Eine perfekte Balance

Eine perfekte Balance
Lebenswelten

„Wenn das Zimmer sehr mies ist, dann erinnere ich mich selbst daran, dass ich diesen Ort in einem oder zwei Tagen verlassen und eine andere Unterkunft finden werde. Es ist wie ein Glücksspiel, manchmal bekomme ich für wenig Geld einen sehr guten Deal, ohne es wirklich zu erwarten, und manchmal das Gegenteil.“

(aus: Es ist nicht immer alles eitel Sonnenschein)

Ein ganz wichtiges Thema auf Reisen ist das Essen. Ich esse gerne gesund und meide dabei vor allem „schlechte Fette“ sowie auch Zucker. Auch mag ich beim Essen eine große Vielfalt, vor allem, weil ich in Südtirol aufgewachsen bin, wo sich italienische und österreichische Einflüsse mischen. Obwohl ich es genieße, alle Gerichte zu probieren, die ein für mich neuer Ort zu bieten hat, sehne ich mich doch manchmal sehr danach, eine eigene Küche zu haben, um für mich selbst kochen zu können, anstatt dreimal täglich in einem Restaurant oder an einem Straßenstand zu essen.

Vor allem in Indien und in Nepal wird in der landestypischen Küche sehr viel Öl und Zucker verwendet. Wenn ich in Indien einen Chai bestelle (einen Tee mit Milch) oder in Vietnam einen Kaffee, kann ich ihn manchmal nicht trinken, weil viel zu viel Kondensmilch darin ist. Um dieses Problem zumindest in gewissem Maß zu lösen, habe ich mir einen Handmixer gekauft, um mir überall und auf die Art, wie ich es möchte, Obstshakes machen zu können. Außerdem habe ich einen Tauchsieder dabei, mit dem ich mir morgens einen Instant-Kaffee zubereiten kann. Neuerdings ist auch eine kleine Espresso-Maschine im Gepäck, so dass ich einen „richtigen“ Kaffee genießen kann, wo immer es einen Herd gibt. Diese drei Dinge sind inzwischen ein Muss für mich!!

Eine weitere Herausforderung bei meinem Nomadenleben ist, dass ich sehr viel von dem verpasse, was meine Freunde und meine Familie erleben. Ich habe sie für eine Weile besucht, um mich wieder auf mein Zuhause zu justieren. Ich bin ja die meiste Zeit nicht da, weil ich mich nicht zerteilen kann, und wenn ich sie besuche, brauche ich eine Zeitlang, um mich wieder an zu Hause zu gewöhnen, denn Asien und Europa sind völlig unterschiedliche Kulturen. Sich dann am Ende eines Besuches wieder zu verabschieden, ist immer das Schwierigste. Es ist ein Kreislauf von Anpassung an die eine Welt – und dann wieder an die andere.

Das lang andauernde Reisen in Asien, der unstete Lebensstil und die nur gelegentlichen, seltenen Besuche in meiner Heimat haben bei mir vor einer Weile eine Panikattacke verursacht. Ich hatte sowas noch nie zuvor erlebt – möglicherweise wurde es dadurch hervorgerufen, dass ich nicht wusste, was als Nächstes kommt und wo ich morgen schlafen würde, denn meiner Natur entspricht es eher, alles im Voraus zu planen. Manchmal bin ich hin und her gerissen zwischen dem Wunsch, alles zu erleben und die ganze Welt zu sehen, und dem Bedürfnis nach einem stabilen Leben. Ich weiß nicht, ob irgendwer von euch schon einmal eine Panikattacke erlebt hat, aber es ist kein schönes Gefühl! Und das Schlimmste ist nicht die Panikattacke an sich, sondern die Angst davor, dass es sich in einer ähnlichen Situation wiederholen könnte.

Ein weiteres Thema ist, dass man sich auf Reisen an die örtlichen gesundheitlichen Bedingungen anpassen muss. Und glaubt mir, es ist nicht lustig, krank zu sein, wenn man nicht den gewohnten Komfort hat … Mit Lebensmittelvergiftungen und Bettwanzen hat man immer wieder mal zu tun, es gibt keinen Weg, das völlig zu vermeiden. Die schlimmsten Bettwanzen habe ich während der Pilgerwanderung auf dem „Camino de Santiago“ in Spanien erlebt, und zwar mindestens zehn Tage lang. Mückenstiche sind gar nichts im Vergleich zu Wanzenbissen! Das Jucken machte mich fast wahnsinnig, und ich wurde paranoid, dass es noch einmal passieren könnte. Daher untersuchte ich jeden winzigen schwarzen Punkt, den ich sehen konnte, bevor ich ins Bett ging, und um das alles zu toppen, schnitt ich mir noch so schlimm in den Finger, dass die Wunde genäht werden musste!

Lebensmittelvergiftungen sind mir schon einige Male passiert. Meine schlimmste Erfahrung damit war aber in den Bergen Nepals: Ich konnte wirklich 24 Stunden lang das Bett nicht verlassen und nichts bei mir behalten, nicht einmal Wasser; ich kotzte mir buchstäblich die Seele raus, aber am nächsten Tag war ich zum Glück wieder einigermaßen okay. In Laos habe ich mir den Knöchel verdreht und einen Bänderriss zugezogen. Das war eine der schlimmsten Situationen in dieser ganzen Zeit, weil ich drei Wochen lang nur mit Krücken gehen konnte, während ich immer noch mit dem Rucksack unterwegs war. Das war nicht einfach, denn es war sehr heiß, mein Fuß war extrem stark geschwollen und ich hatte heftige Schmerzen (allerdings verhalf mir das zu einigen guten Deals mit den Autorikscha-Fahrern, die Mitleid mit mir hatten).

Und zuletzt mein allerschlimmstes  Erlebnis: Vor Kurzem infizierte ich mich in Mumbai mit Denguefieber. Mein Thrombozyten– und Leukozytenspiegel war so niedrig, dass ich ein bisschen Angst bekam. Ich fühlte mich sehr schwach, und als ich im Bad ohnmächtig wurde, schlug ich mir die Stirn oberhalb des Auges auf. Ich musste eine Woche im Krankenhaus verbringen, schließlich ging aber alles gut aus.

Ein weiteres Thema ist die Sicherheit. Es passierte mir schon zwei Mal, dass an Orten, an denen ich mich eigentlich sehr sicher gefühlt hatte, etwas Schreckliches geschah, wie ich später herausfand: In beiden Fällen war eine Frau brutal ermordet worden. Einmal während einer Pilgerreise in Spanien, das andere Mal in Goa in Indien. Es war ein seltsames Gefühl, dort zu sein und denselben Weg zu gehen wie diese jungen Frauen meines Alters, die einen so tragischen Tod erlitten hatten. Das erinnerte mich wieder daran, dass Tragödien immer und überall passieren können und dass man immer vorsichtig sein muss, auch an Orten, die völlig sicher erscheinen. Ich möchte den jungen Frauen, die das hier lesen, keine Angst machen, aber unglücklicherweise laufen eine Menge ungute Menschen herum. Wenn ihr also alleine unterwegs seid – auch wenn es auf einer Pilgerreise ist und alles völlig sicher erscheint -, rate ich, ein Messer oder Pfefferspray dabei zu haben.

Das Reisen zwingt mich dazu, meine Komfortzone zu 100 Prozent zu verlassen. Es ist unberechenbar und voller Überraschungen und lehrt mich definitiv, geduldig und akzeptierend zu sein und offen gegenüber allem, was mir in den Weg kommt. „Geduldig“ in dem Sinne, dass viele Leute versuchen, mich übers Ohr zu hauen, denn es gibt das weitverbreitete Vorurteil, dass alle „weißen Menschen“ sehr reich seien. Manchmal berechnet man mir das Drei- bis Vierfache des normales Preises, und jedes Mal muss ich hart verhandeln, was wirklich ermüdend sein kann, vor allem, wenn ich an diesem Tag einfach nicht in der Stimmung dazu bin. Manchmal wage ich es gar nicht, nach dem Preis zu fragen, obwohl ich die Sache durchaus gerne hätte, weil ich einfach keine Lust auf das Feilschen habe. „Unvorhersehbar“, weil es passieren kann, dass alle versuchen, mich über den Tisch zu ziehen – während ich zur gleichen Zeit auf diese eine Person treffe, die ehrlich ist, die nicht einfach nur irgendeine „Weiße“ in mir sieht, sondern mir einfach hilft, ohne irgendetwas dafür zu erwarten. Daher ist die Lösung für fast alle Probleme beim Reisen Geduld – und niemals die Hoffnung zu verlieren, denn das Universum wird die Dinge zu deinen Gunsten wenden.

Das Reisen ist voller Überraschungen: Nachdem ich meine Hose auf dem Weg zu einem ländlichen Krankenhaus in Nepal zerrissen hatte, nähte diese wunderbare Frau sie mir einfach wieder zusammen, ohne irgendetwas dafür annehmen zu wollen.

Das Reisen lehrt mich, mit wenigem zufrieden zu sein und mich an den ganz kleinen Dingen zu erfreuen, die ich normalerweise als selbstverständlich ansehe. Manchmal macht es mich schon glücklich, morgens aufzustehen und fließendes Wasser zu haben, das vielleicht sogar warm ist! Es lehrt mich, die Dinge so zu nehmen, wie sie sind, und mich nicht über etwas aufzuregen, was ich sowieso nicht ändern kann, weil das nur Verschwendung von Zeit und Energie ist. Es lehrt mich, nicht kompliziert zu werden, kreativ zu sein und Dinge aus dem Nichts heraus zu erschaffen, also mit dem Material, das um mich herum zur Verfügung steht. Denn alles, was wir brauchen, ist bereits in unserer Umgebung, wir müssen es nur sehen!

Die Vor- und Nachteile des Reisens ergeben eine perfekte Balance. Ich würde es nicht anders haben wollen, denn jeder der Nachteile ist eine Herausforderung, die mich stärker macht, mich als Person wachsen lässt und mich unterschiedliche Dinge wahrnehmen lässt.

Übersetzung Englisch-Deutsch: Martin Krake

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Eine perfekte Balance Eine perfekte Balance Isabel Scharrer CC BY-SA 4.0
Paratha: gefülltes und gebratenes Brot, Nordindien. Paratha: gefülltes und gebratenes Brot, Nordindien. Isabel Scharrer CC BY-SA 4.0
Extrem süßer indischer Chai (Milchtee), serviert in einem Makti (Tonbecher). Extrem süßer indischer Chai (Milchtee), serviert in einem Makti (Tonbecher). Isabel Scharrer CC BY-SA 4.0
Momos: gefüllte und gebratene Teigtaschen, Nepal. Momos: gefüllte und gebratene Teigtaschen, Nepal. Isabel Scharrer CC BY-SA 4.0
Fleischspieße in Kuala Lumpur, Malaysia. Fleischspieße in Kuala Lumpur, Malaysia. Isabel Scharrer CC BY-SA 4.0
Gefärbte Eier: Mit Rotkohlsaft werden die Eier rosa gefärbt, mit Rotkohlsaft und Zitronensaft werden sie blau. Ein Werk von Sourabh. Gefärbte Eier: Mit Rotkohlsaft werden die Eier rosa gefärbt, mit Rotkohlsaft und Zitronensaft werden sie blau. Ein Werk von Sourabh. Isabel Scharrer CC BY-SA 4.0
Suppe mit Schweineinnereien, Chinatown, Singapur. Suppe mit Schweineinnereien, Chinatown, Singapur. Isabel Scharrer CC BY-SA 4.0
Japanischer Pfannkuchen, Kyoto, Japan. Japanischer Pfannkuchen, Kyoto, Japan. Isabel Scharrer CC BY-SA 4.0
Vielfarbige Nudeln in Bangkok, Thailand. Vielfarbige Nudeln in Bangkok, Thailand. Isabel Scharrer CC BY-SA 4.0
Gefüllte Süßigkeiten in Singapur. Gefüllte Süßigkeiten in Singapur. Isabel Scharrer CC BY-SA 4.0
Ostern, weit weg von der Heimat. Ostern, weit weg von der Heimat. Isabel Scharrer CC BY-SA 4.0
im Vergleich zu Weihnachten in der Wüste - mit einem Baum aus Bambusstäben im Vergleich zu Weihnachten in der Wüste – mit einem Baum aus Bambusstäben Isabel Scharrer CC BY-SA 4.0
Bettwanzenbisse am Hals 1 Bettwanzenbisse am Hals 1 Isabel Scharrer CC BY-SA 4.0
Bettwanzenbisse am Hals 2 Bettwanzenbisse am Hals 2 Isabel Scharrer CC BY-SA 4.0
Krankenhaus irgendwo am Camino de Santiago, Spanien. Krankenhaus irgendwo am Camino de Santiago, Spanien. Isabel Scharrer CC BY-SA 4.0
Krankenhaus in Luang Prabang , Laos. Krankenhaus in Luang Prabang , Laos. Isabel Scharrer CC BY-SA 4.0
Unterwegs mit Krücken, Laos. Unterwegs mit Krücken, Laos. Isabel Scharrer CC BY-SA 4.0
Busfahrt von Laos nach Kambodscha. Busfahrt von Laos nach Kambodscha. Isabel Scharrer CC BY-SA 4.0
Mit Denguefieber in Mumbai, Indien. Mit Denguefieber in Mumbai, Indien. Isabel Scharrer CC BY-SA 4.0
Mit Denguefieber in Mumbai, Indien. Mit Denguefieber in Mumbai, Indien. Isabel Scharrer CC BY-SA 4.0
Das Reisen ist voller Überraschungen: Nachdem ich meine Hose auf dem Weg zu einem ländlichen Krankenhaus in Nepal zerrissen hatte, nähte diese wunderbare Frau sie mir einfach wieder zusammen, ohne irgendetwas dafür annehmen zu wollen. Das Reisen ist voller Überraschungen: Nachdem ich meine Hose auf dem Weg zu einem ländlichen Krankenhaus in Nepal zerrissen hatte, nähte diese wunderbare Frau sie mir einfach wieder zusammen, ohne irgendetwas dafür annehmen zu wollen. Isabel Scharrer CC BY-SA 4.0
Kreativ sein mit dem, was gerade da ist: Eine Nachtleuchte aus Karton und trockenen Palmblättern, gebastelt von Sourabh. Kreativ sein mit dem, was gerade da ist: Eine Nachtleuchte aus Karton und trockenen Palmblättern, gebastelt von Sourabh. Isabel Scharrer CC BY-SA 4.0
Kreativ sein mit dem, was gerade da ist: ein Nachttisch aus Karton, ebenfalls von Sourabh. Kreativ sein mit dem, was gerade da ist: ein Nachttisch aus Karton, ebenfalls von Sourabh. Isabel Scharrer CC BY-SA 4.0
Weihnachten zu Hause Weihnachten zu Hause Isabel Scharrer CC BY-SA 4.0