Der Mensch wird zur Ware seiner selbst – Prof. Bernhard Heinzlmaier

Gesellschaft

Der Sozial- und Jugendforscher Prof. Mag. Bernhard Heinzlmaier beschreibt zu Beginn seine dichotomen Tätigkeitsfelder: einerseits als Marktforscher (Notwendigkeit), andererseits als Sozialwissenschaftler im Jugendkulturbereich (Interesse). Beide Bereiche haben kaum Berührungspunkte, sowohl inhaltlich, als auch handwerklich. Egal in welchem politischen System: Jugend stand immer im Mittelpunkt gesellschaftlichen Interesses, da sie Hoffnung auf (positive) Veränderung abbildet.

In seiner neuesten Studie zur Jugend im Corona-Lockdown stellte Heinzlmaier fest, dass es große Klassenunterschiede dabei gibt, wie die Jugendlichen mit den Auswirkungen umgehen: während das obere Gesellschaftsdrittel kaum betroffen ist, die Muße genießt und die Maßnahmen der Regierung mitträgt, sind die Jugendlichen der Mittel- und die Unterschicht wirtschaftlich und persönlich stark betroffen. Die Mitte hat Angst, abzusteigen – und reagiert zB mit Bildungsparanoia: Eltern versuchen, ihre Kinder zu einem möglichst hohen Bildungsgrad zu motivieren, um dem gesellschaftlichen Abstieg zu entgehen. Die Unterschicht hat sich großteils schon damit abgefunden, nicht aufzusteigen, wie man an manchen Hartz IV Milieus in Deutschland sehen kann.

Das größte Problem für Jugendliche (vor allem jene in der Pubertät) ist der Verlust der Gleichaltrigengruppe: in der Auseinandersetzung mit seinen Freunden lernt man den gesellschaftlichen Umgang inklusive Konkurrenzprinzip, aber auch die Abnabelung vom Elternhaus Richtung persönlicher Eigenständigkeit. Die Studie habe gezeigt, dass digitale Kommunikation den realen Umgang mit Menschen nicht ersetzen kann. Langes Alleine sein – vor allem im Jugendalter –  schlägt sich höchst wahrscheinlich negativ auf die Biographie eines Menschen nieder: Depression und Ängstlichkeit überlagern Selbstbewusstsein und Risikofreude.

In der Krise hat die soziale Ungleichheit stark zugenommen. Die unteren Schichten leben meist in engen Wohnverhältnissen und sind oftmals in ihrer Existenz bedroht – beides mit dramatischen psychischen Auswirkungen bis hin zu gewalttätigen Auseinandersetzungen.

Eine der Lehren aus der Krise ist, dass den Menschen (vor allem in den beiden unteren Schichten) gezeigt wurde, dass der Individualismus gescheitert ist: viele sehnen sich nach kleinräumiger Gemeinschaft, nach nachbarschaftlicher Hilfestellung und Leben auf dem Land. Solidarbeziehungen stellten sich als vernünftiger als Konkurrenzbeziehungen heraus. Die Grenzen des Gemeinschaftssinnes ziehen die Menschen aber dort, wo die soziale Kontrolle der Gesellschaft über Hand nimmt: jedem muss ein gewisser individueller Spielraum zustehen.

Fridays For Future und ähnliche Bewegungen, deren Mitglieder hauptsächlich aus dem oberen Gesellschaftsdrittel stammen, haben zwar ihre dogmatischen Wertvorstellungen, sind aber nicht bereit, mit Menschen anderer Schichten zu diskutieren; vielmehr wollen sie diese dazu zwingen, ihre Handlungsvorschriften zu übernehmen. Mit demokratischem Dialog habe dies wenig zu tun.

Zum Ende hin geht das Gespräch auf Heinzlmaiers Buch Anpassen, Mitmachen, Abkassieren ein, welches sich mit der Selbstoptimierung des Menschen beschäftigt und wo er den Machtmenschen, der alles nur noch deshalb tut, um in der Öffentlichkeit gut dazustehen, egal, welche Auswirkungen seine Handlungen in der Realität zeitigen, als Übel der heutigen Gesellschaft festmacht. Was auch immer in der Gesellschaft passiert: alles wird zur Ware gemacht – mit dem Ergebnis, dass der Mensch zur Ware seiner selbst wird.

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RW Heinzlmaier Wolfgang Müller CC BY SA 4.0