Eine Reise ins Innere des „Tempels der Menschheit“
Die Federation of Damanhur ist eine spirituelle Gemeinschaft in den italienischen Alpen in der Nähe Turins, die sich der Sammlung und Bewahrung universellen Wissens widmet. Im Herzen der Kommune, die sich um das Leben und die Lehren des Falco Tarassaco gebildet hat, befindet sich ein unterirdischer Tempel – der „Tempel der Menschheit“, von Hand in den Fels der Alpen geschlagen.
Es war ein ganz gewöhnlicher Wintertag, als ich im Internet auf einen Artikel mit diesem packenden Titel stieß: „Bemerkenswerter unterirdischer Tempel nach zwanzig Jahren entdeckt.“ Der Text bezog sich auf das unterirdische Heiligtum der spirituellen Kommune von Damanhur, das offenbar aus dem Felsen gemeißelt worden und zwanzig Jahre lang außerhalb dieser Kommune ein völliges Geheimnis geblieben war. Doch die Bilder zeigten so enorme und schöne Hallen, dass ich dachte, es müsste unmöglich sein, dies erstens unter der Erde anzulegen und zweitens so lange vollständig geheim zu halten!
Die Damanhurianer glauben an die Sammlung und die Bewahrung des uralten Wissens der Welt. Die erste Kammer ihres unterirdischen Tempels, das Labyrinth genannt, enthält eine Sammlung von Glasbildern alter Gottheiten aus der ganzen Welt, vom Nanook der Inuit bis zum japanischen Izangi. Das Labyrinth repräsentiert – wie der gesamte Tempel – metaphorisch die Reise zu sich selbst; je tiefer man in den Tempel hineingeht, umso mehr wird man mit seinem inneren Selbst verbunden. Unsere Aufgeregtheit vor dem Eintreten und der Reichtum der Farben, der unsere Sinne überwältigte, wurden sofort durch ein Gefühl der Ruhe und der Zeitlosigkeit verdrängt, sobald wir uns im Inneren des Tempels befanden. So, als würde einen der massive Fels der Berge von allem abschirmen, was über der Erde geschieht.
Unser Weg führte durch enge Tunnel und kleinere Kammern tiefer in den Tempel hinein, bis wir eine kleine, dunkle Kammer erreichten, in deren Mitte sich eine Kristallkugel befand. Dies war die allererste Kammer des Tempels; der enorme unterirdische Komplex entstand aus diesem Meditationsraum, der von Falco Tarrasacos Anhängern gegraben wurde. Niemand außer Falco selbst hatte damals irgendeine Vorstellung von den Ausmaßen, die der Tempel einmal annehmen sollte.
Jede Halle des Tempels hat ein bestimmtes Thema und wurde gemeinschaftlich von den Mitgliedern der Kommune mit Mosaiken, Glasbildern und anderen Kunstwerken gestaltet – die einzige Ausnahme ist die Wasserhalle, die von Falco selbst ausgemalt wurde. Ihre Wände sind bedeckt mit Wörtern und Symbolen aus alten Sprachen und Schriften. Es heißt, sie enthielten Falcos Wissen über die uralten Weisheiten sowie seine Erinnerungen aus einem anderen Leben. Doch sogar seine engsten Vertrauten wissen nicht genau, was die Schriften bedeuten; sie versuchen seit seinem Tod vor vier Jahren, sie zu entschlüsseln.
Ich interessiere mich nicht nur für die Schönheit von Tempeln, sondern auch für Gemeinschaften, die eine gefühlsbetontere Auffassung vom Leben haben und die modernen Werte Geld und Besitz ablehnen, um an ihrer inneren Bereicherung und Verbesserung zu arbeiten. Und ich habe mich stets gefragt: „Haben sie damit Erfolg?“ Damanhur ist bereits eine recht große Gemeinschaft mit über 700 Anhängern, und ihre Zahl wächst noch immer. Das Hauptziel der Gemeinschaft ist es, eine Tradition eines gemeinsamen Bewusstseins zu erschaffen, das über nationale Grenzen und Kulturen hinausgeht. Oder in anderen Worten: „Die Erschaffung neuer Menschen mit einer neuen Kultur.“
Die Gemälde, die moderne Technologien oder Karikaturen zeigen, wirken auf dem ersten Blick ein wenig deplatziert. Doch sind wir daran gewöhnt, Denkmäler dieser Art aus der Perspektive einer anderen Zeit zu betrachten; so bewundern wir etwa St. Paul’s Cathedral oder die Sixtinische Kapelle aus einer großen zeitlichen Distanz. Die Menschen, die diese Monumente erschaffen haben, waren uns jedoch letztlich viel ähnlicher, als wir wahrhaben wollen.
Der Besuch in Damanhur ließ mich diese marginalisierende Trennlinie zwischen der Kunst und uns selbst erkennen und in mir die Frage aufkommen, wie wohl Menschen, die den Tempel in hundert oder gar tausend Jahren besuchen mögen, darüber denken könnten.
Übersetzung Englisch-Deutsch: Martin Krake