Die Politik des palästinensischen Essens
Würdet ihr mir zustimmen, wenn ich sage, dass das Essen dazu beiträgt, uns zu Menschen zu machen? Ich glaube, dass das Ritual, gemeinsam zu essen und die Lebensmittel zu teilen, die Menschen verbindet. In unserer globalisierten Welt haben die Küchen alle zusammen eine wichtige Rolle, um Menschen aus verschiedenen Teilen der Welt einander näher zu bringen. Wenn Geschmäcker, die bisher nur in einem Land oder gar in einer einzigen Region genossen wurden, durch Menschen von verschiedenen Teilen des Planeten geteilt und möglicherweise neu definiert werden, dann hat dies eine verbindende Wirkung.
Gerichte entwickeln sich, während sie über den Planeten reisen; entweder durch die Verbindung mit neuen Technologien oder als das Ergebnis einer Anpassung durch verschiedene Kulturen mit unterschiedlichen geschmacklichen Vorlieben.
Meine erste Begegnung mit der palästinensischen Küche umfasste Khubz, Hummus, Labaneh, Ackawi-Käse, Salat, Dosenfleisch und Tee. Khubz ist das Alltagsbrot und wird normalerweise mit verschiedenen Dips gegessen. Hummus ist eine Beilage, die normalerweise aus gekochten Bohnen, manchmal gemischt mit Sesam, hergestellt wird. Labaneh ist ein dicker, cremiger Aufstrich aus Joghurt. Obwohl ich etwas anderes erwartet hatte, probierte ich von allem, weil ich neugierig auf das palästinensische Essen war. Ursprünglich war ich davon ausgegangen, dass wir in unserer Unterkunft das allgemein bekannte Essen bekommen würden, doch nach und nach wurde mir klar, dass diese Erwartung unbegründet war.
Das in unserer Unterkunft servierte Essen wurde bald etwas monoton, doch ich wollte so viel wie möglich erkunden. Meine Liebe zum Essen führte oft zu interessanten Diskussionen mit Palästinensern, denn wann immer ich die Gelegenheit bekam, ein neues palästinensisches Gericht in einem Restaurant oder an einem Verkaufsstand an der Straße zu probieren, fragte ich nach den Zutaten, der Zubereitung und anderen Details.
Die Gelegenheiten, die ganze Vielfalt der palästinensischen Gerichte zu probieren, waren knapp angesichts des straffen Zeitplans, den wir zu befolgen hatten. Dennoch taten die Organisatoren ihr Bestes, um uns zumindest die wichtigsten und bekanntesten Gerichte vorzustellen. Wir besuchten auch die alte palästinensische Stadt Nablus. Sie gilt als der Ort, in dem Kunafah erfunden wurde: Diese Stadt ist der bekannteste und älteste Herstellungsort dieses Topfengebäcks, das mit einem süßen Zuckersirup getränkt wird.
Aufgrund der knappen Zeit und der beträchtlichen Größe unserer Delegation (rund 130 Teilnehmer) wurden wir bei unseren Ausflügen normalerweise mit abgepacktem Proviant versorgt. Doch wann immer es möglich war, nahmen wir uns die Zeit, um in einem der Restaurants oder an einem Straßenstand palästinensische Spezialitäten wie Mansaf (ein bekanntes levantinisches Gericht), Shorbat Adas (eine Linsensuppe), Maklouba, Kababs, Baklava und anderes zu probieren.
Beim israelisch-palästinensischen Konflikt geht es viel um Identität. Essen ist auf der ganzen Welt oft ein Teil oder ein Zeichen von Identität, und im israelisch-palästinensischen Konflikt ist das sehr offensichtlich, denn hier wurde das Essen stark durch die Identitätspolitik vereinnahmt. Man kann sicherlich sagen, dass das Essen begonnen hat, eine wichtige Rolle für die Palästinenser zu spielen, deren nationale Identität ständig untergraben wird, um ihnen das Nichtvorhandensein eines eigenen Staates zu bestätigen.
Vorwürfe kultureller Aneignung sind in der Rhetorik der Palästinenser gegenüber der israelischen Besatzung reichlich vorhanden. Und das Essen ist ein wichtiger Teil dieses umfassenden Bereiches der kulturellen Vereinnahmung. Mir wurde klar, dass es eine Auseinandersetzung über den „Besitz“ vieler Gerichte gibt, die sowohl unter Palästinensern als auch unter Israelis populär sind und von beiden Gesellschaften als traditionell angesehen werden. Auf dieser Liste der umstrittenen Gerichte stehen auch Hummus und Falafel. Um ehrlich zu sein, lernte ich Hummus in Indien als eine israelische Beilage kennen. Doch mein Besuch in Palästina machte mir klar, dass über den „Besitz“ des Hummus eine äußerst intensive Debatte geführt wird, denn sowohl Palästinenser als auch Israelis beanspruchen Erfindung und Besitz des Hummus für sich. Außerhalb der Region ist es als israelisches Gericht bekannt, doch im Nahen Osten wird es als arabisch angesehen. Dasselbe gilt für Falafel.
Ein palästinensischer Restaurantbesitzer sagte uns, dass die Palästinenser, die darum kämpfen, ihre eigenständige Identität und Geschichte mit allen Mitteln zu bestätigen, ihre Gerichte sehr gerne mit der ganzen Welt teilen würden. Doch nach seiner Aussage ist das, was tatsächlich geschieht, für eine um ihr Existenzrecht kämpfende Nation wie Palästina ausgesprochen kontraproduktiv und abträglich: Die Israelis verbreiten nämlich die Idee, dass diese Gerichte ihnen gehören, und machen deren Ursprung dadurch unklar. Eine solche Aneignung von Gerichten kann als Teil des größeren Prozesses einer „Entpalästinensierung“ beobachtet werden.
Diese Gerichte sind zwar sehr nah am traditionellen palästinensischen Essen, jedoch nicht an dem, was zu Hause als traditionelle Küche gepflegt wird. Noch viel stärker wird dieses Phänomen durch jene Palästinenser gepflegt, die in Israel Seite an Seite mit Juden leben. Der Prozess, das kulinarische Wissen zu erhalten und seine Verbreitung in das jüdische kulinarische Repertoire zu verhindern, beginnt in den Küchen der palästinensischen Haushalte.
Es war sehr überraschend für mich zu sehen, wie jeder einzelne Aspekt des Alltagslebens zu einem Teil des Kampfes um die kulturelle Identität wird. Die Wichtigkeit, die der Vermischung von Essen und Politik in dieser Region entgegengebracht wird, unterstreicht die Intimität des palästinensischen Kampfes.
Übersetzung Englisch-Deutsch: Martin Krake