Ein Tag in Ramallah
Wein aa Ramallah wein aa Ramallah
Wilfee yamsafer wein aa Ramallah
Matakhaf min allah, matakhaf min allah, saragat galby matakhaf min allah
Wein aa Ramallah wen aa Ramallah wilfee yamsafer wein aa Ramallah…
Dieser arabische Text, verwoben mit einer melancholischen, aber zuckersüßen Melodie, dudelte in einer Endlosschleife in meinem Kopf. Ich war vollständig davon eingenommen, alle Details in mich aufzusaugen, die meine Augen wahrnehmen konnten. Die ganze Zeit starrte ich aus dem Fenster des Busses. So vieles gab es zu ergründen. Die Schönheit der Landschaft war völlig vermurkst durch Politik. Siedlungspolitik, Flüchtlingspolitik, Menschenrechtsverletzungspolitik und wohl noch einiges mehr.
Der Bus kam mit quitschenden Bremsen zum Stehen. Ein israelischer Checkpoint. Die Musik wurde abgedreht. Komplette Stille. Der Busfahrer erhielt von den israelischen Soldaten die Anordnung, eine andere Strecke zu fahren.
Ich dachte mir, dass es ein bekanntes Lied sein müsse, und bat das palästinensische Mädchen, das neben mir saß, mir den Text zu erklären. Sie erzählte, es sei ein palästinensisches Lied, das sehr bekannt war in den arabischen Ländern der Levante. Eine Geschichte von einem Mädchen, das in einen Mann verliebt ist, der dauernd auf Reisen ist. Sie singt für ihn und bittet ihn, heimzukehren. Sie übersetzte mir den Text:
Wohin reist du? Ramallah. Wohin? Nach Ramallah.
Mein Liebster, du Reisender, wohin? Nach Ramallah.
Fürchtest du Gott nicht? Fürchtest du Gott nicht? Du hast mein Herz gestohlen, fürchtest du Gott nicht?
Wohin? Nach Ramallah. Wohin? Nach Ramallah. Mein Liebster, du Reisender, wohin? Nach Ramallah.
Mein Herz ist zerschmolzen, ich schwöre, mein Herz ist zerschmolzen, ich schwöre, an dem Tag, an dem ich dir Lebewohl sagte, ist mein Herz zerschmolzen, ich schwöre.
Ja, es war Ramallah-Tag. Der Tag, an dem wir in die De-facto-Hauptstadt des Staates Palästina fuhren. Die Stadt, in der alle Regierungsstellen und Ministerien sowie die diplomatischen Missionen verschiedener Länder angesiedelt sind, der Sitz der palästinensischen Behörden.
Um ehrlich zu sein, war ich nicht besonders verrückt danach, Ramallah zu besuchen. Ich hatte mir Bilder der Stadt im Internet angesehen, aber da war nicht wirklich etwas Verlockendes; und die Tatsache, dass es der Regierungssitz war, bedeutete für mich: Zu viele hoch aufragende Betongebäude, die den meisten Platz beanspruchen. Aber die Stadt war eben politisch wichtig, und ich dachte, das wäre der einzige Grund für mich, Interesse an diesem Ort zu haben.
Der erste Ort, den wir in Ramallah besuchten, war das Grab – oder besser: das Mausoleum – von Jassir Arafat. Das Grab des Mannes, der diesen Teil der arabischen Welt lange Zeit mit großer Überlegenheit regierte. Er dominierte die politische Landschaft Palästinas jahrzehntelang bis zu seinem Tod im Jahr 2004. Ich kannte Jassir Arafat als Führer der Palästinensischen Befreiungsorganisation, der PLO; er wurde verehrt für seine unnachgiebige Entschlossenheit und Hingabe an die palästinensische Sache.
Doch der Besuch seines Grabes machte deutlich, was er für die Palästinenser bedeutet. Er war für sie nicht nur ein Märtyrer und ein politischer Führer, sondern ein Ideal, ein hochverehrter Held. Einer meiner palästinensischen Freunde sagte mir, dass Arafats Grab mehr als nur eine Gedenkstätte sei; es sei eine Art heiliger Ort, der Motivation und Stärke ausstrahle für alle Palästinenser, die für die Befreiung ihres Landes kämpfen.
Nachdem wir ein paar Stunden an dieser Stätte verbracht hatten, wurde uns mitgeteilt, dass wir zur Birzeit-Universität in der Nähe von Ramallah weiterfahren würden. Die Fahrt von Arafats Grab zur Universität führte uns an vielen Orten in Ramallah vorbei. Wir konnten einen kurzen Blick auf die Mukata werfen, das erste Hauptquartier der palästinensischen Autonomiebehörde im Westjordanland nach ihrer Gründung im Jahr 1994, bekannt als Arafat-Komplex.
Der Leiter übernahm die Aufgabe, uns einige Informationen zu geben über die wichtigen Orte und Dinge, die wir während unserer Fahrt von einem Haltepunkt zum nächsten sahen. Er zeigte uns israelische Siedlungen und erklärte, wie man sie von palästinensischen Häusern unterscheiden konnte.
Darüber hinaus sahen alle Häuser einer Siedlung ähnlich aus mit derselben Farbe von Dächern und Außenwänden. Weiterhin machten die Siedlungen einen grüneren Eindruck als die umgebenden palästinensischen Siedlungen, die relativ ausgetrocknet wirkten.
Auf unserem Rückweg von der Birzeit-Universität sahen wir die Vororte von Ramallah. Schöne Wohngegenden und Einkaufszentren mit weißen oder beigefarbenen Fassaden. Ramallah schmeichelte wahrlich meinen Augen.
Der letzte Ort, den wir in der Stadt besuchten, war das Außenministerium. Hier war für uns als Teilnehmer des Jugendcamps ein Seminar arrangiert worden. Mir fiel auf, das sowohl das Äußere als auch das Ambiente aller Ministerien recht ähnlich wirkte: Eine von Vorsicht und Überwachung geprägte Atmosphäre unter den Augen von Sicherheitsleuten in schwarzen Anzügen, begleitet von vielen Regeln, was man darf und was nicht.
Es gab Präsentationen durch einige palästinensische Diplomaten, die verschiedene Abteilungen des Ministeriums leiteten. Diese Präsentationen waren wirklich eindrucksvoll, denn sie waren aufgeladen mit persönlichen Erfahrungen von Leiden und Unterdrückung, von dem Verlangen und der Motivation, Opfer zu bringen, damit künftige Generationen das haben können, was der heutigen Generation versagt bleibt. Die Unabhängigkeit zu Beispiel.
Nach dem Ende des Seminars erfuhr ich zu meiner Überraschung, dass viele der Teilnehmer zum ersten Mal diese furchtbaren Geschichten von Unterdrückung, von Demütigungen und von Übergriffen hörten. Die Veranstaltung hatte ihnen völlig neue Informationen gegeben. Mir wurde klar, dass viele Menschen auf der Welt noch immer keine konkrete Vorstellung haben von dem, was in diesem Land vor sich geht. Alle sprechen über die Angelegenheit Palästina, doch zumeist ohne jedes Verständnis für die Situation vor Ort. Ich war ein bisschen enttäuscht, doch mir wurde klar, dass lang andauernde Konflikte oft langsam aus dem Blickfeld derjenigen verschwinden, die nicht direkt davon betroffen sind.
Wein aa Ramallah wein aa Ramallah
Wilfee yamsafer wein aa Ramallah…
Übersetzung Englisch-Deutsch: Martin Krake