Der Weisheit letzter Schluss – Vom Verlust des Menschlichen und der Menschlichkeit
Ein kommentierender Wochenrückblick KW 23/23
„Bestätigen Sie Ihre Menschlichkeit“ las ich da kürzlich wieder einmal, als ich eine auf diese Weise vor SPAM geschützte Website nutzen wollte. Diese Aufforderung brachte mich diesmal aber – im Zusammenhang mit der zuletzt überbordenden Berichterstattung zur Künstlichen Intelligenz (KI) – ins Philosophieren.
Ist uns zuerst das Menschliche oder die Menschlichkeit abhanden gekommen, war eine der ersten Fragen, die da in meinen Gedanken auftauchte. Spontan antwortete ich mir: Da es offenbar menschlich ist, die Menschlichkeit im Umgang sowohl mit unseren Artgenossen als auch mit allen anderen Wesen auf diesem Planeten zumindest zeitweise aufzugeben, ist es kein Wunder, wenn letztendlich auch das Menschliche selbst nicht von Dauer ist. Und das Voranschreiten von KI und deren Artgenossen ist in diesem Sinn nichts anderes als eine logische Konsequenz. Alles Menschliche, also auch der Mensch selbst, ist so gesehen letzten Endes obsolet. Die Erde kann sicher auch gut ohne ihn.
Von Menschen erdachte Dystopien erzählen meist von einer furchterregenden Welt, in der der Mensch immer noch seinen Platz hat. Von denen bzw. über die, die diese „brave new world“ als Utopie sehen und sie gerne auch als das „Neue Normal“ bezeichnen, werden seit kurzem fast im Stakkato Meldungen in die Welt gesetzt, die uns auf eben dieses Szenario vorbereiten sollen.
Beginnen wir wieder mal beim Dauerbrenner der letzten Wochen Chat GPT, den eine meiner Kolleginnen sogar als „ihren neuen, besten Freund“ bezeichnet. In einer von der Wiener Zeitung veranstalteten Diskussionsrunde dazu kamen der KI-Experte Clemens Heitzinger, die Autorin Olga Grjasnowa und der Neurologe Georg Psota zu Wort. Heitzinger meinte, dass die KI so etwas wie Hausverstand habe. Chatbots seien darauf trainiert, „möglichst wahre Aussagen zu machen, harmlos und nützlich zu sein.“ Man könne ihnen eine gewisse Intelligenz nicht absprechen. Grjasnowa sieht keine Gefahr für die Literaturszene. Aus ihrer Sicht seien literarische Texte nicht das Ziel der KI. Zudem habe sie „keine große Bandbreite an sprachlichen Registern, sondern produziert verständliche Gebrauchstexte.“ Auch Psota fürchtet sich nicht vor der KI, kann diesbezüglichen Dystopien nur eingeschränkt etwas abgewinnen, nämlich dann, wenn „Menschen Künstliche Intelligenz missbrauchen, um über andere Menschen zu herrschen.“
„Welche Gesellschaft wollen wir haben und sind wir Menschen einfach nur mehr zum Scheitern verurteilte Lebensformen, die auf ihre Errettung durch Künstliche Intelligenz, Superreiche und Bio-Hacking warten“ war eine der Fragen, der sich die diesjährige Republica-Konferenz in Berlin widmete. Deutlich wurde dabei, wie wichtig Medienkompetenz und das Erlernen von Digitalkompetenz für die Zukunft ist und wie wenig das Bildungssystem auf diese Herausforderungen vorbereitet. In der „Corona-Pandemie“ wurden diese Schwächen mehr als deutlich aufgezeigt, geändert hat sich aber wenig bis nichts. Der Dozent für Medientheorie Douglas Rushkoff sprach über sein im Vorjahr veröffentlichtes Buch „Survival of the Richest“. In diesem beschreibt er seinen Austausch mit fünf anonym gebliebenen Milliardären zu Selbstschutzplänen angesichts von ihnen mit „The Event“ betitelten bevorstehenden Krisen. Kritisch betrachtet er dabei, dass keiner von ihnen solche Szenarien abwenden will, sondern dass man in ihren Kreisen der Ansicht sei, nur über genug Geld und die richtige Technologie verfügen zu müssen, um einer von ihnen selbst verursachten Katastrophe zu entgehen. Sarah Spiekerman, Professorin der WU Wien, beendete ihren Vortrag mit einer durchaus menschlichen Option für die Zukunft. Am Ende, so die Wissenschafterin, „stehen jedoch die Menschen, die gemeinsam und solidarisch auf der Erde überleben werden, wenn die Superreichen auf dem Weg zum Mars im All verglühen.“
Gut dazu passt auch der Bericht, dass Elon Musks Hirnimplantat-Firma Neuralink nach eigenen Angaben eine Zulassung der US-Gesundheitsbehörde FDA für klinische Studien am Menschen erhalten hat.
Und auch, dass es sich bei einem aufsehenerregenden Bericht über eine militärische „Killerdrohne“, die in einer Simulation sogar ihren menschlichen Vorgesetzten eliminiert haben soll, weil er sie daran hindern wollte, ihr Ziel zu erreichen, doch nur um ein Gedankenexperiment und reine Hypothese gehandelt haben soll. Diskutiert wurde in diesem Zusammenhang auch über die Möglichkeiten, dass KI-gesteuerte Systeme in die falschen Hände geraten könnten oder plötzlich schlauer als der Mensch sind, womit sie schwer zu stoppen wären.
Wie weit militärische KI auch im aktuellen bewaffneten Konflikt zwischen Russland und der Ukraine eine Rolle spielt, wurde offiziell noch nicht thematisiert. Dass menschliche Intelligenz offenbar auch ihre Schwächen hat, zeigt sich dort aber auf besonders tragische Weise. Und dass die Initiative für Friedenskonferenzen immer den Russland-Sympathisanten untergeschoben werden, ist auch ein beredtes Beispiel für die die Menschlichkeit verachtende menschliche “Klugheit“. Selbst wenn natürlich durchaus auch eine der vielen Wahrheiten hinter dieser Sichtweise stecken könnte, die im Krieg immer der jeweiligen Propaganda zu entsprechen haben und damit nicht wirklich aufzudecken sind. Eine diesbezügliche Initiative musste jedenfalls kürzlich aus den schon zugesagten ÖGB-Räumlichkeiten an einen anderen Ort umziehen, um doch stattfinden zu können.
Redaktionsintern aufgetaucht ist die – auch schon in anderen Situationen gern verwendete – Frosch-Metapher, diesmal um die Taktik der USA in diesem Krieg zu beschreiben: „Wenn man einen Frosch in kochendes Wasser wirft, springt er sofort heraus. Aber wenn man ihn in kaltes Wasser setzt und das Wasser erwärmt, kann man das Wasser erhitzen, bis es kocht, ohne dass der Frosch herausspringt und der Frosch stirbt. Auf diesen Krieg übertragen bedeutet es, dass die USA kein Interesse an einem schnellen Sieg der Ukraine hat, bevor nicht der Großteil der russischen Armee vernichtet ist.“
Derzeit findet in Deutschland eines der größten NATO-Manöver der jüngeren Vergangenheit statt, was auch dem Ukraine-Krieg geschuldet ist. Wenige Wochen davor war ein großes NATO-Luftwaffenmanöver in Nordeuropa anberaumt. Finnischen Medien zufolge wurden dabei die für die Truppen der USA und Großbritannien gelieferten Lebensmittelpakete von der finnischen Lebensmittelbehörde an der Grenze aufgehalten, weil sie aus Nicht-EU-Staaten stammten. Möglicherweise auch ein subtiler Akt von Zivilcourage, der wohl in dieser Form nicht mehr vorkommen wird, möchte sich doch das neueste Mitglied der Militärallianz als verlässlicher Partner erweisen. Über das Schicksal der so handelnden Personen ist aktuell noch nichts Näheres bekannt.
Was Sebastian Kurz für die ÖVP war, soll nun Andreas Babler auf Seiten der Sozialdemokraten sein oder werden. Seine Personalentscheidungen sprechen jedenfalls von der ihm offensichtlich angeborenen Kreativität, die auch ihm die nötigen ideellen und finanziellen Mittel sichern. Als nunmehriger Klubobmann seiner Fraktion im Parlament, die er aufgrund seines Bundesratsmandats ausüben darf, stellt er sich sofort ins Zentrum des politischen Handelns. Um selbst an Profil zu gewinnen oder zumindest nicht zu verlieren, wurden die Posten im Parteimanagement nicht – wie ursprünglich von den Medien kolportiert – mit bekannten Unterstützern besetzt, sondern mit bislang öffentlich kaum hervorgetretenen Parteifunktionären. In der operativen Führung des Parlamentsklubs versucht er, ausgewogen zu agieren und die vermeintlichen drei Lager der Partei zu vereinen. Man wird sehen, ob die thematischen Diskussionen dann intern oder doch lieber wieder extern geführt werden und wie es um den antidemokratischen Klubzwang bestellt ist.
Ein prominenter ÖVP-Lobbyist und ehemaliger ÖVP-Ministersprecher twitterte diesbezüglich durchaus ironisch: „Die @SPOE_at hat jetzt also auch ihren Messias. Wir hatten bereits das Vergnügen. Viel Spaß dabei ;-)“.
Wie weit der neue SPÖ-Vorsitzende sich auch erfolgreich der immer prekärer werdenden Wohnraumsituation annehmen wird, bleib abzuwarten. Das schweizerische Untergrundblättle hat dazu jedenfalls eine spannende Lektüre publiziert, die sich mit einer „stillen Besetzung“ von leerstehendem Wohnraum in Innsbruck beschäftigt. Die Aktivisten betonen, dass sie zu dieser Maßnahme gegriffen hätten, weil sie sich „einerseits selbst das Leben in Innsbruck nicht mehr leisten können und andererseits, weil wir auf die aktuelle Situation aufmerksam machen und andere zu ähnlichem ermutigen wollen.“ Zudem soll die Besetzung ein Zeichen gegen Gentrifizierung und Ausgrenzung sein. Solche durchaus (noch) legalen Praktiken, den bedürftigen Menschen Wohnraum zu entziehen, zeigen eine weitere dunkle Fratze des zunehmenden Verlusts der Menschlichkeit.
Aber auch im Sport, speziell im Fußball ist es mit menschlichen Umständen immer weiter her. So wurde an diesem Wochenende einer der „reichsten“ Clubs der Welt zum Sieger in der europäischen Champions-League. Der im Besitz der Herrscherfamilie des arabischen Emirats Abu Dhabi befindliche Club, der mehrmals UEFA-interne Auflagen bezüglich Finanzierung gebrochen haben und dabei mit sanften Geldstrafen davongekommen sein soll, hat einen aktuellen Spielermarktwert von über einer Milliarde Euro. Die besiegten Mannen von Inter Mailand – der Verein befindet sich übrigens in chinesischem Besitz – sind nur die Hälfte wert, haben sich sportlich an diesem Abend allerdings teurer verkauft und nur knapp mit 0:1 verloren. Auf ran.de wird Manchester City dann auch zum würdigen Sieger in einer unwürdigen Fußballwelt deklariert. Konstatiert wird in diesem Kommentar auch, dass dieser Sieg auch ein Zeichen dafür ist, „dass das System des europäischen Fußballs versagt hat.“
Dass Politik und Fußball – trotz immer wiederkehrender anderslautender Behauptungen – doch mehr miteinander zu tun haben, zeigte das 1000. Fußball-Länderspiel der deutschen Nationalmannschaft, das zu einem Benefizspiel zu Gunsten des Heimatlandes der Gastmannschaft aus der Ukraine umfunktioniert wurde. In der ZDF-Liveübertragung kamen zum Ukraine-Krieg sowohl der deutsche Bundespräsident, als auch der ukrainische Botschafter in Deutschland ausführlich zu Wort. Der Kommentator schloss die Übertragung unter anderem mit den Worten „Die politische Botschaft ist angekommen“, der Regisseur blendete zwischenzeitlich ein von einem seiner Kameraleute eingefangenes Transparent mit den Worten „Danke für den Leopard“ ein. Das Spiel endete übrigens auch ergebnistechnisch ganz freundschaftlich: Nachdem die Ukraine bis zur 82. Minute mit 3:1 in Führung lag, konnten die Gastgeber in allerletzter Minute noch über ein 3:3 jubeln. Der Gewinn der Veranstaltung wurde übrigens mit einer Million Euro beziffert, die der Ukraine-Hilfe zu Gute kommen sollen.
Sich angesichts all dieser Vorgänge die Menschlichkeit zu bewahren, stellt zwar eine sehr große Herausforderung dar, ist aber unabdingbar, wenn man tatsächlich an der Verwirklichung des Guten, Wahren und Schönen mitarbeiten will. Das sollten wir uns zu Herzen nehmen – auch in der Hoffnung, dass die Urheber des Unmenschlichen sich einst nicht nur auf den Mond, sondern – wie weiter oben von der WU-Professorin Sarah Spiekerman ausgeführt – sogar auf den Mars verabschieden werden.
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