Der Weisheit letzter Schluss – Ein Sommer wie damals

Meinung

Ein kommentierender Wochenrückblick KW 26-27/23

Waren das noch Zeiten, als man von einem medialen Sommerloch sprach, als für zwei Monate gefühlt die ganze Welt stillstand oder zumindest die Berichterstattung darüber und Meldungen wie die Sichtung eines schottischen Seeungeheuers die öffentlichen Diskussionen prägten. Es war die Zeit der Sommerfrische, der unter anderem Alfred Komarek in seinen Salzkammergut-Romanen rund um den Journalisten Daniel Käfer ein Denkmal setzt; es war die Zeit, in der man noch die Adriastrände Italiens aufsuchte, um sich eine ordentliche „Farbe“, die ein ganzes Jahr lang reicht, zu holen.

So weit – so verklärt.

In Zeiten wie diesen, wo einem das Sommerfeeling auch in ganz Europa mit heißen Temperaturen und ebensolchen Diskussionen ausgetrieben wird, hat man es nicht leicht, sich so zu regenerieren, dass die Kräfte wieder für ein ganzes langes Jahr eines Lebens auf dem Narrenschiff Erde reichen.

Meint man. Wird einem „gemeint“.

Diese zuletzt von mir gewählte passive Formulierung, die noch dazu eine neue Wortschöpfung kreiert, soll zeigen, dass die Fremdbestimmung mehr denn je die Oberhand gewonnen hat. Und genau die bewirkt die schlechte Stimmung, in dem das Subjektive objektiviert wird; in dem das von der Journaille subjektiv und damit öffentlich Wahrgenommene zur objektiven und einzigen Wahrheit wird; in dem das Individuelle dem Kollektiven geopfert wird – oder zumindest geopfert werden soll, obwohl das doch eine politisch links angesiedelte Ideologie ist. Mag das auch ein Grund für den Rechtsruck in zahlreichen Ländern Europas sein? Eine gewagte These. Zumal die in diesem Segment angesiedelten Parteien und Bewegungen sich eigentlich auch eher durch das Um-sich-Scharen der Gleichgläubigen und das Gleichschalten ihrer Anhänger auszeichnen und von einer gesunden Solidarität der an sich kooperationsfähigen Spezies Mensch dabei nichts zu bemerken ist.

Aber: Worauf will ich hinaus?

Ganz einfach – obwohl es doch durchaus komplex ist: auf die Begabung des Einzelnen, sich dem Mahlstrom des Mainstream zu entziehen, zumindest für eine Zeit. Eine Sommerzeit – oder noch besser für eine regelmäßige tägliche Auszeit, die so alltäglich wird wie der Blick in die Morgenzeitung, der Weg in die (oft ungeliebte) Arbeit, das Anschauen der Abendnachrichten und das vornächtliche Wegbeamen in irgendeinen „Streifen“ oder eine Serie, die davon erzählt, dass es einem im Vergleich eh noch gut geht; das Abendbierchen nicht zu vergessen oder doch lieber die blaue Pille.

Wie aber kann das gelingen, in Zeiten, in denen ein Krieg an Europas Ostgrenze tobt, die österreichische Verteidigungsministerin gemeinsam mit ihrer Schweizer Amtskollegin kürzlich in Bern eine Absichtserklärung zum Beitritt zu „Sky Shield“ unterzeichnet und damit möglicherweise einen nächsten Schritt gesetzt hat, um die „gute alte Neutralität“ zu Grabe zu tragen, der NATO-Gipfel im litauischen Vilnius die Stärkung der Abschreckungs- und Abwehrmechanismen sowie eine Aufnahmeperspektive in das Militärbündnis für die Ukraine beraten will, uns die Sommergefühle mittels notwendiger „Hitzeschutz-Maßnahmen“ auf Basis eines ständig aktualisierten Hitze-Dashboards ausgetrieben werden sollen und sich das Leben – angesichts der vielen von mir hier nicht erwähnten Gefahren und Dystopien – eigentlich grundsätzlich ziemlich beschissen anfühlt?

Der Neurobiologe Gerald Hüther erachtet es als notwendig, unserem Gehirn regelmäßig eine Auszeit im Hinblick auf die Informationsaufnahme zu geben. In seinem Vortrag „Wir informieren uns zu Tode“ beim Seminar „Krise & Heilung“, das vom 6. bis 13. 11. 2022 in Nyon in der Schweiz stattgefunden hat, erörtert er das „Phänomen der Informationsüberlastung in der heutigen Gesellschaft“. Dieses Zuviel an Information, so der Neurobiologe, lässt die Menschen immer verwirrter und unsicherer werden. Das Gehirn sei darauf ausgerichtet, Signale zu empfangen und diese umgehend zu verarbeiten. Ein ständiges Reagieren auf jedes Signal führt jedoch zur Überforderung. Hüther betont, dass unsere westliche Gesellschaft durch die digitalen Technologien mit einer Informationsflut konfrontiert ist, die dazu führt, dass wir unseren Orientierungssinn verlieren und nicht mehr erkennen können, was wirklich wichtig ist. Absichtliche Fehlinformationen, als Fake News bezeichnet, die an allen Ecken und Enden zu finden sind, tragen zusätzlich zur Verwirrung bei und halten uns ständig in Atem. „Wahre Erkenntnis und Ermächtigung erwachsen aus der Entwicklung des Mutes, selbst zu denken und sich gegen Konformität aufzulehnen“ schlussfolgert er.

Wenn Sie zu den (regelmäßigen) Lesern meines Wochenkommentars zählen, dann werden sie darin immer auch eine Auswahl von einigen wenigen, aber zumindest für mich bedeutenden Ereignissen finden. Diese stellen also eine subjektive Auswahl dar und wollen nicht die einzig richtige objektive Wahrheit wiedergeben. Es darf also weiter in Ihren Händen liegen, was Sie davon und was Sie darüber hinaus an Nachrichten und Meinung konsumieren.

In diesen beiden Wochen – wie sie bereits bemerkt haben, ist mein letzter Wochenrückblick schon 14 Tage her, da ich in den Sommermonaten auf diesen Rhythmus umgeschaltet habe – ist das für mich einerseits noch ein Beitrag im STANDARD, in dem der britische Arzt und Professor am University College London Chris van Tulleken die Lebensmittelindustrie mit den Worten „Lebensmittelkonzerne machen uns gezielt abhängig von ungesundem Müll“ kritisiert und feststellt, dass diese keinen Deut besser als die Zigarettenindustrie sei. Dass wir immer wieder am Vorsatz scheitern, uns besser zu ernähren, liege nicht an uns, so der Mediziner, sondern schlicht und einfach am Essen. Und andererseits wurde da vom als „Zahlenfreak“ bekannt gewordenen Oliver Lerch aus Vorarlberg das Buch „3 Jahre Corona-Schlagzeilen“ präsentiert, das statistisch durchaus Erhellendes im Hinblick auf die Angemessenheit der „pandemiebedingten“ Maßnahmen wirft.

Und damit möchte ich es diesmal, was den Bezug zur aktuellen Berichterstattung betrifft, schon wieder bewenden lassen, auch um Ihnen die eine oder andere Minute der Muße zu ermöglichen, die ja keineswegs mit Müßiggang zu verwechseln ist.

Wie ich das mit der Muße mache?

Ich – als einer der angesichts seiner journalistischen Beschäftigung von möglichst vielen Informationen lebt – bin seit einigen Wochen dabei mir alltäglich drei Auszeiten zu gönnen: eine am Morgen, in der ich mich mit Qi Gong für den Tag stärke, eine zu Mittag, in der ich mein gutes, neues Leben meditiere und eine abends, in der ich einen rund einstündigen Spaziergang in der Natur mache. Nicht immer nehme ich mir für alle drei Timeouts die Zeit – die positive Wirkung aber lässt sich trotzdem schon ganz klar festmachen.

Lassen Sie mich abschließend noch etwas „Auffälliges“ erklären: Die einfältig gestaltete Grafik zu diesem Beitrag ist der Tatsache geschuldet, dass unser Grafiker seinen wohlverdienten vierzehntägigen Sommerurlaub genießt und diesen noch dazu als Übergangszeit in seinen ebenso wohlverdienten (Un-)Ruhestand nutzt – obwohl er uns glücklicherweise (nahezu ehrenamtlich) erhalten bleiben wird. Dennoch kann man dem von ihm vorpoduzierten Vorschaubild einiges abgewinnen, was die Intention meines Beitrages unterstützt: den notwendigen Mut zur Lücke und den regelmäßig tatsächlich „not-wendenden“ Blick ins Off, ins Narrenkastl – wie meine Oma zu sagen pflegte – und damit das ganze durchaus negativ „geframed“ hat. Mich schreckt das aber nicht mehr ab. Denn: Besser täglich zumindest einmal Narrenkastl, als 24/7 Narrenschiff.

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Credits

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Vorschaubild_WG_26-2723 Wolfgang Müller CC BY-SA 4.0
Weisheit-KW-26-2723-Ein-Sommer-wie-damals

Diskussion (2 Kommentare)

  1. Ein schon wohltuender Rückblick! Vielen Dank!
    Auch ich kenne den Begriff „Narrenkastl“ noch, hat wohl auch meine Oma (und wir alle, wenn jemand in Trance war) verwendet und genieße es wieder bei Zugfahrten und diversen anderen Gelegenheiten.
    Herzliche Grüße
    Barbara

    1. Herzlichen Dank für die Rückmeldung zu meinem Wochenrückblick. Ja, es tut immer wieder gut, egal wann und wo auch immer, sich dem „Narrenkast’l schauen und Luftschlösser bauen“ (siehe den Song der John Fox Band)zu widmen und die Zeit still stehen zu lassen.