Der Weisheit letzter Schluss – Bittere Wahrheit(en)
Ein kommentierender Wochenrückblick – KW 40
Eine der bittersten Wahrheiten betrifft die Wahrheit selbst: auch wenn man sich bemüht ihr so nahe wie möglich zu kommen, zur Gänze erfassen wird man sie nicht, weil es die eine objektive Wahrheit genau genommen gar nicht gibt. Wahr ist subjektiv genommen immer das, was man subjektiv wahrnimmt. Ist man in der Lage, die subjektive Sichtweise aufzugeben und auch mal ein paar Meilen in den Schuhen des anderen zu gehen und dessen Wahrheit kennen zu lernen, dann ist es möglich, eine differenzierte Sichtweise einzunehmen. Diese war noch nie wirklich in Mode, sie ist es in Zeiten des Krieges erst recht nicht. Und kriegerische Zeiten haben wir in den letzten Jahren intensiv erfahren, auch hier in unserem Land, nämlich im „Krieg gegen das Virus“. Die Spaltung in der Gesellschaft ist seither deutlich spürbar und sie gibt uns eine Ahnung, wie Interessenskonflikte und Meinungsverschiedenheiten eskalieren und zu massiven Auseinandersetzungen führen können – bis hin zum Krieg gegeneinander, der dann tatsächlich mit Waffengewalt und alltäglicher Barbarei auf beiden Seiten bis zum bitteren Ende geführt wird. Obwohl sich einer meist als Sieger deklariert, haben doch beide Seiten verloren. Wenn ein Konflikt einmal auf diese Weise eskaliert, dann führt das immer und ausschließlich in eine lose-lose-Situation. Darum ist es ja so unlogisch, wenn Kämpfe mit (Waffen-)Gewalt ausgetragen werden. Aber es gibt eine andere „Logik“, die uns Menschen offensichtlich angeboren ist, nämlich jene der ausgleichenden „Gerechtigkeit“ und der Rache. Erstere wohnt sogar unserem Justizsystem inne – in manchen Ländern sogar bis hin zur Todesstrafe – letztere ist Teil ungeschriebener oder durch die Interpretation von Geschriebenem (ich denke hier vor allem an Texte aus den so genannten Buchreligionen) entstandenen Gesetze – im Privaten wie im Öffentlichen.
Bei Situationen, von denen das Wochenmagazin Profil in einem Beitrag mit dem Titel „Die verlorenen Kinder von Hernals“ berichtet, könnte man leicht die Contenance verlieren und bei weniger genauer Betrachtung sogleich einen Schuldigen ausmachen: die Eltern. So mancher aber wird auch das aktuelle Gesellschaftssystem und damit die Gestalter desselben in die Verantwortung nehmen. Beide Ansätze greifen aufgrund ihrer Kurzsichtigkeit zu kurz, es gilt noch viel mehr in die Betrachtung einzubeziehen. Wenn Kinder unter solchen Umständen leben müssen, dann haben wir es mit einem multiplen Versagen aller Beteiligten zu tun und so sind auch alle Beteiligten gefordert, die not-wendenden Veränderungen herbeizuführen.
Ob dies mit den Mitteln populistischer Parteien gelingen wird, sei dahingestellt. Die sich für Recht und Ordnung sowie die Familie als Keimzelle der Gesellschaft einsetzende Freiheitliche Partei Österreichs (FPÖ) ist jedenfalls ob solcher und der vielen anderen gefühlten Unerträglichkeiten und des ihr zugetrauten „Ausmisten des Saustalls“ weiter im Aufwind: Für jeden Dritten ist sie regierungsfähig, in der Bundeshauptstadt Wien verdreifacht sie ihr Wählerpotential von einem recht niedrigen Niveau auf immerhin 23 Prozent. Sie liegt damit immer noch hinter der SPÖ mit 35 %, die aktuelle Rathauskoalition der Roten mit den NEOS hat aber keine Mehrheit mehr.
Ebenso dahingestellt sei, ob das mit Mitteln populistischer Ansagen aus den so genannten etablierten Parteien geht. Kanzler Nehammer lädt ob der von ihm als missverstanden interpretierten Aussagen in einer Vinothek (Stichwort: Burger) nun zum klärenden Gespräch bei einem Heurigen in Wien-Döbling. Unter dem Motto „Frag den Kanzler“ dürfen nun diverse NGOs wie etwa das Rote Kreuz, die Caritas oder die Arbeiterkammer verstehen lernen, wie der Regierungschef die Sache gemeint hat. Andreas Babler versucht seine Sozialdemokraten wieder populär zu machen, unter anderem, in dem er die Entscheidung über den SPÖ-Vorsitz in die Hände der Mitglieder legen möchte. Der Chef der Wiener Landespartei Bürgermeister Michael Ludwig sieht Volksnähe anders und so droht dieser Vorstoß Bablers zu scheitern.
Knapp vor dem Scheitern stand auch die so genannte Abschaffung des Amtsgeheimnisses. Diese soll nun 2025 kommen, dafür braucht es aber auch die Zustimmung aus der Opposition. Die SPÖ ist gesprächsbereit, die FPÖ verweigert sich. Mal sehen, was sich vor den Wahlen im Herbst 2024 noch ausgeht – und was danach von der ohnehin schon recht abgespeckten Fassung des Informationsfreiheitsgesetzes, die vor allem den (ÖVP-)Bürgermeistern entgegenkommt, eventuell wieder zurückgenommen wird, noch vor oder erst nach der Nationalratswahl.
In den USA nimmt der Wahlkampf für die im November des kommenden Jahres bevorstehenden Präsidentschaftswahlen durch die Erklärung von Robert F. Kennedy Jr., als unabhängiger Kandidat anzutreten, weiter Fahrt auf. Seine bemerkenswerte Rede, die er aus diesem Anlass gehalten hat, kann man hier nachschauen bzw. an dieser Stelle nachlesen. Unabhängige Kandidaturen, die das in Amerika einzementierte Zwei-Parteien-System aufbrechen, gab es schon früher, die erfolgreichsten waren jene von Ross Perot im Jahr 1992, als er 19 Prozent erreichte und die von Teddy Roosevelt 1912 mit 27 % der Stimmen. Spekuliert wird darüber, wem Kennedy mehr schaden könnte, nämlich dem amtierenden Präsidenten Joe Biden, der sich 2024 seiner Wiederwahl stellen wird oder Donald Trump, der die innerparteilichen Vorwahlen der Republikaner mit großer Wahrscheinlichkeit für sich entscheiden wird. Momentan gehen die politischen Kommentatoren eher davon aus, dass er Trump mehr Stimmen abspenstig machen könnte, tatsächlich hängt das aber von seinem Wahlprogramm ab, das noch nicht vorliegt. To be continued.
Eine sich mit den Hintergründen beschäftigende Sichtweise ist auch nach den durch nichts zu rechtfertigenden militärischen Terrorangriffen der im Gazastreifen regierenden radikalen palästinensischen Organisation Hamas auf Zivilisten in Israel wichtig, denn der damit massiv eskalierte Konflikt zwischen den Palästinensern und Israel im Nahen Osten ist seit Jahrzehnten ungelöst. Wobei auch die hier von mir vorgenommene Verallgemeinerung der beiden einander gegenüberstehenden „Volksgruppen“ schon an der Realität vorbeigeht, da doch in ihrem Inneren bei genauer Betrachtung eine durchaus starke Differenzierung vorherrscht. Wie bei allen Konflikten, die sich zu einer bewaffneten Auseinandersetzung auswachsen, stellt sich die Frage „Cui bono? – Wem nützt es?“. Und es stellen sich weitere Fragen, im konkreten Fall etwa wie es passieren konnte, dass eine der am besten ausgerüsteten Armeen in der Welt auf diese Weise vorgeführt wird? Schon ist in Israel vom 9/11 des Landes die Rede und damit tauchen auch die in diesem Zusammenhang damals gestellten Fragen wieder auf, ebenso die Theorien von LIHOP („Let it happen on purpose“) und sogar MIHOP („Make it happen on purpose“). Auch wenn letztlich nichts davon ausgeschlossen werden kann, weil dem Menschen eben auch für viele unvorstellbare Unmenschlichkeit innewohnt, verstellt eine solche Reduzierung der Ursachenforschung die Sicht auf die dem Konflikt tatsächlich zu Grunde liegenden Anlässe und deren konstruktive Bearbeitung zum Wohle aller Beteiligten. Terrorangriffe und kriegerische Auseinandersetzungen sind Symptome für eben das, sie führen aber niemals zu gewinnbringenden Lösungen.
Wie aber zu diesen kommen?
Zuerst wird sich die heiße Phase abkühlen müssen. Wann und mit welchen Opfern das gelingt, ist derzeit noch nicht absehbar. Und dann wird mit kühlem Kopf und einem Einbeziehen aller Standpunkte eine zumindest auf Konsent (wie es in der Soziokratie formuliert wird), im Idealfall sogar auf Konsens basierte Lösung gefunden werden müssen. Konsent bedeutet, dass keiner der Beteiligten einen schwerwiegenden Einwand gegen einen dementsprechenden Vorschlag hat. Ein schwerwiegender Einwand ist dann legitim, wenn durch den Vorschlag eine Gefahr für das große Ganze entsteht. Dann muss dieser so lange überarbeitet werden, bis gegen diesen eben kein solcher Einwand mehr vorliegt. Zudem wird die Entscheidung in regelmäßigen Abständen evaluiert und im Fall auch angepasst. Das erfordert eine gewisse Flexibilität aller Beteiligten.
Soweit die schöne Theorie. In der Praxis wird eine solche Vorgangsweise oft dadurch blockiert, dass nicht alle Beteiligten dazu bereit sind. Dieses Dilemma lässt sich dann kaum bis gar nicht auflösen. Es braucht dazu auch persönliche Tugenden, die viele der politisch Verantwortlichen nicht mitbringen, weil sie dem Erreichen der Macht entgegenstehen. Das aber wird eine notwendige Voraussetzung sein, wenn wir unser demokratisches System retten und sogar weiter entwickeln wollen.
Wie wichtig ist bei all dem, was wir aktuell an Konflikten erleben, die leider immer öfter bis hin zur bewaffneten Auseinandersetzung eskalieren, wie wichtig ist es dabei, dass wir uns aufgrund einer differenzierten Berichterstattung – wie es im Fall des aktuellen Krieges im Nahen Osten dem US-amerikanischen Nachrichten-Magazin Breaking Points gelungen ist – unsere eigene Meinung bilden können. Nun setzen sich aber Menschen und Medien, die so vorgehen, meist zwischen die Stühle und werden mitunter von allen Seiten kritisiert und im schlimmsten Fall sogar diffamiert. Sowohl die Vermeidung als auch die Lösung von Eskalationen dieser Art liegen aber genau darin, die Perspektive wechseln und somit möglichst viele Perspektiven einnehmen zu können. Diese Übung darf – wie immer, wenn man die Welt wirklich verändern will – im Kleinen, im Persönlichen beginnen und sich von dort auf die gesamte Menschheit ausbreiten. Das ist eine weitere, möglicherweise bittere Wahrheit. Sie aber wird dazu beitragen, dass wir Meinungsverschiedenheiten konstruktiv und im Idealfall mit einem Gewinn für beide Seiten lösen können – wie schon weiter oben angeführt -, die Bereitschaft aller Beteiligten und die dafür notwendigen Tugenden vorausgesetzt.
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Herbert Kickl: https://commons.wikimedia.org/wiki/File:2018-02-15_Herbert_Kickl_FP%C3%96_8794.JPG
RFK Jr.: https://commons.wikimedia.org/wiki/File:Robert_F._Kennedy_Jr._by_Gage_Skidmore.jpg
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WG – 2023 KW40-YOUTUBE-IPHP | Wolfgang Müller | CC BY-SA 4.0 | |
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