Der Raum für Demokratie verkleinert sich
Veranstaltungsdaten
- Datum
- 3. 3. 2017
- Veranstalter
- DASICON
- Ort
- Festsaal der diplomatischen Akademie, Favoritenstraße 15a
- Veranstaltungsart
- Podiumsdiskussion
- Teilnehmer
- Matthisj Berman, Berater der OSZE zur Freiheit der Presse
- Melanie Sully, Betreiberin von Go-Governance
- Kerem Öktem, Professor für Südosteuropa und die moderne Türkei an der Uni Graz
- Jan Haukaas, Berater des OSZE-Büros für demokratische Institutionen und Menschenrechte
Im Zuge des dritten Panels der diesjährigen DASICON diskutierten die Teilnehmer über die Gefahren für die westliche Demokratie.
Laut Melanie Sully haben wir heute mehr Demokratie und Transparenz als jemals zuvor. Dass diese Begriffe in den Medien auftauchen, sei ein Hinweis auf die erhöhte Achtsamkeit. In Großbritannien wird über elektronische Abstimmungen diskutiert – ein Thema, das ob der Fehler- und Manipulationsanfälligkeit vor allem in der technikaffinen Community im deutschsprachigen Raum nicht allzu beliebt ist.
Einige OSZE-Mitglieder (z.B. die Türkei) haben Probleme mit der Demokratie; deshalb sei die Organisation auch das richtige Forum, um dies anzusprechen, denn diese Länder haben (sofern sie darauf Wert legen) ihr Image zu verlieren, wenn sie zu weit ausscheren.
Um den schwelenden und aktiven Konflikten zu begegnen, sollte die Jugend der betroffenen Länder aktiver eingebunden und eingeladen werden.
Für die Demokratie sollte man ein Grundkonzept erstellen, das andere Weltregionen mit unterschiedlicher Geschichte und Kultur an ihre Gegebenheiten anpassen können. Der westliche Demokratieexport sei bisher nur sehr eingeschränkt erfolgreich. Die größte Herausforderung sei allerdings keine politische: Seit zehn Jahren gibt es für den einfachen Bürger keine ökonomische Verbesserung der eigenen Situation mehr. Dieses Problem sei am dringendsten zu lösen.
Der Este Matthijs Berman, lange Jahre Reporter in Konfliktgegenden und nun schon seit zehn Jahren Abgeordneter im EU-Parlament, stellt fest, dass die Bürger immer autonomer von der etablierten Politik werden. Weltweit gäbe es mehr Demokratie als vor zwanzig bis dreißig Jahren, beispielsweise in Kolumbien, Myanmar oder Gambia. Gleichzeitig sei in manchen Ländern Europas die Freiheit der Medien in Gefahr. Im Zuge der Massenüberwachung gerate der für Journalisten essenzielle Schutz der Informationsquelle immer mehr unter Druck: Freiheit versus Sicherheit in Zeiten des Terrors.
Berman ortet gefährliche neue Koalitionen in vielen Ländern. Es könne nicht diskutierbar sein, ob Menschen ihre Regierung wählen dürfen: Dieses Recht müsse zu allen Zeiten gewahrt werden, die Bürger verlangen nach einer echten Demokratie.
Menschenrechte stehen im Zentrum von Jan Haukaas‘ Tätigkeit bei der OSZE. Die 1993 von der EU verabschiedeten Kopenhagener Kriterien seien von den meisten europäischen Ländern innerhalb von zwei Jahren anerkannt worden. Die Wahlaufsichtsbehörde ODIHR leiste gute Arbeit, sei allerdings nur politisch verankert und habe kein juristisches Durchgriffsrecht bei Verstößen. Bis 2005 habe man menschenrechtliche Standards immer weiter verbessert. Seit damals seien aber Rückschritte erkennbar bzw. habe die Zustimmung zu zuvor unumstrittenen Standards abgenommen. Die Zivilgesellschaft habe heute weniger Raum als vor 2005.
Für den Istzustand sieht Haukaas vier Trends als entscheidend an:
- Je weiter ein Land von Konflikten entfernt liegt, desto weniger Ansehen gibt es für die Demokratie. Menschen haben es scheinbar verlernt, die Demokratie zu schätzen.
- Damit einhergehend ist ein fallendes Vertrauen in die Politik festzustellen. Teilweise glauben nur mehr 10& der Bevölkerung, dass Politik Probleme lösen kann. Viele Wähler fragen sich, ob und was die aktuelle Politik für sie persönlich getan hat.
- Die Wahrnehmung von Korruption habe sich verändert: Heute gibt es viele Möglichkeiten, Korruption aufzudecken. Durch die subjektive Wahrnehmung, es gäbe immer mehr Korruptionsfälle, sinkt das Vertrauen.
- Die Medienrevolution habe die öffentliche Diskussion komplett verändert. Jeder hat heutzutage eine Reichweite und findet Gleichgesinnte. Liest man z.B. die Kommentare auf dem Internetseiten norwegischer Zeitungen, so glaubt man, die Leser leben in einem Failed State.
Die OSZE müsse, um diese Probleme zu lösen, aus ihrer eigenen Meinungsblase ausbrechen, politische Institutionen müssen wieder besser kommunizieren (lernen). Die Jugend müsse eingebunden werden, und zwar so, wie sie es als richtig erachte. Im Zuge der jährlich stattfindenden human dimension implementation meetings seien viele Veranstaltungen geplant, zu denen Jugendliche aus ganz Europa eingeladen werden, um ihre Sichtweisen darzulegen. Weiters gibt es Programme für den Westbalkan, und dort vor allem für Sinti und Roma, in deren Zuge auch Change Agents zum Einsatz kommen.
Die Demokratie sei nach dem Ende des Kalten Krieges das einzig erfolgreiche Politikmodell, so Professor Kerem Öktem. In Russland und der Türkei wurde sie auch eingeführt, dort stehe sie aktuell aber unter schwerem Beschuss. Die Mitglieder der OSZE decken aktuell alle Modelle ab, von der Demokratie bis zur Diktatur. Öktem fragt sich, warum im Zuge des Referendums in der Türkei, aber auch schon zuvor, von Seiten der OSZE keine Initiativen gestartet worden seien, um dem Demokratieabbau entgegenzuwirken. Es sei legitim gewesen, den Putschversuch abzuwehren, aber tausende Akademiker zu entlassen, weil sie eine Friedenspetition unterschrieben hätten, sei definitiv nicht die richtige Maßnahme.
Zur Frage der vier seit Monaten vakanten Posten in den Führungsgremien der OSZE (Anm: die Lösung erfolgte vor wenigen Tagen), halten die Diskutanten fest, dass es schwierig sei, einen Konsens zu finden (es herrsche ja das Einstimmigkeitsprinzip). Die bisherige Beauftragte für Pressefreiheit, Dunja Mijatović, habe schon um ein Jahr verlängert, da man sich auf keine andere Besetzung einigen konnte.
Gemeinsames Fazit der Diskutanten: In der heutigen Welt ist der Mensch autonom geworden, unterstützt durch Soziale Medien ist er weniger abhängig von der Tagespolitik und den klassischen Medien. Demokratie müsse sich dieser Veränderung anpassen, dies gehe jedoch langsam vonstatten. Die Politik müsse sich damit auseinandersetzen, dass der Top-down-Ansatz nicht mehr funktioniert, sondern dass die Menschen gemeinsam Demokratie leben und gestalten wollen.
Credits
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Dasicon 2017 | Christian Janisch | CC BY-SA 4.0 | |
Dasicon 2017 – banner | Christian Janisch | CC BY-SA 4.0 |