Der tendenzielle Fall der Profitrate und die kreative Zerstörung – Prof. Heinz-Josef Bontrup
Im zweiten Teil des Gesprächs mit Univ. Prof. Dr. Heinz-Josef Bontrup geht es zu Beginn um den Produktionszyklus. Vereinfacht gilt: Menschen produzieren Menschen Waren und Dienstleistungen unter Wahrung des Wirtschaftlichkeitsprinzips, also unter dem Einsatz möglichst geringer Ressourcen. Dieses Prinzip wurde aber bis heute im Bezug auf die Umwelt nie wirklich eingehalten. Die Produktion passiert arbeitsteilig – sowohl lokal, als auch global. Dies hat schon der von Karl Marx hochgeschätzte Schotte Adam Smith in seinem berühmtesten Werk Der Wohlstand der Nationen (1776) erkannt und in seinem Beispiel über die Stecknadel-Manufaktur beschrieben. Für Smith war Arbeitsteilung schon immer der Motor der Produktivität. Dies gilt laut Bontrup bis heute. Die Kehrseite davon ist: Arbeitsteilung führt zur Verdummung der Menschen, da jeder Arbeiter monoton nur einen kleinen Produktionsschritt ausführt. Ein Auswuchs dieser Entwicklung ist die Fließbandarbeit.
Jede Wissenschaft hat für die Gesellschaft eine zentrale Aufgabe: der Wahrheit möglichst nahe zu kommen. Adam Smith hat ohne Rücksicht auf Interessen oder Ideologien dieses Prinzip gelebt.
Die Technologisierung zuerst der Landwirtschaft, dann der industriellen Produktion, und nun – mit Einzug der Digitalisierung – des Dienstleistungssektors führte und führt immer wieder zur Verdrängung der arbeitenden Menschen. Da es nun nicht mehr genügend sinnstiftende Arbeit gibt, wurden sogenannte bullshit jobs, die die Produktivität zwar nicht erhöhen, aber Menschen beschäftigen, geschaffen. Dies ist natürlich für die Produktivität als Motor der Wirtschaft eine verheerende Entwicklung, die mittlerweile auch von staatlicher Seite untersucht wird.
Wettbewerb ist laut Bontrup eine Fiktion: fast alle Märkte sind heute oligopolisiert, wenn nicht sogar von Monopolen beherrscht. Wettbewerb findet man nur noch bei den Zulieferbetrieben, die von den Großkonzernen immer stärker ausgebeutet werden. Es gäbe zwar Gesetze, die die kleinen Firmen schützen: aber wenn diese aufbegehren, verlieren sie sofort ihre Aufträge. Marktmacht entscheidet.
Produktivität geteilt durch Kapitalintensität ergibt die Kapitalproduktivität=Profitrate. Kapitalintensität wiederum setzt sich aus maschineller Arbeit und menschlicher Arbeit zusammen. Die permanenten Versuche der Substitution menschlicher Arbeit durch Technik (=tote Arbeit laut Marx) ist allgegenwärtig. Bontrup beschreibt an einem Beispiel aus seiner Tätigkeit als Vorstand bei einer Tochter der Thyssen-Gruppe, dass seinem Unternehmen Investitionen nur genehmigt wurden, wenn er eine vorgegebene Profitrate errechnen konnte. Diese konnte er nur erreichen, indem die Kapitalintensität stieg – also: indem er menschliche Arbeitskraft durch Maschinen ersetzte. Da der Mensch (laut Marx) allerdings der einzige ist, der einen Mehrwert erwirtschaften kann, gerät die Profitrate immer mehr unter Druck.
Wenn eine unterentwickelte, wenig kapitalintensive Wirtschaft wächst, ist sie erfolgreich und es gibt hohe Produktivität – so zB im Wirtschaftswunder nach dem 2. Weltkrieg oder aktuell (noch) in China. Wachstum befriedet alle Marktteilnehmer – aber wehe dem, wenn das Wachstum wegfällt. Durch die steigende Kapitalintensität gibt es immer mehr Arbeitslose. Diese Entwicklung kann man eine Zeit lang über die Strukturreform hin zum Dienstleistungssektor (mit seinen vielen bullshit jobs) auffangen. Arbeitslose haben weniger Geld und können sich die immer produktiver hergestellten Waren nicht mehr leisten. Makroökonomisch ist man nicht mehr in der Lage, die Gleichung Produktion=Einkommen=Nachfrage hinzubekommen. Ein Ventil für nationale Ökonomien ist hier der Export; aber selbst diese Erschließung neuer Märkte ist nicht unbegrenzt möglich. Die von Markt prognostizierte Verelendung der Massen lässt sich heute schon erkennen, wenn man der Weltbank glaubt, die etwa der Hälfte der Bevölkerung in absoluter Armut leben sieht.
Die Auswirkungen der Coronamaßnahmen auf den informellen Sektor weltweit, die steigende Jugendarbeitslosigkeit, die Mär von der digitalen Lösung der beschriebenen Misere und drei mögliche Entwicklungspfade des Kapitalismus sind weitere Inhalte dieses Gesprächs.
Den ersten Teil dieses Interviews findet ihr hier.
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