Eine andere Perspektive

Herz im Baum
Lebenswelten

Als ich ein Kind war, ging ich jede Woche zur Messe und zur katholischen Sonntagsschule. In der Kirche brachte man mir bei, wer Gott ist, wer Jesus ist. Dazu las viele verschiedene Teile der Bibel. Als Kind habe ich die Dinge, die man mich lehrte, nie in Frage gestellt; aber als ich größer wurde, wurde mir bewusst, dass da etwas nicht stimmte:

Die Information schien verwirrend. Gott ist dort oben, irgendwo, dann ist wieder Jesus Gott – oder zumindest Sein geliebter Sohn. Es ist nicht neu, dass im Denken der katholischen Kirche Jesus in seiner Größe über uns erhaben gesehen wird. Also wuchs ich auf in der Annahme, dass Jesus ein viel besserer Sohn sei als ich – und ich somit Sohn zweiter Klasse sein musste!

Ich glaube ganz ehrlich, dass Jesus ein besonderer Mensch war; doch die falsche Idee hinter diesem Konzept ist, dass wir als Gottes Söhne in unterschiedliche Kategorien unterteilt werden. Das ist falsch. Ich persönlich fühle nicht so, ich glaube nicht an einen solchen Gott und ich glaube auch nicht, dass Jesus sich selbst als besser im Vergleich zu anderen empfand. Das Leben, das Gott uns allen schenkt ist gleichwertig – in jeder Hinsicht.

Ich liebe Jesus sehr. Ich stelle mir vor, was Er getan hat, ich höre mir an, was Er gesagt hat und ich kann nicht anders, als Bewunderung und Liebe für den Mann empfinden, der Er war. Als Kind habe ich in schwierigen Zeiten mit Jesus gesprochen und Ihn um Hilfe gebeten. Und jetzt, als erwachsene Frau, tue ich dasselbe.

Das Neue Testament ist Teil der Bibel, in der Jesus‘ Leben beschrieben wird. Jesus wurde „Rabbi“ von Seinen Menschen genannt; das Wort heißt Lehrer. Es bezieht sich auf einen Meister, der die göttlichen Dinge erklärt. Jesus‘ übliche Form des Lehrens war die Verwendung von Parabeln. Eine Parabel ist eine Geschichte mit Moral, in der der Erzähler Geschichten miteinander vergleicht.

In der heutigen Zeit ist das Verständnis der Bibel das Gebiet für Kirchenanhänger und Theologen, aber nach meinem „Erwachen“ von den kirchlichen Lehren hatte ich das Glück, jemanden zu finden, der in der Lage war, mir diese Konzepte zu erklären.

Im Neuen Testament, im Buch Matthias, steht geschrieben: “Aber wenn du einen Akt der Barmherzigkeit leistest, lass deine linke Hand nicht wissen, was deine rechte Hand tut.” Die Kirche bezieht sich auf den spezifischen Bezug zur Wohltat. Die Moral ist, dass der wohltätige Akt der finanziellen Hilfe im Stillen geleistet werden sollte.

Im Grunde genommen ist die Bedeutung hinter „deine linke Hand muss nicht wissen, was deine rechte Hand tut“ also, dass wir wohltätig handeln sollen, ohne dass andere Menschen davon wissen müssen. Dies ist die Erklärung, die jeder kennt – und ehrlich gesagt, ist das auch keine schlechte Erklärung!

Aber ich habe von meinem Meister eine andere Sichtweise der Geschichte bekommen, die ich gerne mit Euch teilen möchte.

Er sagte:

In der Parabel des Buches Matthias 6.3, bezieht Jesus sich nicht auf Wohltätigkeit. Er sprach über die Wichtigkeit, den Menschen zu helfen, ohne ihnen eine Last aufzuladen. Wenn ich jemanden in Not sehe, sagt mir mein Herz, dass ich etwas tun muss. Sagen wir, ich verstehe, was diese Person braucht und dass es mir möglich ist, ihr in ihrer Situation zu helfen.

Die größte Belohnung, die ich mir von dieser Aktion erhoffen kann, ist die Veränderung im Gesicht dieser Person, wenn ich ein Licht sehe, das zurückkommt und ihre Augen aufleuchten und unsere Hände die Seelen von einander in Bruderschaft halten. In jenem Moment fühle ich diese tiefe Emotion, diese tiefgreifende Empathie, im Hinblick auf ihre Verzweiflung, ich spreche sie frei von jeder Gegenleistung.

Das Risiko hier ist, dass die Person sich nicht freigesprochen fühlt, sondern im Gegenteil: Sie fühlt sich noch belasteter angesichts der Fürsorge, die ihr entgegengebracht wir; und ihre Sorgen wachsen. Die Person fügt zum Unverständnis ihres Handelns die Unvernunft, die dieser Moment hervorgebracht hat. Also muss mein Akt der Hilfe beständig, absolut, deutlich in jeder Hinsicht und, ich würde hinzufügen, auch unverfälscht sein.

Das Zitat „Lass die linke Hand nicht wissen, was die rechte Hand tut“, bezieht sich nicht auf Wohltätigkeit. Was würde das heißen? Wenn ich etwas tue, weil mich die Situation von jemandem bewegt, kann ich das tun; aber immer in dem Gedanken, dass ich meine Handlungen dieser Person gegenüber nicht in etwas verwandle, weshalb sie sich schämen könnte, weil dies damit ihr Unwohlsein verstärken würde.

Tue Dinge für andere, ohne sie in Schaufenster zu verwandeln. Ohne zu sagen: „Ja, ich war es!“ Das ist Arroganz! Das ist Scheinheiligkeit!

Warum möchte ich jemandem helfen? Weil sein Zustand mich in Stücke reißt. Die Einbahnstraße, in der diese Person feststeckt, zerstört mich. Ich möchte wirkliche Liebe, und sie so spüren. Authentische Liebe braucht Anwesenheit. Das heißt, dass ich eintauche in das Gefühl. Eins werde damit. Andernfalls nehme ich nicht teil, ich schaue etwas nur an, aber ich bleibe außen vor.

Ich möchte Liebe wahr machen, ich möchte sie tief in mir spüren. Wenn ich das nicht für mich und den anderen von mir (da wir alle miteinander verbunden sind) anstrebe, was soll denn dann sonst der Gegenstand der Liebe sein?

Übersetzung Englisch-Deutsch: Hannah Kohn

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Herz im Baum Herz im Baum Tamás Dávid Friedl CC BY-SA 3.0 at