Die erfolgreichsten Methoden, um Kindern das Lernen zu vermiesen
Es gibt keine dummen Kinder und es gibt auch keine faulen Kinder. Das ist meine auf sehr viel Erfahrung gestützte Meinung, zumindest wenn es um Kinder geht, die keine nennenswerten kognitiven Beeinträchtigungen haben. Die vermeintliche Faulheit ist lediglich ein Symptom dafür, dass die Art und Weise wie einem Kind etwas erklärt oder beigebracht wurde, nicht zu der Denkweise des Kindes passt und das Kind infolgedessen mit Widerstand reagiert und die Arbeit verweigert. Passiert das häufig, entstehen beim Kind Selbstzweifel, die dazu führen, dass es immer öfter bei Erklärungen die Ohren buchstäblich anlegt, weil es die Erfahrung gemacht hat, dass es ohnehin nicht kapiert, was da gesagt wurde.
Wenn das Kind faul wäre oder gar dumm, dann würde es den Lerninhalt auf keinerlei Weise verstehen. Denselben Kindern gelingt es aber häufig durch Zeichnungen, basteln, angreifen oder anderen visuellen, akustischen, sensomotorischen Behelfen die Aufgaben zu erarbeiten, zu begreifen, zu verinnerlichen, abzuspeichern und das Gelernte dann wiederzugeben und dabei auch noch Spaß am Erfolg und am Verstehen zu haben und in manchen einzelnen Fällen sogar Spaß an der Aufgabe.
Das Kind muss passend gemacht werden
Ein Kind, das Schwächen bei schulischen Leistungen zeigt, passt nicht in das System. Das System geht davon aus, dass ein Kind in einem bestimmten Alter bestimmte Leistungen erbringen kann und wenn es das nicht kann, dann ist an dem Kind etwas falsch. Es ist zu langsam oder zu schnell, zu verträumt oder zu desinteressiert, zu unaufmerksam, zu schlampig, zu dumm, zu chaotisch. Derartige Attribute sind schnell gefunden, aber Fakt ist: Es liegt am Kind. Oder an der Erziehung. Aber am Schulsystem liegt es natürlich nicht. Denn es gibt ja auch die „Einserkinder“, jene, die trotz dieses Systems gut rechnen können, schöne Aufsätze mit wenig Fehlern schreiben, eine gute Merkfähigkeit besitzen und schön schreiben können. An diesen Kindern ist alles richtig.
Von solchen Kindern gibt es allerdings in jeder Klasse eine überschaubar kleine Gruppe. Der Großteil der Kinder hat die eine oder andere kleinere oder größere Baustelle. Und es scheinen mit jedem Jahrgang mehr Kinder mit Baustellen zu werden. Und trotzdem sind die Kinder schuld?
Jedes Kind, das kognitiv mindestens durchschnittlich begabt ist, könnte prinzipiell den altersentsprechenden Stoff ohne nennenswerte Probleme lernen. Wenn es das nicht kann, dann hat das eine Ursache. Nein, die Ursache ist nicht eine Lese-Rechtschreib- oder Rechen-Schwäche. Das sind bloß die Namen der Diagnosen, die es braucht, um eine Erklärung zu finden, warum ein Kind Schwierigkeiten hat. Mit Rechnen oder Rechtschreibung auf Kriegsfuß zu stehen, ist nur das Symptom. Symptom für eine andere Wahrnehmungs- und Denkweise. Und die Art und Weise anders wahrzunehmen, hat eine Ursache. Sie liegt in den meisten Fällen am Auslassen oder Überspringen von Meilensteinen der frühkindlichen Entwicklung, an Fehlsichtigkeiten oder an der cerebralen visuellen Informationsverarbeitung, die über die Korrektur durch eine Lesebrille hinausgehen oder an einer Hörverarbeitungsschwäche beispielsweise durch eine verhältnismäßig harmlose Ohrenentzündung als Kleinkind.
Wer sich genauer für die Ursachen von Lernschwächen interessiert, wird dazu in meinem Buch „Lernen können. Lernen wollen – Kindern starke Grundlagen schaffen und Lernschwächen begegnen“ viele neue Zugänge finden.
Der Teufelskreis der Unfähigkeit
Es ist nicht lustig. Für niemanden. Nicht für das Kind, nicht für die Eltern und auch nicht für die Lehrenden. Kaum ein Kind freut sich nicht auf die Schule, kaum ein Kind gibt sich anfangs keine Mühe, aber wenn es optisch, akustisch oder räumlich anders wahrnimmt und in Bildern denkt, dann ist fast alles, was mit Schule zu tun hat, viel schwieriger als für seine Mitschüler. Die ganz normale Folge ist, dass das Kind nach und nach immer demotivierter, missmutiger, unsicherer und schließlich verzweifelter wird.
Die Eltern leiden dabei mit und sind in den meisten Fällen völlig unvorbereitet, weil damit nicht zu rechnen war, hat das Kind doch vor der Schule immer fröhlich, intelligent und gut entwickelt gewirkt. Im Kindergarten wurden nie Vermutungen geäußert. Doch nun das. Schulprobleme belasten die gesamte Familie und können je nach Verständnis der Eltern für die Thematik sogar in Ungeduld, Unfreundlichkeiten und Beschimpfungen gipfeln. Das ist leider das letzte, was dem Kind hilft.
Und die zuständige Lehrerin, die je Klasse meistens nicht eines, sondern mehrere Kinder hat, die altersentsprechende Aufgaben nicht lösen können, ist häufig auch mit ihrem Latein am Ende. Was auch immer sie versucht, die Kinder verstehen den Lernstoff nicht. Natürlich, denn das Kind hat nicht die wahrnehmungstechnischen Voraussetzungen, um die Inhalte aufnehmen zu können.
Wie mit Lernschwächen umzugehen ist, dazu gibt es eine Empfehlung der Schulpsychologie und einen Erlass für Lehrer. Diesen Erlass kann ein Lehrer berücksichtigen und zu Gunsten des Kindes auslegen. In diesem Zusammenhang möchte ich mich zutiefst wertschätzend bei all jenen Lehrern bedanken, die sich mit dem Thema beschäftigen und echtes Verständnis für betroffene Kinder zeigen, die jedes Schlupfloch für eine positive Benotung finden, die jede Handlungsmöglichkeit aufs Maximum ausdehnen, die auf Fortschritte achten und nicht auf die Fehler, um den Bedürfnissen des betroffenen Kindes entgegenzukommen, es zu unterstützen und weiterzubringen. Schließlich ist genau das doch das Ziel dieses Berufs.
Daher Gratulation all jenen Lehrenden, die die Charakterstärke zeigen, sich schützend vor ein Kind und damit durchaus auch gegen Kollegen stellen, die Empfehlungen des Ministeriums wie andere Benotungskriterien oder mehr Zeit bei schriftlichen Arbeiten nicht berücksichtigen oder nicht einsehen.
Die guten Lehrer, die Kinder auf Augenhöhe behandeln, heben sich aus der Menge ab und werden dafür mit Zuneigung und Respekt durch ihre Schüler belohnt.
Liegt es vielleicht doch am System?
Wer weiß auf welche Symptome bei Kindern zu achten ist, kann sie leicht erkennen. Jeder kann das, man muss sie nur zu deuten wissen. Einmal erkannt, können die Ursachen gemildert, in häufigen Fällen sogar fast völlig beseitigt werden, sodass das Kind seine kognitive Veranlagung völlig ausschöpfen und entfalten kann. Je jünger das Kind dabei ist, desto leichter und schneller folgt eine cerebrale Nachreifung auf fachkundiges Training und die Symptome werden leichter oder ganz verschwinden.
Ein Schulsystem, das ehrlich daran interessiert ist, dass jedes individuelle Kind später im Leben auf eine möglichst erfolgreiche und glückliche Schulzeit zurückblicken kann, würde sämtliches verfügbares Wissen zur Prävention von Lernschwächen in die Ausbildung jener Berufsgruppen inkludieren, die mit den Kindern von frühester Kindheit an zu tun haben: den Menschen aus den Gesundheitsberufen, die mit Säuglingen und Kleinkindern arbeiten und den Elementar- und Volksschulpädagogen.
Aber das wird nicht gemacht. Im Gegenteil. Wissen, das auf eine andere Art und Weise an Lernschwächen ansetzt als jenes, an dem sich die Schule orientiert, wird nicht selten nur belächelt oder als unwissenschaftlich dargestellt und deshalb nicht zugelassen. Aber ist es nicht gerade das Zulassen aller Gedanken, was Wissenschaft auszeichnet? Das ständige Hinterfragen von Erkenntnissen. Das ist weder etwas Böses noch Schwurbelei, denn ist eine Annahme wahr und richtig, so wird sie durch permanentes Hinterfragen bestärkt und gestützt. Und ist sie falsch und kommt ein Irrtum durch das permanente Hinterfragen ans Licht, dann ergeben sich neue Erkenntnisse, aus denen wir lernen und einen neuen, besseren Weg einschlagen können.
Schulalltag in Österreich im 21. Jahrhundert
Wer meint, dass ich viel zu schwarz sehe und all dem doch gar nicht so sei, hier ein paar Fakten und Anekdoten dazu, wie mit mir bekannten Kindern in unserem Schulsystem umgegangen bzw. auf sie eingegangen wird:
Fachkenntnisse unerwünscht:
Eine mir bekannte Kindergartenpädagogin mit einem legasthenen Sohn hat freiwillig auf eigene Rechnung in ihrer Freizeit die Ausbildung zur Legasthenietrainerin gemacht. Das ist ein größeres Unterfangen, nichts, was in ein oder zwei Wochenendseminaren erledigt ist. Sie ist somit befähigt und in der Lage, die oben angesprochenen Symptome möglicher Lernschwächen zu erkennen. Von der Kindergartenleitung wird ihr trotzdem untersagt, Eltern betroffener Kinder auf diese Anzeichen hinzuweisen. Elemenarpädagoginnen dieses Wissen bewusst als Teil der Grundausbildung zu vermitteln, ist bedauerlicherweise kein Ansinnen unseres Bildungssystems, aber jemanden, der es sich angeeignet hat, zu zwingen, es zu unterdrücken und für sich zu behalten, hinterlässt bei mir sowohl trauriges Kopfschütteln als auch Zorn.
Im nächsten Jahr wird alles anders:
Einem Buben, den ich schon kannte als er ein Kleinkind war und der deutliche Wahrnehmungsdefizite hat, wurde bei der Überprüfung ausdrücklich Schulreife bestätigt. Bedauerlicherweise wird dabei ein großer Teil der optischen, akustischen, sensomotorischen und motorischen Wahrnehmung nicht in jenem Ausmaß betrachtet, wie es notwendig wäre, um altersentsprechende Defizite zu erkennen. Der betroffene Schüler wurde im September 2023 eingeschult, um nun mit Ende des Schuljahrs zurückgestuft zu werden. Er „darf“ nun die 1. Klasse nochmals machen und im Alter von erst 7 Jahren den Sommer damit verbringen, das Urteil „Du bist nicht gut genug für die zweite Klasse“ irgendwie psychisch zu bewältigen. Bedauerlicherweise wurde in diesem ersten Schuljahr nicht an seiner Wahrnehmung gearbeitet, somit sind nennenswerte Verbesserungen im nächsten Schuljahr nicht zu erwarten, auch wenn der Familie erzählt wird, dass durch die „Ehrenrunde“ sich alle Probleme in Luft auflösen würden. Warten wir das nächste Jahr ab …
Eben mal härter durchgreifen:
Ein 8jähriger war im gemeinsamen Training mit seiner 10jährigen Schwester unkooperativ und wollte ein Spiel nicht spielen. Seine Schwester kommentierte seinen Widerstand mit: „Du weißt doch, dass sie sowas wie eine Lehrerin ist und deshalb musst Du das machen, was sie sagt.“ Seine Antwort: „Sie kann keine Lehrerin sein, weil sie noch nie mit uns geschrien hat.“ Ich denke, die Aussage spricht für sich. Lehrenden, die sich bewusst sind, dass sie ihren Gefühlen häufig lauthals Luft machen müssen, kann das Buch „Disziplin – kein Schnee von gestern sondern Tugend von morgen“ von Christine Buchner wärmstens empfohlen werden.
Die leidigen Geschichten zum Thema „Wasser“:
Obwohl Ärzte konstant darauf hinweisen, wie wichtig Wasser für den Körper, für die Gesundheit und auch fürs Denken, also auch für Lernprozesse ist, ist es in der Schule in vielen Klassen verpönt. Beispiele wie dieses findet man sehr häufig:
Anstatt zu Beginn der Stunde ein lustiges gemeinsames Wetttrinken zu machen, bei dem alle Schüler und die Lehrenden ein Glas Wasser auf das Kommando „Achtung – fertig – Prost!“ schnellstmöglich leertrinken, sind Becher und Wasserflaschen im Unterricht unbeliebt. Oft scheint es wichtiger zu sein, dass Bücher oder Hefte trocken bleiben, als dass Kinder ihren Flüssigkeitshaushalt abdecken. Wenn Flaschen überhaupt erlaubt sind, dann oft nicht auf dem Tisch, sondern darunter, wo sie nicht mehr gut gesehen und daher häufig vergessen werden.
Erst dieser Tage, an einem der wenigen Tage in diesem Juni, an dem es um die 30°C hatte, wurde Mädchen der 5. Schulstufe nach mehreren Runden Laufen um den Sportplatz das Trinken verwehrt. Argument der Lehrerin war, die Kinder würden versuchen, sich eine Extrapause durch den Gang zu den Waschbecken zu erschleichen. Der Vorschlag einer Schülerin, sie könnten ihre Wasserflaschen an den Rand des Sportplatzes stellen, dann müssten sie nicht zum Waschbecken gehen, wurde von der Lehrerin mit „Das sieht doch hässlich aus!“, abgeschmettert.
An jene Sportlehrer, die auch so denken: Wer den Unterricht ansprechend gestaltet, begeistert seine Schüler, die mit Spaß bei der Sache sind und sich keine Pausen erschleichen. Aber wenn man selbst plaudernd im Schatten steht und die Jugendlichen in der Hitze Runden drehen lässt, ist es gut möglich, dass man zu solchen Gedankengängen kommt.
Wenn Du schlimm bist, musst Du lesen
Den absoluten Vogel hat aus meiner Sicht jene Lehrerin abgeschossen, die Kindern in ihrer Klasse „Straflesen“ verpasst, wenn sie sich nicht verhalten wie gewünscht. Welche Ausbildung hat diese Dame abgeschlossen? Mit Pädagogik oder Psychologie kann sie nicht viel am Hut haben. Wäre meine Aufzählung hier ein Wettbewerb, welcher Lehrende die effizientesten Mittel anwendet, um seinen Schülern das Lernen so gut wie möglich zu verleiden, diese Dame hätte gute Chancen, auf den ersten Platz.
Alles richtig, trotzdem falsch
Eine weitere Koryphäe auf dem Gebiet der Pädagogik ist eine Mathematiklehrerin, die einem Schüler null Punkte für ein fehlerfrei gelöstes Schularbeitsbeispiel gegeben hat. Der Lösungsweg war erkennbar, das Ergebnis richtig. Aber es war ein anderer Lösungsweg als jener, den sie sich vorgestellt hat.
Selbständiges Denken und Talente sind unerwünscht
Unter Borniertheit versteht man eine Haltung, die von den selbst aufgestellten Vorstellungen so überzeugt ist, dass keinerlei Bereitschaft gegeben ist, andere abweichende Ideen zu erwägen, geschweige denn zuzulassen.
Die Benotung der Mathematikschularbeit oben ist das beste Beispiel dafür, dass eigenständiges Denken und Arbeiten im Schulsystem nicht erwünscht ist, genauso wenig wie Umdenken oder Weiterentwicklung. Da liegt es auf der Hand, dass oft die erfolgreichsten und beliebtesten Schüler jene sind, die nichts hinterfragen und gut auswendig lernen können.
Was wir für ein erfolgreiches Leben als Erwachsener brauchen, lernen wir nicht in der Schule. Dort jahrelang auf Einzelkämpfer trainiert, der alles allein können muss, landen die meisten Menschen in einem Beruf, in dem sie ein Teil eines Teams sind. Ein fähiger Vorgesetzter kennt die Stärken jedes einzelnen in seinem Team und setzt diese so ein, dass jeder das zum Gelingen eines Projekts beiträgt, worin er besonders gut ist. Schwächen zählen nicht, denn für das, was der eine nicht gut kann, findet sich bestimmt ein anderer.
Wie sieht das in der Schule aus? Was auch immer Kinder gut können, wofür sie ein echtes Talent haben, das wird nicht gefördert. Mindestens neun Jahre lang geht es jeden Tag darum, darauf hinzuweisen, was ein Kind nicht kann. Genau damit muss es sich auseinandersetzen, das muss es trainieren, um darin wenigstens hoffentlich auf ein Mittelmaß zu kommen – und es vermutlich spätestens am Tag des Abschlusses wieder zu vergessen.
Kämen wir weg von der Fehlerkultur, von dem paranoiden Herumtrampeln auf individuellen Schwächen, sondern würden wir auf die Talente achten und diese fördern, wie würde unsere Welt dann aussehen? Wir hätten Kinder, die gerne in die Schule gehen. Wir hätten Lehrer, die gerne unterrichten, weil sie fröhliche, interessierte Schüler vor sich sitzen haben, die begeistert mitmachen. Wir würden als ganze Nation in der Wissenschaft, der Forschung, der Entwicklung, in jedem Bereich der Wirtschaft schneller vorankommen, weil wir die Stärken des Einzelnen zum Nutzen aller einsetzen würden.
Wir könnten die Erkenntnisse von Gerald Hüther, Manfred Spitzer oder etwa 30.000 anderen Neurowissenschaftlern weltweit nutzen, die ihre Erkenntnisse jährlich auf Kongressen austauschen und uns genau sagen können, wie effizientes Lernen richtig geht. Das System tut das nicht. Warum?
„Wenn wir die Menschen nur nehmen, wie sie sind, so machen wir sie schlechter; wenn wir sie behandeln, als wären sie, was sie sein sollten, so bringen wir sie dahin, wohin sie zu bringen sind.“ Aus Goethes „Wilhelm Meisters Lehrjahre“
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