Der Weisheit letzter Schluss – Machtrausch & Machbarkeitswahn

Meinung

Ein kommentierender Wochenrückblick – KW 42/23

Schon vor knapp zwei Wochen ist der Philosoph und Publizist Gunnar Kaiser nach den mir vorliegenden Informationen an einer Krebserkrankung verstorben. Persönlich kennen gelernt habe ich ihn anlässlich der von Idealism Prevails im Jahr 2021 mitveranstalteten Zukunftskonferenz in Wien, bei der er einen Vortrag zum Thema Technokratie und Transhumanismus hielt, zu dessen Inhalten er sich in einem Backstage-Gespräch näher äußerte.

Knapp einen Monat später durfte ich für die zivilgesellschaftliche Initiative für Menschenrechte und Meinungsfreiheit „Plattform RESPEKT“ ein persönliches Gespräch mit Gunnar Kaiser über die damals schon seit knapp zwei Jahren durch die Maßnahmen aufgrund der „Covid-19-Pandemie“ herrschende Situation aus geisteswissenschaftlicher Sicht führen. Wir durchleuchteten dabei die von ihm als „verpolitisiert“ bezeichneten Begriffe Gesundheit und Krankheit, kamen dabei auch auf seinen persönlichen Weg durch die Krise und die von ihm visionierten Inseln der Freiheit zu sprechen. Ich habe ihn als unaufgeregten, tiefsinnigen und von einem konsequenten Drang, die Welt zum Besseren zu verändern, beseelten Menschen in Erinnerung. Dabei versuchte er, mit seinen gesprochenen und geschriebenen Worten (in seinem Youtube-Kanal, auf seinem Blog und in seinen Büchern) sowie durch seine Taten (u.a. die Gründung eines Refugiums), Menschen davon zu überzeugen, dass sie es selber in der Hand haben, die Welt auf diese Weise zu bewegen. Dem Machtrausch der Mächtigen, die der Welt vorschrieben, was zu tun ist, und dem Machbarkeitswahn jener, die Krankheit mit ihrem Krieg gegen ein Virus ausrotten wollten, hat er sich mit dieser Vorgangsweise massiv entgegengestellt. Das hat ihm heftige Kritik, ja sogar Diffamierung eingebracht, u.a. in der deutschen Wochenzeitung „Die Zeit“, die ihn, den „redegewandten Verteidiger der Freiheit“, auf Abwegen sah und ihn als Ideologen bezeichnete. Er hat es sich in den letzten Jahren seines noch jungen Lebens nicht leicht gemacht – und sein Verlust hinterlässt eine große Lücke.

Bedrückt ließ mich sein letztes Youtube-Video zurück, in dem er sich darüber Gedanken machte, ob Reisen letztlich nicht nur eine Flucht vor sich selber ist. So nachdenklich, so erschöpft habe ich ihn vorher öffentlich noch nie erlebt. Und dennoch hat er auch mit diesen paradoxer Weise kraftvollen Worten eine Wahrheit aufgedeckt, die durchaus unliebsam, des Bedenkens und Nachsinnens aber umso mehr wert ist. Gunnar Kaiser wird uns sehr fehlen. Aber, das, was bleibt sollte uns Impuls und Richtschnur sein, wenn wir uns den Herausforderungen des Lebens und den Fragen, die dieses an uns hat, stellen. Immerhin hat auch „Die Welt“ in ihrem Nachruf davon geschrieben, warum wir uns an ihn erinnern sollten. Live long and prosper, Gunnar!

Die Kritik an Machtrausch und Machbarkeitswahn sollte für Journalisten jedenfalls auf der Tagesordnung stehen. Kritik ist in dem von mir gemeinten Sinn aber nicht ein „Dagegen“ sondern im Sinne der Wortherkunft aus dem Griechischen (kritikḗ) die „Beurteilungskunst“. Tatsächlich ist es eine Kunst, Ereignisse einer Beurteilung zu unterziehen bzw. diese so aufzubereiten, dass sie beurteilt werden können. Dabei sollte allerdings die Sache im Vordergrund stehen und nicht die Emotion.

Die ORF-Korrespondentin und Wirtschaftsjournalistin Sonja Sagmeister wurde kürzlich von ihrem Arbeitgeber gekündigt, weil sie diesen wegen ihrer Versetzung arbeitsgerichtlich geklagt hat. Der Grund dafür war – ihren Worten nach – das Sich-Verwehren gegen einen Interventionsversuch bei einem Interview mit Arbeitsminister Kocher im Vorjahr. Der ORF bestreitet das.

Um die Pressefreiheit ist es ja grundsätzlich schon seit Jahren immer schlechter bestellt. So schreiben die Autoren des Demokratie-Index 2023 in ihrem Resümee davon, dass „Medienvielfalt und unabhängiger Journalismus … gefährdet“ sind und dringend gestärkt gehörten. „Medienunternehmen sind trotz des ökonomischen Drucks gefordert, innere Pressefreiheit zu garantieren und ihren Journalist*innen ein unabhängiges Arbeiten zu ermöglichen.“ Und weiter: „Die willkürliche Vergabepraxis von öffentlichen Inseraten muss ein Ende finden. Staatliche Medienförderungen sollen einer konvergenten Journalismus- Förderung weichen, die transparent vergeben und evaluiert wird und die klare Qualitätskriterien (z.B. Mitgliedschaft im Presserat, Redaktionsstatut, journalistische Arbeitsplätze) voraussetzt.“ Mit dem kürzlich beschlossenen Medienpaket will die Regierung genau diese Ziele erreichen – wobei Kritiker eher eine Verstärkung bestehender Verhältnisse orten. Und unabhängige Medien, deren Anzahl in den letzten drei Jahren überdurchschnittlich gewachsen ist, kommen aufgrund der beschlossenen Kriterien erst gar nicht in den Genuss von staatlichen Unterstützungen, was Fluch aber auch Segen ist. Unabhängigen Journalismus muss man sich leisten können, das wissen auch wir bei der unabhängigen Medienplattform Idealism Prevails, die seit rund 7 Jahren auf vielfältige Weise aus Österreich und der ganzen Welt berichtet.

In unserer internen Redaktionsgruppe auf Signal hat ein Kollege dazu folgende bedenkenswerten Worte gefunden: „Precht & Co. haben das eh auch schon analysiert (deshalb wird er ja jetzt so heftig angegriffen): es gibt keinen, der ein Narrativ vorgibt, sondern eine Selbstzensur der Medien. Als Journalist lernt man ja recht schnell, was man ansprechen darf und was nicht. Die Einen halten sich aus ideologischen Gründen daran, die Anderen aus Angst vor Repression. Gilt natürlich nicht für alle Journalisten, aber wenn man sich diverse Themen ansieht, dann merkt man schon eine überraschende Meinungsgleichheit nahezu quer durch alle Medien.“

Und so genannte „Nischenprodukte“, die es nicht auf eine angemessene Leserzahl bzw. „Klickrate“ bringen, stehen spätestens dann vor dem Aus, wenn deren Finanzierung nicht mehr sicher gestellt werden kann oder will. Nun hat es nach der Wiener Zeitung, die Mitte des Jahres vom Markt verschwunden ist, auch das vor 16 Jahren gegründete Monatsmagazin „Das Biber“ erwischt, das sich vor allem an Menschen mit Migrationshintergrund richtete und als Nachwuchsschmiede für den heimischen Journalismus galt. Nach der letzten Ausgabe im Dezember, die einem „Best of“ gewidmet sein wird, ist endgültig Schluss.

Aber auch „Der STANDARD“ trennt sich aufgrund schlechter werdender finanzieller Bedingungen bis zum Jahresende von bis zu 25 Mitarbeitern, wie der Geschäftsführer der Standard Verlagsgesellschaft Alexander Mitteräcker auf Anfrage bekannt gab.

In der Westminster Deklaration für Meinungsfreiheit warnen die Verfasser vor wachsender Zensur, die die Jahrhunderte alten Normen der Demokratie bedrohten: „We write as journalists, artists, authors, activists, technologists and academics to warn of increasing international censorship that threatens to erode centuries-old democratic norms“, heißt es da eingangs. Sie stellen darin drei zentrale Forderungen auf, nämlich dass „Regierungen und internationale Organisationen ihrer Verantwortung gegenüber den Menschen gerecht werden und Artikel 19 der Allgemeinen Erklärung der Menschenrechte einhalten“, dass „Technologieunternehmen, sich verpflichten, den digitalen öffentlichen Raum im Sinne von Artikel 19 zu schützen und von politisch motivierter Zensur, der Zensur abweichender Stimmen und der Zensur politischer Meinungen absehen“ und dass „die breite Öffentlichkeit, sich uns im Kampf für die Wahrung der demokratischen Rechte des Volkes anschließt“. Und abschließend: „Wir müssen auch eine Atmosphäre der freien Meinungsäußerung von Grund auf schaffen, indem wir das Klima der Intoleranz ablehnen, das zur Selbstzensur ermutigt und für viele Menschen unnötige persönliche Probleme mit sich bringt. Anstelle von Angst und Dogmatismus müssen wir Nachfragen und Debatten zulassen.“

Debatten und Diskurs zuzulassen ist halt nicht jedermanns Sache. Das mussten – Berichten zufolge – auch jene feststellen, die sich mit dem ehemaligen Sektionschef im Justizministerium, dem vor wenigen Tagen unter noch nicht restlos geklärten Umständen zu Tode gekommenen Strafrechtsexperten Christian Pilnacek anlegten, erfahren. Der mit Machtbewusstsein und Machbarkeitsdrang ausgestattete Pilnacek musste in den letzten Jahren den jähen Abbruch seiner davor steilen Karriere hinnehmen, war in zahlreiche Scharmützel mit der Wirtschafts- und Korruptionsstaatsanwaltschaft (WKStA) verwickelt und wurde aufgrund von strafrechtlichen und disziplinarrechtlichen Verfahren von der zuständigen Ministerin sogar suspendiert. Diese fand nach seinem unerwarteten Tod versöhnliche Worte und sprach sogar davon, dass demnächst die Aufhebung seiner Suspendierung geplant gewesen wäre. Wie weit ihre Ausführungen von den tragischen Ereignissen beeinflusst waren, lässt sich nicht wirklich feststellen, aber – wie heißt es so schön – man sagt einem Verstorbenen besser nichts Böses nach. Welche Auswirkungen Kränkungen auf die menschliche Psyche haben können, hat der bekannte Psychologe und Gerichtsgutachter Reinhard Haller beschrieben und dazu auch ein Buch mit dem Titel „Die Macht der Kränkung“ verfasst. Und dass der Weg zur Macht bzw. von ihr weg immer auch mit Kränkung verbunden ist, ist diesem immanent. Die Frage ist nur, wie man damit umzugehen lernt.

Den Absturz von den Höhen der Politik in die Tiefen des Gerichtssaals musste auch der ehemalige Bundeskanzler der Republik Österreich, Sebastian Kurz, erfahren. Der Prozess gegen ihn wegen mutmaßlicher Falschaussage gegenüber dem parlamentarischen Untersuchungsausschuss wird nach den ersten Prozesstagen in diesem Monat im November fortgesetzt. Kurz zeigte sich dabei gekränkt und missverstanden, auch den Tod Pilnaceks nutzte er zu einer Stellungnahme, er habe noch wenige Stunden vorher mit ihm telefoniert. Man wird sehen, wie seine Form der Verteidigung, im weiteren Prozessverlauf bei Gericht ankommt.

Sahra Wagenknecht, die als streitbare Ikone der Partei „Die Linke“ bei unserem Nachbarn Deutschland galt, hat ihre Gesinnungsgemeinschaft nun verlassen, um – wie sie sagt – eine „politische Leerstelle“ zu füllen und jenen eine Heimat zu geben, die sich von keiner der bestehenden Parteien vertreten fühlen. Mit der Gründung des Vereins „BSW (Bündnis Sahra Wagenknecht) – Für Vernunft und Gerechtigkeit“ wurde der erste Schritt zur Errichtung einer neuen Partei gesetzt. Das wirbelt die politische Landschaft und das Machtgefüge in Deutschland ordentlich durcheinander und produzierte das wohl erhoffte Medienecho.

Die Eckpunkte ihres im Rahmen einer Pressekonferenz vorgestellten Programms sind: Wirtschaftsstandort erhalten, Sozialpolitik stärken, vermittelnde Außenpolitik, Meinungsfreiheit und neutrale Berichterstattung. Manch einer bezeichnet sie schon als „rechte“ Linke, da sie zu den Themen Zuwanderung und Klimapolitik eine diametral andere Haltung hat als ihre ehemaligen Gesinnungsfreunde. In den nächsten Wochen und Monaten wird sich zeigen, wie die deutschen „Altparteien“ mit der neuen Konkurrentin umgehen und sich ihr gegenüber positionieren. Im ehemaligen Lager Wagenknechts spricht man von „Egotrip“ und „Verantwortungslosigkeit“. Von den Meinungsforschern wird der neuen Gruppierung hohes Potential zugeschrieben, bei einer Meinungsumfrage Ende September konnten sich im Westen Deutschlands immerhin 19 % vorstellen, ihr ihre Stimme zu geben, im Osten des Landes waren es sogar 29%. Zudem ist auch der Fraktionsstatus der LINKEN im Bundestag in Gefahr, da davon auszugehen ist, dass Wagenknecht und weitere Abgeordnete, die sie unterstützen, sich Anfang 2024 von ihrer derzeitigen Fraktion abspalten werden. Das hat den Verlust von Finanzen und parlamentarischen Rechten zur Folge, was die heftige Reaktion ihrer ehemaligen Parteikollegen erklärt.

Macht und Machbarkeit stehen auch bei der Staatsgewalt, im aktuellen Fall bei der Polizei, auf der Tagesordnung. Für diese forderte der zuständige Innenminister Gerhard Karner eine Ausweitung von Befugnissen. Es sei dringend geboten, der schon bestehenden Möglichkeit der Auswertung von SMS angesichts der zuletzt wieder gestiegenen Terrorgefahr jene für die Auswertung von Chats in Messenger-Diensten hinzuzufügen, so Karner in der ORF-Pressestunde vom 22.10.23.

Und auch dem Sport sind Machbarkeitsfantasien nicht fremd: „Alles machbar beim Nachbar“ stand auf den T-Shirts, die die Spieler und Trainer der österreichischen Fußball-Nationalmannschaft nach der Qualifikation für die Europameisterschaftsendrunde in Deutschland, die im Juni 2024 stattfinden wird, überzogen. Trainer Rangnick meinte danach sogar, dass aufgrund der zuletzt gezeigten Leistungen der rot-weiß-roten Equipe jeder Gegner schlagbar sei. Die Wahrheit wird sich schon demnächst zeigen, wenn es im letzten schon unbedeutenden Qualifikationsspiel gegen Estland und dann zum Abschluss der Saison „freundschaftlich“ gegen Deutschland geht, das mit dem neuen Coach Julian Nagelsmann nach einer seit der WM 22 bestehenden Durststrecke an alte Höhenflüge anschließen will.

Sprichworte und Zitate zum Thema Macht gibt es viele, ihnen allen ist eine Warnung gemeinsam, die uns Menschen vor Augen führen soll, dass wir sorgsam damit umgehen müssen. „Macht korrumpiert“ heißt es da etwa oder „Gib einem Menschen Macht und du erkennst seinen wahren Charakter“. Und viele, die Macht haben, sprechen nicht darüber oder tun dies sogar ab. Dabei ist es grundsätzlich nicht schlecht, sich des Machbaren bewusst zu sein – auch um die manchmal gefühlte Ohnmacht hinter sich zu lassen. Denn wir sind immer auch Schöpfer und haben die Möglichkeit, die Welt zu gestalten oder – wie Viktor Frankl es ausdrückt – uns dem Unabwendbaren zumindest mit einem Lächeln zu stellen.

Bildrechtelinks:

Christian Pilnacek: https://commons.wikimedia.org/wiki/File:2016_Christian_Pilnacek_(27367261383).jpg

SahraWagenknecht: https://commons.wikimedia.org/wiki/File:Maischberger_-_2023-02-08-6660.jpg

Sebastian Kurz: https://commons.wikimedia.org/wiki/File:2020_Sebastian_Kurz_Ministerrat_am_8.1.2020_(49351572787)_(cropped).jpg

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WG – 2023 KW42-YOUTUBE-PC Wolfgang Müller CC BY-SA 4.0
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