Die Blütezeit der politischen Crowdfunding-Finanzierung
Wie sich Crowdfunding zu einem neuen Macht-Instrument für die politische Linke entwickelte.
Crowdfunding ist nichts Neues, ebensowenig wie das Sammeln von Spenden für Wahlen. Die jüngsten Wahlergebnisse in den USA beweisen jedoch, dass die Finanzierung der Wahlbeteiligung nicht nur ein wirksames Instrument per se ist, sondern auch eines der effektivsten Mittel für die politische Linke darstellt. Wird Crowdfunding die Wahlen revolutionieren?
Die prominentesten Beispiele für diesen Trend in Amerika sind die erfolgsgekrönten Basiskampagnen von Alexandria Ocasio-Cortez und Rashida Tlaib sowie auch die Kampagne von Bernie Sanders im Jahr 2016. Eines der ersten, erfolgreichsten und entscheidendsten Beispiele, das die Nützlichkeit von Wahlkampfkampagnen hervorstreicht, ist Barack Obamas Präsidentschaftslauf gewesen: Er wandte sich 2008 vom konventionellen öffentlichen präsidentiellen Förderprogramm ab.1
Obama war der erste Präsidentschaftskandidat, der das Programm seit Einführung (1976) ablehnte.2 Alternativ konnte er unbegrenzt externe Gelder auftreiben und 2008 allein durch Kleinspenden (in der Höhe von weniger als je 200 US-Dollar) insgesamt 137 Millionen USD anhäufen.3 Einer der größten Boni des Crowdfundings ist übrigens nicht allein die Höhe der gesammelten Mittel, sondern das individuelle Engagement und der Gemeinschaftssinn, die sich daraus ergeben. Die Kandidaten formulieren z.B. spezifische Ziele, die sie erreichen möchten, sofern ihr Zielkapital erreicht wurde; oder es wird entschieden, für welchen Aspekt der Kampagne direkt gespendet werden kann.
Der österreichische Bundeskanzler Sebastian Kurz nutzte diese Strategie für seine Fundraising-Kampagne und stellte sechs separate Spendenkanäle zur Verfügung, in denen die Geldgeber jeweils für einen bestimmten Aspekt seiner Kampagne spenden konnten.4
Im Jahr 2016 bewies die Kampagne von Bernie Sanders den vollen Umfang des Machtpotenzials, das Crowdfunding für die extremen Linken hat. Im Zuge der demokratischen Vorwahlen lagen fast drei Viertel der Spenden von Sanders unter 200 Dollar, im Durchschnitt sogar bei nur 27 Dollar, was den 75-Jährigen scheinbar dazu bewegte, aus dem Nichts in der internationalen Öffentlichkeit aufzutauchen und eine von Menschen geführte, basisbewegte und radikal sozialistische Kampagne zu starten. Keiner erwartete, dass sich solche Plattformen wieder unter den tragfähigen politischen Kandidaturen etablieren könnten; ebenso unerwartet erschien die Zunahme der Unterstützung für die britische Labour Party und ihren Leader Jeremy Corbyn.
Im Juni 2018 gewann Alexandria Ocasio-Cortez die Primärwahlen der Demokraten mit 57,13% der Stimmen und besiegte damit den zehnjährigen Amtsinhaber Joe Crowley.5 Cortez steht geradewegs für kostenlose Gesundheitsversorgung, Waffenkontrolle, Bundesarbeitsplatzgarantie, die Abschaffung des Einwanderungs- und Zollermittlungsdienstes (ICE) sowie für Wohnen als Menschenrecht. Die Kampagne der 28-Jährigen gilt als sozialistisch-demokratisch. Sie ist bereit, einen Wandel in der amerikanischen demokratischen Partei von innen heraus zu leiten. Was ihrer Kampagne Einzigartigkeit verleiht, ist nicht nur ihre Plattform und der Spirit dahinter, sondern auch die Tatsache, dass sie sich in der Öffentlichkeit verpflichtete, kein „PAC“-Geld (Political Action Committee) von Unternehmen anzunehmen. Sie ist das erste Mitglied des Kongresses, das de facto ohne jegliche PAC-Finanzierung gewählt wurde. Im Durchschnitt wurden jeweils nur 22 Dollar gespendet, doch mit ihrer Wahl setzte sie ein klares Zeichen für den politischen Spirit der extremen Linken und auch für den Nutzen von Crowdfunding als mächtiges Instrument, um diesen Spirit auch freisetzen zu können. Politiker sind direkt von ihren Geldgebern abhängig – Cortez hingegen stand mit ihrer Crowdfunding-Strategie ausschließlich ihrer Gemeinde gegenüber in der Pflicht, nicht aber gegenüber anderen. Nach den Vorwahlen ergab sich mit ihrer Kampagne eine reichhaltige Aufstockung der Mittel von staatlichen Gebern, was beweist, dass ihre Kampagne eine größere politische Bewegung ist. Die technologischen Vorteile des Crowdfundings machen es den Unterstützern zudem sehr leicht, auch außerhalb ihres unmittelbaren Standortes zu spenden und sich an Kampagnen zu beteiligen.
Eine weitere Wahl mit unerwartetem Ausgang war die Vorwahl von Rashida Tlaib als Vertreterin des Bezirks des 13. Kongresses – als erste muslimische Frau im Kongress. Auch ihre Kampagne basierte auf ihrer Authentizität, ihrem Migrationshintergrund und ihrer Plattform. Sie spricht sich für einen Mindestlohn von 15 Dollar, kostenlose Gesundheitsversorgung sowie für die Ablehnung von militärischen Interventionen aus. Die Kandidaten im 13. Bezirk sammelten ingesamt über 2 Millionen Dollar; davon konnte Tlaib mehr als die Hälfte aus über 62.000 Einzelspenden gewinnen.6
Crowdfunding bietet mithilfe einer unkoventionellen Strategie gar die Möglichkeit, auf öffentliche Shirt-Storms reagieren zu können – wie z.B. auf jene, als Trumps Supreme Court-Kandidat Brett Kavanaugh gewählt wurde:7 Im Oktober 2018 wurde Brett Kavanaugh wegen sexueller Gewalt angeklagt, und obwohl er seine Unschuld nicht beweisen konnte, wurde er gewählt. Ein Resultat, das die Fortschritte von Frauen und Gleichstellungsbewegungen gefährden könnte.8 Im Anschluss tauchte eine Crowdfunding-Seite auf, die darauf abzielte, Mittel zur Unterstützung des künftigen, noch unbekannten Gegners von Senatorin Susan Collins zu sammeln, deren Stimme den Ausschlag für Kavanaughs Sieg brachte.9 Die Finanzierung gilt für die Wahlen 2020; trotz der Tatsache, dass der Gegner von Senatorin Susan Collins noch nicht einmal bekanntgegeben wurde, konnten bereits 94% der Zielsumme in der Höhe von vier Millionen Dollar erreicht werden (Spenden von zumeist je 20,20 Dollar).
Die wachsende Popularität von Crowdfunding als alternative Finanzierungsmethode beschränkt sich nicht nur auf die USA. 2017 schuf die Labour Party im Vereinigten Königreich einen Präzedenzfall, als sie in einem Wahljahr mit 55,8 Millionen Pfund mehr Geld aufstellte als die Konservative Partei mit 45,9 Millionen Pfund. In Brasilien verschaffte sich Lula – eine umstrittene politische Figur, die Brasiliens erster Präsident der Arbeiterklasse darstellte und immer noch weitgehend populär ist, derzeit jedoch wegen Korruption im Gefängnis sitzt – Gelder über Crowdfunding. Seiner Pressestelle zufolge schlägt Lula, der Meinungsforscher der Workers‘ Party (PT), seine Rivalen in Bezug auf Crowdfunding, als er binnen 10 Tagen 268.000 Brasilianische Reales (72.000 $) sammelte.10 Lula wird die staatliche Finanzierung verweigert, aber Crowdfunding bietet sich für ihn als Alternative an.
Derzeit ist das Feld des politischen Crowdfundings noch weitgehend unerforscht und unreguliert. Problematisch sind auch Fragen wie nicht registrierte oder nicht nachvollziehbare Spenden sowie Cybersicherheit. So müssen z.B. in den USA Spenden bis zu 200 US-Dollar nicht registriert werden. Crowdfunding erlaubt es, große Spenden aufzuspalten, um unter der 200-Dollar-Grenze zu bleiben, was somit deren Nachvollziehbarkeit unmöglich macht. In Zukunft wird eine weitere Erkundung und Regulierung dieses Feldes notwendig sein. Derzeit erweist sich Crowdfunding jedoch als eine alternative Plattform, um ein Gegengewicht zu staatlichen Unterstützungen und dem „großen“ Geld aus Unternehmensspenden zu bilden.
Fazit: Die Parteien ändern ihre Wahrnehmung in Bezug auf Menschen mit relativ geringer Finanzkraft und einfache Wähler und sehen sie als potenziell riesige finanzielle Ressource. Somit kommt den Kandidaten mehr Unabhängigkeit zugute sowie die Möglichkeit, den Erwartungen ihrer neuen Finanziers auch tatsächlich entsprechen zu können.
Übersetzung Englisch-Deutsch: Anna Dichen
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1 https://www.fec.gov/updates/convention-funding-eliminated
2 https://transition.fec.gov/info/pfund.htm
3 https://www.idea.int/sites/default/files/publications/online-political-crowdfunding.pdf
4 https://www.nachrichten.at/nachrichten/politik/innenpolitik/
5 https://www.opensecrets.org/members-of-congress/summary/joseph-crowley?cid=N00001127
6 https://eu.detroitnews.com/story/news/politics/elections/2018/08/07/c
7 https://www.theguardian.com/us-news/2018/oct/06/brett-kavanaugh-confirmed-us-supreme-court
8 https://www.youtube.com/watch?v=cT0yrMhQV2s&frags=pl%2Cwn
9 https://www.crowdpac.com/campaigns/387413/fund-susan-collins-future-opponent
10 https://www.bloomberg.com/
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