Der Sinn des Lebens – die aktuellsten Ansätze der Wissenschaft
Im ersten Teil meiner Artikelserie, die übergreifend vom philosophischen Konzept des „Sinnes des Lebens“ handelte, wurden die Herausforderungen herausgearbeitet, die sich rund um die Definition selbst ergeben. Ich begann damit, die Veränderungen in den Ansichten im Laufe der Jahrhunderte unter die Lupe zu nehmen. In diesem Text konzentriere ich mich auf die Faktoren, die zu der massiven Popularisierung dieses Themas in den letzten Jahrzehnten führten. Im Anschluss behandle ich die einzelnen Ansichten und Paradigmen, die vorherrschen.
Eine der weniger offensichtlichen Überlegungen über das Ausmaß, in dem die Frage des Sinnes des Lebens behandelt wurde, offenbart sich in der Bedürfnispyramide von Abraham Maslow (siehe Bild) und ihrer Hauptprinzipien:
- Die im untersten Bereich angeführten Bedürfnisse sind die eher fundamentalen und grundlegenden, während die „höheren“ Bedürfnisse, wie z.B. die Notwendigkeit zur Selbstverwirklichung und Selbsttranszendenz, zuoberst gelagert sind.
- Die grundlegendste Ebene der Bedürfnisse muss also gedeckt sein, bevor die sekundären oder übergeordneten Bedürfnisse eines Menschen angepeilt werden können (oder man sich zumindest dazu ermutigt fühlen könnte).
Wenn wir also davon ausgehen, dass sich die Suche nach dem Sinn im Leben in der Bedürfnishierarchie eher im oberen Bereich befindet, so lässt sich daraus schließen, dass ein Mensch über ausreichend Energie und Motivation verfügen müsste und die Befriedigung grundlegender Bedürfnisse außer Frage stehen sollte, um sich tiefgreifend auf die Suche des Sinns begeben zu können. Ist es somit möglich, einen Zusammenhang zwischen der Popularisierung des Begriffs „Sinn des Lebens“ und dem allgemeinen Wohlbefinden in der modernen Gesellschaft zu finden? Fakt ist, dass wir aus historischer Sicht in einem Zeitalter der Fülle leben:
Das BIP pro Kopf – mit einhergehend auch die Konsumausgaben – ist im letzten halben Jahrhundert stetig gestiegen (s.u. Grafik). Haben wir als Gesellschaft heute einfach mehr Motivation und Energie, eine existenzielle Diskussion zu führen als früher, weil unsere Grundbedürfnisse mehr oder weniger gestillt sind?
Wir haben nun die Faktoren angesprochen, die zum aktuellen Stand der Diskussion über den Sinn des Lebens führten – jetzt widmen wir uns den aktuellen Ansichten darüber, was die eigentliche Bedeutung des eigenen Lebens sein könnte und wie der Sinn des Lebens im Universum als Ganzes betrachtet wird.
Da der rationale Verstand die Arbeit des nachlässigen, esoterischen Verstandes übernimmt, um den Sinn und Zweck des Lebens neu zu erfinden, stehen einander Dutzende von neuen Paradigmen gegenüber, um die Logik hinter der Existenz des Lebens aufzuspüren; während sich die Gesellschaft verschiedener „Fälle“ wie WWF, Peta und dergleichen annimmt, wendet sie sich der Kunst und Kreativität zu und begibt sich auf die Suche nach einer emotionalen Bindung und Gleichwertigkeit – ähnlich wie im religiösen Glauben.
Einige der Errungenschaften in der konventionellen Wissenschaft und der Kosmologie scheinen diese Ansicht zu teilen. Für den Physiker Lawrence Krauss – in seinem neuesten Buch „The Greatest Story Ever Told … So Far.“(2017) – sei die Tatsache, dass wir uns auf diesem Planeten entwickelten, nur ein „kosmischer Unfall“ (Price, 2017). Der renommierte Evolutionsbiologe Richard Dawkins in „The Blind Watchmaker“ (1986) argumentiert, dass evolutionäre Prozesse wie Reproduktion, Mutation, Selektion analog zu einem blinden Uhrmacher seien und partout nicht von einem externen „Designer“ gesteuert würden.
Die scheinbar unwahrscheinliche „Bio-Freundlichkeit„1 unseres Universums legt jedoch nahe, dass das Universum entgegen den Erwartungen für die Funktion entworfen worden sei, Leben entstehen zu lassen (Price, 2017). Diese letztgenannte Überlegung ist Teil der sich kürzlich formierten wissenschaftlichen Denkweise der theoretischen Physiker, genannt „Cosmological Natural Selection“ (CNS) – und besagt, dass evolutionäre Theorien weit über die Erklärung der Lebensmerkmale auf der Erde hinausgehen würden und tatsächlich ein Schlüssel zur Erklärung der Merkmale des Universums, insbesondere der Existenz intelligenten Lebens, sein könnten.
Die CNS basiert auf der Idee, dass wir im Multiversum der selbstreplizierenden Universen2 leben würden. Es sei der Mechanismus der Replikation, in dem die weitere Diskussion liege: Lee Smolin argumentiert, dass die Replikation durch schwarze Löcher erfolge3, während eine andere Theorie besagt, dass intelligentes Leben auch ein Mechanismus der Replikation sein könnte. Edward Harrison, einer der ersten Vertreter dieser Theorie, fasst das Konzept zusammen und gibt der Suche nach dem „Sinn des Lebens“ einen neuen Impuls:
Nicht unvorstellbar: Das Ziel in der Evolution der Intelligenz ist die Schaffung von Universen, die die Intelligenz fördern.(frei übersetzt)4
Konventionelle Wissenschaften wie Kosmologie, Mathematik und Physik versuchen, das Leben als Phänomen und seinen Zweck in der universellen Anordnung sowie die Rolle des Menschen als Lebensform in all dem zu erklären. Doch was ist mit dem Zweck eines einzelnen menschlichen Lebens? Gibt es überhaupt einen Sinn darin? Dazu lassen wir die größten Köpfen der Philosophie auf der Suche nach Antworten sprechen – im nächsten Teil dieser Serie.
Übersetzung Englisch-Deutsch: Anna Dichen
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1 Die Beobachtung, dass zahlreiche Gesetze und Parameter des Universums präzise angepasst zu sein scheinen, um die Entwicklung des Lebens zu ermöglichen (Price, 2017).
2 Um tiefer in das Konzept des Multiversums eintauchen zu können, sollte man David Deutsch und insbesondere sein Buch „The Fabric of Reality“ lesen.
3 Smolin, L. (1997). The Life of the Cosmos. Oxford University Press
4 Harrison, E. R. (1995). The natural selection of universes containing intelligent life. Vierteljährliches Journal der Royal Astronomical Society 36: 193-203