Ihr „Wertekanon“ sei tief humanistisch geprägt, und nur danach hinterfrage sie Europa. Sie trenne nicht nach: die Bösen / die Guten, die Linken / die Rechten, sondern denke und handle klassisch nach dem „Humanismus“, wie man ihn verstehe.
Können Sie ein bisschen skizzieren, aus welchen Bausteinen der Humanismus für Sie besteht?
Für die Direktorin bestünde der Humanismus aus einem Respekt vor einander, und sie zitiert einen Kollegen aus Japan – sie habe sehr viel mit Japan zu tun gehabt in ihrer Musical- und Theaterzeit:
‚Wenn wir das Trennende respektieren und das Gemeinsame suchen, machen wir noch viel gemeinsam.’“
In dieser Aussage steckt laut Zechner ein kluger Kern: Es gibt dieses Trennende, und solange man das respektiere von beiden Seiten, aber auch ganz bewusst das Gemeinsame suche, sei das ein ganz schöner Leitfaden pro Zusammenhalt.
Seit dem EU-Beitritt sind 20 Jahre vergangen: Für Sie persönlich hat sich nichts geändert. Sie sind immer noch überzeugte Europäerin. Das spürt man. – Diese Überzeugung ist aber in Österreich manchmal „nicht so klar“ ..
Zechner glaubt, dass oft darauf vergessen würde, sich mit dem Menschen als Individuum auseinanderzusetzen. Man müsse eine Region aus der Sicht der Menschen dort mit ihren Ängsten und Bedürfnissen sehen. So könne man dann auch einfordern. Das Leben bestehe eben nicht nur aus Rechten, sondern auch aus Pflichten. Aus Verantwortung also. Kritisch distanziert zeigt sie sich deshalb in Bezug auf die Abläufe in Europa: „Freiheit“ sei ausschließlich als freier Warenverkehr, Gewinnmaximierung und Gewinngemeinschaft interpretiert worden. Aber man habe dabei auf „die andere Seite“ vergessen: Auf das gemeinsame „wie gehen wir miteinander um“. Auf das „Händereichen“. Im alltäglichen Leben sei genau das dem Einzelnen nicht mehr bewusst, so die bekennende Humanistin.
„Das finden wir in politischen Strömungen, bei den Linken, im christlich-sozialen Denken. Viele sagen: ‚der Wertekatalog Österreichs‘, der ‚Wertekatalog Europas‘ – der wurde viel strapaziert. Aber: Welchen Wert leben Sie täglich?“
Durch Offenheit erlange man eine Balance, um „Geben“ und „Nehmen“, Rechte und Pflichten wieder in einen Gleichklang zu bringen. Das seien dann sogenannte „tief humanistische Wurzeln Europas“ – und da könnten sich andere Kontinente „eine Scheibe abschneiden“, zeigt sich die Direktorin visionär.
Die Möglichkeit des Fernsehens – v.a. wenn man die letzten Monate betrachtet: Integration, Flüchtlingskrise“ – beschränkt sich nicht nur auf Information, Aufklärung und Wissen, sondern geht bis zur „Begegnung mit dem Menschen“. – Der ORF bekam die Kritik, dass man lediglich „beschönigt habe. Denn: „Das Land fühlt anders“. – Wie ist es nun mit dem vermittelten Bewusstsein „über den Tellerrand“ hinaus?
Das subjektive Empfinden eines jeden einzelnen sei etwas anderes, so Zechner als der stete Versuch, die Realität abzubilden, aufzuklären und Hintergründe zu liefern. Grundsätzlich sei zu konstatieren, dass in Österreich alle Schichten der Gesellschaft Angst hätten: Die reichere Schicht davor, Geld oder Besitz zu verlieren; die Mittelschicht davor, an Status zu verlieren, die ärmere Schicht, das, „was eh nicht da ist“, an Flüchtlinge zu verlieren. Diese Angststimmung herrsche in allen Schichten und Altersgruppen vor. Bereits im Juni 2015 habe der ORF zwei wichtige Grundsätze gebildet:
- die Angst ernst zu nehmen und
- mit Wissen gegen Vorurteile zu arbeiten.
Letzteres sei besonders schwierig, zumal in der „digitalen Welt“ eine Stimmung von Hyperventilation, Hysterie und Dauer-Erregtheit erzeugt würde sei sowie Fake-News produziert würden. Das habe einen ganz starken Gegenpol entstehen lassen und eine „extreme Kraft“ (Shitstorms).
„Eine Nachbarin sagte, die vor der Wiener Wahl haptisch empört übergequollen ist – also vergleichbar mit der Hektik des ‚Digitalen‘: ‚Alles nehmen sie mir, alles‘. – Und ich sagte: ‚Wer, was? Habe ich irgendetwas versäumt? Ist Ihnen das Auto weggenommen worden? Haben Sie bei sich Flüchtlinge einquartiert? Ist bei Ihnen eingebrochen worden?‘ – Darauf die Reaktion: ‚Na, Sie san jo nur neidisch. (…) Das gibt es also keinen Hintergrund. Denn niemand hatte dieser Frau irgendetwas weggenommen.“
Dieser angstgesteuerten Welt, die extrem durch die digitale Welt angetrieben würde, solle man entgegenwirken: In Form von Ruhe, Besonnenheit, Gelassenheit, Aufklärung. Und das sei das Ziel des ORF, was aber natürlich nicht lückenlos geschafft werden könne. Aber der Vorwurf, der ORF würde alles beschönigen, sei laut Zechner nicht gerecht, denn:
„Einen Lastwagen mit 70 Toten herzuzeigen, ist nicht schön. Es ist nicht schön zu zeigen, wie Nickelsdorf zusammenbrach und wie die Menschenmengen über die Grenze gekommen ist. Es war Spielberg nicht schön. (…) Wir haben auch, um Vorurteilen entgegenzuwirken, von den schlimmsten 10 Behauptungen aus der digitalen Welt herausgenommen und in Magazin-Sendungen wie ‚Thema‘ und ‚Österreich-Report‘ vor Ort geprüft und zum Teil auf 100 Minuten ergänzt; da hatten wir zwischen 400.000 und 800.000 Zuschauer erreicht. Wir haben uns auch nicht davor gescheut, zu berichten, dass halt eine von zehn Behauptungen stimmte. Wenn es aber nicht stimmt, dann stimmt es nicht. (…) Von der GFK werden wir jeden Tag genau gemessen, und bei einer Bewertung unter 4 würden wir dem Anspruch des Zuschauers nicht genügen. Dass wir dem Anspruch des Zuschauers also genügten, zeigte sich in der hohen Zuschauerzahl.“
Den Fehler, der durch die unvollständige Berichterstattung passiert sei, den habe der ORF erkannt und transparent aufgeklärt. Das halte die Direktorin auch für wichtig, denn: „Natürlich passieren auch Fehler.“
Was das Thema „Mitdenken“ betreffe, stellt sich Zechner sich die Frage:
„Darf Journalismus / dürfen Medien vordenken?“
Es sei manchmal ratsam und spannend, „das ganze Hick-Hack“ wegzulassen, erklärt die Direktorin. Um nämlich aus diesem hysterischen und NLP-getriebenen Kurs rauszukommen und andere Formulierungen und Ideen zuzulassen.
Öffentlich-rechtlicher Bildungsauftrag. Das nimmt man sehr schnell in den Mund. Was ist der Bildungsauftrag? Wird der ORF dem Bildungsauftrag gerecht?
Aus Zechners Sicht käme der ORF dem Bildungsauftrag im Sinne einer Wissensvermittlung, eines Begreifbarmachens von (gesellschafts-)politischen Zusammenhängen, wissenschaftlichen Arbeiten, Kultur und Bildungsmodellen, geschichtlichen Zusammenhängen sehr ambitioniert nach. Das sei sogar eines ihrer „Steckenpferde“, weil man mit Bildern und guten Texten sehr nahe an Menschen herankommen könne und für sie für ein Thema öffnen könne, das er normalerweise ablehnen würde (aus Müdigkeit, aus Angespanntheit, aus Desinteresse z.B.). Als Beispiel für ein Bildungsprojekt nennt die ehemalige Intendantin des ORF die Langzeitreportage, die der ORF zeigte, als zwei 4. Klassen (die 4. Klasse Gymnasiuim Rahlgasse und die 4. Klasse Mittelschule Gassegasse) gegenübergestellt wurden und das reale Leben sowie die Herausforderungen aller Schul-Beteiligten sechs Monate lang intensiv recherchiert wurde.
Die Direktorin verweist ebenso auf ein anderes Projekt, auf eine Dokumentation: die 100jährige Geschichte der Bundesländer, von den Kronländern bis zu den Bundesländern. Es wurde empirisch aber auch historisch gut erforscht, was das einschneidenste, historische Thema für ein Bundesland sein müsste. Und das wurde in dieser Dokumentation – es gibt bereits eine Version aus Tirol und eine aus Kärnten – sehr gut gespiegelt worden sei durch das Zeigen von 3 Generationen innerhalb einer Familie. Da sei ein unfassbar kluges und spannendes Projekt entstanden. Nicht mit dem Anspruch auf Vollständigkeit, aber auf Tiefe.
Die Gegenwart und die Zukunft des Fernsehens wird von vielen Medien Europas diskutiert. Wie sieht es aus mit dem „linearen“ Konsum, d.h. sich um z.B. punktgenau 20:15 Uhr eine Sendung anzusehen?
News würden definitiv nicht linear konsumiert, so die Direktorin, außer es ginge um wirkliche Großereignisse wie Wahlen, Hochwasser oder Attentate. Der tägliche News-Konsum ginge bei jungen Leuten unter 30 kaum über lineares Fernsehen, gar nicht über Zeitungen sondern den digitalen Weg. Aus diesem Grund möchte Zechner gerne bald die Gelegenheit haben, den digitalen Bereich seriös mitgestalten und dort in den Wettbewerb mittreten zu können.
Life-Events wie z.B. Sportsendungen seien linear, am Punkt, würden also nicht „Second-Screen“ (Smartphone) gesehen, sondern gemütlich auf der Couch, als „Couchpotatoe“, in der Qualität, in der Größe.
Erstaunlicherweise auch Langformate wie Dokumentationen, die über 90 Minuten lang dauern, würden 250.000 bis 400.000 junge ZuseherInnen linear ansprechen; d.h. eine dramaturgisch geleitete Erzählform schauen sich interessanterweise auch die Jungen an. Und wenn Armin Wolf vorm Brandenburger Tor stehe und den Mauerfall mit vier Korrespondenten vor Ort beleuchtet, dort interviewt und sich Zeit dafür genommen würde, in ein Thema tiefer zu tauchen, dann würden das sowohl reifere als auch junge Menschen mögen, verrät Zechner und betont, dass das Ganze eben von der Art und der Qualität des Formats abhänge.
Mehrsprachigkeit, mehr Film-Originalversionen – das wäre doch ein Bildungsauftrag für den ORF?
Sie sehe die Mehrsprachigkeit prinzipiell als Bildungsaufgabe der Schulen. Mehrsprachigkeit sei ihrer Meinung nach allgemein sehr wichtig. Die Möglichkeit, Filme mit Untertiteln zu versehen, sei aber leider eine Kostenfrage – und das sei einfach zu teuer.
Publikumsfrage: Wie soll sich die die EU weiterentwickeln? In Bundesstaaten oder in einem Staatenbund? Politische Integration?
Das müsse an dieser Stelle zwar jemand anderer beantworten, aber als „Privatperson“ würde Zechner es als das Wichtigste bezeichnen, dass der Österreicher / die Österreicherin ein europäisches Selbstwertgefühl entwickelt, das sich nicht nur über Handel und Finanzplätze definiert, sondern auch über einen Konsens in einem Grundhumanismus. Das könne für sie auch ein „loser Staatenbund“ sein.
Publikumsfrage: Fernsehen als Integrationsinstrument – wie könne man das machen?
Die Direktoren sehe es als bedeutend an, Vorurteile durch Wissen zu ersetzen, aufzuklären und Modelle vorzustellen, wie es gehen könne. Also „vorzudenken“. Auch das Bewusstsein solle geschaffen werden, dass man dem Thema Angst und Sicherheit ernst begegnen und entgegenkommen müsse. Wenn sie an die Reihe „Kreuz und Quer“ denke, so sei sie sehr stolz auf die extrem kluge Redaktion, die da dahintersteckt: Da würden Themen wie Integration und Religion behandelt. Über vor Ort Themen wie z.B. Cops-Stories erreiche man sehr viele Seher und – könne dadurch sehr viel vermitteln.
Publikumsfrage: Warum hat der ORF nicht wie z.B. Der Standard Pro und Kontra Kommentare?
Der ORF sei bis dato übereingekommen, dass sie keinen Kommentar „haben“, so Zechner.
Publikumsfrage: Müssen Sie auf die poliltische Situation im Land Rücksicht nehmen?
Es gebe sehr wohl eine politische Einflussnahme – das gebe es aber auf allen Ebenen.
Zum Abschluss: Wenn Sie „von einer Fee“ drei Wünsche frei hätten, was wären diese – ideell als Perspektive für das Fernsehen, für Europa?
Die Fernsehdirektorin des ORF Mag. Kathrin Zechner hat nur einen Wunsch:
„Dass die Fee mal in die Köpfe aller EuropäerInnen durchfliegt und uns alle neugierig werden lässt auf den anderen.“
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