Der Weisheit letzter Schluss – Extremisten, wohin man schaut?!?
Ein kommentierender Wochenrückblick – KW 19/254
Seit Sonntag haben die Medien ein neues „Lieblingsthema“: Der schon lange prognostizierte Erfolg von KPÖ+, die im Vorjahr mit 11,4 % auch in den Salzburger Landtag eingezogen ist, und ihres dortigen Spitzenkandidaten Kay-Michael Dankl in der Stadt Salzburg hat, wenn man den Berichten folgt, ein „politisches Erdbeben“ ausgelöst. Dankl konnte seine Partei und sich selbst als Nummer zwei knapp hinter der SPÖ und deren Spitzenkandidaten, dem amtierenden Vizebürgermeister Bernhard Auinger, positionieren. In einer Stichwahl am Palmsonntag wird sich zeigen, wer der Mozartstadt in Zukunft vorstehen wird.
Die Reaktionen auf dieses Ereignis in der Politik aber auch in den Medien ließen nicht lange auf sich warten – und sie haben eine Tendenz: Die Warnung vor den Kommunisten und dem Kommunismus. Das ist einerseits nachvollziehbar, andererseits wird es dem Geschehen nicht gerecht, weil es wie reaktives Framing wirkt. Möglicherweise kann man damit Dankl als Bürgermeister verhindern; seine Ideen aber werden damit nicht vom Tisch gefegt werden können.
Linkswende unter falscher Flagge war da etwa in der Kleinen Zeitung zu lesen: in dort abgedruckten Leserbriefen unterstellen die Schreibenden der Bevölkerung Geschichtsvergessenheit. Gerald Loacker von den NEOS twitterte (oder sagt man jetzt x-te?) „Knapp 100 Mio Todesopfer kommunistischer Politik werden durch Stimmen für die Kommunisten natürlich adäquat gewürdigt“ und Wolfgang Schüssel äußerte sich im KURIER dazu mit den Worten: „Diese Marke ist toxisch. Das ist jedenfalls meine Erfahrung. Ich bin so alt wie die Republik.“
In Kommentaren wird auch schon darüber spekuliert, was wäre, wenn KPÖ+-Frontmann Dankl für die Nationalratswahlen in die Bundespolitik wechselt. Erstens wird er das aus mehreren Gründen nicht tun und zweitens hat er auf Bundesebene nicht annähernd den Bekanntheitsgrad, den er in Salzburg durch seine intensive und erfolgreiche Basisarbeit erreicht hat und die ihm diesen Wahlerfolg und die Möglichkeit gibt, der zweite Bürgermeister von KPÖ+ in einer österreichische Landeshauptstadt zu werden.
Hier sind wir auch schon beim oben angeführten Thema: was macht Elke Kahr in Graz und Kay-Michael Dankl in Salzburg so erfolgreich? Und: Was verbirgt sich hinter der von Schüssel als toxisch bezeichneten Marke „KPÖ+“?
Das eine ist die Fokussierung auf ein Thema, das den Menschen unter den Nägeln brennt, weil es existenziell ist: das Wohnen. Das andere ist die tatsächliche Volksnähe der Protagonisten, die nicht nur über die Medien agieren und der Bevölkerung ausrichten lassen, was sie nicht alles für sie zu tun gedenken. Es wird also konkret und ganz persönlich zugehört, sich für die Menschen engagiert und der Teil des Politikergehalts, der über einen Facharbeiterlohn hinausgeht, in einen Sozialfonds eingezahlt, aus dem Unterstützungsleistungen gewährt werden.
Die „Marke“ KPÖ+ ist jenes Label, mit dem die KPÖ seit geraumer Zeit zu Wahlen antritt. Tippt man „kpoeplus.at“ in die Adresszeile im Browser so kommt man auf die Seiten der KPÖ (kpoe.at). In Salzburg gibt es eine eigene Website der Landespartei mit der Domain kpoeplus-sbg.at. Dort ist neben den aktuellen Initiativen wie Kautionsfonds, Aktivkarte und Rechtsfonds für Mieterinnen und den Infos zu den Funktionären auch das Wahlprogramm für 2023 – also für die vorjährige Landtagswahl – zu finden. Ein Link zur Bundespartei fehlt. Und im Impressum wird die KPÖ Salzburg als Medieninhaber der Website genannt. Dankl ist als Ex-Grüner wie so manch anderer von den Jungen Grünen, die von Eva Glawischnig im Jahr 2017 aus der Partei rausgeworfen wurden, als Unterstützer der Gründung der linken Mitmachplattform PLUS – Plattform Unabhängig & Solidarisch, gemeinsam mit der KPÖ als KPÖ PLUS zur Nationalratswahl 2017 angetreten und seither mit ihr verbunden.
Der politische Kurs der KPÖ hat sich im Lauf der Geschichte mehrmals verändert. Im 1994 veröffentlichten Grundsatzdokument, das bis heute Gültigkeit hat, hat sich die Partei vom Ostblock und vom Realsozialismus distanziert, die Fehler und Verbrechen besonders während der Zeit des Stalinismus anerkannt und sich zu einem Sozialismus demokratischen Charakters durch Reformen statt durch eine Revolution bekannt. Wenn man die KPÖ bzw. die KPÖ+ daher heute einer historischen Bewertung unterziehen will, dann darf man auf diese Veränderung nicht vergessen. Wie sagte doch der ehemalige Bundeskanzler Schüssel am Ende seines oben angeführte Interviews im Bezug auf Herbert Kickl von der FPÖ: „Kein österreichischer Politiker ist ein Dämon. Wir sollten uns befreien von dieser Zuspitzung, von dieser ständigen Polarisierung, dass die einen die Lichtgestalten und die anderen die Beelzebuben sind.“ Das sollte für Vertreter aller politischer Lager gelten, es sollte auch der Respekt vor den jeweils andersdenkenden Wählern gelten, die man nicht als „Extremisten“ bezeichnen darf, nur weil sie sich links oder rechts der aussterbenden Mitte aufhalten.
Und da sind wir schon bei einem weiteren politischen Phänomen gelandet: der FPÖ nämlich. Auch sie hat im Lauf ihrer Geschichte schon zahlreiche Hochs und Tiefs erlebt – Parteispaltungen inklusive. Was ihr geblieben ist, ist ihre mehr oder weniger wahrgenommene Nähe zu Rechts und ihr Populismus. Obwohl sie schon das eine oder andere Mal Regierungsverantwortung auf Bundesebene übernehmen musste und dabei immer wieder gestrauchelt ist, verzeihen ihr die Wähler das offenbar relativ schnell und halten sie nach wie vor für eine brauchbare Alternative vor allem in Krisenzeiten. Das wird auch heuer bei den kommenden Nationalratswahlen nicht anders sein: die Freiheitlichen werden da mit an Sicherheit grenzender Wahrscheinlichkeit auf Platz 1 landen, was aber – wenn man den Aussagen aus anderen Parteien und jenen des Staatsoberhaupts folgt – nicht automatisch bedeutet, dass sie Regierungsverantwortung übernehmen werden.
Was KPÖ und FPÖ verbindet ist die Tatsache, dass sie sich jeweils an einem Rand des politischen Spektrums bewegen. Nachdem sich die Wähler links bzw. rechts der Mitte mehren, ist davon auszugehen, dass die politische Mitte, die so gerne als die richtige Wahl verkauft wird, zunehmend und noch dazu rasch erodiert. Das sollte auch der NEOS-Mitgründer Veit Dengler bedenken, der sich bei den internen Wahlen bei den Liberalen für ein Nationalratsmandat bewirbt und für den seine Gesinnungsgemeinschaft eine Partei der Mitte ist. Im Zusammenhang mit diesem Thema erinnere ich mich an einen Kalenderspruch, den ich an einem meiner ersten Arbeitsplätze vorgefunden habe. Er lautete: „Der goldene Mittelweg verläuft mit Vorliebe im Sand.“ Und da ist etwas Wahres dran. Wer seine Ecken und Kanten aufgibt, verliert sein Profil. Dieser Tatsache hat der leider zu früh von der Bühne abgetretene Kabarettist Volker Pispers in seinen Programmen ausführlich Rechnung getragen, indem er von der deutschen Einheitspartei sprach und damit alle Parteien einschloss. In einem letzten Statement auf seiner Homepage anlässlich seines Rückzugs im Jahr 2016 setzt er – nach einer ausführlichen Distanzierung der von ihm wahrgenommenen Vereinnahmung durch „Coronaleugner, selbsternannte Querdenker, AfD-Fans und rechte Extremisten“ – noch eines drauf: „Das alles ändert überhaupt nichts an der Tatsache, dass ich die von uns gewählten Regierenden für unfähig halte.“
Es ist ja auch nicht einfach, es allen recht zu machen – und die Mitte genügt dafür einfach nicht mehr, weil auch der Mittelstand zum Großteil nach unten abbröckelt. Wir werden also in Zukunft mit einer wesentlich deutlicheren Spaltung der politischen Gesinnungen zu leben haben – obwohl auf den ersten Blick KPÖ und FPÖ in die gleiche Kerbe schlagen. Bei vertiefender Betrachtung fällt allerdings auf, dass die „Kommunisten“ dort, wo sie Verantwortung übernehmen, durchaus Nägel mit Köpfen machen, während die Freiheitlichen die Erwartungen ihrer Wähler oftmals enttäuschen.
Diese Erwartungen werden aber auch von den Parteien der Mitte regelmäßig enttäuscht – dem vielversprechenden Wahlkampf folgen all zu oft die „Katerjahre“ der Regierungszeit.
Und ein solcher Wahlkampf hat uns wieder. Dazu zwei Anekdoten, eine kleinere und eine größere:
Johanna Mikl-Leitner posierte kürzlich im Rahmen einer OTS-Meldung mit dem Titel „Die Mountainbikesaison startet im Wienerwald“ auf einem Foto mit einem ebensolchen Fahrrad, dem allerdings die Pedale fehlten.
Ursula von der Leyen wiederum rudert – wie die „Krone“ berichtet – vom ursprünglich für 2035 geplanten „Verbrenner-Aus“ zugunsten von E-Mobilität zurück. Tatsächlich gibt es in diesem Bereich aus meiner Sicht zwei Hauptprobleme, die in der Öffentlichkeit aber kaum breit getreten werden: die Beschaffung der Rohstoffe für die Technologie der E-Autos und die Infrastruktur im Stromnetz, die dringend ausgebaut werden muss, um den E-Hype zu bewältigen. Das dürfte nicht so schnell möglich sein. Gezeigt hat sich diese strategische Umstellung auch schon in einem aktuellen Werbespot von Jeep, in dem ein Fahrzeug mit den Worten „jetzt auch als Benziner“ angepriesen wurde. Ist der Elektromobilität damit wirklich der Stecker gezogen? Im Magazin Focus wird dazu eine Einschätzung mit jeweils vier Gründen für und gegen das Aus veröffentlicht.
Noch einmal zurück zum Extremismus, der immer öfter auch Wählern, die sich jenseits der Mitte positionieren, unterstellt wird. In Wien fand der nunmehr schon 5. Präventionsgipfel unter Leitung der Direktion für Staatsschutz und Nachrichtendienst (DSN) statt. Deren Chef Omar Hajawi-Pirchner konstatierte dabei, dass der Nahost-Konflikt als „Katalysator für terroristische Aktivitäten in Europa und potenziell auch Österreich“ fungiere. Anfällig sei vor allem die „Generation Z“, also jene jungen Menschen, die zwischen 1997 und 2012 geboren wurden. Radikale Inhalte würden aus seiner Sicht vermehrt in die österreichischen Klassenzimmer getragen und die „im Land lebenden ‚Hochrisikogefährder’ wären, auch hinsichtlich psychischer Auffälligkeiten, eine Gefahrenquelle“.
In diesem Zusammenhang wiederholte der DSN-Chef gemeinsam mit Innenminister Gerhard Karner (ÖVP) und Franz Ruf, dem Generaldirektor für öffentliche Sicherheit, seine Forderung nach mehr Zugriffsrechten auf Messengerdienste. Man kann auch diesen schrittweisen Abbau von Freiheitsrechten durchaus als extremistisch bezeichnen.
Dass die kolportierte „Sicherheitslage“ in der Welt immer mehr Jugendlichen zu schaffen macht, zeigt eine Wahrnehmung der Sucht- und Drogenkoordination der Stadt Wien, die sich besorgt über den Boom bei der Nutzung von Beruhigungsmitteln bei dieser Bevölkerungsgruppe zeigt. Zum Thema wurde nun eine eigene Taskforce eingerichtet. Wenn diese tatsächlich den Ursachen auf den Grund gehen mag, dann wird sie nicht umhinkommen, auch den politisch Verantwortlichen die Rute ins Fenster zu stellen. Die ständigen Drohgebärden und die Angstmache, die in den Coronajahren einen Höhepunkt erreicht haben, der aber aufgrund des Umgangs mit den aktuellen Kriegsszenarien und der Dystopie eines nicht mehr zurückzudrehenden Klimawandels auf diesem Niveau gefühlt stabil bleibt, tun ihre Wirkung. In der Tat müssen sich nämlich die gesamtgesellschaftlichen Bedingungen ändern, um diesen beunruhigenden Trend zu stoppen. Da sind vor allem die gefordert, die diese Bedingungen festlegen bzw. an längst überkommenden Bedingungen festhalten. Ich hoffe, dass dies auch endlich mal bis zu den Verantwortlichen durchsickert. Ideen dazu gibt es genug, die müssen nicht erfunden, sondern endlich umgesetzt werden.
Auch damit kann man dem von vielen Seiten befürchteten Extremismus bis hin zum Terrorismus gezielt und erfolgreich vorbeugen. Wer das hat, was er zum Leben braucht, wird sich nicht auf eine radikale Ebene begeben, sondern konstruktiv an der Weiterentwicklung der Gesellschaft mitwirken.
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WG – 2024 KW10-DE-IPHP | Wolfgang Müller | CC BY-SA 4.0 | |
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