Die „Cobra Gypsies“

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Lebenswelten

Jeder muss sich seinen Lebensunterhalt verdienen – für sich selbst und für seine Familie. Doch was passiert, wenn man gewissen Risiken in der Arbeit oder aber auch zu Hause ausgesetzt ist? Nein, hier geht nicht um eine kriminelle Handlung, sondern um eine reale Geschichte, die nicht nur eine Person oder eine Familie betrifft, sondern eine ganz schön große Gruppe von Menschen. Und diese Leute, von denen ich rede, arbeiten mit der giftigsten Schlange der Welt: der Kobra.

Rajasthan ist ein nordindischer Staat, der an Pakistan grenzt. Seine Paläste und Festungen erinnern an die vielen Königreiche, die historisch um die Region wetteiferten. Die Hauptstadt dieses Staates ist Jaipur, auch bekannt als die „rosa Stadt„. Dieser Staat ist auch die Heimat einer Wüste, die Indien mit Pakistan teilt. Das westliche Rajasthan verfügt über viele verlassene Gebiete mit kargen Landstrichen mit wenig Niederschlag, was eine Gefahr bedeutet für die Lebensräume der Pflanzen, Tiere und Menschen.

Im Sommer steigen die Temperaturen, was die Situation noch verschlimmert. Aus diesem Grund entwickelten in der Vergangenheit viele Könige dieses Landes Techniken, um Wasser zu speichern und errichteten künstliche Seen sowie Unterwasserspeicheranlagen. Die Wüste gedeihen zu lassen, ist ein mühseliges Unterfangen. Die Menschen in der Wüste leben in Zelten und Lehmhäusern und züchten Schafe, Ziegen und Kamele. Sie ernähren sich von Datteln der Palmen und trinken Ziegen- und Schafsmilch, die Teil ihrer Grundnahrung ist.

Die meisten Menschen in der Wüste haben sich an den nomadischen Lebensstil angepasst und begeben sich oftmals auf die Suche nach Wasser und neuen Weideplätzen für ihr Vieh.

Wüstenmenschen tragen traditionelle „Dhotis“ (ein langes Tuch, das um die Taille gewickelt ist) und „Kurtas“ (lange, lockere Hemden), die aus Baumwolle hergestellt werden und durch die Luftdurchlässigkeit komfortabel für die Haut sind. Die Männer setzen Turbane auf, um ihre Köpfe vor der prallen Sonne zu schützen, während sich die Frauen mit „Ghagra“ (lange Röcke) und „Kanchli“ (Oberteile) bekleiden. Die Menschen in der Wüste handeln mit Wolle und Tierhäuten und kaufen und verkaufen häufig Tiere.

Nordindien wurde immer wieder von Angriffen heimgesucht, noch bevor die Briten ihre Herrschaft im Land etablierten. Dies führte dazu, dass viele Einheimische zu Nomaden wurden und nach Orten mit günstigeren Bedingungen für ein besseres Leben suchten. Das Kastensystem in Indien ist stark ausgeprägt, deshalb werden diese Menschen von den hiesigen Dorfbewohnern nicht herzlich willkommen geheißen. Zumeist werden sie an die Dorfgrenzen gedrängt und müssen unzumutbare Arbeiten verrichten.

Viele Zigeuner leben in Armut unter unhygienischen Bedingungen, die ihre körperliche Gesundheit beeinträchtigen. Die Qualität ihrer Gesundheitsversorgung, der Ernährung und der Bildung ist auf einem miserablen Stand; die meisten Zigeunerkinder gehen aufgrund des häufigen Ortswechsels nicht zur Schule. Weiters gibt es mehr als 500 Zigeunerstämme in ganz Indien, und einer von ihnen ist von besonderem Interesse: die „Kalbelia„.

Die Cobra Gypsies sind auch als „Kalbelia“ bekannt und sind auf ihrer Reise einerseits auf der Suche nach günstigeren Handelsbedingungen, andererseits nach besseren Möglichkeiten, nach einem besseren Land usw. In der Regel folgen sie vordefinierten Routen, die kreisförmig verlaufen. Da sie mit der lokalen Flora und Fauna vertraut sind, versorgen sie als weitere Einkommensquelle auch die Menschen jener Dörfer, die sie durchqueren, mit Medikamenten.
Die Kabelia-Zigeuner sind ein Stamm, der die sinnlichste aller Tanzformen von Rajasthan praktiziert. Sowohl Männer als auch Frauen nehmen an diesem Tanz teil, um Anlässe wie z.B. das Fest der Farben – eines der wichtigsten Feste in Indien – zu zelebrieren. Heutzutage werden übrigens Tanzshows geboten, um Geld zu verdienen. Dies gehört nun auch zu ihrem traditionellen Geschäft und ist ein wichtiger Teil der Kalbelia-Kultur. Die Tänzerinnen tragen in der Regel lange schwarze Röcke, die sich bei ihren Drehbewegungen fast schon hypnotisierend heben, und ahmen in ihren Bewegungen Schlangen nach. Die Kleidung ist hauptsächlich schwarz mit roten, gelben, orangefarbenen und vielen anderen bunten Flecken versehen sowie mit glänzendem Schmuck bestückt, um den schlangenartigen Eindruck zu bekräftigen. Die Männer sind für die Musik mit verschiedenen traditionellen Instrumenten zuständig, wie z.B. Dafli, Dholak und Morchang, und singen dazu alte Volkslieder.
Laut Tradition gehörte es ursprünglich zum Job der Cobra Gypsies, Schlangen einzufangen und mit deren Schlangengift zu handeln, was wiederum das Erscheinungsbild ihrer Kostüme, ihres Make-ups und der Tanzbewegungen, die an Schlangen erinnern, erklärt. Sie galten bis 1950 als „Unberührbare“ und hielten sich vorwiegend an den Dorfgrenzen auf.

Nachdem die Regierung 1972 den Wildlife Act zum Schutz der Tiere eingeführt hatte, konnten die Kalbelia ihr traditionelles Geschäft des Schlangenfangens nicht mehr fortsetzen. Somit stellt nun die Tanzkunst die Haupteinnahmequelle für sie dar.

Früher war es also Tradition, dass eine Familie oder mindestens ein Familienmitglied als Schlangenbeschwörer mit einer Schlange arbeiten musste, doch aufgrund der aktuellen Gesetze und der abrupten Veränderungen des Lebensstils des Stammes wenden sich immer mehr Menschen den Städten zu und vergessen schließlich ihre Wurzeln und ihr gesamtes Wissen.

Übersetzung Englisch-Deutsch: Anna Dichen

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cobra nero cobra nero Luca Boldrini CC BY 2.0