Der „Novemberkurs“ im Kloster von Kopan ist so ganz anders
Ich sitze in einem Café am Rande von Nepals Hauptstadt Kathmandu und blicke auf eine belebte Stupa, ein wichtiges buddhistisches Heiligtum. Ich beobachte die vielen Einheimischen, gemischt mit einigen Westlern, die die Stupa umkreisen. 30 Tage lang hatte ich kein Internet und versuche nun, mich wieder an die „normale Welt“ zu gewöhnen.
Ich komme gerade aus einem buddhistischen Kloster, wo ich den sogenannten „Novemberkurs“ besuchte. Seit zwei Jahren hatte ich den Wunsch, an diesem Kurs in Kopan Monastery hier in Kathmandu teilzunehmen. Ein Monat, den man komplett dem Studium der buddhistischen Lehren und der Meditation widmet. Ein Kurs, in dessen Verlauf man seine bisherigen Denksysteme und Urteile über die Welt dekonstruiert und anschließend wieder neu zusammenbaut.
Und nun sitze ich hier, trinke meinen Kaffee und blicke auf den vergangenen Monat im Kloster zurück. Ich werde meine Erfahrung in verschiedenen Artikeln mit euch teilen und zunächst einen generellen Überblick über den Novemberkurs geben.
Der legendäre Novemberkurs fand dieses Jahr bereits zum 46. Mal statt. Er wurde ursprünglich in den 70er-Jahren ins Leben gerufen, als einige reisende Hippies hierher nach Nepal kamen, um mehr über Buddhismus und Meditation zu lernen. Die beiden buddhistischen Mönche Lama Yeshe und Lama Zopa Rinpoche nahmen die suchenden Westler unter ihre Obhut und riefen den einmonatigen Kurs ins Leben. Damals fand noch alles unter sehr einfachen Umständen statt: Die Teilnehmer schliefen in Zelten, und die Toiletten waren in die Erde gegrabene Löcher. Die Bedingungen waren sehr hart, aber die Chance, im klösterlichen Umfeld die Wahrheit der eigenen Existenz zu erforschen, war diese Einschränkungen allemal wert.
Im Jahre 2017 ist Kopan ein noch immer bescheidenes, aber gut ausgestattetes, lebhaftes Kloster, das hunderte Mönche, von jung bis alt, beherbergt. Einmal im Jahr reisen von November bis Dezember hunderte Menschen aus aller Welt an und nehmen sehr viel Raum ein. Sogar die Gompa, die große buddhistische Meditationshalle, geben die Mönche temporär auf, damit man einen intensiven Einblick in den Buddhismus und das Leben im Kloster erhalten kann.
Der Kurs wird jedes Jahr zur Hälfte von einer Nonne oder einem Mönch westlichen Ursprungs angeleitet, der/die jahrzehntelange Erfahrung mit den buddhistischen Praktiken mitbringt. Die zweite Hälfte des Kurses wird von Lama Zopa Rinpoche unterrichtet, der damals das Kloster und auch den Kurs ins Leben rief. Es ist eine große Ehre und ein Highlight, die Präsenz und die Lehren eines so vielwissenden und bedeutenden, sympathischen und authentischen Lamas miterleben zu dürfen.
Der Novemberkurs ist an sich kein herkömmliches Meditations-Retreat, bei dem man sich in die Stille eines Klosters und der reinen Kontemplation zurückzieht. Kopan ist sehr belebt. Während des Kurses herrscht das Schweigegebot nur zu den Abend- und Morgenzeiten. Bei 250 Teilnehmern ist dies aber so schnell wie selbstverständlich komplett aufgehoben.
Kopan scheint vielmehr wie ein kleines, pulsierendes Dorf. Ich habe im Laufe der Zeit interessante und tiefgehende Gespräche mit Menschen aus aller Welt geführt. Einige davon sind komplett neu im Buddhismus, andere wiederum praktizieren schon jahrelang und wollen in Kopan ihre Praxis vertiefen.
Während des 30-tägigen Kurses gibt es einen täglichen, festen Stundenplan. Der Tag beginnt früh um 5:30 Uhr mit dem Verbeugungs-Ritual (mehr dazu im 2. Teil meiner Serie), einer Teepause um 6:00 Uhr und der ersten Konzentrations-Meditation von 6:30-7:30 Uhr. Anschließend gibt es Frühstück, und um 9:30 Uhr beginnen die theoretischen Unterrichtseinheiten, die durch Gebete eingeleitet werden. In diesen Einheiten werden die Themen der buddhistischen Lehre besprochen, täglich steht ein bestimmtes Thema im Zentrum. Zwischen 11:30 und 14:00 Uhr ist Mittagspause.
Anschließend findet eine einstündige Diskussionsrunde statt, in der in Gruppen von jeweils ungefähr 10 Teilnehmern die besprochenen Themen diskutiert werden. Von 15:30-17:00 Uhr steht eine weitere Unterrichtseinheit an, gefolgt von einer Teepause und einer analytischen Meditationssitzung von 18:00-19:00 Uhr. Danach gibt es Abendessen, bevor der Tag mit der letzten Meditation von 20:00-21:00 Uhr endet, mit Fokus auf der Rezitation von buddhistischen Gebeten und Mantren.
In diesem simplen Alltag ohne Internet – Handy und Laptop gibt man zu Beginn des Kurses an der Rezeption ab – kann man alles für sich selbst ausprobieren und dann entscheiden, welche Aspekte man daraus für sich mitnehmen möchte. Überdies ist man unausweichlich mit inneren Schweinehunden, Blockaden und persönlichen Widerständen konfrontiert und wird dadurch angeregt, diese zu reflektieren und ihrem Ursprung auf die Schliche zu kommen.
Die täglichen Meditationen sind analytisch angeleitet und bestehen aus den Themen, die tagsüber im Unterricht besprochen werden. Im Buddhismus wird man viel mit der menschlichen Natur des Leidens und der Unausweichlichkeit des Todes konfrontiert. Es lässt sich sehr viel von diesen Themen profitieren, da sie einem automatisch zu mehr Dankbarkeit und Ehrfurcht dem Leben gegenüber verhelfen. Manch einer kann sich allerdings auch schnell deprimiert fühlen und muss dann erstmal ein wenig Distanz bewahren, bevor er/sie sich ganz auf die Themen einlassen kann.
Es ist schon ganz schön herausfordernd, jeden Tag über Lehren zu meditieren, die sich mit dem Loslösen vom Ego und der Realität der eigenen Vergänglichkeit beschäftigen. Denn in den analytischen Meditationen wird man klar und sachlich durch diese Themen geleitet und mit einem klaren, ehrlichen Blick ins eigene Seelenleben geführt – mit all seinen Abgründen und versteckten Winkeln.
Es war nicht meine erste Begegnung mit dem Buddhismus: In den letzten zwei Jahren besuchte ich bereits zwei jeweils 10-tägige Einführungskurse in einem buddhistischen Zentrum im Norden Indiens. Ich kam also mit gewissen Erwartungen hierher nach Nepal. Durch diese 30 Tage in Kopan wurde mein Blick auf den Buddhismus und wie ich diesen in mein Leben integrieren möchte allerdings komplett umgekrempelt. Wie ich bereits hier geschildert hatte („Aspekte des Buddhismus für ein positives Miteinander in der Welt„), helfen mir die buddhistischen Philosophien sehr dabei, ein Leben zu führen, das meinen Körper und Geist in Einklang bringt.
Buddhismus und Meditation haben mir gezeigt, wie ich raus aus der Verwirrung und hin zur Klarheit finden kann. So weit, so gut. In Kopan wurde ich nun mit einer größeren Bandbreite des Buddhismus konfrontiert. Denn hierzu gehören nicht nur die Meditation und die Philosophie, von der viele von uns sich so angezogen fühlen, da sich diese auch gut in den westlichen Alltag integrieren lassen, sondern auch Gebete und rituelle Verbeugungen.
Mit dem Novemberkurs wollte ich alles aufnehmen und ausprobieren. Mich einfach mal auf die Reise einlassen. Und so habe ich nicht nur den neuen Erkenntnissen und Erfahrungen, sondern auch den unerwartet aufkommenden Widerständen und Zweifeln eine Chance gegeben, von mir angeschaut zu werden. Das will man menschlicherweise nur allzu gern vermeiden, aber nur so entfaltet sich das optimale Lernpotenzial.
In meinem nächsten Artikel könnt ihr mehr über meine persönlichen Widerstände und täglichen Herausforderungen während meiner Klosterzeit erfahren.