Die geteilte Stadt: Hebron
Heute war Hebron dran, eine große Stadt im Westjordanland mit historischen und religiösen Stätten, mit lebhaften Märkten, Fabriken und vielem mehr. Ich war ziemlich aufgeregt und fragte mich: „Wird ein einziger Tag dafür ausreichen?“ Da wir mit so vielen Leuten unterwegs waren, dauerte es immer ziemlich lang, sich zu koordinieren und zu sammeln, wenn wir einen Ort besuchten. Ich wollte aber nicht, dass der Besuch verkürzt würde.
Endlich bestiegen wir den Bus, um in die größte Stadt des Westjordanlandes zu fahren. Ich erwähnte schon, dass ich sehr aufgeregt war, Hebron zu besuchen. Und es gab gute Gründe dafür: Mir wurde erzählt, dass Hebron sich von allen anderen Städten des Westjordanlandes unterscheide, weil die arabischen Bewohner dieser Stadt dem israelischen Militär und der unberechenbaren Militärverwaltung an jedem einzelnen Tag begegnen. Das kann zwar auch an allen anderen Orten des Westjordanlandes jederzeit geschehen, doch in Hebron hat die palästinensische Autonomiebehörde keine der Rechte, die ihr als Übergangsregierung durch das Oslo-Abkommen eingeräumt wurden. Im gesamten Regierungsbezirk Hebron hat die Autonomiebehörde – anders als im übrigen Westjordanland – keinerlei Regierungsgewalt, ihr wird auch der Zutritt in die Stadt Hebron verweigert.
Ich hörte unserem Mitorganisator zu und war völlig von dem Versuch eingenommen, die komplexe Situation in Hebron zu verstehen, als er plötzlich verstummte und hinausschaute. Wir waren an einem Checkpoint. Die Atmosphäre wurde düster; ich beobachtete den Ausdruck jedes Einzelnen im Bus, und besonders die Palästinenser wurden sehr ernst.
Auch Nichtpalästinenser werden, wenn sie einen israelischen Checkpoint überqueren, üblicherweise nervös und ängstlich wegen der unerfreulichen Geschichten schwerer Menschenrechtsverletzungen, die sich an solchen Orten ereignet haben. Auch ich fühlte mich nervös und ängstlich. Doch tief in mir war mir klar, dass ich nicht so verwundbar bin wie die Palästinenser. Ich bin vielleicht nicht völlig sicher in diesem Teil des Landes, und doch bin ich sicherer als sie, denn ich bin keine Palästinenserin, nicht einmal Araberin.
Es klingt vielleicht absurd, warum all dies einem unschuldigen Palästinenser geschehen kann, wenn er einen Checkpoint überquert. Doch das ist die Ironie ihrer Situation.
Die üblichen Kontrollen wurden erledigt, und wir konnten weiterfahren. Ich glaube, alle im Bus waren erleichtert. Die ernsten Gesichter der meisten wichen einem Lächeln, nach und nach kehrte die lockere Stimmung zurück.
Auf unserem Weg in die Stadt besuchten wir zuerst eine Glasbläserei, eine der ältesten Glas- und Keramikmanufakturen. Hebron ist in der Region sehr bekannt für seinen Kalkstein, die Glasbläsereien und die Töpferwerkstätten.
Wir sahen zu, wie Glaswaren hergestellt wurden. Ich sah diesen Vorgang zum ersten Mal und war wirklich beeindruckt. Nach einem kurzen Rundgang durch die Fabrik waren alle damit beschäftigt, schöne Glaswaren und Souvenirs aus Keramik zu kaufen.
Nach einer Weile bestiegen wir wieder den Bus und fuhren weiter in die Stadt hinein.
Der Platz, an dem unsere Busse hielten und an dem wir uns vor unserem Stadtrundgang versammelten, war direkt neben einer der Sperren, die die Sektoren H1 und H2 voneinander trennten. Wir sahen israelische Soldaten, die Wache standen.
Wir begannen unseren Stadtrundgang im Sektor H1 und gingen durch schmale Straßen mit Läden auf beiden Seiten, durch kleine Märkte und Wohngegenden. Wir trafen eine Schar Kinder, die sehr aufgeregt waren, uns zu begegnen und von uns fotografiert werden wollten. Sie wirkten fröhlich und verspielt.
Ich bemerkte, dass es einen Unterschied gab zwischen den Kindern in einer palästinensischen Stadt und jenen, die in einem Flüchtlingslager lebten. Die im Lager weigerten sich entschieden, fotografiert zu werden und wirkten sehr ernst. Das Leben in den Flüchtlingslagern ist offenbar härter und belastender, und vielleicht nimmt das dem Leben der Kinder die Unschuld und Verspieltheit.
Wir wurden dann zu einer bestimmten Straße geführt und erfuhren, dass wir die Abrahammoschee besuchen würden. Ich hatte schon zuvor gehört, dass diese Moschee 1994 zum Schauplatz eines Massakers wurde, als der israelische Arzt Baruch Goldstein das Feuer auf betende Muslime eröffnete. Doch war ich nicht vertraut mit den vielen anderen Aspekten dieser religiösen Stätte.
Für die Muslime ist sie eine der vier heiligsten Städte und für die Juden die zweitheiligste nach Jerusalem. Die traditionellen Begräbnisstätten der biblischen Erzväter und Erzmütter befinden sich in Hebron in der Höhle der Patriarchen, einer Anlage mit verschiedenen unterirdischen Kammern.
Wir warteten außerhalb der Abrahammoschee, weil wir noch nicht hineingehen durften. Das Gebäude war vollständig von israelischen Soldaten umstellt, die den Zugang zur Moschee kontrollieren.
Schließlich waren wir an der Reihe und durften die Moschee betreten. Doch wir wurden weder kontrolliert noch befragt oder sonstwie aufgehalten. Unsere Erfahrung war völlig konträr zu dem, was wir von unseren palästinensischen Freunden gehört hatten. Wenn man nicht groß darüber nachdenkt, hat man den Eindruck, dass die Geschichten über diese Vorfälle von den Palästinensern aufgebauscht und übertrieben dargestellt werden.
Endlich betraten wir die Moschee. Einige begannen zu beten, andere waren damit beschäftigt, Fotos zu machen. Der Komplex ist heute in zwei Abschnitte unterteilt: Die Isaac-Halle dient jetzt als die eigentliche Abrahammoschee. Der arabische Name des gesamten Komplexes repräsentiert die Berühmtheit Abrahams, der von den Muslimen als Prophet und Patriarch verehrt wird. Die angrenzende Abraham-und-Jacob-Halle dient andererseits als Synagoge. Wir konnten nur die Isaac-Halle besuchen.
In der Höhle befinden sich die drei Doppelgräber von Abraham und Sarah, Isaac und Rebecca sowie Jacob und Leah, die als die Erzväter und Erzmütter des jüdischen Volkes angesehen werden. Nur das Grab der Erzmutter Rachel fehlt hier, sie soll im Rachel-Grab bei Bethlehem bestattet sein.
Das Interessanteste für mich war die Art, wie Muslime und Juden unter demselben Dach beten, nur durch eine Mauer getrennt, und dennoch nicht bereit sind, sich gegenseitig zu akzeptieren. Ich war naiv zu glauben, dass Menschen für und wegen der Religion kämpfen. Doch das kann nicht sein, denn sie verehren dieselben Propheten unter demselben Dach, und doch verweigern sie einander die Anerkennung. Die Leute kämpfen aus anderen Gründen und benutzen die Religion als Sündenbock. Meine Meinungen mögen naiv klingen. Ja, meine Meinungen mögen naiv sein, weil ich noch immer versuche, das zu verstehen.
Übersetzung Englisch-Deutsch: Martin Krake
Professor Israel Shahak, einst Vorsitzender der Internationalen Liga für Menschenrechte in Israel:
“Ich beginne immer mit einer jüdischen Kritik des Zionismus, bevor ich zu dem Schaden komme, den er gegenüber den Palästinensern anrichtet.
Der Zionismus hätte auch dann kritisiert werden müssen, wenn ein jüdischer Staat auf einer verlassenen Insel gegründet worden wäre, ohne jemanden zu verletzen.
Der Grund dafür ist, daß ein Staat, der auf der Idee der Reinheit der Religion, der Rasse, der Nationalität beruht, kritisiert werden sollte. Das Ziel des Zionismus ist, wie die Zionisten selber sagen, einen reinen jüdischen Stat zu gründen.”
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