Der Weisheit letzter Schluss – Nichts gelernt?!?

Meinung

Ein kommentierender Wochenrückblick – KW 47-48/23

Angenommen habe ich es,als ich vor 14 Tagen den Veröffentlichungsrhythmus meines Wochenkommentars für die Zeit bis nach den Weihnachtsfeiertagen halbiert habe, dass sich die letzten Wochen des Jahres gelinde gesagt sehr dynamisch gestalten. Und trotz der Herausforderung, die die Fülle an Ereignissen, die kommentiert werden wollen, stellt, bereue ich es nicht, mich ein wenig entschleunigt zu haben. Es ist vielleicht nur der Tropfen auf den heißen Stein, nur ein wenig mehr Zeit, aber im anderen Fall, hätte möglicherweise ein anderer Tropfen das Fass zum Überlaufen gebracht – zum Schaden für meine Umgebung und mich. Zudem konnte und kann ich mich in diesen Tagen in der finnischen Haltung des Sisu üben, die zu beschreiben ganze Bücher erfordert, die aber letztlich darauf abzielt, die Anforderungen und Fragen des Lebens mit Geduld und Ausdauer anzunehmen und die passenden Antworten zu finden. Ich bin also dabei, dazu zu lernen.

Beim auslaufenden Jahr kann man das leider nicht erkennen, es wird nicht klüger, je älter es wird. Diese Tatsache, dass Alter nicht automatisch zu Weisheit führt, hat einst schon Curd Jürgens besungen, als er „60 Jahre und kein bisschen weise“ und „aus gehabtem Schaden nichts gelernt“ intonierte. Ein klein wenig optimistischer sieht das der Medizinhistoriker Gerd Reuther, der davon spricht, dass sich Geschichte zwar nicht wiederholt, aber durchaus reimt. Das Ergebnis ist damit leider nur minmal, wenn überhaupt, besser. Und ein legendärer österreichischer Bundeskanzler (ja, die gab es anno dazumal tatsächlich) empfahl einem Redakteur „Lernen’S ein bissl Geschichte …“

Dieser Bundeskanzler hatte auch eine andere Sichtweise auf den Nahostkonflikt, was ihm durchaus immer wieder vorgeworfen wurde. Er pflegte Beziehungen zur PLO unter Yassir Arafat, versuchte auf diese Weise, die Palästinenser von ihren terroristischen Aktivitäten abzuhalten. Der Erfolg war mäßig, der damalige Kanzler ließ sich davon aber nicht beirren. Einem Land mit immerwährender Neutralität steht es durchaus gut an, das Gespräch mit beiden Seiten zu suchen und nicht einseitig Partei zu ergreifen. Genauso wichtig aber ist es, Terrorismus und Gewalt eine klare Absage zu erteilen, gleichzeitig aber die für eine Konfliktbeilegung notwendige Gesprächsbasis zu allen Beteiligten aufrecht zu erhalten – ein Gratwanderung. Aber unumgänglich. Das betont auch General i. R. Günther Greindl in meinem nächsten Kamingespräch, das kommende Woche anlässlich des Internationalen Tags der Neutralität am 12.12.23 veröffentlicht werden wird. In diesem fordert er u.a. eine bessere Ausbildung österreichischer Diplomaten in Krisendiplomatie und eine Beachtung jener Regeln, zu denen uns die immerwährende Neutralität verpflichtet. Die New York Times hat kürzlich Informationen veröffentlicht, die es nicht unmöglich erscheinen lassen, dass im unsäglichen Krieg zwischen Israel und der Hamas der Auslöser ein Fall von LIHOP („Let it happen on purpose“) gewesen ist. Die Gretchenfrage, die sich in allen Grauslichkeiten auf dieser Welt stellt, ist tatsächlich immer dieselbe: Cui bono – wem nützt es? Und Nutznießer gibt es auch in diesem Fall, auch wenn das nicht die Mehrheit der in diese Auseinandersetzung hineingezogenen Zivilbevölkerung auf beiden Seiten ist.

Alles nur eine Frage der Bildung? Dieser Angelegenheit bin ich schon mehrfach an dieser Stelle nachgegangen. Ein Ja scheint zumindest sehr wahrscheinlich. Eine weitere Frage, die sich dabei ergibt, ist jene, wie man Bildung definiert. Die aktuell wieder einmal präsentierte PISA-Studie geht bei ihren Untersuchungen in den einzelnen Bildungs-Bereichen von einer rein quantitativen“ Wissensfeststellung“ aus. Dieses Setting ist aus meiner Sicht sehr oberflächlich und ist keine qualitative „Bildungsfeststellung“. Diese würde auch andere Bereiche einbeziehen und nicht bloß auf Momentaufnahmen – wie sie die PISA-Testungen ja sind – setzen. Dennoch stimmt die Tendenz der Ergebnisse auch mit meiner Wahrnehmung überein: Der „Bildungsturm“ von PISA wird in Österreich immer schiefer. Vielleicht auch deswegen, weil man weiterhin auf Quantität und nicht auf Qualität setzt.

Vor einigen Jahren hat man in Österreichs Bildungspolitik aufgrund der schlechten Ergebnisse dieser alljährlichen Bildungsmessung die Förderung der elementarpädagogischen Bildungseinrichtungen, also von Kindergärten, Kindergruppen und Tageseltern, beschlossen. Übrig geblieben ist davon wenig, viele Träger von kleineren Einrichtungen wie Kindergruppen und Tageseltern kämpfen finanziell ums Überleben. Das einzige Kalkül, dass man dahinter vermuten kann, ist jenes, dass man „freien“ Bildungsinstitutionen den Garaus machen und staatliche Einrichtungen ausbauen will. So musste kürzlich in Oberösterreich ein Verein, der seit Jahren Tageseltern vermittelt, Insolvenz anmelden.

Aber vielleicht rettet ja die ORF-Reform die Bildung junger Menschen in Österreich. Mit einem Zuwachs von immerhin 714.000 Beitragszahlern lässt sich schon ganz schön Kohle machen und ein laut Generaldirektor Weißmann sogar im Gesetz festgeschriebener 24/7-Kinderkanal einrichten. Der ORF-Chef im O-Ton: „Was die Vision hinter dem Kinderkanal ist, muss man den Gesetzgeber fragen. Wir setzen nur um, was gesetzlich beschlossen worden ist“. Auf diese Weise lassen sich womöglich sogar die Millionen für die Betreuung von Kindergartenkindern einsparen, der Bildschirm ist ja ohnehin schon seit gefühlt Jahrzehnten der bei Eltern beliebteste Babysitter. Sie selbst sind ja aus verschiedenen Gründen nicht mehr in der Lage, ihre Kinder ausreichend zu begleiten. Erwerbsarbeitsdruck, gesellschaftliche Zwänge und von der Werbung propagierte Selbstverwirklichungswünsche lassen grüßen.

Zur Selbstverwirklichung, die im schlimmsten Fall im puren Egoismus endet, fühlte sich offenbar auch René Benko berufen. Sein SIGNA-Kartenhaus stürzt aktuell schneller ein als er, seine Geldgeber und die mit der Sanierung beauftragten Manager schauen können. Meine Frau hat vor Jahrzehnten an einer BFI-Fachhochschule ein Wirtschaftsstudium absolviert und dabei gelernt, dass es günstig ist, Tochterfirmen zu gründen, da sich dadurch der Unternehmensgewinn steuersparend verpacken lässt. Benko setzte dem ja noch eins drauf, in dem er es „verabsäumte“, Bilanzen zu legen und somit auch die gesamtwirtschaftliche Situation seiner 1600 Tochterfirmen und der gesamten Holding „verschleierte“. Die Strafen dafür zahlte er offenbar aus der Portokassa, die längst fälligen Aufstellungen lieferte er niemals nach.

In die Sache sind – wie sich nach und nach herausstellt – auch die einen oder anderen Politiker verwickelt. Die kürzlich beschlossenen Untersuchungsausschüsse, die jetzt auch live übertragen werden sollen, wollen auch in dieser Causa Licht ins Dunkel bringen. Zu befürchten ist allerdings, dass sie im Wahljahr 2024 nichts anderes als das im Wahlkampf übliche politische Gemetzel bringen, also genau das, was den Wähler ohnehin schon anödet und ihn wahrscheinlich eher vom Wählen abhält. Auch dass Nationalratspräsident Wolfgang Sobotka beiden Ausschüssen vorstehen will – was gesetzlich sein absolutes Recht ist – bietet Kritikern jede Menge Anlass, die Beratungen als reine Show abzutun. Gestählt unter Erwin Pröll in Niederösterreichs ÖVP sieht Sobotka keinen Grund, sich durch das bisschen Wind aus dieser Funktion treiben zu lassen. Auch auf das diesbezügliche E-Mail aus unserer IP-Redaktion hat er bislang nicht geantwortet. Möglicherweise hat man es in seinem Stab wegen Bedeutungslosigkeit sogar von ihm fern gehalten.

Spannend bleibt es um den Nationalratspräsidenten trotzdem, weil Justizministerin Zadic eine Untersuchungskommission eingerichtet hat, um die vom verstorbenen Justiz-Sektionschef Christian Pilnacek vorgebrachten Vorwürfe eines mutmaßlichen Amtsmissbrauchs Sobotkas zu untersuchen. Zumindest interessant ist ein Bericht in den Oberösterreichischen Nachrichten, wonach Pilnacek kurz vor seinem Suizid und nach dem Führerscheinentzug aufgrund einer Geisterfahrt in alkoholisiertem Zustand von einer Mitarbeiterin des Nationalratspräsidenten, mit der er eng befreundet war, abgeholt worden war. Dort heißt es auch: „Aus einem unbekannten Grund stieg Pilnacek auf dem Nachhauseweg aber aus dem Auto aus und ging in die Donauauen. Dort wurde er später tot gefunden.“ Abgestürzt ist der „Eiserne“, nämlich Wolfgang Sobotka, jedenfalls im aktuellen Polit-Vertrauensindex. Demnach sprechen ihm 80% der 1000 repräsentativ befragten Österreicher das Vertrauen ab.

Ob die Nulllohnrunde das Vertrauen in die Politik verbessern kann, ist mehr als fraglich, nicht nur, weil sie ja nur auf Bundesebene wirklich umgesetzt wird. Sehr zum Leidwesen von FPÖ-Chef Kickl halten auch seine sonst sich so volksnah gebenden Gesinnungsgenossen wenig von dieser Maßnahme.

Noch vor Weihnachten sollen im Nationalrat eine heftig umstrittene Gesundheitsreform und das Gemeinnützigkeitsreformgesetz beschlossen werden. Zu ersterem wird dem zuständigen Minister mangelnde Kooperation mit den Ärzten vorgeworfen, zu zweiterem regt sich Widerstand aus den Reihen der NGOs, weil aufgrund des Wortlautes zu befürchten ist, dass Finanzbehörden eine steuerliche Absetzbarkeit von Spenden dann untersagen könnten, wenn man sich gegen staatliche Vorhaben stellt. Verfassungswidrig dürfte jedenfalls jener Absatz sein, der eine aufschiebende Wirkung bei Beschwerden gegen solche Bescheide ausdrücklich ausschließt.

Seit dem Krampustag am 5. Dezember ist die Handysignatur Geschichte. Ersetzt wird sie durch die „Digitale ID“, die in zwei Varianten zur Verfügung steht, nämlich dem „Digitalen Amt“ und den „eAusweisen“. Um diese Apps nutzen zu können, braucht man ein Smartphone, das Gesichtserkennung oder Fingerprint zulässt. Vom zuständigen ÖVP-Staatssekretär Florian Tursky, der demnächst auch um das Amt des Innsbrucker Bürgermeister rittert, wurde auf Nachfrage versichert, dass es bei der App-Nutzung zu keiner Erfassung personenbezogener Daten käme. Datenschutzexperten sind sich da nicht so sicher, zumal in der App aus Nachweisgründen natürlich erfasst wird, wann man wo was digital signiert hat. Als Alternative bleibt der persönliche Amtsweg erhalten, die nötige Zeit und die nötigen Nerven vorausgesetzt.

Zum Thema Digitalisierung wurde kürzlich im „Guardian“ ein lesenswerter Artikel verfasst. In diesem wird konstatiert, dass „die wahre Geschichte des OpenAI-Debakels die Tyrannei von Big Tech“ ist. Sam Altman wurde ja von OpenAI geschasst, wollte bei Microsoft anheuern, hat sich trotz Versuchen von Investoren einer Rückholaktion zu seinem ehemaligen Arbeitgeber verweigert und dann doch in dessen Arme zurückzukehren. Die Schlussfolgerung von Courtney C. Radsch, der Direktorin des Zentrums für Journalismus und Freiheit am Open Markets Institute, ist folgende: „Wenn uns dieses jüngste Drama, das sich auf der öffentlichen Bühne abspielt, nicht aus unserer Selbstgefälligkeit aufrüttelt und uns dazu zwingt, uns mit den Gefahren von Monopolen auseinanderzusetzen, werden wir eine entscheidende Gelegenheit verpassen, das KI-Ökosystem umzustrukturieren, indem wir bösartige Machtkonzentrationen aufbrechen, die Innovationen im öffentlichen Interesse hemmen, unsere Informationssysteme verzerren und unsere nationale Sicherheit bedrohen.“ So weit, so Besorgnis erregend.

Einer der schon vor Jahren auf diese Gefahren hingewiesen hat, sitzt nach wie vor unter unmenschlichen Bedingungen in London in Auslieferungshaft. Bei der Bundespressekonferenz am 6.12.23 erinnerte der deutsche Journalist Florian Warweg an eine vor zwei Jahren im Zuge des Bundestagswahlkampfes gegebene Zusage der nunmehrigen Außenministerin Annalena Baerbock, sich für die Freilassung von Julian Assange einzusetzen. Regierungssprecher Fischer stellte dazu fest, dass „wir das Thema mit unseren Partnerinnen und Partnern in Großbritannien und in den USA regelmäßig auf den verschiedensten Ebenen aufgenommen“ haben. „Gleichzeitig läuft aber noch ein Gerichtsprozess vor den unabhängigen britischen Gerichten, der sich mit dieser Frage beschäftigt, und die Unabhängigkeit dieser Gerichte müssen wir respektieren.“

Einen anderen Versuch, den inhaftierten Investigativjournalisten zu unterstützen, hat die Gemeinwohllobby in Deutschland unternommen. Sie lädt Städte und Gemeinden ein, Julian Assange zum Ehrenbürger zu machen – so wie es Rom vorbildhaft gemacht hat. Diese Möglichkeit besteht natürlich auch in anderen Ländern der Welt, darunter Österreich. Ein diesbezügliches Musterschreiben ist auf der Seite der Initiative im Internet zu finden.

Erwähnenswert sind zwei historische Ereignisse der letzten Tage jedenfalls. Der mittlerweile 100-jährige ehemalige und durchaus streitbare US-amerikanische Außenminister Henry Kissinger ist kürzlich verstorben. Und Thomas Gottschalk hat seine letzte „Wetten, dass …“-Show moderiert. Zu beidem gäbe es jede Menge zu sagen, dass es bei diesen spärlichen Zeilen bleibt, ist meiner begrenzten Zeit, die ich als ehrenamtlicher Chefredakteur neben meinen „Brotberufen“ zur Verfügung habe, geschuldet.

Auf eines möchte ich aber noch näher eingehen: Auf der aktuell in Dubai stattfindenden Weltklimakonferenz COP 28 wurde entschieden, den Ausbau der Atomenergie als klimaneutrale Energiequelle zu vervielfachen. Unbeachtet dabei blieb die Frage der Endlagerung, die zwar klimamäßig wenig Einfluss haben dürfte, für die Menschheit aber eine nicht zu vernachlässigende Gefahr darstellt. Das Ringen um weitere Maßnahmen ist vor allem durch das Primat der CO2-Reduktion gekennzeichnet. Eine – wie ich meine – verkürzte Sicht auf die Thematik. Mit der Ausweitung des Systems der CO2-Zertifikate wird man diesem Thema aber wohl auch nicht wirklich beikommen. Denn eine von vielen Seiten geforderte Reduktion dieses „Treibhausgases“ wird durch diesen „Ablasshandel“ nicht erreicht werden.

Womit sich auch hier nochmals die Frage stellt, ob die Spezies Mensch tatsächlich – auch aus der Vergangenheit – zu lernen im Stande ist. Dazu gibt es eine wenig erfreuliche pädagogische Theorie, die davon ausgeht, dass jede Generation, ja jeder Mensch tatsächlich von Null an wieder alles lernen muss, das Gelernte also nicht „vererbt“ werden kann.

Dem möchte ich entgegenhalten, dass eine Gesellschaft tatsächlich von weisen Menschen profitieren kann, so man sie denn zu Wort kommen lässt. Es gibt Kulturen, da sind die alten Menschen nicht zuerst ein wichtiger Konsumfaktor bzw. dann Pflegefälle, sondern aufgrund ihrer langjährigen Erfahrung hochgeschätzte Mitglieder des Gemeinwesens. Man muss ihnen aber auch die Möglichkeit geben, weise werden zu können. Die Reduktion auf „Konsumtrottel“ ist dazu nicht geeignet. Womit wir wieder beim Bildungswesen wären.

Die weiteren Schlussfolgerungen überlasse ich Ihnen, ohne Ihnen aber vorenthalten zu wollen, dass ich davon überzeugt bin, dass jeder von uns in der Lage ist, trotz der herrschenden gesellschaftlichen Bedingungen, einen wesentlichen Beitrag zur tatsächlichen Weiterentwicklung von Menschheit und Welt zu leisten. Wie immer aber sind wir selber gefordert, das auch umzusetzen. Von denen, die an den so genannten Schalthebeln der Macht sitzen, ist diesbezüglich leider nichts zu erwarten.

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WG – 2023 KW47-48-DE-PC Wolfgang Müller CC BY-SA 4.0
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