Der Weisheit letzter Schluss – Staats-Gewalt
Ein kommentierender Wochenrückblick – KW 46/22
- Bietet das Krisensicherheitsgesetz die Grundlage für Krisen am Laufband?
- Muss die Menschenrechtskonvention überarbeitet werden?
- Will der ukrainische Präsident den 3. Weltkrieg?
- Corona-Update: Neue Impfkampagne und Glocken bei jeder Geburt
- Und: In der Schweiz wird aufgeräumt
Was für eine Woche, die Dynamik der Schlag-Zeilen löst mit ihrem Stakkato einerseits einen dauerhaft erhöhten Herz-Schlag aus, zum anderen hat sie das Potential einen zu er-schlag-en. Es fällt mir immer schwerer, mich zu entscheiden, was von den Themen, die sie ankündigen, ich denn in meinen Wochenrückblick aufnehmen soll. Ich versuche es dennoch auch diesmal.
Apropos Schlag: ein Schlag ist per se ein gewaltvoller Akt. Gewalt herrscht aber nicht nur sinnbildlich im Blätterwald, sondern auch tatsächlich an allen Ecken und Enden dieser Welt, vornehmlich im Großen und doch immer wieder auch im Kleinen. Wobei der Begriff an sich in seiner ursprünglichen Bedeutung noch neutraler war, ging es doch um’s Walten, um Macht und Herrschaft. Walten bedeutete auch sorgen, pflegen und bewirken, Macht impliziert das „Machen“, demnach sind jene mächtig, die machen, also Macher sind. Das können wir letztlich alle. Die Herrschaft aber führt uns schon ein wenig weiter in die Sphäre, aus der sich die heutige Bedeutung von Gewalt geboren wurde. Wer herrscht, der übt Gewalt über andere aus – und das durchaus auch im praktische Sinn. Helmut Schmid hat einst in einem ZEIT-Interview mit Giovanni di Lorenzo das mittlerweile vielzitierte Wort vom „Staatsterrorismus“ geprägt. Gerade in den letzten drei Jahren wurde es oft aus dem Archiv geholt, fühlte sich eine durchaus ansehnliche Gruppe von Menschen tatsächlich durch den Staat bedroht. Auch lässt sich nicht verleugnen, dass der Staat durch seine drei Gewalten durchaus auch gewaltsam vorgeht, sei es etwa durch die Polizei, die Behörden, u.a. die Kinder- und Jugendwohlfahrt, wenn es ums recht schwammig definierte Kindeswohl geht oder durch gesetzliche Regelungen oder Verordnungen zum „Schutz“ der Bevölkerung.
Das von der österreichischen Bundesregierung auf den Weg zur Gesetzwerdung gebrachte Krisensicherheitsgesetz ist ein sprechendes Beispiel dafür, das am 8.11.22 im Rahmen einer Pressekonferenz von Innenminister, Verteidigungsministerin und Gesundheitsminister der Öffentlichkeit präsentiert wurde. Es geht nun für sechs Wochen in Begutachtung und soll im Frühjahr 2023 im Nationalrat behandelt und beschlossen werden. Die Grundlagen dafür wurden bereits im Regierungsprogramm und in einem gemeinsamen Entschließungsantrag im Parlament gelegt, am Nationalfeiertag des Vorjahres wurde es dann im Ministerrat beschlossen. Für die Öffentlichkeit ist der Gesetzesentwurf (derzeit) nicht einsehbar. Im Blog für Science und Politik tkp.at, dem der Entwurf vorliegt, wurde eine umfassende Betrachtung dieser Regierungsvorlage durch den Historiker Stephan Sander-Faes, der als Assistent am Historischen Seminar der Uni Zürich wirkt, veröffentlicht. Die hier veröffentlichten Details sind wichtig, um sich ein Bild über dieses Vorhaben zu machen, dominiert in den Mainstream-Medien doch vor allem die Berichterstattung über das als „Bunker“ bezeichnete Bundeslagezentrum, das beginnend mit Sommer 2023 mit einer Bauzeit von zwei Jahren und mit öffentlichen Mitteln in der Höhe von 50 Millionen Euro im Untergeschoß des Innenministeriums in Wien durch den Umbau der dortigen Tiefgarage errichtet werden soll. Wesentlicher aber sind die Feinheiten im Gesetzesentwurf, allen voran die Definition von Krise im § 2. Darin heißt es: „Droht unmittelbar oder entsteht ein Ereignis, eine Entwicklung oder sonstige Umstände in Bereichen, in denen dem Bund die Gesetzgebung und Vollziehung zukommt, eine Gefahr außergewöhnlichen Ausmaßes für das Leben und die Gesundheit der Allgemeinheit, die öffentliche Ordnung und Sicherheit im Inneren, die nationale Sicherheit, die Umwelt oder das wirtschaftliche Wohl, deren Abwehr oder Bewältigung die unverzügliche Anordnung, Durchführung und Koordination von Maßnahmen im Zuständigkeitsbereich des Bundes dringend erforderlich macht, liegt eine Krise vor. Unberührt davon bleiben die Fälle der militärischen Landesverteidigung.“ Im § 3 wird dann Folgendes ausgeführt: „Die Bundesregierung ist ermächtigt, im Einvernehmen mit dem Hauptausschuss des Nationalrats durch Verordnung das Vorliegen einer Krise festzustellen.“ Diese Vorgangsweise ist ja bereits aus C-Zeiten bestens bekannt – und wird hier nochmals verschärft. Zukünftig ist schon die drohende Gefahr einer solchen im Gesetz definierten Krise Anlass genug, diese und die daraus folgenden Maßnahmen zu verordnen. Auf diese ist die Bevölkerung durch die „Übungsszenarien“ der C-Krise ja bereits vorbereitet, regierte (und regiert bis heute, wenn auch mehr im Hintergrund) der gesetzlich ermächtige Gesundheitsminister im Alleingang per Verordnung und triezte damit gesamt Österreich.
Eine Woche später gaben dann die Sicherheitssprecher aller drei Oppositionsparteien in einer Pressekonferenz ihre Kritik bekannt, die FPÖ bezeichnete den Entwurf sogar als „in kürzester Zeit hingerotzt“. Die vor einem Jahr angekündigten Verhandlungen über einen gemeinsamen Entwurf hätten niemals stattgefunden, ein erstes Gespräch dazu sei erst für diesen Nachmittag geplant. Die Regierung ist aber gut beraten, die parlamentarische Opposition einzubinden, braucht sie doch im Nationalrat eine Zwei-Drittel-Mehrheit.
Gespannt darf man sein, ob sich NEOS und SPÖ wie in Sachen „C“ der Regierungsmeinung anschließen und die FPÖ paradoxerweise als einzige Verteidigerin der Grundrechte überbleibt, mit denen sie ja als Regierungspartei so gar nicht auf Du und Du war.
Angesichts der zum Teil schweren Ausschreitungen zu Halloween in mehreren Städten Österreichs, darunter Linz, Klagenfurt, Salzburg und in Wien Floridsdorf, ist in unserem Land eine Debatte zum Asylrecht ausgebrochen. Der Innenminister versprach ein hartes Durchgreifen, auf Servus-TV wurde eine Woche darauf im Magazin „Link-Rechts-Mitte“ diskutiert und nach Lösungen gesucht.
In der Zwischenzeit hat sich die Debatte, angefeuert vom ÖVP-Klubobmann und einigen Landeshauptleuten bzw. Landesparteivorsitzenden seiner Gesinnungsgemeinschaft zu einer Debatte ums Asylrecht ausgeweitet. Gefordert wird nicht weniger als ein „Update“ der Europäischen Menschenrechtskonvention (EMRK). Diese ist 1953 in Kraft getreten, Österreich ist ihr 1958 beigetreten und hat sie verfassungsmäßig abgesichert.
Die Argumentation der türkisen bzw. schwarzen Politiker, die beim Koalitionspartner in der Bundesregierung und auch beim amtierenden Staatsoberhaupt aber auch bei Parteikollegen wie dem Vizepräisdenten des Europäischen Parlaments oder der Kanzleramtsministerin auf keine Gegenliebe stoßen, lassen sich wie folgt zusammen fassen:
- die Auslegung der EMRK „durch manche Gerichte“ habe oft nur mehr wenig „mit dem Grundgedanken“ der Konvention zu tun (ÖVP-Landeshauptfrau von NÖ)
- die „exzessive Auslegung“ in der Rechtssprechung habe im europäischen Asylsystem zu teils „absurden Situationen“ geführt (ÖVP-Integrationsministerin)
- „Wir müssen etwas dagegen tun, dass Asyl als Deckmantel für Migration missbraucht wird.“ (ÖVP-Landesparteiobmann von Kärnten)
- “Die fortlaufende Weiterinterpretation durch den Gerichtshof für Menschenrechte in Straßburg kann man als ein sich verselbstständigendes Richterrecht sehen. Da stellt sich die Frage nach der demokratischen Legitimation.“ (ÖVP-Landehauptmann der Steiermark)
- Die Grundrechte und die Rechtsprechung zu Asyl- und Migrationsfragen müssten jedoch an aktuelle und künftige Herausforderungen angepasst werden (ÖVP-Innenminister)
- Die über die Jahre gewachsene Rechtsprechung bereite Schwierigkeiten, „und es wäre falsch, die Augen vor den Problemen zu verschließen.“ (ÖVP-Landehauptmann von Vorarlberg)
- Das geltende Recht und die juristische Interpretation daraus müssten angesichts der „dramatischen Flüchtlingsbewegungen“ aber auch Lösungen beinhalten, „wie die europäischen Staaten mit den massenhaften Asylanträgen, offensichtlichen Wirtschaftsflüchtlingen, illegaler Migration und dem kriminellen Schlepperwesen umgehen können“. (ÖVP-Landeshauptmann von Tirol)
- „Klar ist: Es kann mit der unkontrollierten Migration nicht mehr so weitergehen.“ (ÖVP-Landehauptmann von OÖ)
- “Wir benötigen aber eine Lösung für Wirtschaftsflüchtlinge, die sich auf Asylgrundsätze berufen – ohne aber dass sie überhaupt Aussicht auf Asyl haben.“ (Sprecher des Salzburger ÖVP-Landeshauptmannes)
Kritik gab es auch von SPÖ und NEOS, während die FPÖ den Überlegungen zustimmte.
Aktuell gibt es für Kriegsvertriebene aus der Ukraine eine besondere Regelung: sie werden umgehend integriert und dürfen auch sogleich am österreichischen Arbeitsmarkt aktiv werden. Das ist ja an sich eine bemerkenswerte Überlegung, doch auch hier hat sie wohl ein Ablaufdatum. Denn den Ukrainern traut man durchaus zu, dass sie sofort nach Ende des Krieges in ihr Land zurückkehren werden, was man anderen Nationalitäten immer wieder abspricht. Möglicherweise könnte da eine Integrationspolitik wie in Finnland ein Vorbild sein, wo es klare und strenge Regeln gibt; jene aber, die den Berechtigungsprozess positiv durchlaufen haben, werden umgehend und ganzheitlich in die Gemeinschaft aufgenommen.
Zurück zur Ukraine und dem dieser Tage erneut eskalierenden Konflikt, der durch die Tötung zweier Menschen an der polnisch-ukrainischen Grenze ausgelöst wurde, weil dort eine Rakete auf polnischem Staatsgebiet einschlug. Für den ukrainischen Präsidenten war dies eine gezielte Aktion Russlands, die sofort mit einem entsprechenden Gegenschlag durch die NATO-Partner Polens beantwortet werden müssten. Sowohl in Polen, als auch in den USA und der NATO war man aber zurückhaltender und sprach umgehend von einem „unabsichtlichen“ Ereignis. Den derzeit vorliegenden Untersuchungsergebnissen zu Folge, soll es sich um eine fehlgeleitete ukrainische Abwehrrakete handeln. Diese Sichtweise teilt auch der Russland-Experte Gerhard Mangott, der sowohl auf ORF als auch auf der freien Medienplattform Idealism Prevails mit seinen Ausführungen zur Situation zu sehen ist. Für den ukrainischen Präsidenten ist dieses Ergebnis erst dann bindend, wenn auch seine Experten die Lage vor Ort nochmals untersuchen können. Bis dahin bleibt er – laut Medienberichten – auf Basis der ihm durch seine Militärs übermittelten Informationen bei der These, dass Russland Polen angegriffen habe. Und auch die westliche Wertegemeinschaft sieht die Schuld nicht bei der Ukraine, sondern bei den Russen, die ja durch ihre Angriffe auf die Ukraine diesen missglückten Gegenschlag provoziert haben.
Apropos NATO. Wie der ORF auf seinen blauen Seiten berichtet, will die österreichische Verteidigungsministerin eine Beteiligung Österreichs an der „Sky Shield“-Initiative, dem geplanten Luftabwehrsystem der europäischen NATO-Länder, ausloten. Bestätigt durch einige Verfassungsgutachten gebe es durchaus Möglichkeiten zu einer engeren Zusammenarbeit, allerdings müssten in dem Fall trotz des auf 16 Milliarden Euro erhöhten Heeresbudgets zusätzliche Mittel locker gemacht werden.
Wenn es um Staatsgewalt geht, dann darf auch das aktuelle C-Update nicht fehlen. Da ist einerseits die unsägliche neue „Impf“-Kampagne der österreichischen Bundesregierung zu erwähnen, die mit so Werbesprüchen wie „Ich schau dir in den Impfpass Kleines“ oder „Tu felix Austria, impfe!“ punkten will, Kosten unbekannt. „Wir möchten das Thema mit einem Lächeln verbinden, das in den vergangenen Jahren durch schwierige Diskussionen negativ besetzt war”, wird der Gesundheitsminister in einer diesbezüglichen Presseaussendung zitiert und gibt sich damit eher der Lächerlichkeit preis. Wobei wir ja schon seit Längerem wissen, dass ihm und seinen Vorgängern dafür nichts zu blöd ist. Krass allerdings ist die Verteilung von „Impf“-Foldern an Österreichs Schulen, die laut dem absolut nicht radikalen Gesundheitsökonomen Martin Sprenger vor Un- und Halbwahrheiten strotzen. Diese hat er in einem Offenen Brief an den Gesundheitsminister publiziert.
Wie die Website des Österreichischen Staatsfunks berichtet, wird derzeit im Turm des St. Pöltener Rathauses ein neues Glockenspiel montiert. Und mit seinem Klang soll in Zukunft, beginnend mit dem Neujahrsbaby 2023, die Geburt jedes in der niederösterreichischen Landeshauptstadt zur Welt gekommenen Kindes gefeiert werden. Unbestätigten Gerüchten zu Folge soll damit der seit Jahren bestehende Geburtenrückgang aufgehalten und Paare motiviert werden, für Nachwuchs zu sorgen. St. Corona, erhöre uns! (Ironie off)
Und auch diese Woche gibt es wieder Erfreuliches aus unserem westlichen Nachbarland zu berichten. Rechtsanwalt Philipp Kruse hat bereits am 14. Juli dieses Jahres eine umfassende Strafanzeige gegen Swissmedic, die Zulassungs- und Kontrollbehörde für Heilmittel in der Schweiz, eingebracht. Angesichts der damaligen Abwägung der Interessen sei man zum Schluss gekommen, so Kruse, dass mit der öffentlichen Publikation zuzuwarten ist, bis die Staatsanwaltschaft genügend Zeit hatte, die dringlichen Beweissicherungen zu tätigen. Mittlerweile wurde von der zuständigen Staatsanwaltschaft ein Verfahren gegen Unbekannt wegen fahrlässiger schwerer Körperverletzung eingeleitet. Die Strafanzeige kann auf der dafür eigens eingerichteten Website in voller Länge abgerufen werden.
Das Beschreiten des Rechtswegs ist ein wichtiges, wenn in solchen komplexen Verfahren auch langwieriges Mittel, um die Ereignisse der letzten Jahre aufzuarbeiten. Daneben muss es wohl auch die vollständige Aufarbeitung der politischen Entscheidungen geben, wobei hier die Frage ist, ob es in Österreich eine Partei gibt, die sich dazu berufen fühlt, diesbezüglich einen parlamentarischen Untersuchungsausschuss einzuleiten. Der von Rechtsanwalt Dr. Michael Brunner gegründete außerparlamentarische Corona-Untersuchungsausschuss ist leider schon vor geraumer Zeit sanft entschlafen.
Abschließend möchte ich noch eine Lanze für jene Menschen brechen, die sich trotz allem der Zukunft widmen und sich mit ihren Ideen unermüdlich für ein lebenswertes Miteinander in einer neuen Form einsetzen. Sie sind bei genauem Hinsehen überall zu finden und ihnen gilt es auch die nötige Aufmerksamkeit zu widmen, zuerst wohl besser noch im Kleinen, denn im Großen werden solche Initiativen sehr schnell im Keim zu ersticken versucht. Aber gerade sie sind die Pioniere, die – wie so viele ihrer Vorgänger im Lauf der Weltgeschichte – dazu beitragen werden, dass sich das Angesicht der Welt maßgeblich und entscheidend verändern wird. Und daran kann a la longue auch keine Staats-Gewalt der Welt etwas ändern.
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