Der Weg ist die Realität, und nicht der Glaube
Statt der Entspannung nach einem anstrengenden Arbeitstag brechen wir den Rekord im Aufräumen und darin, uns in die Trachten zu werfen. Trotz alledem kommen wir zu spät. Jetzt essen wir, dann erheben wir uns und stellen uns vor … Die Navajo-Leute sind aber sehr nett zu uns und machen sogar ein paar Witze auf unsere Kosten – das ist ein gutes Zeichen. Kurzum: ein wichtiger Abend für NativeNow! Mal sehen, was sich alles entwickelt.
(Aus: Ich fühle mich lebendig)
Tag 5, 07-06-02:
Schicke unsere Tagebucheinträge durch das Netz. Die Idee, dass Inhalte sofort transportiert werden, hat einen faszinierenden Charakter für mich, dennoch würde ich es vorziehen, spürten wir uns in der physischen Realität.
Es macht ein wenig den Eindruck, ich schickte Flaschenpost, die durch die unermessliche Weite des digitalen Informationsmeeres driftet. Ist da draußen jemand?!
Heute herrschte ein kleines Missverständnis in Bezug auf die Hausschlüssel, die uns stundenlang stationär festhielt. Die Zeit wurde gleich genutzt, um das Konzept für die „kulturelle Unterhaltung“ zu entwerfen, die wir für die Hochzeitsfeierlichkeiten zur Verfügung stellen sollen. Wir werden Toms Bauch als Beispiel für den runden Planeten Erde nehmen, um die geografische Lage Österreichs (nein, es ist nicht Australien) in Bezug auf das Navajo-Reservat zu demonstrieren.
Darüber hinaus wollen wir unser Publikum über verschiedene Aspekte der Geschichte, Sprache und Ernährung unserer Heimat aufklären. Insgeheim hoffen wir, dass wir die ganze Angelegenheit vermeiden können, weil wir gebeten wurden, ein Lied zu singen. Wir wollen schließlich nicht die ganze Gruppe zur Flucht in die Wüste veranlassen. Wenn wir es nicht umgehen können, werden wir den Leuten den Text und die Bewegungen beibringen zu: „Mein Hut, der hat drei Ecken …“ Das sollte sie beschäftigen.
Ich fuhr am späten Nachmittag nach Cortez. Besichtigung des „Totten Lake„, der einzigen Pfütze in der Umgebung, mit dreckigem, stinkendem Wasser. Verzehrte eine ziemlich ekelhafte Mahlzeit plus unglaublicher Mengen an Cola. Wir führten ein tolles Gespräch unter uns, das uns den Rest des Tages vertrieb. Einfach nur schlafen wollen, von der Haut meiner Liebsten träumen und noch eine kühle Waldviertler Brise.
Ps: Wir konnten ein Treffen im Diné College arrangieren, das für Montag geplant war, um zukünftige Kooperationen in pädagogischen und interkulturellen Fragen zu besprechen. Gut.
Tag 6, 08-06-02:
Schon früh am Morgen zeigte Blackhorse mir ein Drehbuch, das er in Navajo übersetzen soll. Es stellte sich heraus, dass es sich um eine Darstellung der Geschichte eines Großvaters handelt, der mit seinem Enkel spazieren geht und den Spuren der Sonne durch die vier Himmelsrichtungen folgt. Es beinhaltet die Gebete, die in jeder Phase gesprochen werden müssen, und wird von einem Navajo-Schüler von Blackhorse illustriert. Dieses Buch soll für das Sprachtraining verwendet werden, ist aber auch für alle anderen geeignet, die sich für die Navajo-Kultur interessieren, glaube ich. Als Blackhorse den Autor anruft, setzt er mich ans Telefon und das Thema geht in Richtung Verlagswesen.
Er arrangiert dann ein Treffen in Bluff zum Mittagessen. Bei der Ankunft erkannten wir sofort, wer die Dame war, und begleiteten sie und ihre Freundin zum Mittagessen. Nun, Bluff ist in Utah, und Utah ist der Mormonenstaat. So verwunderte es nicht, dass wir mit zwei Mitgliedern dieser Glaubensgemeinschaft zu Mittag aßen. Im Laufe der Jahre habe ich eine ganze Reihe von Mormonen kennengelernt, da sie für den Aufbau einer Vielzahl von Bildungseinrichtungen und anderer Infrastruktur im Reservat verantwortlich sind.
Nach dem Mittagessen beschlossen wir, C. Diego, eine Freundin von mir, zu besuchen. Sie ist Filmemacherin und Lehrerin und hat ein Projekt namens „Elder Hostel“ ins Leben gerufen, bei dem ältere Menschen aus allen Teilen der USA die Möglichkeit haben, das Reservat zu besuchen und in direktem Kontakt mit dem Diné die einheimische Kultur kennenzulernen. Hatte eine „head banging“-Fahrt zurück nach Shiprock, angetrieben von der untergehenden Sonne in unserem Rücken und einigen der besten Musikstücke der Welt.
Ich liege heute früh im Bett. Blackhorse schaut „The Good, The Bad, and The Ugly“ im Fernsehen. Ein Indianer auf der Couch, der Cowboys beobachtet – es ist eine wunderbare Welt, wahrhaftig!
PS: Überall entstehen Brände. Beängstigend.
Tag 7, 09-06-02:
Bei Sonnenaufgang treffe ich Blackhorse, um Früchte, Joghurt und Navajo-Tee mit ihm zu teilen. Die Stimmung ist angespannt, ich träume von zu Hause und wir beginnen, über das Problem zu reden, dass wir nicht da sind, wo wir hingehören. Der Wind säuselt in meinen Ohren, ich kann mich nicht daran gewöhnen.
Blackhorse muss sich auf seine Heiltherapie vorbereiten und verlässt den Hogan. Zu meiner Überraschung bittet er mich, an der Heilzeremonie teilzunehmen. Ich lerne Familienbegriffe kennen und bin wieder einmal tief berührt von dem Vertrauen, das mir entgegengebracht wird. Die Pfeife, das Lied, das Wasser, das Feuer, der Erdboden, das Achteck, das sich zum Himmel hinauf öffnet, der Fokus des Praktizierenden, der aufmerksame und leicht nervöse Patient, der vom Verantwortlichen getröstet wird – und ich meine: verantwortlich.
Das Wissen von Tausenden und Abertausenden von Jahren an Beobachtung und Praxis, die von Generation zu Generation überliefert werden, lässt sich nicht durch oberflächliche religiöse Denkspiele und esoterische Dummschwätzer auslöschen.
Während der Bruder des Patienten und ich den frischen Sand für das Gemälde reinigen, geht Blackhorse mit dem Patienten in die Wüste, um ein Opfer darzubringen. Nach seiner Rückkehr lädt er Tom ein, den Hogan für die Sandmalerei und die restliche Zeremonie zu betreten. Ich bin froh, dass er da ist, denn in mir macht sich Nervosität breit, da ich zum ersten Mal in meiner Ausbildung gebeten wurde, bei den heiligen Vorgängen zu helfen.
Übersetzung Englisch-Deutsch: Anna Dichen
Credits
Image | Title | Autor | License |
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15365051691_6fcd7721d7_o | Son of Groucho | CC BY 2.0 |
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