Der Weisheit letzter Schluss – Demokratische Reife
Ein kommentierender Wochenrückblick – KW 20/23
Max Lercher, der Manager des Wahlkampfs des in der SPÖ-Mitgliederbefragung siegreichen Kandidaten benutzte den Titel gebenden Ausdruck im Rahmen seines Interviews in der ZiB2 am vergangenen Montag inflationär – wohl nicht um hier der Demokratie das Wort zu reden, sondern um seinen Frontman als einzigen Kandidaten für den SPÖ-Parteitag in zwei Wochen zu positionieren. Die Interviewführung des ORF-Anchorman Armin Wolf machte es ihm auch einfach. Der wusste sich dann nur noch damit zu helfen, dass er seinen „Interviewgegner“ mit der Tatsache konfrontierte, dass dessen Lebensgefährtin ja die Vorsitzende der Wahlkommission sei. Ein Untergriff sondergleichen. Ein Interview ohne wesentliche Wert. Oder vielleicht doch?
Immerhin konnte man dabei deutlich erkennen, dass im politischen Tagesgeschäft Macht mehr zählt als die Lösung von aktuellen, die Bevölkerung betreffenden Problemen, und das möglichst im Einklang mit den unterschiedlichen Bedürfnissen. Lercher, der damit rechnen darf, dass er im Fall eines Sieges des burgenländischen Landeshauptmannes am Parteitag eine wichtige Rolle innerhalb der österreichischen Sozialdemokratie spielen wird, versuchte den Sehern daher klar oder eher weis zu machen, dass das Ergebnis der Mitgliederbefragung zu akzeptieren sei. Demokratische Reife sei gefragt, was heißen will, dass der zweitplatzierte Bürgermeister von Traiskirchen auf eine Kampfkandidatur am Parteitag verzichten solle und dass der Parteivorstand den Sieger der Befragung als seinen Kandidaten nominieren solle, ja müsse. Für den bevorstehenden Parteitag selbst zeigte sich die von ihm mehrfach ins Spiel gebrachte demokratische Reife dann darin, dass man einen zweiten Kandidaten nicht zulassen sollte, wie wohl Lercher auf Nachfrage betonte, dass er persönlich absolut nichts dagegen hätte.
Die Ausgangslage ist für die SPÖ durch die Befragung nicht einfacher geworden. Immerhin beteiligten sich 72,4 % der Parteimitglieder daran, was aber auch Folgendes bedeutet:
Berücksichtigt man die 27,6% „Nichtwähler“ und die 3,4%, die sich für keinen Kandidaten erwärmen konnten, dann kommt der „Sieger“ auf gerade mal 23,3%, der Zweitplatzierte erreichte 21,7 und die amtierende Vorsitzende 21,6 %. Im Umkehrschluss bedeutet dies, dass der Erstplatzierte mehr als 75% der Parteimitglieder nicht angesprochen hat und die SPÖ eine zutiefst gespaltene politische Bewegung ist. Wobei es sich ja eher um einen Persönlichkeitswahlkampf, denn um eine tatsächlich nur inhaltliche Entscheidung handelte, obwohl das Wahlkampfteam des Traiskirchner Bürgermeisters ihren Kandidaten als den wahren Sozialdemokraten zu platzieren suchte.
In ihrem Pressestatement am Dienstag gab dann die aktuelle Vorsitzende, wie zu erwarten war, bekannt, dass sie nicht nochmals um das höchste Amt in der Partei kandidieren werde. Im Parteivorstand bzw. -präsidium wurde daraufhin folgende Vorgangsweise vereinbart: Die von Andreas Babler gewünschte Stichwahl zwischen den beiden Bestplatzierten durch alle Parteimitglieder und eine Absage des für 3.6.23 angesetzten Parteitages wurde mit 25:22 Stimmen abgelehnt. Und das obwohl die Wiener Partei einen überraschenden Schwenk vollzogen und genau jenen Vorschlag des Traiskirchner Bürgermeisters, den sie zuerst für Humbug hielt, letztlich doch unterstützt hatte. Die knappe Mehrheit ergab sich wohl auch deswegen, weil Doskoszil bei der Entscheidung für eine Stichwahl sogar mit seinem Rückzug gedroht hatte. Angenommen wird mit diesem Beschluss eine Kampfabstimmung zwischen Babler und ihm am kommenden Parteitag.
Damit dürfte eine in den Medien bereits gestellte Frage, wen die Rendi-Wagner-Unterstützer am Parteitag eher wählen werden zumindest teilweise beantwortet sein. Die Rufe Lerchers bzw. des ORF-Innenpolitikchefs Hans Bürger, dass nun Pragmatismus angesagt sei und es darum gehe, FPÖ-Wähler zurück zu gewinnen, fanden keine Mehrheit.
Man kann das eben durchaus auch anders sehen. Wie wäre es, wenn die SPÖ versuchte, Neu- oder Nichtwähler für ihr Programm zu gewinnen? Immerhin müsste unter den derzeit herrschenden Lebensbedingungen mit einem echten sozialdemokratischen Programm durchaus eine – zumindest relative – Mehrheit für die SPÖ möglich sein. Und da wiederum wäre wohl eher Andreas Babler für die Spitzenkandidatur bei der nächsten Nationalratswahl geeignet. Nicht auszuschließen ist allerdings, dass das Parteiestablishment nun noch einen Überraschungskandidaten aus dem Hut zaubert, der die beiden nun um den Vorsitz ritternden Protagonisten noch verhindern soll. Da jede Krise – und die Krise der SPÖ hat sich durch die Mitgliederbefragung manifestiert – auch eine Chance bietet, gilt es diese zu erkennen und zur wirklichen Erneuerung zu nutzen.
Parteiinterne Vorwahlen finden derzeit ja auch in den USA statt. In der letzten Woche habe ich – wie mich ein USA-affiner und mit der Materie in den Staaten bestens vertrauter Redaktionskollege aufmerksam machte – mit meiner Formulierung, der Gouverneur von Florida, der sich für eine Präsidentschaftskandidatur auf Seiten der Republikaner bewirbt, sei „in der Zwischenzeit aber von den Parteieliten der Republikaner aus dem Verkehr gezogen“ worden, eine falsche Einschätzung wiedergegeben. Denn er sei der eigentliche Kandidat des Establishments, während der Ex-Präsident, der nicht nur besten Chancen auf eine Wiederkandidatur, sondern auch auf eine Wiederwahl 2024 hat, den Eliten der Republikaner von Anfang an ein Dorn im Auge war und heute noch ist. Mein Eindruck war dennoch nicht ganz falsch, da die Parteigranden mit dem Auftritt ihres Kandidaten bislang sehr unzufrieden sind, weil er seinen innerparteilichen Konkurrenten aus ihrer Sicht mit Glacéhandschuhen anfasst. Ron DeSantis tut sich auch deswegen schwer, weil er seinem Gegner seine aktuelle politische Position zu verdanken hat. Dennoch steht sein Einstieg in den Kampf um die republikanische Präsidentschaftsnominierung unmittelbar bevor, wobei ihm nach wie vor nur geringe Erfolgsaussichten gegen seinen Mentor Donald Trump beschieden werden.
Auch in Griechenland wurde gewählt – und da hat sich tatsächlich die politische Elite durchgesetzt, obwohl das neue Wahlrecht (der Sieger bekommt nicht mehr automatisch 50 Sitze im Parlament dazu, was in der Vergangenheit die absolute Mehrheit sicherte) einem Sieg im ersten Durchgang entgegen steht. Entweder man findet Verbündete oder es droht ein zweiter Wahlgang Anfang Juli. An der immer noch kolportierten Geburtsstätte europäischer Demokratien geht es damit auch nicht anders zu als in den anderen Ländern, die sich der repräsentativen Demokratie und dem freien Mandat verschrieben haben, das den Abgeordneten Gewissensfreiheit sichert, sie aber nicht dazu verpflichtet, den Bedürfnissen der Bevölkerung folgen zu müssen (siehe dazu auch das von mir mit den Autoren des Büchleins „Eine kleine Geschichte der Demokratie“ geführte Kamingespräch).
Dass das Vertrauen in den ORF schwindet, ist schon länger klar. Eine stetig wachsende Abmeldung von der GIS-Gebühr hat das in den letzten Jahren doch sehr deutlich gezeigt. Mit der Einführung der Haushaltsabgabe, die ab kommendem Jahr für alle in Österreich gemeldeten Wohn- und Firmensitze fällig wird, wird dieser Trend abrupt gestoppt und der Staatsfunk zum größten Player in der österreichischen Medienlandschaft. Verhindern lässt sich diese Entscheidung, die von der aktuellen Regierung getroffen wurde, zwar kaum noch; trotzdem lohnt es sich, seine Stellungnahme zum diesbezüglichen Gesetzesentwurf abzugeben. Das ist noch bis zum 25.5.23 auf der Website des Parlaments möglich, wie auch die Plattform RESPEKT berichtet.
Einen weiteren traurigen Höhepunkt der geframten Berichterstattung des öffentlich-rechtlichen Rundfunks unseres Landes bildete die Schlagzeile zum Prozess gegen den renommierten Mikrobiologen Prof. Dr. Sucharit Bakhdi, der sich dieser Tage wegen Volksverhetzung vor einem deutschen Gericht verantworten musste; das vor allem, weil er sich dem Covid19-Narrativ durch seine kritische und fachmännische Betrachtung der Situation entgegengestellt hat. Auf den blauen Seiten wurde man dazu am Tag des Prozesses unter dem Titel „Deutscher CoV-Kritiker wegen Volksverhetzung vor Gericht“ informiert. Am Abend desselben Tages wurde auch der Freispruch des Angeklagten verkündet, auch hier lautete die Schlagzeile ähnlich, nämlich „Volksverhetzung: Deutscher CoV-Kritiker freigesprochen“. Im letzten Absatz des Kurzberichtes wird noch dazu ausführlich „geframt“: „Der pensionierte Professor für Mikrobiologie gilt als Ikone der „Querdenker“-Bewegung. In seinen Bestsellerbüchern zur Pandemie, in Interviews und Reden verbreitete er mehrfach Falschinformationen“, steht da zu lesen.
Von einem Redaktionskollegen habe ich folgende Information erhalten, die es sich lohnt veröffentlicht zu werden:
„Nach einigen Monaten Diskussion um die Regulierung von Künstlicher Intelligenz zeichnet sich eine Art Regel ab: Je mehr jemand von der Technologie versteht, desto entschlossener steht er für gesetzliche Vorschriften ein. Das jüngste Beispiel lieferte jetzt Sam Altman, der Vater von ChatGPT und damit der unumstrittene Vordenker des Themas. Bei einer Anhörung im US-Kongress plädierte er jetzt deutlich für starke Regulierung“, schrieb er und bezog sich damit auf Altmans Aussagen vor dem Justizausschuss des US-Senats. Wie immer bei technischen Weiterentwicklungen gilt es auch hier für die Menschheit die richtigen Entscheidungen zu treffen, um Chancen zu nutzen sowie Risken und Gefahren tunlichst einzudämmen bzw. möglichst zu verhindern.
Noch einmal zurück in die Welt der Politik:
Der scheidenden finnischen Premierministerin wird von der New Yorker Universität demnächst die Ehrendoktorwürde verliehen. Begründet wird dies auf der Seite der Hochschule wie folgt:
„Sanna Marin – the youngest person, at the time of her appointment as Finland’s prime minister, ever to serve as a head of any government; the longest-serving woman prime minister of Finland, leading a parliamentary coalition entirely headed by women and a majority-woman cabinet; a stalwart opponent of Russia’s invasion of Ukraine; an outspoken advocate for her nation joining the NATO alliance; credited with steady and effective leadership during the COVID-19 pandemic; a member of the vanguard of a new generation of European leadership; and the first member of her family to go to college – will address the graduates and guests on behalf of all the honorary degree recipients. She will receive a Doctor of Humane Letters, honoris causa, at the ceremony.“
Wie bei so manchem Ehrentitel, der Politikern während oder nach ihrer Amtszeit zu Teil wird, ist auch hier durchaus die Lobhudelei im Vordergrund, die „konformes“ Verhalten auszeichnet, nicht aber zivilcouragiertes.
Dass die Welt mit Psychologie nicht zu retten ist, steht für mich schon länger außer Zweifel. Bestätigt wurde ich dieser Tage durch einen Artikel, den mir ein weiterer Kollege aus unserer sehr umtriebigen und kompetenten Redaktion zukommen ließ. Wie Deutschlandfunk Kultur berichtet, fordert der Psychologe Thorsten Padberg, dass der Alltag statt mit Hilfe von Achtsamkeit und Meditation lieber dadurch verbessert werden sollte, in dem man für eine bessere Gesellschaft auf die Straße geht.
Auch diese – von den Mächtigen oft verunglimpfte und von Radikalen aller Couleurs immer wieder unterwanderte – Möglichkeit kann man als Zeichen demokratischer Reife ansehen. Wie übrigens auch das Erkennen der Tatsache, dass man mit weniger als 25% der Stimmen aller Parteimitglieder nicht unbedingt der Retter der österreichischen Sozialdemokratie sein wird. Um diese Aufgabe wirklich zu erfüllen, muss man auch dazu bereit sein, sowohl innerparteilich zu einen, als auch mit einem die Bedürfnisse der Bevölkerung berücksichtigenden Programm und nicht bloß mit dem eigenen Machtanspruch zur nächsten Nationalratswahl anzutreten.
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