Die besten TV- und Web-Serien in 2016

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Gesellschaft

Dies ist mein persönlicher Rückblick auf das Serienjahr 2016. Er beruft sich weder auf Vollständigkeit noch auf Neutralität, sondern will manch in Europa unbekannte Serien-Perle der lokalen Öffentlichkeit näherbringen. Als fleißiger Seher englischsprachiger Produktionen möge man mir deshalb vergeben, wenn ich diese hier in den Fokus rücke.

Die drei Highlights unter den 2016 neu angelaufenen Serien waren für mich Billions, Westworld und The Crown.

Zu Beginn des Jahres kam Damian Lewis, hierzulande bekannt aus Homeland, mit einer starken Performance auf die TV-Schirme zurück: In Billions spielt er den mit allen Wassern gewaschenen Fondsmanager Bobby Axelrod, dem Staatsanwalt Chuck Rhoades, gespielt von Paul Giamatti, ständig auf den Fersen ist. Dieses Duell kulminiert in der letzten Folge, in der sich die beiden face to face gegenüberstehen. Hinzu kommt, dass die Frau von Staatsanwalt Rhoades im Betrieb von Axelrod als Firmenpsychologin arbeitet und diesen schon lange kennt. Bobby Axelrod unterscheidet klar zwischen Freund und Feind: Wenn man sich für die Firma aufopfert, ist einem die bedingungslose Unterstützung sicher – doch wehe dem, der zum Verräter wird. Nicht immer ist der Zuseher in die Einzelheiten der Pläne des Managers eingeweiht, und manchmal trifft das auch auf seine Belegschaft zu. Viele Szenen spielen sich auf psychologischer Ebene ab: Gerade im Geldgeschäft ist der Schein oft wichtiger als das Sein. Schauspielerisch und storytechnisch top.

Im Herbst lief die neue Großproduktion des Kabelsenders HBO in Amerika an: Westworld, das nicht zu unrecht als Nachfolger von Game of Thrones gehypt wird. Wie im gleichnamigen Film aus dem Jahr 1973 (mit Yul Brynner in einer der Hauptrollen) basiert auch diese zehnteilige Serie auf einer Vorlage von Michael Crichton. Ein Vergnügungspark in (naher?) Zukunft: Der Besucher taucht in die Welt des Wilden Westens ein, alle Komparsen werden von programmierbaren Androiden gespielt. Sicherheit wird großgeschrieben: Kein Androide kann einen Besucher verletzen. Doch irgendetwas in der Programmierung scheint schiefzulaufen, und so kommt es zu mehr Drama, als es sich die meisten Besucher wünschen. Themen wie künstliche Intelligenz und ihre Beherrschung, Revolution unter Kontrolle geglaubter Wesen, aber auch tiefe Einblicke in die Abgründe der menschlichen Seele werden in mehreren ineinanderlaufenden Handlungssträngen beleuchtet. Anthony Hopkins brilliert als technischer Chef von Westworld, der zum Ende einen interessanten Cliffhanger für Staffel zwei inszeniert. Zu erwähnen sei hier auch noch der großartige Soundtrack des Deutsch-Iraners Ramin Djawadi, der moderne Musik von den Nine Inch Nails, Radiohead oder auch das weithin bekannte House of the rising sun teils für klassisches Orchester, teils für das in der Serie allgegenwärtige automatische Barpiano neu arrangierte. Der Serien-Soundtrack 2016. Hier auch ein ins Detail gehender Artikel zu Ideen und Implikationen von Westworld.

Die mit mehreren Golden Globes ausgezeichnete Serie The Crown aus dem Hause Netflix war für mich das überraschendste Highlight – überraschend deshalb, da ich ansonsten überhaupt kein Interesse am Thema Adel und Königshäuser hege. Diese Serie bewegt sich jedoch weit abseits vom „Seitenblicke“- oder „Freizeit Revue“-Niveau, auch hat sie nichts mit der naiv-romantischen Sisi-Serie der 50er-Jahre am Hut. The Crown stellt die Entwicklung einer jungen Frau zur Königin dar und zeigt die oftmals schwierigen Entscheidungen, die sie, die sich fast immer zwischen den Stühlen unterschiedlicher Interessen findet, treffen muss. Claire Foy als Elisabeth II. und John Lithgow als Winston Churchill sind aus dem tollen Ensemble hervorzuheben: Die Präzision, mit der Lithgow den altgewordenen, griesgrämigen Premierminister darstellt, hätte ebenfalls eine Auszeichnung verdient. Der Kampf zwischen Elisabeth und ihrer Schwester Margareth um deren große Liebe, aber auch das gespannte Verhältnis zu Elisabeths Ehemann Philip bestimmen die erste Staffel. Daneben werden diverse hierzulande eher unbekannte historische Ereignisse, z.B. der Great Smog of London, beleuchtet und aus unterschiedlichen Blickwinkeln erklärt. Ein ungeschönter Blick auf das aufgrund der eingeschränkten Handlungsfähigkeit oft einsame Leben einer weltbekannten Führungsperson und deren Umfeld. Für die musikalische Leitung sorgt Hans Zimmer.

Weitere Neustarts 2016

Gegen Jahresende zog Kiefer Sutherland als Designated Survivor ins Weiße Haus ein: Nach einem Terroranschlag auf das Capitol ist der Minister für Wohnungsbau und Stadtplanung der ranghöchste Politiker in der festgelegten Nachfolgeregelung des Präsidentschaftsamtes. Innerhalb kurzer Zeit steht er mit seiner Familie im Mittelpunkt der Weltöffentlichkeit und hat sichtlich Probleme damit, Entscheidungen von großer Tragweite zu fällen. Sei es die Aufklärung des Anschlages, sei es der Druck der Militärs, einen Gegenschlag gegen bekannte Terroristen zu starten oder den Iran in die Schranken zu weisen. Auch im Washingtoner Machtspiel muss Thomas Kirkman schnell dazulernen, will er sein Amt behalten. Ein interessanter Ansatz jedenfalls, in Zeiten von House of Cards und Madam Secretary: Ein mehr oder weniger einfacher Bürger muss sich in der wohl größten politischen Schlangengrube weltweit behaupten. Dass der Anschlag nicht so einfach geklärt werden kann, wie es anfänglich den Anschein hat, liefert den Ansatz für die parallel laufende Krimihandlung. Teil zwei der ersten Staffel läuft im März an.

Netflix‘ Stranger Things ist eine Hommage an die 80er-Jahre: Alien meets E.T., ganz im Flair der damaligen Zeit. Keine Handys, klobige Computer, Synthesizermusik und eine spannende Handlung rund um vier Freunde, von denen einer auf dem Heimweg plötzlich verschwindet. Gute und böse Aliens, eigenmächtige Geheimdienste und ruchlose Wissenschaftler – alles, was zu dieser Zeit die Storylines erfolgreicher TV- und Kinoproduktionen ausmachte. Vor allem sehenswert für jene, die damals ihre Jugendzeit erleben durften/mussten.

Was wäre, wenn man in der Zeit zurückreisen könnte, um bestimmte Ereignisse zu verändern? Diese Frage haben sich schon viele Autoren und Regisseure gestellt. Bei 11.22.63, der Serie, die das Datum der Ermordung Präsident Kennedys im Namen trägt, kann Jake Epping, Highschool-Lehrer von Beruf, nur an einen bestimmten Tag im Jahr 1960 reisen und dort leben – kehrt er in die Jetztzeit zurück, so beginnt sich die Geschichte von Neuem, wenn er wieder in die Vergangenheit reist. Nur wenige kennen den Weg hin und retour. Mit dem Ziel, die Ermordung des Präsidenten zu verhindern, unternimmt Epping mehrere Versuche, mit einem (wie bei vielen Zeitreisen) unbeabsichtigten Ende.

Für Fantasy-Freunde sei hier auf The Shanara Chronicles hingewiesen. Dieses Anfang des Jahres gestartete TV-Event kann zwar nicht mit Game of Thrones mithalten, bietet aber dennoch eine solide Geschichte mit Mystik und Magie, guter Musik (z.B. von Two steps from hell) und technisch herzeigbaren Special Effects. Interessant vor allem die apokalyptische Welt, in der sich die Menschheit nach mehreren Kriegen in physisch und psychisch unterschiedliche Gesellschaften aufgeteilt hat: Eine neuartige Erklärung für das Entstehen von Elfen und anderen Rassen, die bereits JRR Tolkien in den 20ern für seine Bücher erfand. Auch wenn die auf MTV gelaufene Produktion auf jugendliches Publikum zugeschnitten ist (ähnlich wie The 100), so kann man sie dennoch auch älteren Fantasyfans empfehlen.

Weniger jugendfrei und wohl auch nicht jedermanns/fraus Geschmack ist Stephen Soderberghs Seriendebut The girlfriend experience. Die junge Jus-Studentin Christine Reade verdient sich neben ihrer Arbeit als Gehilfin in einer Anwaltskanzlei als „buchbare Freundin“ ihren Lebensunterhalt. Schnell kommt sie mit mächtigen Männern in Kontakt, und eine Liaison in der Kanzlei bringt sie in größere Schwierigkeiten. Für mich an dieser Serie faszinierend war die Fähigkeit der Hauptdarstellerin, den „Girlfriend-Modus“ von einer Minute auf die andere an- und abschalten zu können – und auch die Glaubwürdigkeit, mit der Christine ihre Rolle als Freundin zu spielen vermochte. Das gelungene Psychogramm einer nicht gerade durchschnittlichen Frau, Marke Soderbergh.

Weiterhin sehenswert

Unter den Serien, die bereits vor 2016 ihre Premiere im Fernsehen/Internet feierten, ist Game of Thrones wohl die bekannteste. Weiterhin auf hohem Niveau gibt es auch in Staffel sechs wieder einige Überraschungseffekte (ich sage nur: der Sohn der Königin) und tolle schauspielerische Leistungen. Man merkt jedoch, dass sich die Serie langsam dem Ende zuneigt – und dies ist meiner Meinung nach auch schon relativ eindeutig abzusehen. Dazu äußere ich mich aber nur auf persönliche Anfrage. 😉

Für Fans des politischen Thrills ist House of Cards weiterhin zu empfehlen. Die diesjährige Staffel lenkt die Aufmerksamkeit auf die First Lady und ein sehr interessantes Ränkespiel um die wichtigsten Positionen im Staat. In Madam Secretary steht die Außenministerin (manch Anleihe an Hillary Clinton ist zu erkennen) der USA und ihre Versuche, internationale Krisen zu bewältigen, im Mittelpunkt. Gelungen, weil realistische Konfliktherde beleuchtet werden und auch die Lösungen zumeist nicht einfach ausfallen. Wer das Thema Politik etwas humoriger mag, dem seien Braindead (mit Monk-Darsteller Tony Shaloub) und Veep wärmstens empfohlen.

Die zweite Staffel von Narcos, in der es um das Leben von und die Jagd auf Pablo Escobar geht, dem wohl berühmtesten kolumbianischen Drogenboss aller Zeiten, hielt annähernd das hohe Niveau ihrer Vorgängerin aus 2015. Wagner Mouras Darstellung des Chefs des Medelliner Drogenkartells wurde heuer nur von John Lithgows Churchill (siehe oben) übertroffen. 2015 gewann Moura für diese Rolle den Golden Globe.

Was wäre, wenn die Nazis und Japan den Zweiten Weltkrieg gewonnen hätten? Dieser Frage geht The man in the high castle im besetzten Amerika der 1960er-Jahre nach. Hitlers Tod nähert sich, und zwischen den beiden Supermächten erhöhen sich die Spannungen nach dem Attentat auf den japanischen Thronfolger. Dazwischen stehen die Bemühungen einiger Amerikaner, die Besatzer zu vertreiben – und dubiose Bildaufnahmen, die von einer alternativen Realität zu stammen scheinen.

Auch wenn Black Sails einen sehr schwierigen Start hatte, so hat sich diese halbwegs realistische Piratenserie mittlerweile (Staffel drei) eine Empfehlung verdient. Die Charaktere, die in Staffel eins teilweise noch sehr oberflächlich waren, haben – ebenso wie die Handlung – ein akzeptables Niveau erreicht. Da es hier außer dem zu Recht abgesetzten Crossbones wenig Konkurrenz gibt, kann man sich Blacks Sails als Freund des karibischen Abenteuerfilms getrost zu Gemüte führen.

Heuer beendet wurde Hell on Wheels. In dieser Serie geht es um den Bau der transkontinentalen Eisenbahn durch die Vereinigten Staaten. Die historisch getreuen Ereignisse werden durch die Schilderung alltäglicher Probleme, den Kampf zwischen den verschiedenen Eisenbahngesellschaften um die schnellste Route und durch viele Eindrücke aus dem harten Leben in den 1860er-Jahren effektvoll angereichert.

Weitere erwähnenswerte historische Serien sind Turn (die Geschichte um den Aufbau der ersten „Geheimdienste“ im amerikanischen Bürgerkrieg) und Marco Polo, in dem Benedict Wong einen äußert überzeugenden Kublai Khan zum besten gibt. In Peaky Blinders steht eine Gangsterfamilie im Birmingham des Jahres 1919 im Mittelpunkt. Wer meint, dass man schon mit amerikanischen Dialekten so seine Mühe haben kann, sollte sich hierfür allerdings Untertitel besorgen. 😉

Auch in Bloodline dreht sich die Handlung um eine Familie – diesmal allerdings auf den Florida Keys der Jetztzeit. Hier ist etwas Geduld gefragt: Wie in Staffel eins dauert es auch hier mehrere Folgen, bis sich die Geschichte entfaltet – dann aber zieht sie den Seher unausweichlich in ihren Bann. Dunkle Geheimnisse, das (einzige?) schwarze Schaf der Familie, Konflikte zwischen Familie und Beruf – die Breite der beleuchteten Themen ist groß. „We are not bad people – but we did bad things.“

Ebenfalls im Hier und Jetzt angesiedelt ist Shameless, mittlerweile in der siebten Staffel. Die in Chicago lebenden Gallaghers schlagen sich mehr schlecht als recht durchs Leben und kämpfen – durchaus mit Humor – am unteren Rand der Gesellschaft mit ihren alltäglichen Problemen. Herausragend hier der alkoholabhängige Vater, gespielt von William H. Macy, der auf die absurdesten Ideen kommt, um das amerikanische Sozialsystem um Geld zu erleichtern.

Im Agentengenre angesiedelt ist The Americans. Diese Serie handelt von einem Ehepaar: Russische Spione, die offiziell als amerikanische Familie in den USA der 80er-Jahre leben und als überzeugte Sowjetbürger allerlei Aufträge erfüllen müssen, die sie manchmal in moralische Probleme bringen. Mit der Einweihung der in Amerika geborenen Tochter in die Wahrheit nimmt diese Serie eine interessante Entwicklung.

Im Science Fiction-Genre gibt es leider nur The 100 positiv zu erwähnen: Die auf ein jüngeres Publikum zugeschnittene Serie spielt 97 Jahre nach einem Atomkrieg, den die Bewohner einer Raumstation unbehelligt überlebt haben. In einem Versuch, die Erde wieder zu bevölkern, werden hundert straffällig gewordene Jugendliche auf den Boden geschickt, wo sie feststellen müssen, dass nicht alle Menschen vom Krieg dahingerafft wurden. Obwohl es mit Dark Matter, Defiance und Killjoys weitere Produktionen dieses Genres gibt, konnte mich keine davon – weder schauspielerisch noch storytechnisch – restlos überzeugen. Aber Geschmäcker sind ja bekanntlich verschieden.

Zu guter Letzt soll hier die Serie The Black Mirror erwähnt werden, die nach zwei von der BBC produzierten Staffeln in der dritten Auflage bei Netflix gelandet ist. Sie zählt zu meinen all time favorites, weil sie (episodenweise) heute absehbare technische Entwicklungen und ihre Auswirkungen auf zukünftige Gesellschaften darstellt. Viele Episoden enden nicht so, wie man es sich als optimistischer Seher wünscht – eine Seltenheit im Happy-End-überfluteten TV-Einerlei.

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