Der Weisheit letzter Schluss – Angst essen Seele auf

Meinung

Ein kommentierender Wochenrückblick KW 10/23

Rainer Werner Fassbinder’s Film aus 1973, dem mein Wochenkommentar seinen heutigen Titel verdankt, thematisiert soziale Ausgrenzung am Beispiel einer Beziehung zwischen einer deutschen Witwe und einem um 20 Jahre jüngeren marokkanischen Gastarbeiter. In dem Streifen werden gleich zwei Klischees verwoben, die die beiden Protagonisten in gesellschaftliche Schwierigkeiten bringen und Angst erzeugen.

Heute, 50 Jahre später, mögen (auch) andere Themen wichtiger sein, die Mechanismen der gesellschaftlichen Ächtung, ihr Spiel mit der Angst und ihre verheerende Wirkung aber sind gleichgeblieben. Jene, die ihre differenzierte Haltung zu Covid-19 oder zum Russland-Ukraine-Krieg öffentlich machen, werden mit den längst bekannten „Ächtungsmaßnahmen“ belegt, im Kleinen verliert man Freunde und manchmal sogar den Arbeitsplatz, im Großen Karriere und Ansehen. Jene, die sich nicht auf diese Weise wehren sowie mitunter brav mitspielen und dennoch unter den Umständen leiden oder durch sie sogar in Mitleidenschaft gezogen werden, bezeichnet man zynisch als (leider notwendige) „Kollateralschäden“.

Vor allem Kinder und Jugendliche kamen in den letzten drei Jahren (ja, der erste „C-Lockdown“ jährt sich am 13. März schon zum dritten Mal) ziemlich unter die Räder und wurden – wider besseren Wissens – viel zu lange mit Schul- und Kindergartenschließungen, Kontaktverboten sowie dem Dogma „Testen, testen, testen“ drangsaliert, so dass die schon lange erfolgenden Hilferufe aus den aus allen Nähten platzenden Kinder- und Jugend-Psychiatrien immer noch ertönen – und immer noch überhört werden. Ist der Schaden erst angerichtet, ist er ohnehin kaum wieder gut zu machen; aber diesen Zustand dann als gegeben hinzunehmen, schlägt dem Fass der Unverfrorenheit den Boden aus.

Unter anderem hat dazu schon vor längerem der deutsche „Merkur“ berichtet und auf einen Zusammenhang mit der Verdreifachung von Selbstmordversuchen in dieser Altersgruppe hingewiesen. Darauf weist auch ein Beitrag in der aktuellen Ausgabe von „The Lancet Psychiatry“ hin. Demnach ist die Zahl der Suizidversuche von jungen Menschen bis 18 (untersucht wurden die Daten aus 18 Ländern) bis Ende 2022 um 22% gestiegen. Ansonsten – so ein Bericht auf der Webiste des Staatsfunks – habe die „Coronavirus-Pandemie ‚nur minimale‘ Folgen für die psychische Gesundheit der meisten Menschen gehabt – anders als vor allem zu Beginn der Pandemie angenommen.“ Dies zeige „die nach Eigenangaben bisher umfangreichste Überblicksarbeit zu dem Thema weltweit.“

Dass das Thema trotz Versöhnungswünschen seitens der Regierung wohl noch lange nicht aufgearbeitet sein wird, zeigt sich auch in so manchem Kommentar in den „Leitmedien“. „RAU“ hat sich da – möglicherweise durch die persönliche Angst, die auch an seiner Seele nicht spurlos vorüber gegangen sein dürfte – in einen Rausch hineingeschrie(b)en, der nicht von schlechten Eltern ist. Er beendet seine Abrechnung mit den von ihm als „Impf-Gegner“ bezeichneten Menschen und ihren prominenten Vertretern mit den Worten: „So etwas war und ist unvergessen. Und unverzeihlich.“ Der Chefredakteur einer bekannten Wiener Wochenzeitung hat diese Kolumne auf seinem Facebook-Account ohne zusätzlichen Kommentar gepostet. Das hat einen Redaktionskollegen dazu veranlasst, diesen Post wie folgt zu kommentieren: „Es ist wohl eine althergebrachte Tradition des gemeinen Österreichers, dass er/sie/es/wir/ihr/sie meint, alles richtig gemacht zu haben und sich für nichts zu entschuldigen zu müssen. Beim letzten Mal hats auch recht lang gedauert, bis das aufgearbeitet wurde.“

Apropos Schulbesuch: Im Zuge der C-Regierungsmaßnahmen hat sich eine wachsende Zahl von jungen Menschen und ihren Eltern entschieden, eigene Bildungsinitiativen zu gründen. Diese wurden sowohl von den zuständigen Behörden als auch medial schnell als illegale Privatschulen gebrandmarkt. Nun hat sich allerdings herausgestellt, dass dies keineswegs so war. Wie die Anwälte für Aufklärung auf ihrer Website schreiben, wurden mittlerweile einige diesbezüglich und wegen Schulpflichtverletzungen eingeleitete Verwaltungsstrafverfahren eingestellt.

Abschließend zum C-Thema noch eine „bezeichnende“ Anekdote. War es für den bekennenden Wiener noch vor drei Jahren eine „Hysterie“ von asiatischen Touristen, wenn sich diese mit „OP-Masken“ auf den Straßen der Bundeshauptstadt tummelten, so ist es mittlerweile für den einen oder anderen Hauptstadtbewohner zur unabdingbaren Gewohnheit geworden, sogar mit FFP2-Atemschutz seinen Outdoorgängen nachzukommen. Problem dabei: Seit 1. März ist die diesbezügliche Verpflichtung gefallen und eine Benutzung einer Gesichtsmaske widerspricht dem nun wieder uneingeschränkt geltenden Vermummungsverbot, wie zuletzt auch die Kleine Zeitung berichtete. Und auf „Heute“ wurde ausgeführt, dass Maskenträgern nun eine Strafe von bis zu € 150,- drohe. Eine Anfrage des Mediums im Innenministerium erbrachte folgende Antwort: „Wenn die Person eine gesundheitliche Begründung glaubhaft machen kann, liegt keine Verwaltungsübertretung vor. Das Ziel und der Zweck des Verhüllungsverbotes ist die Förderung der Integration. Dies sollte beim Einschreiten im Vordergrund stehen, aber das Gut der Gesundheit nicht in den Hintergrund drängen.“ Man hat also in diesem Fall erstaunlich schnell eine angemessene und pragmatische Lösung bei der Hand gehabt.

Dass uns die „Pandemien“ zumindest aber die „Epidemien“ nicht ausgehen, dafür sorgt die eine oder andere mediale Berichterstattung. WHO-Pandemievertrag, Änderungen bei den Internationalen Gesundheitsregeln, Krisensicherheitsgesetz und neuerdings auch die Masern lassen vor allem den ängstlichen Teil der Bevölkerung nicht zur Ruhe kommen. So berichtet der ORF kürzlich von einer „Masernwelle“ in der Steiermark mit mittlerweile „49 Fällen“. Nicht bekannt gegeben wurde dabei aber der Zeitraum, in dem diese Anzahl an Erkrankungen aufgetreten ist. Gedroht wurde hingegen mit den Schwierigkeiten, in die sich Eltern bringen, wenn sie ihr Kind über zwei Wochen in der dann von den Behörden ausgesprochenen Quarantäne betreuen müssen. Ein weiteres Ziel des Beitrages war die von der Leiterin der Grazer Gesundheitsbehörde ausgesprochenen Impfempfehlung und der Verweis, dass es dafür schon eine große Nachfrage (von rund 50 Menschen) pro Tag, vor allem Kindern, gebe. Die Bewertung der Größenverhältnisse lässt mich einmal mehr erstaunt zurück.

In der SPÖ geht offenbar momentan die Angst vorm „starken Mann“ aus dem Burgenland um. Nach der jüngsten Wahlschlappe in Kärnten, die dem dortigen Landeshauptmann im Parteivorstand ob der „unangefochtenen“ Verteidigung von Rang eins standing ovations einbrachte, die er mit den Worten „eine Familie lässt man nicht im Stich“ quittierte, suchen die Roten eine Lösung im schon monatelangen Ringen um Parteivorsitz und Spitzenkandidatur für die nächste Nationlaratswahl. Gleichzeitig wundert man sich bei soviel Nabelschau ernsthaft, warum man in den aktuellen Umfragen hinter die FPÖ zurückgefallen ist und seit Wochen ziemlich stabil und regelmäßig auf Platz zwei zu liegen kommt. Medienberichten zufolge soll ein kurzfristig einberufenes Parteipräsidium, zu dem auch der „gefürchtete“ Landeshauptmann dringend eingeladen wurde, klären, wann denn ein Parteitag zur Lösung dieser Frage einberufen werden soll. Die aktuelle Vorsitzende gibt sich angriffslustig und scheut ihren eigenen Worten nach auch vor einer Kampfabstimmung um Vorsitz bzw. Spitzenkandidatur nicht zurück. Ob dieser auch medial inszenierte Showdown die SPÖ noch retten kann, bleibt mehr als fraglich. Die Grünen setzen laut KURIER jedenfalls schon auf den Burgenländer. Der Bericht ist wohl auch als Warnung an den Kanzler und ÖVP-Obmann zu verstehen.

Dieser hat sich zum Wochenausklang in ein Wiener Hochhaus begeben um eine „Rede zur Zukunft der Nation“ zu halten, die eher als innerparteiliche Bewerbung für die Spitzenkandidatur bei der nächsten Nationalratswahl rezipiert werden kann. Die Zukunftsperspektiven für Österreich fehlten völlig, vielmehr drosch er eine Parteiphrase nach der anderen. Als staatsmännisch zu bewerten ist maximal seine Wortwahl: er verbat sich jeglichen launigen Sager, der so manche Ansprache in der jüngeren Vergangenheit gekennzeichnet hatte.

Nochmal zurück zu Kärnten. Auch die Grünen waren mit dem Ergebnis, nämlich den Einzug in den Landtag neuerlich verpasst zu haben, zufrieden. Immerhin habe man Stimmen gewonnen. Die Klubobfrau im Nationalrat quittierte diesen Erfolg mit den Worten „Ziel erreicht“. Trotz zuerst anderslautender Vorhersagen, wonach die bisherige Zusammenarbeit zwischen SPÖ und ÖVP fortgesetzt werden solle, wird im Bundesland nun doch (wieder) über eine Dreierkoalition gegen die Sozialdemokraten spekuliert.

Auch die Spekulationen um die Sprengung der Nordstream 2-Pipeline gehen in die nächste Runde. Nun wird von den USA eine pro-ukrainische Gruppe für das Attentat verantwortlich gemacht. Das hat umgehend zu ukrainischem Widerspruch geführt. „Weder habe man mit dem ‚Vorfall‘ zu tun noch verfüge man über Informationen zu einer ‚proukrainischen Sabotagegruppe‘“, wird der ukrainische Präsidentenberater Mychailo Podoljak auf den blauen Seiten des österreichischen Staatsfunks zitiert. Die Informationen, die zuerst in der New York Times lanciert wurden, stammen vom US-Geheimdienst. Wie dieser und andere Einrichtungen zu diesem Zweck zur Beeinflussung der öffentlichen Meinung arbeiten, hat Edward Snowden Anfang November des Vorjahres einmal mehr thematisiert. Möglicherweise ist die Bezeichnung „proukrainische Unterstützergruppe“ nichts anderes als eine Umschreibung für die Vereinigten Staaten.

Auch die undifferenzierte Berichterstattung zu Russland geht munter weiter. Nunmehr wird dem interessierten Leser Georgien als das nächste Opfer der imperialistischen Bestrebungen des russischen Präsidenten präsentiert. Berichtet wird von massiven Protesten gegen die dortige Regierung, nachdem im Parlament ein Gesetz vorgelegt wurde, das Sanktionen gegen Regierungskritiker nach russischem Vorbild ermögliche. Besorgt zeigten sich die baltischen Staaten, immerhin wolle man damit offenbar die laufende Annäherung des Landes an NATO und EU untergraben. Zudem sei eine große Mehrheit der Bevölkerung für einen Anschluss an die beiden Institutionen, der Kreml aber verhindere das mit Hilfe der aktuell amtierenden Regierung. Laut Frankfurter Rundschau wurde den Georgiern im Fall weiterer Proteste indirekt sogar mit einem neuerlichen Krieg gedroht und an den Maidan-Aufstand in der Ukraine 2014 erinnert. Diese Option besteht durchaus, warum sie gerade jetzt medial aufbereitet wird, lässt ahnen, dass der Konflikt zwischen der Allianz aus USA, NATO sowie EU und Russland weiter geschürt werden soll. Die Angstpropaganda wird damit fortgeführt. Ebenso wird die Ansicht weiter verbreitet, dass Bewaffnung eine wesentliche Grundlage des Friedens und nur die NATO(-Mitgliedschaft) diesen zu sichern im Stande ist.

Bei so viel furchteinflößenden News sollten sich die kürzlich ins Leben gerufenen „Sensitive Readers“ bald einmal auch der täglichen Meldungen annehmen. Diese „sensiblen Leser“ werden aktuell eingesetzt, um Werke auf Mängel im Hinblick auf die Gendersensibilität und Political Corectness zu prüfen und Änderungen vorzuschlagen. Welche Blüten diese Maßnahmen treiben können, wurde ja erst kürzlich wieder gemeldet, als es um Textänderungen bei einem Lied von Udo Jürgens ging, und aus Mohrenköpfen Schokoküsse wurden.

Ohne unsensibel scheinen zu wollen, möchte ich dennoch feststellen, dass wir weitaus wichtigere Probleme haben. Und obwohl Sprache sicher ein wesentlicher Faktor bei einer veränderten Sichtweise auf die Welt ist, hat sie allein noch keinen Menschen bewegt, seine Haltung zu ändern. Sonst müssten Männer und Frauen ja längst auch finanziell und beruflich gleichgestellt sein.

Um abschließend nochmals auf die Angst und ihren Bezug zur Seele zurückzukommen, möchte ich darauf hinweisen, dass wir alle „Todgeweihte“ sind, uns also nicht unbedingt ständig etwas „scheißen“ müssen. Im Angesicht und in der uneingeschränkten Akzeptanz des Todes könnte die von den Mächtigen geschürte alltägliche Angst ihre Wirkung verfehlen und Kopf und Herz frei machen, für das, was notwendig ist, nämlich unsere Not zu wenden. Unsere Seele weiß es längst. Werfen wir sie nicht unnötig den von bestimmter Seite produzierten Ängsten zum Fraß vor.

 

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