Ein Traum wird wahr: Ich reise nach Palästina
Manche Träume werden wahr. Andere nicht. Einige bleiben tief in unserem Herzen verwurzelt und werden zu einem Teil von uns, während andere verblassen, wenn unsere Hoffnungen mit der Zeit verwelken, und durch neue ersetzt werden.
Während ich aufwuchs, nährte ich in meinem Herzen eine Vielfalt von Träumen. Manche verschwanden über die Jahre mit meiner zunehmenden Lebenserfahrung, während andere miteinander um den Spitzenplatz konkurrierten und so schließlich wahr wurden.
Ich hatte einen solchen Traum. Palästina zu besuchen, das war mein besonderer, einzigartiger Traum.
Als ein Student der Nahoststudien kam ich mit dem israelisch-palästinensischen Konflikt in Berührung und war davon fasziniert. Die unverdrossene Energie der Palästinenser, ihren Kampf entgegen aller Chancen fortzuführen, und ihre Fähigkeit, Demütigung, Folter und den Tod ihrer Liebsten für ein gemeinsames Ziel tagtäglich zu ertragen über die ganzen letzten sechs Jahrzehnte hinweg – all dies erstaunte mich so tief, dass der leidenschaftliche Wunsch, diesen Menschen zu begegnen, sie zu treffen und von ihnen zu lernen, langsam in meine Psyche einsickerte.
Tief in mir wusste ich, dass ich eines Tages Palästina besuchen würde, doch hatte ich niemals erwartet, dass mein Traum so bald und auf so unerwartete Weise Realität werden würde. Weder hatte ich irgendwelche Pläne dafür gemacht, noch gab mir das Leben irgendeine Andeutung, dass mein Traum innerhalb weniger Tage wahr werden würde.
Ich wurde informiert, dass ich Teil der indischen Delegation für das Erste Internationale palästinensische Jugendcamp (First International Palestinian Youth Camp) sein solle. Das war DIE Gelegenheit, da das Camp von der palästinensischen Regierung organisiert wurde und meine Teilnahme bedeutete, dass ich Palästina durch die Augen der Palästinenser würde sehen können. Es bedeutete auch, dass ich die Chance bekäme, mit vielen Palästinensern ohne Überwachung zu interagieren und von ihnen selbst etwas über ihre Erfahrungen, ihr Leben zu lernen.
Wenn ich zurückblicke – ja, ich hatte mich für das Jugendcamp beworben, aber es war nicht wirklich ein konkreter Plan für mich und ich machte mir keine Hoffnungen, damit Erfolg zu haben. Es war fast schon zur Routine für mich geworden, mich für Veranstaltungen oder Seminare im Nahen Osten und speziell in Palästina zu bewerben, doch war bisher nie etwas dabei herausgekommen. Diesmal aber schien es real zu sein. Eine Gelegenheit, meinen einzigartigen Traum in die Realität umzusetzen – und das schon in wenigen Tagen -, klopfte an meine Tür!
Wir wurden über unsere Berufung zum Jugendcamp erst eine Woche vor unserem Aufbruch am 27. November 2016 informiert. Wir hatten also nicht viel Zeit vor unserer Abreise, und es war noch so viel zu arrangieren: Eine Genehmigung der israelischen Botschaft und ein Visum für Jordanien (weil wir über diesen Staat ins Westjordanland einreisen würden) mussten beschafft werden, außerdem Flugtickets, fremdes Geld und noch einige weitere Dokumente. Schließlich planten wir eine Reise in das umstrittenste und konfliktreichste Land der Welt.
Wir besuchten also die palästinensische Botschaft in Indien ein erstes Mal, und für die nächsten Tage sollte dies einer unserer täglichen Wege werden. Man sagte uns, dass alles in Zusammenhang mit dieser Reise unvorhersehbar bleiben würde. Wir könnten nicht sicher sein, ob Israel uns eine Einreisegenehmigung erteilen würde, und selbst wenn wir diese erhielten, wüssten wir nicht, mit welchen Bedingungen sie verbunden wäre. Eine weitere Hürde war die Visaerteilung. Obwohl die palästinensische Botschaft sowohl für die Einreisegenehmigung als auch für das Visum verantwortlich war, waren Komplikationen für uns unvermeidbar.
Ich kann nicht sagen, wie es den anderen ging, aber mein Gemütszustand war nicht weniger als ein zwischen Hoffen und Bangen hin und her schwingendes Pendel. Man sagte uns, dass wir die Flugtickets erst ein paar Tage vor dem Beginn der Veranstaltung buchen sollten, weil bisher noch überhaupt nichts über das Visum und die Genehmigung klar war.
Abgesehen von den Schwierigkeiten mit dem Ansuchen um unsere Genehmigungen sahen wir uns mit einem weiteren massiven Problem konfrontiert: Die Einziehung der Banknoten über 500 und 1000 Rupien, die genau in diesem November in Indien umgesetzt wurde. Extreme Schwierigkeiten, an Bargeld zu gelangen, lange Schlangen in Banken und an Geldautomaten, Verknappung von US-Dollar und Euro am indischen Markt und andere Konsequenzen dieser Maßnahme machten alles so mühsam, dass die Hoffnung, mein Traum werde sich tatsächlich erfüllen, wieder und wieder schwand.
Schließlich waren es nur noch drei Tage, bis ich abreisen sollte, und noch immer stand nichts fest. Kein Visum, keine Tickets, keine Dokumente. In dieser Zeit lernte ich, an der Hoffnung festzuhalten, selbst wenn mein Verstand der Logik schon nachgegeben hatte. Mein Koffer war gepackt. Sonst aber war nichts bereit. Ich wusste, dass es sehr schmerzhaft sein würde, den Koffer unverrichteter Dinge wieder auszupacken, und Aufgeben war einfach keine Option.
Endlich konnte ich sicher sein, dass ich tatsächlich nach Palästina reisen würde! Ich eilte zur Botschaft, um meine Dokumente abzuholen. Alle meine Mitreisenden taten dasselbe, und wir waren so glücklich, als ob wir eine Schlacht gewonnen hätten. Wir gratulierten uns gegenseitig, wieder und wieder. In diesem Moment war mein Herz überwältigt von Glück, und doch brachte mich ein Gedanke zurück auf den Boden.
Endlich, am 26. November 2016, war ich am Flughafen. Mitarbeiter der palästinensischen Botschaft kamen, um uns zu verabschieden, gaben uns ein paar abschließende Tipps und boten uns jede notwendige Hilfe an. Das Flugzeug, das ich bestieg, nahm mich mit auf eine Reise, die meinen Traum wahr machen würde. Mein Herz pochte, und aus irgendeinem Grund war mein Verstand leer. Ich konnte nicht denken. Ich fühle nur noch. Fühlte, wie es ist, wenn du dich deinem meistumhegten Traum näherst. Nur ein Gedanke ging mir durch den Kopf:
Wenn wir einen Traum nur lange genug träumen, kann er Wirklichkeit werden.
(Fennel Hudson)
Mein Traum hat es tatsächlich gemacht. Ich habe es tatsächlich gemacht.
Übersetzung Englisch-Deutsch: Martin Krake
Sehr interessanter Artikel und atemberaubende Bilder! Wenn man noch nicht selbst in Palästina war, ist es kaum vorstellbar, wie groß die Hürden sind, um in das Land zu kommen. Aber es lohnt sich definitiv diesen Stress aufsich zu nehmen, Palästina ist wirklich ein wunderschönes Land, in dem Gastfreundschaft großgeschrieben wird. Ich hoffe inständig, dass der Konflikt eines Tages beigelegt wird und man das Land leichter bereisen kann.