Der Weisheit letzter Schluss – Links, Rechts, Mitte oder …
Ein kommentierender Wochenrückblick – KW 19/24
Schon seit längerem verschwimmt die klassische parteipolitische Unterteilung in links, rechts und Mitte. Zudem erodiert die so genannte Mittelschicht, die man seitens der altgedienten Parteien ansprechen will. Diese Bemühungen, die gesellschaftliche Mitte zu erreichen, von der man sich einen Zuwachs an Wählerstimmen verspricht, sind mit ein Grund, warum es eine Auflösung der oben genannten Kategorien gibt. Neu erfinden wollten sich sowohl die Sozialisten, die sich mittlerweile schon einige Jahrzehnte lang Sozialdemokraten nennen (und das nicht nur in Österreich), die Volkspartei, die ihre Parteifarbe von schwarz auf türkis wechselte und ihren Namen um ein „neue“ ergänzte, aber auch die Freiheitlichen, die als nationalpopulistischen Partei gelten und dem rechten Rand zugerechnet und mitunter als rechtsextrem bezeichnet werden. Liberal, wie der Name vermuten lassen könnte, waren sie nie wirklich: bei genauerer Betrachtung ihrer Geschichte zeigt sich, dass sich in ihr seit ihrer Gründung durch ehemalige Nationalsozialisten eben jene, die dieses Gedankengut am Leben halten wollen, versammeln. Liberale Ideen hatten in Österreich nie wirklich Saison: das Liberale Forum als Abspaltung von der FPÖ verkümmerte innerhalb weniger Jahre, die NEOS stagnieren aktuell und verlieren auch in den Städten an Zustimmung. Apropos Parteiabspaltungen: Jörg Haider verließ die FPÖ, um das BZÖ zu gründen, eine Partei, die bundesweit heute keine Rolle mehr spielt. Knapp fünf Jahre lang war das Team Stronach, das 2012 aus Abgeordneten verschiedener Parlamentsfraktionen und mit dem Geld des Namensgebers Frank Stronach zusammengewürfelt wurde, bundesweit aktiv, 2017 wurde die Partei aufgelöst. In den so genannten Pandemiejahren versuchte sich eine Partei namens MFG (Menschen, Freiheit, Grundrechte) zu etablieren, was – bis auf etwa den oberösterreichischen Landtag oder Waidhofen/Ybbs – nicht wirklich gelang. In den letzten (beiden) Jahren gewann die Kommunistische Partei Österreichs wieder an Ansehen, als KPÖ+ hat sie sich im Salzburger Landtag und in den Landeshauptstädten Salzburg und Graz eine gute Mandatsbasis geschaffen, in letzterer stellt sie sogar die Bürgermeisterin. Damit verbunden war ein Rauschen im Blätterwald der Printmedien, man schürte die Angst vor der Rückkehr des Kommunismus. Nun sind also die Ränder in Österreich durchaus besetzt, rechts von der FPÖ, links von der KPÖ+ – und in der Mitte tummeln sich alle anderen, die versuchen, Ideen von den „Randparteien“ zu übernehmen, um eben jene anzusprechen, die sich links und rechts der Mitte zugehörig fühlen. Aber – und dabei bleibe ich – die Zeiten der klassischen parteipolitischen Landkarte Österreichs sind schon länger vorbei.
Ein weiterer Beweis für meine These ist die Gründung der Liste Madeleine Petrovic, die bei den Nationalratswahlen kandidieren möchte, die am Freitag, 17.5. im Rahmen einer Pressekonferenz der Öffentlichkeit vorgestellt wird. Petrovic möchte mit ihrer Gruppe, deren weitere Spitzenkandidaten die grüne Bezirksrätin Monika Henninger und die Autorin und Stuntfrau Nora Summer sind, zu grünen Grundwerten zurückkehren, andererseits aber in Asylfragen einen restriktiven Kurs einschlagen. Genaueres wird sich beim angeführten Pressegespräch ergeben; das Rauschen im Blätterwald der Printmedien war jedenfalls schon vorab heftig zu hören. Nach einem zweiseitigen Beitrag in „Die ganze Woche“ zogen u.a die Tageszeitungen Der STANDARD, KURIER, Die Presse, Heute und OE24 sowie die blauen Seiten des Staatsfunks nach. Dabei erfolgte ein erstes Framing, das von Impfskeptikerin über Corona-Maßnahmen- bis Impfgegnerin reichte, was sich wohl auf ihre differenzierte und kritische Haltung zu Vorhaben der Regierung in dieser Zeit bezieht. Chancen darf sich die neue Liste durchaus ausrechnen: die Grünen sind in ihren Regierungsjahren ins Wanken und zuletzt durch ihren – vorsichtig gesagt – unprofessionellen Umgang mit dem „Fall Schilling“ in weitere Turbulenzen geraten. Zudem haben sie in der Asylfrage einen menschlichen – aber keineswegs populären – Zugang. Madeleine Petrovic versucht diesen Spagat zwischen dem Bedienen von klassisch linken und rechten Themen zu schaffen, was durchaus dem aktuellen politischen Klima entsprechen könnte. Den Wählern geht es nämlich tatsächlich nicht um eine gesellschaftliche Positionierung ursprünglicher Art, sondern um das Lösen von Sachthemen. Fast könnte man meinen, dass die neue Liste eine Art Synthese schaffen möchte, um diesem grundsätzliche Wunsch der Bevölkerung nachzukommen. Man wird sehen, wie weit dies gelingen wird und was die politische Konkurrenz an Spin auffahren wird, um das Projekt möglichst noch im Keim zu ersticken. Mit einem Profi wie Madeleine Petrovic an der Spitze, die sowohl politisch als auch persönlich schon durch viele Wellentäler gegangen ist, könnte dies aber tatsächlich zu schaffen sein. Vor allem dann, wenn man mit dem Projekt jene erreichen kann, die zuletzt keine politische Heimat gefunden haben und daher den Wahlen fern geblieben sind.
Mit Wahlen ist das ja immer so eine Sache. Wie heißt es doch so schön: „Wer die Wahl hat, hat die Qual.“ Du musst dich tatsächlich mit den Inhalten der zur Wahl stehenden Alternativen beschäftigen und findest selten eine Partei, deren Weltsicht sich zu 100 % mit deiner deckt. Zuletzt hatten immer mehr Menschen – wie gerade eben beschrieben – das Gefühl, keine Wahl zu haben und daher auf ihr Stimmrecht verzichtet. Keine Wahl haben vor allem jene Bürgerinnen und Bürger, in deren Ländern bloß eine Partei auf dem Stimmzettel steht und der Urnengang zu einer Abstimmung gerät, deren Sieger aber schon im Vorfeld feststeht, weil die „Nein-Stimmen“ jener, die ungültig oder gar nicht wählen, den Ja-Stimmen nicht gegenübergestellt werden. Auf diese Weise kommen dann ziemlich eindeutige Ergebnisse zu Stande, die dem Volkswillen mitunter sogar widersprechen.
Bei der Regionalwahl im spanischen Katalonien wurde die Partei des als Separatistenführer bezeichneten und wegen eines Haftbefehls aufgrund seiner Unbhängigkeitsaktivitäten im französischen Exil lebenden Politikers Carles Puigdemont, Junts per Catalunya (Zusammen für Katalonien), von den Sozialisten (PSC) trotz eines Zugewinns von drei Mandaten erstmals seit den Bemühungen um eine Unabhängigkeit vom spanischen Mutterland von der Spitze verdrängt. Die PSC erzielte mit den für sie abgegebenen Stimmen 42 (+9) von 135 Mandeten, Junts kam auf 35 (+3). Den größten Gewinn fuhr die Volkspartei (PP) ein, sie gewann 12 Sitze und ist nun mit 15 Mandataren im katalanischen Regionalparlament vertreten. Herbe Verluste musste die Partei des aktuellen Regionalpräsidenten, der ebenfalls Unabhängigkeitsbefürworter ist, Esquerra Republicana (ERC) einstecken, sie verlor 13 Sitze und hält nun bei 20 Mandaten. Puigdemont hatte vor der Wahl mit einem Rückzug aus der Politik gedroht, sollte er verlieren. Wie er das Ergebnis für sich deutet, wird sich zeigen. Zwar haben ihn die Sozialisten eben überholt, seine Partei aber gewann dazu und überholte ihrerseits die ERC. Bemerkenswert ist die abermals geringe Wahlbeteiligung von bloß 45,8 % (2021: 45,61%). Demnach haben die Nichtwähler die absolute Mehrheit erzielt und sind im neu gewählten Regionalparlament nicht vertreten. Die viel gepriesenen Einigungsbemühungen des sozialistischen spanischen Regierungschefs Pedro Sanchez, denen dieses Ergebnis zugeschrieben wird, bilden sich in der Beteiligung an dieser Wahl (noch) nicht ab. Auch hier tut man sich keinen Gefallen, wenn man die einen als links und die anderen als rechts bezeichnet; die Situation ist viel komplexer als die Beteiligten so einfach zu kategorisieren.
Was wäre, wenn aktuell in Israel gewählt würde? Die vom dortigen Premierminister Benjamin Netanyahu gewählte Reaktion auf das Attentat der Terrororganisation Hamas vom 7. Oktober des Vorjahres, das die Bevölkerung zutiefst traumatisiert hat, zielt auf die endgültige Ausradierung des palästinensischen Terrors. Angesichts dieser Dramatik ist es nicht verwunderlich, dass viele Menschen des Landes tatsächlich um den Fortbestand des jüdischen Volkes fürchten. Netanyahu wählt – um dieser Tatsache immer wieder Nahrung zu geben – drastische Worte. So soll er zuletzt davon gesprochen haben, dass es bei dem Krieg einzig und allein um Folgendes gehe: „Es sind entweder wir oder die Hamas-Monster.“ (Zitat aus der Kleinen Zeitung vom 14.5.24, S. 5) Kritische Stimmen, auch aus den USA oder vom österreichischen Bundespräsidenten, der dazu meinte, dass nicht jede Kritik am israelischen Staat antisemitisch sei, werden von Netanyahu überhört. Er will sich auch von Hintergrundberichterstattung zu seinem fragwürdigen Vorgehen im Gazastreifen, wie etwa in einem ORF-Weltjournal oder in der Sendung Breaking Points geschildert, nicht von seinem Plan abbringen lassen. Auch in dieser Situation zeigt sich, dass man hier nicht jede Kritik am Vorgehen Netanyahus in die rechte Ecke stellen kann, aber auch nicht in eine andere stellen sollte.
Dass er damit sein ganzes Land quasi in Geiselhaft nimmt und damit auch international in Misskredit bringt, nimmt er in dabei sehenden Auges Kauf.
Beim 68. Eurovsion Song Contest (ESC) in Malmö, der 1957 als Grand Prix Eurovision de la Chanson ins Leben gerufen wurde, musste das die israelische Vertreterin spüren. Einem Künstlerprotest gegen die Teilnahme Israels folgte eine notwendige Umtextung des Songs, da er in seiner ersten Fassung zu sehr auf die Ereignisse vom 7.10.23 Bezug nahm. Auch während der Shows wurden Pfiffe und Buhrufe im Saal in den Liveübertragungen mit Applaus überspielt. Politik, so die European Broadcasting Union (EBU), die das Veranstaltungszepter fest in der Hand hält, habe beim Wettsingen keinen Platz. Penibel wurde also auf Liedtexte und Wortmeldungen der Künstler geachtet, ganz verhindern konnte man politische Botschaften allerdings nicht. So bedankte sich das ukrainische Duo nach ihren Vorstellungen im Semifinale und im Finale jeweils mit den mehrdeutigen Worten „Thank you for supporting Ukraine“ und so manch ein Teilnehmer ließ sich auch nicht nehmen, ein Bekenntnis für Liebe und Frieden abzulegen. Einen weiteren zumindest kleinen Skandal gab es um den niederländischen Teilnehmer Joost Klein, der kürzlich mit dem Lied Friesenjunge gemeinsam mit Otto Waalkes bekannt wurde. Medial wurde zuerst kolportiert, dass er sich der israelischen Teilnehmerin gegenüber nicht korrekt verhalten habe, tatsächlich gab die EBU bekannt, dass er eine ihrer filmenden Mitarbeiterinnen bedroht haben solle und die Polizei ermittle, womit er gegen das geltende Gewaltverbot verstoßen habe. Klein wurde deswegen von der Teilnahme am Finale ausgeschlossen, was dazu führte, dass die niederländische Jury auf die Bekanntgabe ihrer Bewertung verzichtete und der Executive Supervisor Martin Österdahl aus Schweden unter den Pfiffen des Publikums das Resultat aus den Niederlanden verkünden musste. Der Ausschluss wird noch ein Nachspiel haben, da der niederländische Rundfunk die Maßnahme für übertrieben hält. Über die Qualität der präsentierten Songs lässt sich auch diesmal trefflich streiten, genauso wie über das, was man unter politischer Äußerung versteht. Kunst ist aus meiner Sicht per se politisch, da sie die Polis, also den Staat und seine Bürger betrifft. Ihr Politisches zu untersagen, nimmt ihr den eigentlichen Wert und ihre Wirkung. Anders kann man es mit parteipolitischen Stellungnahmen halten. Demnach hätte der ESC keinen künstlerischen sondern nur noch einen Unterhaltungswert. Noch ein Nachtrag zum Politischen: Am 25. Februar 2022 gab die EBU bekannt, Russland nach dessen Angriff auf die Ukraine vom Eurovision Song Contest 2022 auszuschließen, woraufhin die russischen Sender ihren Austritt aus der Rundfunkunion erklärten und damit nicht mehr teilnahmeberechtigt sind.
Wie Lagerbildung in der Politik eskalieren kann, hat sich in der Geschichte schon mehrfach dramatisch gezeigt: in Österreich beispielsweise in der bewaffneten Auseinandersetzung im Februar 1934 zwischen Republikanischem Schutzbund und Heimwehr. Auch das Schussattentat auf den slowakischen Ministerpräsidenten Robert Fico fällt wohl in diese Kategorie. Der noch um sein Leben ringende Regierungschef wurde mutmaßlich von einem Einzelgänger, der mit seiner Tat gegen die von Ficos Regierung geplanten Eingriffe ins Medien- und Justizsystem des Landes protestieren wollte, angeschossen. Er selbst soll vor wenigen Tagen aufgrund der „von der Opposition gesteuerten Massenproteste“ vor einer Radikalisierung und möglichen Übergriffen auf Politiker seines Regierungsteams gewarnt haben. Fico wurde nach seiner Wahl von den Medien Russlandnähe unterstellt; außerdem wurde ihm zugeschrieben, sein Land nach dem Vorbild von Ungarns Premierminister Viktor Orban umgestalten zu wollen. Wer als Regierungschef die Ausgewogenheit verliert, die angesichts von vielfältigen Meinungen in der eigenen Bevölkerung grundsätzlich geboten scheint, kann allerdings schnell zu einer unerwünschten Schieflage beitragen, die sich auch in Gewalt ausdrücken kann. Weisheit und Weitsicht sind aber nicht nur auf der Seite der Regierenden gefordert, sondern auch auf jener der Opposition. Die Bereitschaft zum Diskurs und Dialog darf nicht einer Radikalisierung geopfert werden.
Und so gesehen ist es möglicherweise sogar ein Fortschritt, wenn sich alte und neue Parteien aus den gängigen Kategorien des parteipolitischen Lebens emanzipieren und der Vielfalt der Sichtweisen und Positionen Rechnung tragen. Den Beginn können wieder einmal wir selber machen, in unserem eigenen persönlichen Umfeld, am Arbeitsplatz und auch am Stammtisch.
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WG – 2024 KW19-DE-FB+IPHP | Wolfgang Müller | CC BY-SA 4.0 | |
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