Die Utopie einer chancengleichen Gesellschaft
Veranstaltungsdaten
- Datum
- 17. 3. 2016
- Veranstalter
- Klagsverband
- Ort
- VinziRast Mittendrin
- Veranstaltungsart
- Podiumsdiskussion
Volker Frey, Generalsekretär des Klagsverbandes, erklärt, daß der Verein Menschen rechtlich bei Klagen aus Diskriminierungsgründen (Rasse, Religion, Behinderung) unterstützt. In zwölf Jahren habe es etwa fünfzig Verfahren gegeben, die überwiegend gewonnen wurden. Da es ohne Personen, die Anklage erheben, keine Veränderungen/Verbesserungen in diesem Bereich gibt, sind sie immer auf der Suche nach selbigen. Am Besten in Bereichen, wo es Diskriminierung gibt, aber bisher keine Verfahren angestrengt wurden. Bisher handelt es sich meist um Individualklagen, Verbandsklagen wären aber erwünscht, weil effektiver.
Österreich wurde von der EU zwei mal verurteilt, bis es endlich die EU-Anti-Diskriminierungs-Richtlinie umsetzte – und das nur in der Minimalversion.
Klagen auf Grund von Diskriminierung sind nur auf Schadenersatz möglich, nicht aber auf Behebung (zB Barrierefreiheit für Behinderte). Ob man seine Rechte einklagt ist meist eine Frage der sozialen Schicht – die Mittelschicht klagt am häufigsten, obwohl sicher die unteren Schichten am meisten von Diskriminierung betroffen sind. Gründe sind unter anderem fehlende Informationen und wirtschaftliche Ressourcen. Die erste Muslima, die wegen des Kopftuchs am Arbeitsplatz geklagt hatte, war eine Ärztin.
Die in Österreich angedachten Kürzungen im Sozialbereich für Drittstaatsangehörige (Mindestsicherung für Flüchtlinge kürzen) hält er für rechtswidrig.
Karin Heitzmann sieht aus der Sicht des Mainstreams Wirtschaftswissenschaften die Ungleichheit als Anreiz für Veränderungen. Sie unterscheidet zwischen Chancen- und Ergebnisgleichheit bzw -gerechtigkeit: während wir heute fast ausschließlich auf erstere schauen (zB alle haben die gleichen Bücher in der Schule), sollte die Gesellschaft als Ziel lieber Ergebnisgerechtigkeit (zB ähnliche Ausbildungsergebnisse) anstreben – und hier auch zu Gunsten der weniger Leistungsfähigen ungerecht intervenieren. Man sollte politischen Raum schaffen und eine öffentliche Diskussion darüber führen, was die Gesellschaft als gerecht empfindet. Um dieses Gerechtigkeitsbild dann zu erreichen, muß massiv ungleich interveniert werden. Es sollten zB die besten Schulen und die besten Lehrer dort arbeiten, wo die schwächsten Schüler zu betreuen sind. Die Chancengleichheit, mit der sich die Ökonomie begnügt, ist nicht genug.
Andrea Härle vom Romano Centro (ein Verein, der Mitglied des Klagsverbands ist) sieht in den Bildungsprogrammen den Schwerpunkt der Tätigkeit ihres Vereines. Viele der Roma, die als Migranten (vor allem aus Serbien und Rumänien) nach Österreich gekommen sind, haben nur eine geringe Schulausbildung. Dieser Zustand habe sich seit der Wende sogar noch dramatisch verschlechert. Vier Mitarbeiterinnen kümmern sich als Schulmediatorinnen vor allem um das Verhältnis zwischen Eltern und Schule. Eltern von Romakindern bleiben Elternabenden und sonstigen Kontakten zur Schule oft fern, weil sie Angst haben, als „dumm“ entlarvt zu werden. Aus Härles Erfahrung berichten zwar viele Roma über Diskriminierung, gehen aber nur äußerst selten den Klagsweg. Selbst das Zugeben beziehungsweise sich selbst eingestehen, daß man diskriminiert wird, ist selten und schwierig, da sich die betroffenen Menschen oft dafür schämen.
August Gächter vom Zentrum für soziale Innovation meint, daß Ungleichbehandlung vor allem auf Grund von Inkompetenz der handelnden Personen stattfindet, sei es in den Ausbildungsstätten oder auch beim AMS. Der Arbeitssuchende, der eigentlich das Opfer des Wirtschaftssystems, welches nicht genügend Arbeitsplätze (Menschenrecht auf Arbeit) zur Verfügung stellt, ist, wird als Schuldiger benannt.
Laut dem Eurobarometer, das jährlich Diskriminierung mißt, war Österreich mehrfach unter den beiden Ländern mit der höchsten Diskriminierungsrate. Wenn es jedoch darum geht, wie gut Opfer über ihre Rechte Bescheid wissen, rangierten wir an letzter Stelle. Wichtig ist es also, die Wissensbasis zu verbreitern und an der Professionalität von Beratern, Lehrern etc zu arbeiten.
In den USA gab es eine Untersuchung in Spitälern, daß es auf Grund von Klagen gegen Diskriminierung nur zu wenigen Veränderungen im Spital selbst kam. Die Veränderungen im Umfeld des Spitals (vor allem im Einzugsfeld des den Fall bearbeitenden Gerichts) waren aber signifikant meßbar. Bei Ford England kam es zu mehreren Meldungen von harassment, doch erst, als die Firmenleitung einen Einbruch bei den Absatzzahlen merkte, schritt sie ein und stellte einen ehemaligen Gewerkschafter an, der die Vorwürfe aufarbeitete und mit den betroffenen Abteilungen fünf Jahre lang arbeitete.
Vorbeugende Arbeit gegen Diskriminierung sehen alle Diskussionsteilnehmer als wichtig an. Die Frage ist: wo man damit anfängt. Und wie man vorgeht: Reform oder Revolution des jeweils betroffenen Systems ?
Credits
Image | Title | Autor | License |
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Equal_Rights_Now_National_Equality_March_Washington_DC_2009_4006527887 | Tony Webster | CC BY-SA 4.0 | |
grafik-chris02 | Patryk Kopaczynski | CC BY-ND 4.0 |