Der Weisheit letzter Schluss – Verraten & verkauft

Meinung

Ein kommentierender Wochenrückblick KW 28-29/23

Das von mir in meinem letzten Kommentar vor 14 Tagen angesprochene journalistische Sommerloch hat zwar auch in den letzten beiden Wochen – wie nicht anders zu erwarten war – nicht eingesetzt, eine Geschichte wie damals aber ist dann doch aufgetaucht. Nicht in Schottland und im Loch Ness gab es diesmal ein „Ungeheuer“ dingfest zu machen, sondern im Umland der deutschen Hauptstadt Berlin.

Für rund 37 Stunden gab es in Kleinmachnow „Löwinnen-Alarm“ und es wurde die „teuerste Safari in der Geschichte Deutschlands“ (O-Ton des Vize-Chefs der Deutschen Polizeigewerkschaft, Heiko Teggatz) eingeleitet. Tatsächlich soll es sich jedoch um eine Wildsau gehandelt haben, die von gut bewaffneten Polizisten gefasst werden wollte. Diese Sommerposse führte dann auch im Internet zu zahlreichen Witzen und Gags.

Tatsächlich aber braucht es genau solche Realsatiren, damit das auch in den Sommerwochen mit zahlreichen „Eilmeldungen“ aus verschiedenen Gegenden der Welt herausgeforderte Publikum ein wenig durchatmen kann. Es kracht nämlich an allen Ecken und Enden – und auch für meinen Wochenkommentar gäbe es so viel Stoff, dass ich täglich schreiben könnte. Dennoch will ich mich auch in dieser Woche wieder auf das für mich Wesentliche konzentrieren und hier meine Sichtweise kundtun.

Der Titel meines dieswöchigen Beitrags bezieht sich auf meine Kolleginnen und Kollegen aus dem journalistischen Betätigungsfeld, die es, wenn die Recherchen des österreichischen Boulevard-Mediums „OE24“ stimmen – und ich fürchte es ist etwas Wahres dran – ordentlich in sich haben. Der Journalismus, dessen Versagen als 4. Gewalt mittlerweile nahezu täglich sichtbar wird, verrät nach und nach seine Ideale und lässt sich immer häufiger kaufen. Pauschalverurteilungen liegen mir zwar fern, aber es fällt mir zusehends schwer, die guten von den schlechten Medien im Mainstream zu unterscheiden. Neben Presseförderung und Inseraten (und davon profitiert auch OE24) gab es nun aufgrund einer parlamentarischen Anfrage die Information, dass der Präsident des österreichischen Parlaments Wolfgang Sobotka auf sechs seiner Auslands-Trips auch die Flüge, Hotels und Verpflegung von Journalisten von Kurier, Kronen-Zeitung, Oberösterreichische Nachrichten, Kleine Zeitung, Die Presse und vom ORF in der Höhe von rund 37.500 Euro bezahlt hat. Sobotka steht ja schon seit längerem wegen seines vermeintlich lockeren Umgangs mit den Geldern der öffentlichen Hand in der Kritik, sei es das „Goldene Klavier“ im Parlament oder der Aufwand für 21 Auslandsreisen in der Höhe von über 250.000 Euro. Ihm fehlt mittlerweile wie so vielen seiner Politikerkollegen das viel zitierte Gefühl für die Wirklichkeit, in der der Durchschnittsbürger lebt. Auch das immer wieder gehörte Credo, dass man als Volksvertreter oder Regierungsmitglied ja keinen „normalen“ Job mache sondern quasi rund um die Uhr im Einsatz sei, kann ich nicht ernst nehmen, denn das tun beispielsweise Mütter auch – und sehen dafür kaum einen Cent (selbst wenn man gnädigerweise Kindergeld und Familienbeihilfe dabei berücksichtigt).

Die Debatte zum Wort „normal“ und seiner Definition möchte ich mir und Ihnen ersparen. Dazu ist bereits viel zu viel gesagt worden. Daher mache ich hier einen Punkt.

Viel wesentlicher ist eine weitere Fehlleistung des kapitalistischen Systems, die es beispielsweise Banken (siehe dazu auch hier), Lebensmittelkonzernen oder Energieanbietern ermöglicht, trotz Inflation auf der Gewinnerseite zu landen. Die Politik schaut dabei tatenlos zu und überlässt die weiteren Entwicklungen dem meist asozialen Markt. Die Erfolgsgeschichte der so genannten sozialen Marktwirtschaft bekommt in den letzten Wochen und Monaten eine Delle nach der anderen, sie grenzt mittlerweile bereits an die literarische Gattung des Kunstmärchens, dessen Eigenschaft im Gegensatz zum Volksmärchen das schlechte Ende ist (schlag nach bei Hans Christian Andersen).

Das Framing zum Thema Reichtum nimmt so gesehen logischer Weise immer krudere Formen an. Die liberale Denkfabrik Agenda Austria versucht den Österreichern nun tatsächlich weis zu machen, dass sie reicher als gedacht seien. Wenn man nämlich die Pensionsansprüche einrechne, dann verschiebe sich die Vermögensverteilung nämlich folgendermaßen: Die oberen zehn Prozent hätten dann nicht mehr 56,4 Prozent des Vermögens sondern nur noch 38,1 Prozent, die unteren 50 Prozent aber immerhin 14,9 statt 3,6 Prozent.

Auch der „Flüchtlingsdeal“ mit Tunesien, dem noch solche mit weiteren Staaten folgen sollen, lässt Zweifel an der Menschlichkeit und am Bewusstsein für eine für unser Sozialsystem notwendige Zuwanderung aufkommen. Staaten mit finanziellen Mitteln zu unterstützen, damit sie mögliche Fluchtbewegungen im Keim ersticken – beispielsweise in dem sie wie im Fall Tunesiens Geflüchtete gezielt in die Wüste deportieren und dort ihrem Schicksal überlassen – kann nicht der Weisheit letzter Schluss sein. Das überwiesene Geld wird also nicht dafür genützt, um die Bedingungen in den Heimatländern der Vertriebenen zu verbessern, sondern fließt mutmaßlich wohl in andere Kanäle.

Auch der Beitritt Österreichs zur „Europäischen Sky-Shield Initiative (ESSI)“ wirft Fragen auf, sowohl solche, die Neutralität, als auch jene, die Bewertung dieses Schrittes durch den Politikwissenschafter Peter Filzmaier betreffend. Die ehemalige grüne Bundessprecherin, die Juristin Marlene Petrovic hat diesem in ihrer umfassenden Replik deutlich widersprochen. Für sie ist die Initiative der Bundesregierung ein klarer Verstoß gegen die immerwährende Neutralität des Landes.

Bei der am vergangenen Sonntag abgehaltenen Wahl in Spanien hat die konservative Opposition zwar die relative Mehrheit erhalten, das genügt aber nicht, um die aktuelle Regierung des sozialistischen Regierungschefs Pedro Sánchez abzulösen. Wegen der sich aus dem Ergebnis abzuleitenden Pattstellung sehen die meisten Beobachter Spanien bereits auf einen neuerlichen Wahlgang zusteuern.

Auch die Hitze macht so manchem schwer zu schaffen. Klimawandler und Klimaleugner – was für einschränkende und irreführende Begriffe, die die Realität des nötigen Diskurses in einer solch wesentlichen Frage nicht annähernd abbilden – liegen einander in den Haaren. Die offiziellen Stellen tun ihr übriges, um die Debatte anzufachen, wie man auf der Startseite des österreichischen Gesundheitsministeriums oder am Gezwitscher des deutschen Gesundheitsministers aus Italien erkennen kann. Der oben angesprochenen Realität werden sie wegen ihrer Extremität allerdings nicht gerecht; sie schaden vielmehr der wichtigen Auseinandersetzung in dieser Frage mit dem Ziel, einen gesellschaftlichen Konsens oder zumindest einen Konsent zu erzielen. Auch der in der C-Zeit bekannt gewordene „Zahlenfreak“ Oliver Lerch hat sich der offiziellen statistischen Horrormeldungen angenommen und diese gut nachvollziehbar relativiert. Die darin enthaltenen Zahlen wohlgemerkt, nicht das Thema!

Und das von Russland nicht mehr verlängerte Getreideabkommen führt zu weiteren Verwerfungen und wird gerne wieder als Argument für die bedrohte Ernährungssicherheit in Europa, aber auch in den Staaten Afrikas genommen. Die außenpolitische Redakteurin der Oberösterreichischen Nachrichten Heidi Riepl kommentiert dazu – hinter der Bezahlschranke – durchaus entlarvend: „Doch wie immer im Leben hat auch diese dramatische Entwicklung eine zweite Seite: Denn nur ein Bruchteil der ukrainischen Getreidelieferungen geht an die sogenannten Hungerländer. Der Rest wird über die Terminbörsen zu Höchstpreisen gehandelt und soll die ukrainische Verteidigung gegen Russland (mit)finanzieren.“ Und weiter: „Wäre der Westen ernsthaft an der Vermeidung einer globalen Hungerkrise interessiert, dann müssten spätestens jetzt im Eiltempo Verhandlungen über ein neues Getreideabkommen beginnen. Jeder einzelne Tag, an dem wieder volle Getreideschiffe die Ukraine verlassen, wäre kostbar. Doch verhandeln wird derzeit niemand. Auch nicht die UNO. Und noch eine Frage drängt sich auf: Warum eigentlich darf Russland noch immer Uran-Brennelemente für westliche AKW exportieren, damit die reichen Länder keinen Strom sparen müssen? Russisches Getreide dagegen ist und bleibt im Westen unerwünscht.“

Um auch diesmal wieder einen versöhnlichen und positiven Abschluss meines Kommentars, der sich dem Wahnsinn dieser Welt widmet, zu finden, möchte ich Sie auf meine neue Kolumne auf Substack bzw. der dezentralen Twitter-Alternative Mastodon hinweisen (Anm. Twitter wird ja wohl bald X heißen, weil der bisherige Name für den großen Elon zu klein geworden ist). Darin geht es um ein Lob der Langeweile und der Langsamkeit, die man in den Sommerwochen – auch wegen der Hitze und der schon seit jeher auch in den südlichen Staaten Europas geprägten Siesta, die auch bei uns Einzug halten sollte – pflegen könnte, ja sollte. Darin komme ich zu folgendem Schluss; „Der Muße Rechnung zu tragen, der Langeweile, die bloß eine lange Weile Zeit ist, in der man sich dem Dringlichen entziehen und dem wirklich Wichtigen widmen kann, und der Langsamkeit, die einen auf den Boden bringt und dennoch zum Träumen anregt, den notwendigen Raum zu geben, bringt einen auf die eine oder andere gute Idee.“ Und die brauchen wir dringend, wenn wir uns als Menschen und damit unsere Welt zukunftsträchtig weiterentwickeln wollen.

Im Übrigen bin ich der Meinung, dass jeder Euro, den Sie, liebe Leserin, lieber Leser in die Unterstützung eines unabhängigen Mediums oder eines unabhängigen Journalisten investieren, der wesentlichste Beitrag zur Erhaltung wahrer Pressfreiheit ist.

Bildrechte zu Wolfgang Sobotka: https://de.wikipedia.org/wiki/Datei:Wolfgang_Sobotka_23-05-2013_01.JPG

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WG – 2023 KW28-29-YOUTUBE-IPHP Wolfgang Müller CC By-SA 4.0
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