Der Weisheit letzter Schluss: Ein heißer Herbst
Ein kommentierender Wochenrückblick – KW 34-35/23
Als ob der Sommer nicht schon heiß genug gewesen wäre – und damit meine ich keineswegs nur die auch diesmal sommerlichen Temperaturen – kündigt sich ein Jahr vor den nächsten Nationalratswahlen ein ebensolcher Herbst an. Die Sommergespräche diverser Medien mit den Landes- und Bundesvorsitzenden sowie dem einen oder anderen Regierungsmitglied der in der jeweiligen Volksvertretung situierten Parteien ließen trotz mancher Oberflächlichkeit und Plattitüde tief blicken. Zu befürchten ist nämlich nichts weniger als der allmähliche Stillstand jeglicher Aktivitäten zu Gunsten eines diesen Urnengang vorbereitenden Aktivismus. Fast scheint es so, als wäre das die Lieblingsbeschäftigung unserer Politiker, die der Spin-Doktoren aller Coleurs ist es jedenfalls. Sie kommen endlich wieder in die Vollen.
Spannend dabei, dass die Österreichische Volkspartei (ÖVP) kaum einen Tag auslässt, um sich am Chef der Freiheitlichen Partei Österreichs (FPÖ) Herbert Kickl abzuarbeiten, der wiederum vorweg bereits, die Regierungsparteien – also auch die Grünen – regelmäßig durch den Kakao zieht. Während der neue Vorsitzende der Sozialdemokratischen Partei Österreichs (SPÖ) durch die Lande zieht, um das Comeback seiner nicht nur in die Jahre sondern in eine handfeste Krise gekommenen Bewegung einzuläuten, ist man sich im Burgenland, in welchem der in der Stichwahl am Parteitag unterlegene Hans-Peter Doskozil regiert, nicht so ganz sicher, was man am Programm von Andreas Babler unterstützen möchte. Ein Parteitag im September wird hier die Richtung weisen. Spannend auch, dass es demnächst offensichtlich zwei Filme über Sebastian Kurz und einen über Andreas Babler geben und dass Beate Meinl-Reisinger ihre Ideen für Österreich in Buchform veröffentlichen wird. Die angekündigten Filme über den türkisen Ex-Bundeskanzler könnten gegensätzlicher nicht sein. Der eine fühlt sich schwer nach Propaganda an, der andere, der vom renommierten Dokumentarfilmer Kurt Langbein gestaltet ist, beabsichtigt mit dem „Projekt Ballhausplatz“ abzurechnen. So mancher Protagonist in ersterem Streifen fühlt sich dabei allerdings „gelegt“- wie die Wochenzeitschrift Falter zu berichten weiß.
Auch sonst hat sich in der österreichischen Innenpolitik in den letzten beiden Wochen so manches abgespielt, das durchaus Potential hat, auch in den kommenden Wochen weiter zu „brennen“:
Der von der Regierung in Zusammenhang mit weiteren Maßnahmen zur Bekämpfung der Teuerung angekündigte und ob seiner mutmaßlichen geringen sozialen Treffsicherheit bereits heftig kritisierte „Mietpreisdeckel“ harrt seiner Beschlussfassung, für die er allerdings eine Zwei-Drittel-Mehrheit braucht. Man darf gespannt sein, ob die Regierenden hier eine der Oppositionsparteien überzeugen können – aus heutiger Sicht jedenfalls darf man nicht davon ausgehen, dass der Vorschlag Gesetz wird.
Und auch die „Almosen-Politik“ der Verantwortlichen geht munter weiter. Demnächst wird nämlich (wieder) der Klimabonus ausbezahlt, der die in Österreich im europäischen Vergleich immer noch hohe Teuerung wohl nicht bremsen wird. Zu all den bislang schon überwiesenen Einmal-Zahlungen, die seit den Pandemiejahren Konjunktur haben, fällt mir ein Zitat ein, dass dem Sozialreformer Heinrich Pestalozzi zugeschrieben wird: „Wohltätigkeit ist das Ersäufen des Rechts im Mistloch der Gnade.“ So schaut‘s aus, nicht nur in Zeiten der französischen Revolution, in der der mutmaßliche Autor des Sagers gelebt hat.
Es ist ja sogar durchaus bequem für die Staatsgewalt, die Unbequemen mit Mitteln wie diesen ruhig zu stellen. Verblüffend daran ist nur, dass man von den auf diese Weise von Kindheit an abhängig und funktionstüchtig gemachten Bürgern dann plötzlich so etwas wie Eigenverantwortung erwartet. Und dass man in den letzten Jahren den durchaus lebenstüchtigen Hausverstand ins rechte Eck gestellt hat, um ihn nun – zumindest medial – angesichts diverser Krisen wieder hervorzuholen. Kürzlich schrieb Manfred Wolf in einem Leitartikel in den Oberösterreichischen Nachrichten (hinter der Bezahlschranke) im Zusammenhang mit den Unwettern davon, dass dieser den Menschen abginge und sie damit sich und die dafür notwendigen Retter in Lebensgefahr bringen.
In Wien werden demnächst vom Boulevard als „Hundesheriffs“ bezeichnete Beamte durch die Straßen ziehen, die zwar als Service-Teams angekündigt sind, ob ihrer Aufgaben aber wohl eher als Kontrollorgane fungieren werden. Hier zeigt sich, wie weit es mit den Euphemismen, also der staatlich geförderten Schönfärberei, bereits gekommen ist.
Zudem werden in den Medien immer wieder Angstszenarien im Hinblick auf das Verwaltungsstrafrecht in die Welt gesetzt. Beobachten konnte ich dazu Beiträge zum Thema Schulpflichtverletzungen und Nichtbezahlen der ab Jänner 2024 gültigen ORF-Haushaltsabgabe. In beiden Artikeln wird von Gefängnisstrafen gesprochen. Anzumerken dazu ist aber, dass es sich um so genannte Ersatzhaftstrafen handelt, die dann schlagend werden, wenn Verwaltungsstrafen nicht bezahlt werden (können) und auch alle anderen Maßnahmen zur Eintreibung der offenen Zahlungen ergebnislos bleiben. Die Wahrscheinlichkeit, dass man deswegen ins Gefängnis kommt, ist also äußerst gering. Auch ein freiwilliges „Einsitzen“ lässt sich in der Regel kaum erreichen, da zuerst alle möglichen Exekutionsmaßnahmen getroffen werden.
Weil so mancher – wie sich zeigt – ein Brett vor dem Kopf zu haben scheint, ist es nicht verwunderlich, dass man auf die Idee kommt, einen „Negativpreis“ namens „Das Goldene Brett“ in die Welt zu setzen. Ich bin bei solchen Ideen immer sehr skeptisch – so wie auch beim in Deutschland von der Heute-Show jeweils am Ende eines Jahres verliehenen Goldenen Vollpfosten -, weil die Satire dabei schnell in Verunglimpfung und Beleidigung umschlagen kann. Bei der österreichischen Initiative kann jeder jeden nominieren. Obwohl auf der Website davon gesprochen wird, bei Einreichungen die Vergabekriterien zu beachten und Begründungen möglichst sachlich zu formulieren, werden auch Einreichungen frei gegeben, die nichts als Beleidigungen enthalten. Am besten hat mir die Nominierung des Goldenen Bretts selbst für den Preis gefallen. Die Begründung war kurz und knackig: „Mehr Brett vor dem Kopf geht nicht.“
Möglicherweise hätte auch diese Idee Chancen auf eine Nominierung: Der Tarnanzug des GECKO-“Kommandeurs“ General Rudolf Striedinger wird vom Haus der Geschichte Österreich (hdgö) für die museumseigene „Corona-Sammlung“ übernommen. „Auch das Outfit von Chief Medical Officer Katharina Reich ist nun im Haus der Geschichte zu sehen“, berichten die Oberösterreichischen Nachrichten auf Seite 2 ihrer Printausgabe vom 25. August 2023.
Wegen all dieses innerösterreichischen „Ablenkungsprogramms“ kommt die Weltpolitik diesmal ein wenig kürzer.
An der Kriegsfront in der Ukraine ergeben sich aktuell kaum Verschiebungen, auch in der Berichterstattung dazu herrscht ein Mehr vom Gleichen. Der Aufreger über den Flugzeugabsturz, bei dem der Chef der Wagner-Söldner Jewgeni Progroschin zu Tode kam, ist schnell verebbt, obwohl viele Fragen über dessen Hintergründe offen geblieben sind.
Auch die Tatsache, dass in Japan die Ausleitung von Kühlwasser aus dem Atomkraftwerk im japanischen Fukushima in den Pazifischen Ozean begonnen hat, ist den Medien kaum eine Zeile wert. Glücklicherweise liegt dieses nämlich aus unserer Perspektive am anderen Ende der Welt. Wohl auch deshalb gab es bezüglich der Aussagen der Internationalen Atomenergiebehörde IAEO, wonach die Auswirkungen dieser Maßnahme auf Mensch und Umwelt vernachlässigbar seien, nur in Japan Proteste.
Auch das Inkrafttreten der 1. Stufe des Digital Service Acts bzw. des Digital Market Acts, das spätestens mit der Implementierung des zweiten Schrittes im Februar des kommenden Jahres auch bei den Internet-Usern ankommen wird, hat trotz seiner Brisanz zumindest in Österreich keinen wesentlichen medialen Widerhall gefunden.
Wie schnell man vereinnahmt bzw. medial in die eine oder andere Schublade verfrachtet werden kann, musste der US-amerikanische Musiker Oliver Anthony erfahren, der mit seinem aktuellen Song Rich men north of Richmond die Nummer eins der sogenannten Billboard Charts, der Hitparade des Landes, und diverser anderer Musikplattformen (Spotify, Apple Music) wurde. Im STANDARD wurde dazu in einem „Bericht“ ordentlich polemisiert bzw. geframed. Der Musiker selbst wehrte sich allerdings gegen die Vereinnahmung durch irgendeine Partei, auch jene der Republikaner, denen er wegen des Inhalts seines Protestsongs zugeordnet wurde.
In Zeiten wie diesen ist es also sehr einfach geworden, Zuschreibungen zum Opfer zu fallen. Zunehmend passiert das auch gerade denjenigen, die Themen differenziert betrachten und sich nicht auf eine Seite schlagen. Auch unabhängige Medien geraten schneller als je zuvor in diesen Teufelskreis, wenn sie nicht die gängigen und gesellschaftlich akzeptierten Narrative bedienen. Nun sind Vorurteile ja etwas durchaus Menschliches, wie uns die Psychologie lehrt. Damit aus dieser menschlichen Eigenschaft aber nicht Unmenschliches wird, ist es wichtig, bereit zu sein, diese ersten Urteile zu überprüfen und zumindest zu relativieren, wenn nicht sogar zu revidieren. Es gibt nämlich mehr Schattierungen zwischen Schwarz und Weiß als so manche Schulweisheit sich träumen lässt. Und so gesehen kann dieser Herbst durchaus auch milder verlaufen als der Titel meines Wochenkommentars verheißt. Das würde dem gesellschaftlichen Klima ausgezeichnet stehen.
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Sebastian Kurz: https://commons.wikimedia.org/wiki/File:2020_Sebastian_Kurz_Ministerrat_am_8.1.2020_(49351572787)_(cropped).jpg
Andreas Babler: https://commons.wikimedia.org/wiki/File:Andreas_Babler_2023_salzburg.jpg
Topf und Deckel: Bild von Freepik
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