Der Weisheit letzter Schluss – Von Tragödien und Realsatiren

Meinung

Ein kommentierender Wochenrückblick KW 22/23

Waren das noch Zeiten, als das klassische Kabarett den Verantwortlichen in Politik und Wirtschaft regelmäßig – gleich einem Hofnarren oder einer griechischen Tragödie – den Spiegel vorgehalten hat und uns im Publikum so mancher Lacher im Hals stecken geblieben ist, so mancher auch seine befreiende Wirkung entfalten konnte. Humor ist, wenn man trotzdem lacht – ein geflügeltes Wort, das heute mehr aus Ironie denn aus Überzeugung ausgesprochen wird. Denn die Zeiten haben sich geändert: es herrschen Comedy und Realsatire und die heutigen „Staatskünstler“ haben es schwer, das Format eines Hans-Peter Heinzl oder eines Volker Pispers zu erreichen (Ausnahmen bestätigen auch diese Regel), auch, weil sie auf dem schmalen Grat von künstlerischer Freiheit und künstlicher Beleidigung aufgrund ihrer zunehmenden Abhängigkeit von öffentlichen Geldern lieber den einfacheren Weg wählen.

Geblieben ist allerdings das, was die Grundlage all dieser Humoresken ist: die Tragödie nämlich.

Bevor ich mich dem Thema Nr. 1 der politischen Journaille der vergangenen Woche widmen möchte, wage ich einen Blick in eines jener handfesten Trauerspiele, von denen unser Wirtschaftssystem voll ist. Kürzlich wurde bekannt, dass mit der Übernahme der Möbelhauskette  Kika/Leiner durch ein Konsortium rund um den ehemaligen Geschäftsführer eben jener Kette von der Holding des bestens bekannten und nicht unumstrittenen Investors Rene Benko, der auch politisch ausgezeichnet vernetzt ist, rund die Hälfte der Arbeitsplätze, nämlich 1900, durch die „betriebswirtschaftlich notwendige Schließung“ von mehr als der Hälfte der Standorte quer durch Österreich wegfallen werden. Selbst dadurch aber, so die neuen Eigentümer, sei eine Insolvenz nicht hundertprozentig vom Tisch. Wieder einmal wundert sich die Gewerkschaft, warum sie angeschmiert wurde, hieß es doch noch vor einer Woche seitens des alten und der neuen Besitzer, welch tolles Investment der Deal wäre. Fragt sich bloß für wen. Und da dürften die Herrschaften, für die jede dieser Aktionen nichts anderes als ein DKT- bzw. Monopoly-Spiel ist, wesentlich mehr davon profitieren als deren Spielfiguren. Für die soll es aber sowohl seitens des Unternehmens als auch von Seiten der zuständigen Gewerkschaft bereits neue Arbeitsplätze geben, seien doch im Handel in Österreich rund 13.000 Stellen unbesetzt. Und da macht es doch sicher keinen Unterschied, ob man in einem Supermarkt Regale einräumt oder Kunden bei der Einrichtung ihrer Küche berät. Zynismus off.

Dieses „Geschäft“ stinkt wie so viele andere in unserer asozialen Marktwirtschaft eigentlich zum Himmel, bloß kaum einer, außer den Betroffenen, merkt es. Und es erinnert, was Benko betrifft, fatal an die deutsche Kaufhof-Misere, bei der es auch nur einen Gewinner gibt, nämlich den Investor höchstpersönlich. Nicht alles, was im besten Fall noch rechtens ist, ist auch wirklich gerecht.

Das zu ändern, ist der nun endlich im Amt bestätigte neue Vorsitzende der österreichischen Sozialdemokraten, angetreten. Zumindest verbal. Taten müssen folgen – und so steht Andreas Babler auch schon vor seiner ersten politischen Bewährungsprobe in seiner neuen Aufgabe. Diese war ihm ja zunächst durch ein falsches Ergebnis, das vorerst seinen Konkurrenten, den burgenländischen Landeshauptmann, an die Spitze der SPÖ katapultiert hatte, verwehrt worden. Im vierten Auszählungsdurchgang, zu dem auf Wunsch bzw. auf Anweisung Bablers auch ein Notar beigezogen wurde, bestätigte sich dann, dass er mit einem Vorsprung von 37 der 602 abgegeben Stimmen zum Vorsitzenden und Spitzenkandidaten für die nächste Nationalratswahl seiner Partei gewählt worden war. Und das auch dank der plötzlichen Unterstützung der Wiener Landesgruppe, die sich ursprünglich für die alte Vorsitzende und deutlich gegen die beiden anderen Bewerber bei der dazu durchgeführten Mitgliederbefragung ausgesprochen hatte. Gut angekommen sind seine „linken Worte“ auch bei den Gewerkschaftern, die auch auf seine Seiten wechselten. Wobei es schon krass ist, dass man mit klassischen sozialdemokratischen Themen in einer sozialdemokratischen Bewegung plötzlich links ist. Daran ist zu erkennen, wie sehr der „dritte Weg“ die ehemals sozialistische Partei korrumpiert und an den Busen des Kapitalismus gebracht hat.

Ob der Tragödie, um die Suche nach einem Parteichef und ihrer vielen Volten inklusive des noch nicht wirklich aufgeklärten Trauerspiels um die verwechselten Stimmen, geht das Wesentlichste unter: Kann es einer sozialdemokratischen Institution gelingen, die gerade einen im letzten Moment vereitelten Selbstmordversuch unternommen hat, ihren eigenen Tod á la longue zu verhindern? Ist der neue Vorsitzende der richtige Mann dafür, um ihr wieder Leben, ja Lebenswillen einzuhauchen?

Auch in unserer Redaktion gab es dazu in unserer internen Signal-Debate-Gruppe eine heftige und widersprüchliche Diskussion. Zum einen wurde da eingebracht, dass in einem strukturkonservativen Land wie Österreich die SPÖ bzw. eine linke Koalition weder kurz-, aber auch nicht langfristig die Chance auf eine Mehrheit habe. Dem wurde entgegen gehalten, dass die aktuellen Entwicklungen der Lebensbedingungen schon eine breite Mehrheit der Bevölkerung beträfen, also genug Raum für linke Politik sei. Der Erfolg von KPÖ plus in Graz und nun auch in Salzburg spreche Bände dafür.

Babler selbst sendet noch widersprüchliche Signale: Da sprach er einerseits davon, dass der „Apparat“ bei der Vorsitzendenwahl nicht funktioniert habe, und bezeichnete es als eine seiner ersten Aufgaben, das zu ändern. Andererseits betonte er sowohl in seinen bisherigen Reden als auch in seinem ersten TV-Auftritt nach seiner Wahl, klare linke Positionierungen. Ob er sich damit nun einerseits tatsächlich gegen das Verständnis, die eine Partei als Apparat sieht, entscheiden wird und damit der Gefahr entkommt, als deren Chef zum Apparatschik zu werden oder ob er sich andererseits doch – wie in seinem Wahlkampf um den Parteivorsitz – als Kopf einer „sozialistischen Bewegung“ versteht, wir die Zukunft weisen.

Seine Premiere als SPÖ-Vorsitzender in der ZiB2 war durchaus sympathisch, weil so anders, als das, was man vom Politikern gewohnt ist, ziemlich handgeschnitzt zwar, aber durchaus authentisch. Gespannt darf man sein, wie sehr ihn die Spin-Doktoren in die Mangel nehmen und welche Maske sie ihm verpassen werden, weil sie meinen, dass man so oder so auftreten müsse, um erfolgreich zu sein. Und natürlich, wie sehr sich Andi Babler diesen Empfehlungen beugen wird, um damit im schlimmsten Fall zu einer der ferngesteuerten, aalglatten Persönlichkeiten zu verkommen, von denen es schon mehr als genug gibt in unserer Politik.

Viel wird seit längerem auch schon über die Abschaffung des Bar- zugunsten eines digitalen Zentralbankgeldes geschrieben und geredet. Bemerkenswert, dass es dazu kürzlich wieder einmal Berichte im Mainstream gab, ausgelöst durch ein Pressegespräch der Österreichischen Nationalbank. So zitiert die Wiener Zeitung den Direktor des Geldinstituts wie folgt: „Bargeld ist die einzige Bezahlform, bei der es nur um das Bezahlen an sich geht und die öffentlich zur Verfügung gestellt wird. Alle anderen Formen sind Geschäftsmodelle privater Unternehmen.“ Auch das Verschwinden von Geldausgabeautomaten wurde dabei angesprochen. Des Direktors Schlussfolgerung dazu: Im Gegensatz zum bargeldlosen Bezahlen stünden hinter Barzahlungen keine finanzstarken Unternehmen. Und wenn die Gesellschaft weiterhin immer weniger Interesse bekunde, gelte das Motto „Use it or loose it“. Auch der Vertreter von Münze Österreich machte sich für die Beibehaltung von Barem stark, wie die blauen Seiten des Staatsfunkes anführen. Beide hofften, dass es auch in Zukunft die Wahl zwischen Bargeld- und bargeldlosen Transaktionen geben werde, wobei abschließend doch so etwas wie Skepsis auftauchte: „In einer idealen Welt können die Bürger ihr Zahlungsmittel frei wählen. Wir leben aber in keiner idealen Welt“, hieß es da.

Auch die chemische Industrie bietet der Menschheit regelmäßig Trauerspiele. Im STANDARD wurde diese Woche ein Beitrag zur Giftigkeit von Chemikalien aus der Stoffgruppe von PFAS (per- und polyfluorierte Alkylsubstanzen) veröffentlicht. Diese fett- und wasserabweisenden Stoffe seien zwar sehr praktisch, wiesen aber erhebliche Nachteile auf: in die Natur ausgebracht, könnten sie dort nicht mehr abgebaut werden, auch könnten sie sich mit gesundheitsschädigenden Folgen im menschlichen und tierischen Körper anreichern. Bekannt soll diese Tatsache bereits seit den 70er-Jahren des vorigen Jahrhunderts sein, kommuniziert wurde sie allerdings nie, weil sie das Geschäft damit beeinträchtigt hätte. Erst kürzlich sind diese Erkenntnisse durch eine Forschergruppe aufgedeckt und an die Öffentlichkeit gebracht worden. PFAS sollen nun – zumindest in der EU – verboten werden.

Dem Scheitern der Menschheit an ihren kurzsichtigen Problemlösungsstrategien will „Unsere ZeitenWende“, das neue Online-Magazin „fürs FreiSein“ Einhalt gebieten, in dem man „nach Ideen, Entwürfen und Projekten, die eine freiere und menschlichere Welt eröffnen, um sie gemeinsam weiter zu denken und zu entwickeln“ sucht. Zudem steht die frischgebackene Publikation „für einen Pioniergeist, der die ausgetretenen und eingezäunten Wege verlässt und lieber frei über die Wiese läuft – unabhängig, selbstbestimmt, verantwortungsvoll und in einer friedlichen Gemeinschaft“.

Idealism Prevails wünscht dem idealistischen Medium alles, alles Gute bei der Initiierung von Veränderungen, die die Welt zum Besseren wenden helfen.

Es muss also nicht immer Tragödie sein, um einen Wandel zu bewirken. Doch auch die alltäglichen Trauerspiele können dazu beitragen, war es doch das ursprüngliche Ziel der klassischen Tragödie, eine Läuterung, eine Katharsis des Zusehers zu bewirken. Anschaulich sollte ihm vor Augen geführt werden, was er durch sein Handeln oder auch Nicht-Handeln bewirkt, um ihm die Möglichkeit zur Besserung, ja auch zur Umkehr zu geben. Und auch hier gilt wie bei so fast allem: Wenn wir uns die Tragödien auf der großen Lebensbühne – mit Faszination oder Abscheu, immer aber auch aus der und mit Distanz betrachten – dürfen wir nicht vergessen, dass auf unserer persönlichen Lebensbühne auch das eine oder andere Trauerspiel inszeniert wird. Nur dort können wir direkt, schnell und nachhaltig wirken und mit unserer neuen Betrachtung der Situation tatsächlich etwas bewirken. Im Sinne der Systemtheorie wird diese Handlung auch auf das Große und Ganze Einfluss nehmen, so wie jeder Flügelschlag eines Schmetterlings.

Bildrechte: https://de.wikipedia.org/wiki/Andreas_Babler#/media/Datei:Andreas_Babler_2023_(cropped).jpg

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WG – 2023 KW22-YOUTUBE Wolfgang Müller CC BY-SA 4.0