„Die Mikrofinanz ist erwachsener geworden.“
Mikrokredite sind Kleinkredite, die an Menschen in Entwicklungsländern vergeben werden, um ihnen die Gründung eines kleinen Unternehmens zu ermöglichen. Was vor einigen Jahren als interessantes Mittel gegen die Armut in Entwicklungsländern galt (wie im ersten Teil dieser Serie berichtet: Mikrokredite: Kann Armut durch Unternehmertum überwunden werden?), zog bald darauf scharfe Kritik nach sich – Teil 2 (Mikrokredite: Ein völlig falscher Weg?) ging ausführlich darauf ein.
Die Idee der Mikrokredite ging von Anfang an davon aus, dass die Kreditnehmerinnen (wie bereits erwähnt handelt es sich zum allergrößten Teil um Frauen) vor der Kreditvergabe ausführlich beraten und danach langfristig betreut werden. Dennoch sei es zu zahlreichen eklatanten Fehlentwicklungen, vor allem einer massiven Überschuldung der Kundinnen, gekommen, berichten Kritiker.
Ist das Mikrokredit-Konzept also insgesamt untauglich, oder kann es mit einigen Nachbesserungen – wie mehr Beratung für die Kreditnehmerinnen und mehr begleitenden Maßnahmen – doch einen wesentlichen Beitrag zur Minderung der Armut in Entwicklungsländern leisten? Immerhin darf man nicht vergessen, dass ein Großteil der kritischen Äußerungen, die in Teil 2 erwähnt wurden, aus den Jahren 2009 bis 2012 stammt und seitdem viel Zeit zur Korrektur des Konzeptes war.
Helmut Berg, Österreich-Repräsentant von Oikocredit, nahm in einem persönlichen Gespräch mit Idealism Prevails dazu Stellung. Oikocredit wurde 1975 gegründet und ist in rund 60 Ländern aktiv, vor allem in Südasien, Südamerika und Afrika, aber auch in Südosteuropa. Oikocredit vergibt die Kredite allerdings nicht direkt, sondern arbeitet mit vor Ort ansässigen Partnerbanken zusammen.
Helmut Berg nimmt die Kritik am Mikrokredit-Konzept durchaus ernst, bezeichnet sie allerdings als „teilweise ideologisch geprägt“, weil da oft von einer „Übertragung des kapitalistischen Systems auf die armen Länder“ die Rede sei.
Den Leuten in den Entwicklungsländern geht es auf die Nerven, wenn irgendwelche Europäer kommen und sagen: ‚Wir wissen, was gut für euch ist.‘ Dabei wissen die selber sehr gut, was für sie funktioniert und was nicht,
entgegnet er. Das Mikrokredit-Konzept sei auf keinen Fall für alle Menschen in Entwicklungsländern geeignet, meint Berg, dennoch funktioniere es für viele durchaus.
Berg sieht den Schlüssel für eine erfolgreiche Anwendung des Konzepts in einer sorgfältigen Auswahl und ständigen Kontrolle der kreditvergebenden Partnerinstitute. Oikocredit habe die Maßgabe, Kredite nur dann zu vergeben, wenn ihr Nutzen wahrscheinlich und die Kreditvergabe sozial verträglich sei. Die Organisation prüfe laufend nach einem detaillierten Kriterienkatalog, ob diese Vorgaben eingehalten werden, die auch Details wie die Ausbildung der „Loan Officers“ beinhalten.
Diese „Loan Officers“ sind als eine Art Kundenberater die Schnittstelle zwischen Banken und Kreditnehmerinnen. Ihre Aufgabe sei es aber nicht nur, den Kredit zu vermitteln, sondern die Interessenten auch umfassend zu beraten und zu schulen – und auch mal nein zu sagen: „Wenn eine Frau eine Nähstube eröffnen möchte, es aber im Dorf schon vier Nähstuben gibt und der Markt für eine fünfte nicht groß genug ist, dann wird der Loan Officer ihr das ausreden“, so Berg. „Die Loan Officers fragen auch nach der Kreditvergabe regelmäßig bei den Kundinnen nach, wie es bei ihnen läuft. Diese soziale Kompetenz der Mikrofinanz ist das Wichtigste, und das vernachlässigen viele Institute.“
Oikocredit gibt eine enorm hohe Rückzahlungsquote von 99% an, das heißt, dass nur etwa ein Prozent der Kredite als uneinbringlich abgeschrieben werden müssten – von anderen Mikrofinanzinstituten werden ähnlich hohe Zahlen genannt. Kritiker des Konzepts behaupten, dass diese Rückzahlungsquoten überwiegend durch Kreditkumulationen zu Stande kämen: Sehr viele Kreditnehmerinnen würden einen neuen Kredit aufnehmen, um den alten zurückzuzahlen, und so in eine Schuldenspirale geraten.
Helmut Berg gesteht ein, dass es dieses „Microfinance Shopping“ durchaus gebe, hält das behauptete Ausmaß aber für übertrieben. Allerdings sei es den kreditvergebenden Instituten tatsächlich nicht möglich, zu überprüfen, ob ihre Kundin bereits andere Kredite am Laufen habe, denn eine für alle Banken einsehbare Kreditauskunft wie etwa die deutsche Schufa gebe es in den betreffenden Ländern nicht. „Man kann aber diese Menschen auch nicht ganz aus ihrer Eigenverantwortung entlassen. Das sind Leute, die selber wissen müssen, was sie in ihrem Leben tun.“
„Die ganzen Negativbeispiele haben ja nur gezeigt, wohin Mikrofinanz führt, wenn die sozialen Kriterien nicht beachtet werden“, so Berg. Er sieht einen ganz wesentlichen Grund für die Fehlentwicklungen in der globalen Finanzkrise der Jahre 2008/2009: In deren Folge hätten Investoren nach neuen Nischen gesucht, um ihr Kapital gewinnbringend zu investieren. Gerade in Indien hätten damals ganz normale Banken festgestellt, dass Mikrofinanz durchaus ein Geschäft sein kann, außerdem seien enorm viele Mikrofinanzinstitute neu gegründet worden.
Infolge dieser Fehlentwicklung habe es in Indien und Bangladesch auch gesetzliche Regulationen für Mikrofinanzbanken gegeben, die die Auswüchse wie Überschuldung und gewaltsame Geldeintreibung wirkungsvoll eingedämmt hätten. „Die Mikrofinanz ist erwachsener geworden“, sagt Berg, denn auch die Banken hätten bemerkt, dass es mit der Geldvergabe alleine nicht getan sei.
Oikocredit überprüfe den sozialen Nutzen mithilfe des PPI („Progress out of Poverty Index“), der Auskunft darüber gebe, wie es der Familie der Kreditnehmerin nach einem oder zwei Jahren geht. „Da wird nachgefragt, was sich konkret verändert hat: Geht jetzt schon ein Kind von euch in die Schule? Habt ihr schon Wasser in der Hütte, oder müsst ihr das noch immer vom Brunnen holen?“ Nach Aussage von Oikocredit schafft ein großer Teil der Kreditnehmerinnen bzw. deren Familien nach diesem Maßstab eine signifikante Verbesserung ihrer Lebenssituation.
Ein weiterer Hauptkritikpunkte sind die Zinsen, die nach Ansicht der Kritiker übermäßig hoch seien. Helmut Berg meint, dass man das relativieren müsse:
Die Kredite werden ja in der jeweiligen Landeswährung ausgezahlt, und viele dieser Währungen haben hohe Inflationsraten, die durch die Zinsen natürlich kompensiert werden müssen. In Ghana etwa bezahlt selbst eine Person mit allerbester Bonität – beispielsweise ein Hotelbesitzer – um die 20 Prozent Zinsen. Und warum? Weil da die Inflation um die 15 Prozent beträgt.
Er sieht die soziale Mikrofinanz als alternativlos an: „Was wäre denn, wenn es das nicht gäbe? Die Menschen würden durchaus Geld bekommen, aber eben von informellen Geldverleihern zu Wucherzinsen.“
Dass Mikrokredite kein Wundermittel gegen Armut in Entwicklungsländern sind, steht außer Frage, ebenso wie die Tatsache, dass es mit der reinen Geldvergabe nicht getan ist. Mit begleitenden sozialen Maßnahmen kann das Konzept aber für eine große Zahl von Menschen in Entwicklungsländern offenbar durchaus eine signifikante Verbesserung bringen.
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