Der Weisheit letzter Schluss – Die unselige Allianz von Medien & Politik
Ein kommentierender Wochenrückblick – KW 3/24
Die Wahlen rücken näher und mit ihnen das Bedürfnis der Parteien, sich im besten Licht zu präsentieren. Für diese Präsentation braucht es Medien, die dazu berichten. Diese Medien wollen mit Botschaften gefüttert werden, idealerweise mit solchen, die gut für Aufmacher sind; denn diese bringen Leser – und diese wiederum eine entsprechende Attraktivität für Werbekunden. Eine sehr komplexe Sache also, wie sich zeigt. Dass dabei leider viel zu oft Grenzen verschwimmen, tut letztlich keiner Seite gut.
Inspiriert zum Thema meines aktuellen Wochenkommentars wurde ich zum einen von einem Beitrag in den Oberösterreichischen Nachrichten (OÖN) vom 11. Jänner dieses Jahres, in dem der Journalist Edmund Brandner unter dem Titel „Die ÖVP auf Malta kennenlernen“ davon schreibt, dass er ein schlechtes Gewissen habe, die Einladung der oberösterreichischen Volkspartei an Lokaljournalisten für einen Trip nach Malta angenommen zu haben – nicht aus ethischen Gründen, sondern wegen der klimaschädlichen Flüge (auf seine Argumentation gehe ich gleich noch ein); andererseits habe ich in dem knappen Jahr, seit dem ich ehrenamtlich, also unentgeltlich die Funktion eines Chefredakteurs der unabhängigen Medienplattform Idealism Prevails übernommen habe, auf all die Fragen, die ich an Politiker per E-Mail gestellt habe, keine Antwort erhalten – nicht einmal eine Lesebestätigung oder einen Stehsatz. Es gibt also aus Sicht der Politiker solche und solche Medien; die einen, die per se als nützlich erscheinen; und die anderen, die man getrost ignorieren kann.
Kommen wir nun zurück zur Argumentation von Kollegen Brandner, mit der er das Annehmen der ÖVP-Einladung zu einem Flug und Aufenthalt in Malta rechtfertigt. Ich zitiere: „Ich bin froh über die Gelegenheit, führende Funktionäre aus den 52 Gemeinden des Bezirks besser kennenlernen zu dürfen. Das hilft mir bei meiner Arbeit. Darum sagte ich auch dankend zu. Das Verhältnis zwischen Politikern und Journalisten ist ja die komplizierteste Beziehung, die man sich vorstellen kann. Aber auch die spannendste. Wir brauchen uns gegenseitig. Zugleich misstrauen und belauern wir einander. Freundschaften zwischen Politikern und Journalisten verbieten sich. Gegenseitiger Respekt ist aber schön und Wertschätzung noch schöner. Die Beziehung funktioniert nur dann gut, wenn Politiker sich daraus keinen unredlichen Vorteil erwarten und es akzeptieren, dass wir auch andere Meinungen als ihre wiedergeben. Und sie funktioniert nur dann gut, wenn wir Journalisten Vertrauen, das uns entgegengebracht wird, nicht für eine schnelle Titelzeile missbrauchen. Interviews werden spannend, wenn der Politiker sagt: ‚Was jetzt kommt, ist off the record.‘ Denn auch wenn ich die Information dann für mich behalten muss, hilft sie mir, Zusammenhänge besser zu verstehen.“ Auch sein aus seiner Sicht klimaschädliches Verhalten versucht er abschließend zu relativieren – auch wenn im letzten Satz immer noch schlechtes Gewissen zu erkennen ist: „Weil ich zumindest nicht zum Spaß fliege, sondern aus beruflichen Gründen. Das Klima wird diesen Unterschied aber nicht bemerken.“
Erfrischend ist sie Ehrlichkeit des Schreibers: sie gibt uns tiefe Einblicke in dieses so wichtige Thema und bestätigt (m)eine These, dass die unbeeinflusste Berichterstattung eine naive Phantasie ist. Wie ich schon an anderer Stelle angemerkt habe, wird es einen objektiven Journalismus niemals geben. Das gilt auch für die so genannten unabhängigen Medien. Was es aber dringend braucht ist ein aufrichtiger Journalismus, der zu allen Themen idealerweise sämtliche – nicht nur die durch Pressesprecher oder Spindoktoren zur Verfügung gestellten – Informationen veröffentlicht, mit dem Ziel, dass sich die Menschen eine eigenständige Meinung bilden können. Der Aufwand dafür ist allerdings enorm, er kostet Zeit und Geld. Die schnelle oberflächliche Recherche hat daher Saison und gut aufbereitete Presseaussendungen dienen oft zu mehr als nur zu einer Basis eines selbständig verfassten Beitrags.
Was Kollege Brandner so harmlos erscheint, ist aus meiner Sicht eine gefährliche persönliche Gratwanderung. Ist es ihm zukünftig wirklich möglich, ganz frei und ungeniert über eventuelle Missstände in der ÖVP-Lokalpolitik zu schreiben, wenn man die betroffenen Politiker quasi privat auf einer Urlaubsreise kennen gelernt hat? Der menschliche Faktor ist dabei nicht zu unterschätzen und ich würde einen solchen Hasard nicht riskieren, auch wenn ich dadurch möglicherweise „off records“ die eine oder andere brisante Information erhalten würde, die ich dann ja gezwungenermaßen eh nicht veröffentlichen dürfte.
Ein Thema, das ich schon mehrfach an dieser Stelle aufgegriffen habe, ist die seit Beginn dieses Jahres verpflichtend eingeführte „ORF-Haushaltsabgabe“, die dem Staatsfunk die Poleposition in der Berichterstattung, die zunehmend zum Infotainment verkommt, eingebracht hat. Krass dabei, dass diese Entscheidung von einem Gremium, nämlich dem Stiftungsrat, abgesegnet wurde, das kürzlich vom Verfassungsgerichtshof als verfassungswidrig erkannt wurde. Die Medienministerin sieht aber keine Eile, den Schaden zu reparieren: da noch bis zum Frühjahr 2025 dafür Zeit ist, könne man dies getrost der nächsten Regierung überlassen. Möglicherweise erhofft sie sich durch die aktuelle Konstellation im öffentlich-rechtlichen Rundfunk Österreichs eine ihr entsprechende Berichterstattung bzw. ist sie mit der politischen Besetzung und der Performance des nicht verfassungskonformen Gremiums zufrieden. Seit bekannt wurde, dass es nun zu einem „Zwangs-Beitrag“ kommt, bemühen sich spitzfindige Juristen darum, Möglichkeiten aufzuzeigen, wie man sich gegen diese weitere staatliche „Vergewohltätigung“ wehren kann. Dazu haben sich sowohl der ehemalige Verwaltungsrichter und nunmehrige „Bürgeranwalt“ Gernot Klopcic, als auch der ehemalige ORF-Moderator Reinhard Jesionek (im Gespräch mit dem Rechtsanwalt und Vorsitzenden der Partei Vision Österreich, Alexander Todor-Kostic) in Videos zu Wort gemeldet. Fazit: Aktuell führt kein einfacher Weg an dieser Maßnahmen vorbei; es gibt aber Möglichkeiten, Zeit zu gewinnen. Eventuell sogar so lange, bis die nächste Regierung diese Chuzpe wieder abschafft und akzeptablere Lösungen findet.
Der Wahlkampf für das „Superwahljahr“ hat begonnen. In Österreich präsentierte die ÖVP mit dem vermeintlich in der eigenen Partei in Ungnade gefallenen ehemaligen Generalsekretär, Klubobmann und Staatssekretär Reinhold Lopatka ihren Spitzenkandidaten für die EU-Wahl. Bei den Grünen wurde dafür nach langem Hin und Her die Klimaaktivistin Lena Schilling aus dem Hut gezaubert. Bei beiden Personalien entsteht der Eindruck, dass sie bloß zweite oder gar dritte Wahl sind. Bei den NEOS wird wohl Ex-ORF-“Star“ Helmut Brandstätter die Nummer eins werden; SPÖ und FPÖ gehen mit ihren bisherigen Delegationsführern ins Rennen.
Für Freitag dieser Woche haben die „Türkis-Schwarzen“ eine Rede des Bundeskanzlers angekündigt, die wohl eher eine solche des Parteivorsitzenden werden wird. Die Themen, die den Journalisten und durch sie nun häppchenweise auch den Bürgern präsentiert werden, klingen eher nach Wahlkampf(zuckerln) denn nach Staatsräson. Dabei bräuchte Österreich gerade in Zeiten wie diesen einen unaufgeregten Regierungschef, der sich den wirklich brennenden Themen auf Basis von Sach- und nicht von Ankündigungspolitik widmet. Das aber dürfen wir nicht erwarten; und so ist es möglicherweise tatsächlich besser, dass auch diese Regierung vorzeitig die Segeln streicht und wir noch vor dem Sommer auch zu den Urnen für die Nationalratswahl gerufen werden. Antreten will dazu auch die von Dominik Wlazny aka Marco Pogo gegründete Bierpartei, die zuerst aber 20.000 Mitglieder in ihren Reihen sehen will, bevor man sich in den Wahlkampf wirft. Kritik kam kürzlich an den angeblich in Familienhand befindlichen Strukturen der Partei auf. Tatsächlich muss sich auch der selbst ernannte Spitzenkandidat der politischen Gruppierung natürlich an den Maßstäben messen lassen, die er selbst als wesentlich erachtet, „Führerkult“ inklusive.
Populismus ist in den letzten Jahren, vielleicht sogar schon länger, zur politischen Tugend schlechthin geworden. Betroffen davon sind aber nicht nur jene Parteien, die man – auch medial – ständig als solche bezeichnet. Als eines der Vorzeigebeispiele dafür gilt der ehemalige US-Präsident Donald Trump, dem eine Nominierung seitens der Republikaner nun absolut sicher scheint. Er gewann auch die zweite Vorwahl seiner Partei in New Hampshire, die diese Woche stattfand, haushoch vor seiner nunmehr einzig verbliebenen „ernstzunehmenden“ Herausforderin Nikki Haley. Im Lauf der Woche ist sein politischer „Ziehsohn“ Ron De Santis wieder in die Trump-Familie zurückgekehrt, hat seine Kandidatur beendet und seine volle Unterstützung für „Papa Donald“ erklärt. Einem Duell der beiden alten weißen Männer im November steht daher eigentlich nichts mehr im Wege.
Themen die dieser Tage – wohl auch aus politisch „gutem“ Grund – ins Hintertreffen geraten sind, sind die bevorstehende Entscheidung der EU, mit einem Militäreinsatz Frachtschiffe im Roten Meer vor den Angriffen der Huthi-Rebellen zu schützen. Auch Österreich überlegt laut Außenminister Schallenberg eine Beteiligung; wie weit sich diese mit der immerwährenden Neutralität verbinden lässt, ist derzeit in Prüfung. Diese Lösung wird aber kaum zu einer Entspannung der Lage beitragen. Das einzige, was wirklich hälfe, wäre eine Initiative zu einer Friedenslösung im Nahen Osten zwischen Israel und den Palästinensern. Diese stünde einem neutralen Staat wie Österreich blendend zu Gesicht.
Diskutiert werden sollte auch über den Einsatz der Gen-Schere in der Landwirtschaft. Österreichs Landwirten wird wegen ihrer Skepsis immer wieder Hinterwäldler-Mentalität vorgeworfen. Es ist natürlich kein wirkliches Argument, sich bloß zu weigern. Tatsächlich sollte man sich Sorgen um Boden und Saatgut machen. Düngen und der Eingriff in die Genetik sind langfristig gesehen nur die zweitbesten Mittel.
Das gleiche gilt auch für die Wiederbelebung der Atomkraft, diesmal als „grüne, CO2-schonende“ Energiequelle. Die Erinnerungen an den einen oder anderen Atomunfall, sei es jener in Tschernobyl oder der in Fukushima, verbleichen stetig – und dass solche Katastrophen glücklicherweise nicht auf der Tagesordnung stehen, macht sie dennoch nicht weniger furchtbar.
In den Medien finden wir dazu leider wenig, weil es eben auch in der Politik kein Thema ist und es dazu weder Pressekonferenzen noch Presseaussendungen gibt – und wenn doch, dann eher befürwortende. Gerade bei solchen schwerwiegenden Entscheidungen, die Auswirkung auf uns alle haben, ist es aber dringend geboten, alle Karten auf den Tisch zu legen. Dazu braucht es aber starke, unabhängige und auch finanziell gut aufgestellt Medien. Und da beißt sich die Katze vermeintlich in den Schwanz. Dennoch gibt es einzelne Projekte, die sich diesem Teufelskreis durchaus erfolgreich stellen. Sie leben von der beherzten Unterstützung jener Menschen, denen ausführliche, gut recherchierte und grundlegende Information wichtiger ist als die nächste krasse Schlagzeile. In diesem Sinn sind einmal mehr jeder Einzelne respektive wir alle gefordert.
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WG – 2024 KW03-DE-IPHP | Wolfgang Müller | CC BY-SA 4.0 | |
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