Draupadi: eine Feministin
In diesem Artikel möchte ich euch eine bemerkenswerte und enorm interessante weibliche Figur aus einem der größten Literaturwerke aller Zeiten vorstellen, dem Mahabharata. Ihr Name ist Draupadi, und sie ist in diesem herausragenden Epos die Frau der fünf Pandava-Prinzen.
In meinem früheren Artikel gab ich einen kurzen Blick auf die Neigung der meisten Inder – und insbesondere der Traditionalisten unter ihnen -, die Figur der Sita gegenüber Draupadi zu bevorzugen aufgrund ihres folgsamen Charakters. In diesem Artikel werden die Gründe für diese Bevorzugung verständlich gemacht.
Das Mahabharata ist eine komplex geknüpfte Saga von einem blutigen Krieg und edlen Gedanken, von Rache und Reue, unglaublichem Mut und Feigheit, List und Prinzipien, alles aufzehrendem Hass und feuriger Liebe – und ganz besonders von sich stets abwechselnden Siegen und Niederlagen. Die Figur der Draupadi wird während ihres Aufstiegs unablässig geformt durch all diese emotionalen Achterbahnfahrten und widrigen Situationen.
Draupadi tritt ähnlich wie Athene aus einem Feueraltar hervor, der in der indischen Tradition yajna genannt wird, als erwachsene und extrem schöne Frau. Es heißt, ihre Schönheit verzauberte sämtliche Männer, da sie die aller anderen Frauen übertraf. Sie war die Adoptivtochter von König Drupada und wurde verheiratet mit Arjuna (dem dritten der Pandava-Brüder) in einem Svayamvara; das ist ein Wettstreit, in dem der geeignetste Mann die Prinzessin heiratet, nachdem er seinen Mut durch einige außergewöhnliche Heldentaten bewiesen hat.
Draupadi begab sich nicht aus eigenem Willen in diese Konstellation, sie wurde ihr vom Schicksal beschert. Es war der Wille von Kunti (Pandavas Mutter), aber auch eine zweckdienliche Entscheidung in Anbetracht der Tatsache, dass ein Streit unter den fünf Brüdern über den Besitz Draupadis nicht ausgeschlossen werden konnte. Darüber hinaus wurde es zu dieser Zeit den Regeln der Veden entsprechend als Sünde angesehen, wenn ein jüngerer Bruder vor seinem älteren Bruder heiratete.
Obwohl Draupadi die Enthaltsamkeit, die von einer guten Ehefrau erwartet wurde, einhielt, war sie in keinerlei Hinsicht eine konventionelle Ehefrau.
Die interessanteste Episode, die Draupadis voll entwickelten Charakter als Feministin deutlich macht, spielt sich während des berühmten, aber folgenlosen Würfelspiels zwischen ihrem Ehemann Yudhisthira und den Kauravas ab. Während dieses Spiels wettete ihr Mann um sie und verlor. Einer der Kauravas zerrte sie daraufhin in die versammelte Gesellschaft und begann, ihr die Kleider vom Leib zu reißen. Es heißt, dass ihre Ehre durch eine übernatürliche Intervention gerettet wurde.
Doch Draupadi ergab sich der abscheulichen Demütigung, die sie in dieser Versammlung erlitt, nicht. Stattdessen machte sie ihrer Wut und ihrer Enttäuschung über ihren Ehemann und die älteren Männer in der Gesellschaft Luft, indem sie deren Wissen von ehrenhaftem und respektvollem Verhalten in Frage stellte. Sie bat nicht um Hilfe, sondern kämpfte für ihre Rechte, als ihr geknechteter Ehemann sie in einem Würfelspiel verlor und nichts tun konnte, um sie vor einem Missbrauch zu bewahren.
Eine solche Einstellung war zu dieser Zeit ungewöhnlich für eine Frau. Sie war eine Radikale, die sich weigerte, sich der Ungerechtigkeit zu beugen, die von Männern gegenüber Frauen ausgeübt wurde. Sollte sie nicht als eine Feministin angesehen werden? Und vielleicht ist dies der Grund, warum sie selten die Figur ist, die in unserer indischen Gesellschaft als beispielhaft betrachtet wird.
Übersetzung Englisch-Deutsch: Martin Krake
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Titelbild-Draupadi | T.sujatha | CC BY-SA 3.0 |