Die Zeit heilt nicht alle Wunden
Es ging ein Aufschrei durch die österreichische Bevölkerung, als am 6. September 2023 das Urteil für Florian Teichtmeister, Besitzer von über 76.000 Medien mit kinderpornografischen Inhalten, 2 Jahre auf Bewährung lautete. Bei den Fotos und Filmen, für dessen Besitz der Schauspieler angeklagt worden war, handelt es sich um „einschlägige strafbare Dateien, die sich Teichtmeister von Februar 2008 bis Sommer 2021 im Internet besorgt habe, davon zeigen über die Hälfte Kinder unter 14 Jahren, die der Angeklagte nicht nur angesehen und abgespeichert hatte, sondern auch noch mit pädosadistischen Texten versehen, als Collagen zusammengestellt und dupliziert hatte.
„Ein guter Tag für die Justiz“
Mit diesen Worten kommentierte Florian Klenk, Chefredakteur der Wochenzeitung Falter, dieses Urteil. Dass das die Österreicher völlig anders sehen und hier, wie so oft, die Meinung derjenigen, die Meinung veröffentlichen diametral von der öffentlichen Meinung abweicht, zeigt die Frage, die Heute im Zusammenhang mit dem Urteil gestellt hat: „Hast Du Vertrauen in die Justiz?“ Diese wurde von über 140.000 Menschen online beantwortet. Über 1/3 der Menschen haben „Nein, gar nicht“ angeklickt, insgesamt geben 74% „eher nicht“ oder „gar nicht“ an und nur 10% der Antwortenden haben sich für „Ja, sehr“ entschieden.
Die Trauma Expertin
All diese Informationen, Aussprüche und Erkenntnisse arbeiteten in mir, als ich am Weg war, um meine Freundin Simone Eglau zu einem gemeinsamen Abendessen beim Italiener um die Ecke zu treffen. Simone ist Magistra der Psychologie mit Wahlfach Psychiatrie an der Universität Wien, Klinische und Gesundheitspsychologin, diplomierte ganzheitliche multimediale Kunsttherapeutin, Mentorin für Wertimagination und verfügt über eine Brainspotting-Trauma-Ausbildung. Die Methode des Brainspottings ermöglicht die Begleitung von traumatisierten Menschen, wobei das Herangehen in sehr behutsamen Schritten erfolgt, die immer gemeinsam mit dem Therapeuten abgeglichen werden, um die bestmögliche Begleitung des Patienten zu sichern.
Einen großen Teil ihrer beruflichen Arbeit, vor der ich den größten Respekt habe, leistet sie in einer ambulanten Rehaklinik im Bereich Psychiatrie und Onkologie sowie in privater Praxis.
Was auch immer Simone Eglau zum Wohl ihrer Patienten macht, es geht um Traumata als unverarbeitete Erlebnisinhalte, die durch die Überwältigung der Seele nicht integriert werden konnten und infolgedessen nicht „nur“ die Psyche belasten, sondern so massiv sind, dass die Symptome in schwerwiegenden Erkrankungen – sogar Krebs – münden können.
Wenn mir also jemand meine Fragen dazu, wie es diesen traumatisierten, gequälten und sexueller Gewalt ausgesetzten Kindern gehen muss, beantworten kann, dann sie. Die theoretischen Hintergründe zu kennen, wie ich sie im vorherigen Beitrag geschildert habe oder von tatsächlich passierten, anonymisierten Menschenschicksalen zu erfahren, sind zwei Paar Schuhe.
Die Folgen sexueller Gewalt
Simone schilderte mir, welchen seelischen Schaden die sexuelle Ausbeutung in den Mädchen und Buben auch noch Jahre oder Jahrzehnte nach dem Missbrauch anrichtet, die völlig entmenschlicht zu einem Objekt von körperlicher Begierde gemacht wurden. Sie waren teilweise noch zu jung, um überhaupt zu verstehen, was da mit ihnen passiert, aber sehr wohl wissend, dass sie das nicht möchten, dass ein stärkerer Erwachsener gegen ihren Willen mit ihrem Körper etwas anstellt, wogegen sie sich nicht wehren können und sie heftigen physischen Schmerzen aussetzt.
Trotzdem sind sie zu jung und zu unreif, um zu verstehen, dass sie keinerlei Schuld an der Situation haben. Im Gegenteil, sehr viele Opfer sehen sich als Verursacher und meinen, sie hätten den Täter durch ihr Verhalten herausgefordert oder sie hätten sich zu wenig gewehrt oder einen Zeitpunkt, an dem sie fliehen hätten können, übersehen.
Fight – Flight – Freeze
Die üblichen Reaktionen, die man in traumatischen Situationen erwartet sind Kampf, Flucht oder Erstarrung. Wovon ich vor unserem Gespräch noch nicht wusste, war der Bambi Effekt, der, so, wie ich es verstanden habe, nicht nur dem Täter in die Karten spielt, sondern bei den Opfern besonders große Selbstvorwürfe hinterlässt. Wird diese Reaktion beispielsweise bei einem sexuellen Übergriff ausgelöst, kooperiert das Opfer. Es orientiert sich an den Wünschen des Gegenübers und meint, dass der Preis für die Freundlichkeit oder Liebe des anderen eben ist, in Situationen gegen den eigenen Willen mitmachen zu müssen, auch wenn dabei massive rote Linien überschritten werden. Die Vorhaltungen und Schuldzuschreibungen sich selbst gegenüber können umso intensiver ausfallen.
Nachdem Fawning (fawn, engl. Kitz) eine Reaktion ist, die zwar sicher nicht selten ist, allerdings erst vor kurzem von der Fachwelt erkannt wurde, weiß man noch nicht so viel darüber, wie über andere Reaktionen. Es ist allerdings nicht unwahrscheinlich, dass sich die Grundlagen entsprechenden Verhaltens davor bilden und erst in einer Traumasituation hervortreten, denn ein Trauma wird ja nicht nur entwickelt, wenn die körperliche Versehrtheit bedroht ist, sondern wenn sich das Kind oder Lebewesen einer bedrohlichen, ausweglosen Situation gegenüber stehen sieht egal in welchem Alter. So kann man davon ausgehen, dass man z. B. den Fawn response eher entwickelt, wenn man in der Kindheit unsichere Bindung erlebt hat oder wenn man einen solchen unsicheren Elternteil als Vorbild hatte, beispielsweise eine Mutter, die sich erniedrigen ließ und sich gegen die Demütigungen durch den Vater nicht zur Wehr setzte.
Dissoziative Amnesie
Nach einer posttraumatischen Belastungsstörung kann es passieren, dass das Opfer alles, was sich zugetragen hat, vergisst. Ich stelle es mir etwa als ein Vergessen vor, um weiterleben zu können. Die Erinnerung wurde zwar verdrängt, allerdings wirken sich die Folgen von sexueller Gewalt trotzdem auf das Verhalten des Opfers aus. Es reagiert also so, wie es nach einem Übergriff zu erwarten ist, kennt aber die Ursache seiner Reaktionen nicht.
Eine Therapie, die möglicherweise ursprünglich auf eine andere Ursache abgezielt hat, könnte also beim einen oder anderen Opfer dazu führen, Erinnerungen freizusetzen, die vergessen wurden, was einerseits neuerlich seelische Schmerzen auslöst, andererseits ein erster Schritt ist, um einen echten Heilungsprozess in Gang setzen zu können, um sich vom Verhalten, das auf den Reaktionen der Erfahrungen beruht, zu befreien.
„Kinder können mit pädophilen Übergriffen gut umgehen“
postulierte Gerichtspsychiater Hofmann auf einem Symposium zu sexueller Gewalt, auf dem er laut OTS wortwörtlich sagte: „Die Hälfte der betroffenen Kinder kann mit pädophilen Übergriffen gut umgehen. Sie ordnen sie in ihre Biographie ein und bekommen keine posttraumatische Belastungsstörung.“
Wirklich? Nun ist Herr Hofmann Gerichtspsychiater und sollte natürlich bessere Quellen heranziehen können als ich bei der Beitragsrecherche. Meine Nachforschungen zu dem Thema zeigen allerdings auf, wie tausende psychologisch Tätige die Folgen physischen und psychischen Missbrauchs sehen, untersucht haben und zur Erkenntnis gekommen sind, wie massiv diese Übergriffe sich einprägen, wie sehr die Opfer leiden und dass die seelischen Belastungen zu sekundären Folgen bis hin zu körperlichen Erkrankungen wie eben Krebs führen können, von den seelischen ganz zu schweigen. Somit ist es mir völlig unerklärlich, wie es zu solch einem Ausspruch kommen kann. Natürlich muss man Aussagen immer in einem entsprechenden Zusammenhang sehen, jedoch kann ich in dem Kontext, wie er in der verlinkten Presseaussendung dargestellt wird, keine Hintergründe erkennen, die solch eine Behauptung relativieren könnten.
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PNG – 021-DE-IPHP | Wolfgang Müller | CC BY-SA 4.0 | |
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