Die Illusion, die Realitätsverschiebung, die Lektionen.
Zunächst: Es ist lehrreich, einer völlig neuen Kultur zu begegnen und auch in einer völlig neuen Kultur zu leben – und das auf der anderen Seite des Planeten.
Nachdem ich mit einem großen Hunger danach, Gutes zu tun, nach Mosambik gereist war, zunächst zum Wohle anderer Menschen und am Ende auch für mich selbst, konnte ich es kaum erwarten, mit meiner Arbeit zu beginnen. Einige der Fehler, die ich begangen habe, als ich in diesem Strudel von Gefühlen gefangen war, waren: zu versuchen, „ihre Zeit“ zu überstürzen, zu glauben, dass ich Lösungen hatte, und zu wenig zu beobachten.
Ich wusste nicht, dass der Prozess, dem ich zum Opfer fiel, auch einen Namen hatte, bis zu dem Zeitpunkt, als ich dieses Thema an der Uni studierte – Ethnozentrismus: „Bewertung anderer Kulturen nach Vorurteilen, die ihren Ursprung in den Normen und Bräuchen der eigenen Kultur haben.“ Ich glaubte doch tatsächlich, fähig zu sein und zu erkennen, dass ich mich in einer anderen Welt befand. Ich habe da ein bisschen zu viel geglaubt …
In der Folge hat sich mein Glaube auf alle oben genannten Aspekte ausgewirkt; das sind die schönen Lektionen, die das Leben dir durch deine Fehler schenkt.
Ich erwähnte schon mal den Versuch, „ihre Zeit“ zu überstürzen. Ich wollte damit sagen, dass ich fast verzweifelt versucht habe, das, was wir als das Konzept des Zeitmanagements kennen, umzusetzen. Ich optimierte meinen Tagesablauf so, dass ich jede Menge Aktivitäten einbauen konnte, und versuchte, meine mosambikanischen Kollegen dazu zu bewegen, meinem Beispiel zu folgen. Ohne Erfolg. Ich war enttäuscht, fühlte mich nutzlos und so, als würde ich viel Zeit vergeuden.
Wir sagen oft: „Ich habe keine Zeit,“ oder: „Ich werde mir dafür die Zeit nehmen!“ Ich erkannte, dass ich mich selbst so sehr betrogen hatte, dass ich nur noch lachen konnte. Ich habe dafür keine Zeit – für wen halte ich mich? Ich versuchte, die Zeit im Verhältnis zu den Menschen um mich herum zu beeinflussen. Ich lernte, dass meine Kollegen keine so starke oder persönliche Verbindung zur Zeit hatten. Sie lebten für den Tag, ignorierten die Zeit, lebten im Jetzt – mehr als ich es je zuvor gesehen hatte! Wir mussten Aufgaben mehrmals wiederholen, nur weil wir einen Bus verpassten, jemand zu spät kam (und einer war immer zu spät dran … zehn Minuten oder ein paar Stunden) oder der Arbeitstag einfach zu Ende ging.
Ich glaube, es gibt keine gute Anleitung dafür, wie man mit der Zeit umzugehen hat. Ich kann keine Worte dafür finden, wie dankbar ich bin, dass ich da sein konnte, um zu beobachten und zu lernen, eine weitere kleine Mauer in meinem Kopf niederzureißen, meinen Horizont zu erweitern und diese „Zeitverschwendung“ zu genießen.
In die gleiche Richtung geht die Lektion, nur mich selbst als Lösungsfinder zu sehen und nur wenige Beobachtungen anzustellen. Doch beides ist miteinander verbunden und befruchtet sich ständig gegenseitig. Ich dachte, ich hätte die Lösungen parat, weil ich nichts von dem wusste, was mich umgab.
Ich stellte mich selbst und meine Erfahrungen in den Mittelpunkt dieser neuen Welt, und so verlor ich den Überblick über das, was um mich herum geschah.
Angefangen bei der Art, wie sie Gemüse schneiden, über die Körpersprache, die man zeigt, wenn man auf der Straße geht, bis hin zum Feilschen um Gemüse auf dem Markt, vertrat ich meinen Standpunkt und schuf so neue Strukturen für das Projekt über die Art und Weise, wie ich die Menschen auf der Straße betrachtete. Alles war anders! Es mag übertrieben klingen, aber so war es, wie ich mich gefühlt habe und so ist es, woran ich jetzt glaube. Wenn man etwas verstehen will, vor allem eine Region in einem Land, das so weit von dem entfernt ist, was man sein ganzes Leben lang kannte, muss man ein Schüler sein: ein Schüler mitten im Leben.
Ich entdeckte so viel Faszination an diesem Prozess des Lernens, wie man auf eine andere Art und Weise leben kann. Ich fühlte mich extrem in meinen eigenen Praktiken festgefahren und so, als ob nicht damit aufhören konnte, mit Mühe die Bedeutungen von Gefühlen anderer zu ändern, Nuancen hinzuzufügen und zu löschen, die ich noch nie zuvor erlebt hatte!
Als ich in Mosambik ankam, entdeckte ich eine neue Welt. Ich entdeckte auch eine neue Welt in mir selbst. Ich bin auf die Tatsache gestoßen, dass ich für alles eine ungewohnte Essenz erfinden kann.
Übersetzung Englisch-Deutsch: Anna Dichen