Der Kosmos unserer Psyche – Sterndeutung ohne Sterne

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Lebenswelten

Ich war einmal ein begeisterter Anhänger der Astrologie. Bis ich feststellte, dass die behauptete charakterliche Festlegung aufgrund des Geburtstags und -orts Selbstbetrug ist. Ich habe aber etwas mitgenommen aus dieser Zeit, und das ist die Art und Weise, wie ich versuche, die Menschen zu betrachten. Und die Erkenntnis, wie groß der Raum der Gedanken ist, den wir in unserem Kopf beherbergen.

Diese Lehre zum Zweck der Deutung des von einem Ort aus sichtbaren Himmels wirkt recht faszinierend auf viele Menschen. Deswegen sei es noch einmal klar gesagt: Der von der Astrologie behauptete Zusammenhang zwischen dem Charakter eines Menschen und der Stunden und dem Ort seiner Geburt ist aus meiner Sicht eine reine Selbsttäuschung. Wenn uns jemand Charaktereigenschaften zuschreibt, die auf irgendetwas Konkretes gestützt sein sollen, neigen wir dazu, diese für uns als durchaus zutreffend anzunehmen – so lange Negatives zumindest nicht überwiegt.

Das ist auch bei vielen anderen Lehren von Charaktertypen so. Was aber aus dieser auf den sichtbaren Himmel bezogenen Deutungslehre mitzunehmen ist, ist eine begreifbare Vorstellung, wie komplex unsere Psyche ist und dass die Idee, dass man diese in eine „männliche“ oder „weibliche“ zerlegen könnte, nur eine völlige Fehleinschätzung sein kann.

Sogar die psychoanalytische These von Animus und Anima ist etwa so, wie wenn man sagen würde: Das Universum ist Energie und Materie, und das reicht als Einteilung. Das ist eine Vereinfachung, die völlig verkehrt wäre. Natürlich sind unser Verstand und unser Verhalten von dem mit geprägt, was der Körper uns vorgibt – was uns die Verschiedenheit unserer Geschlechtsteile an Zwängen auferlegt. Aber die Gedankenwelt, die wir in uns tragen, ist so unendlich und vielfältig wie der Kosmos, der uns umgibt.

(Wer astrologische Ausführungen nicht nur wissenschaftlich ablehnt, sondern gänzlich vermeiden möchte, überspringt den folgenden Absatz durch Klick auf diesen Link)

 

Da werden zuerst einmal die 12 Tierkreiszeichen in 4 Elemente und ebenso in 6 „männliche“ (Feuer = ♈️, ♌️, ♐️, Luft = ♊️, ♎️, ♒️) und 6 „weibliche“ (Erde = ♉️, ♍️, ♑️, Wasser = ♋️, ♏️, ♓️) unterteilt. Man zerlegt dieses Dutzend auch noch in drei Formen der Kraftausübung: dynamisch = ♈️, ♋️, ♎️, ♑️, statisch = ♉️, ♌️, ♏️, ♒️ und variabel = ♊️, ♍️, ♐️, ♓️. Je eines der vier Elemente bildet in Verbindung mit einer der drei Formen einen Symbolinhalt des Zeichens.

Dazu kommen noch sieben Gestirne (Sonne, Mond und die fünf mit freiem Auge sichtbaren Planeten), die sich durch diese Zeichen bewegen können. Jedes der Gestirne kann mit jedem anderen auch noch fünf Aspekte (durch die Winkelbeziehung von 0°, 60°, 90°, 120°, 180°) bilden: Konjunktion, Sextil, Quadrat, Trigon und Opposition.

Das ist bereits eine sehr große Anzahl. 12 Zeichen × 7 Gestirne × 21 Aspekte zueinander ergibt über tausend Kombinationen. Nimmt man dazu noch jedes Zeichen, zu dreißig einzelnen Graden, auf dem ein Gestirn stehen kann, dann multipliziert sich das zu sehr vielen verschiedenen Geburtsbildern, die gedeutet werden können. Und das ist nur die ursprüngliche klassische westliche Astrologie, ohne moderne Zusätze.

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Ist einem aber bewusst, wie vielfältig unsere Psyche ist, wie viele Anteile darin in einer Konstellation zu einander stehen, dann beginnt man, die Menschen anders zu sehen und anders einzuordnen. Natürlich hat es wenig Sinn, den Charakter eines Menschen nur in solche Teile zerlegen zu wollen. Denn wir haben nicht nur die oben aufgezählten Varianten in uns, sondern noch viele, viele mehr. Wir sind alles.

So wie man beliebig in den Sternenhimmel schauen kann und dort in die tausenden Sterne, die sich am Firmament zeigen, unzählige Figuren hineinprojizieren kann, so machen wir es auch, wenn wir andere Menschen einschätzen. Wir schreiben anderen Eigenschaften zu aufgrund von Anschein, setzen Verhalten voraus aufgrund von Geburtsmerkmalen, wie dem Geburtsort, dem Geschlechtsorgan, dem Ton der Hautfarbe oder welche Ahnen jemand hat.

Es gibt sehr gute Menschenkennende, die diesen Kosmos im anderen tatsächlich deuten können. Die hineinschauen und die „Gestirne“ in „Zeichen“ und ihre Stellung zueinander so sehen, wie sie in dieser Psyche wirklich sind, in diesem Moment. Keine Astrologen, sondern Menschendeutende, die in anderen lesen können.

Da kann jemand im April geboren worden sein und die Astrologie besagt, dass man aufgrund des Geburtstags eine spontane, pionierhafte, angreifende Person sei, die des Elements Feuer in dynamischer Form. Und trotzdem sieht eine menschenkundige Person ganz klar, dass man in Wirklichkeit ein nüchterner, sehr überlegter Mensch ist, der sich von vielen Interessen leiten lässt und daher das Element Erde mit variabler Form in sich trägt. Und sie benennen es auch nicht mit diesen Bezeichnungen. Sie spüren nur, dieser Mensch gleicht mehr einer Sanddüne als einem Steppenbrand.

Sind solche Menschen aber der Astrologie verfallen, dann deuten sie das, was sie aus den Geburtsdaten eines Menschen, den sie „beraten“, rechnerisch ermitteln, so um, dass es zu dem passt, was sie an Charakterwerten in diesem Menschen erspüren. Sie glauben, sie lesen das Horoskop, in Wahrheit aber lesen sie den Menschen.

Leider können aber selbst das nur ganz wenige, und die meisten hängen statt dessen sklavisch an der Deutung der berechneten Gestirnsstände und zwingen diese dem anderen aufgrund irgendwelcher Buchweisheiten als seinen „Charakter“ auf. Woraufhin Millionen Menschen glauben, sie wären ein Widder und würden daher nur zu einem Zwilling oder Löwen passen. Ein Steinbock oder Krebs sei dagegen kein geeigneter Partner.

Für die wenigen, die tatsächlich richtig hineinschauen, ist es nur ein Krücke, auf die sie leicht verzichten könnten, aber nicht wollen, da sie fest daran glauben, dass sie das, was sie erkennen, nur aus dem Horoskop ersehen können.

Das Lesen anderer Menschen, ohne irgendein obskures Hilfsmittel, könnten wir alle. Dazu braucht es keine Sterndeutungskunst, keine Berechnung von Häusern, Mundan- oder Radixhoroskopen, keine komplizierten Programme, auch keine Kristalle, keine Pendel und keine Karten. Nur eines: einen offenen Geist.

Wenn wir beginnen, im Geist eines anderen Menschen – egal wie er aussieht, woher er kommt, egal wann und wo er geboren wurde – ein anderes Gedankenuniversum zu sehen, wenn wir uns darauf einlassen, dass hier jemand möglicherweise in ganz anderen Bahnen denkt, ganze andere Dinge für wichtig hält und ganz anders auf Eindrücke reagiert als wir, wenn wir berücksichtigen, dass jeder seinen „Merkur“ (seine Sprachbegabung) ganz woanders hat, dann werden wir flexibel.

Wir können uns fragen, ob bei anderen auch das Wasser und damit das Gefühl dominiert oder doch mehr das Feuer und damit der Wille. Wenn man dies tut, den Geist des anderen Menschen als Kosmos zu sehen, den man erforschen kann, dann werden wir fähig, uns gleichwertig zu sehen. Dann können wir das Menschsein voll entfalten.

Versuchen Sie es. Nehmen Sie den anderen Menschen in diesen Kategorien wahr. Sehen Sie über Geschlecht, Herkunft und Hautfarbe hinweg und versuchen Sie, die psychischen Konstellationen in diesem Menschen zu entdecken.

Diese Lektion gibt uns der Sternenhimmel über uns, seit Urzeiten. Wie oben, so unten – so lautet der hermeneutische Grundsatz. Gemeint ist aber nicht, dass wir ein Abbild des Himmels bei unserer Geburt sind, wie Astrologiegläubige oft sogar fanatisch beweisen wollen (und damit naturgemäß scheitern), sondern dass wir einen ebensolchen unendlichen Raum in uns tragen, wie das Universum, in dem wir leben.

Jeder von uns ist ein Universum, und diese überlappen sich mal sehr stark und mal ganz wenig. Manchmal berühren sie sich nur an einer winzigen Stelle. Aber keines zählt mehr und keines zählt weniger. Wir legen gern einen moralischen Maßstab an andere Menschen an und bewerten deren Vorstellungen und Verhalten nach dem unseren. Aber so abartig und verwerflich uns ein anderer auch vorkommen mag, in seinem Universum kann dies Teil von dessen „Naturgesetzen“ sein.

Dies entschuldigt keine Taten, die in unserer allgemeinen Rechtsprechung als Verbrechen festgelegt wurden, macht sie um nichts weniger grausam, verstörend, unfassbar und verfolgenswert. Aber jeden Menschen, sowohl den, der für das Überleben Tausender Menschen sein Leben opfert, als auch den bestialischen Massenmörder als Menschen zu sehen, beide als gleichwertig zu behandeln, macht universelle Menschenrechte erst möglich.

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Space_Astronaut Space_Astronaut Dmytro Ivashchenko CC BY-SA 4.0
Tierkreiszeichen Gerhard Kaspar CC BY-SA 4.0

Diskussion (3 Kommentare)

  1. Ich beschäftige mich seit relativ langer Zeit ( ca. 35 Jahre) mit Astrologie und kann nur sagen, dass dieses System ein Ur- und Grundverständnis fördert, die eigene Matrix zu ergründen und die eigenen Zyklen besser verstehen zu können. Die Astrologie ist uralt – ca. 8000 Jahre – und mit unserem rein mechanistischen Welt und Seelenverständnis schwer begreifbar. Sie ist eine Art kosmische Seelensprache, die so gut oder schlecht ist wie der/die Interpretierende. Ausserdem werden in der westlichen Astrologie die sogenannten transsaturnischen Planeten Uranus, Neptun und Pluto ebenfalls mit einbezogen! Bewertungen bringen in der astrologischen Deutung schlicht nichts. Das setzt aber eine gewisse Selbsterkenntnis und Bewusstseinsentwicklung beim Astrologen/in voraus.

    1. Auch ich beschäftige mich mit Astrologie seit rund 40 Jahren. In der Weise wie sie etwa 30 Jahre, danach war für mich klar, dass es sich nur um einen Selbstbetrug handeln konnte. Die Erkenntnis begann als ein Horoskop, dass ich gestellt hatte und ich für diese Person deutete, sehr exakt zutraf. Die Person bestätigte mir die Genauigkeit sowohl der Charakter- und Vergangenheitsdeutung. Daher war sie auch sehr angetan von der Prognose des Transithoroskops. Dazu machte dann noch ein Solarhoroskop und war am Ende fest überzeugt, für meine Bekannte sehr fachkundig gearbeitet zu haben. Zu diesem Zeitpunkte war ich von der Deutungslehre begeistert.
      Aber als ich das nächste Mal mit ihr zusammentraf und die Arbeit für ein Solarhoroskop wiederholen wollte, stellte sich heraus, dass ich ihre Geburtsjahr falsch erwicht hatte. Somit stimmte zwar der Sonnenstand, aber alle anderen Gestirnsstände waren schlicht falsch.
      Als ich das bemerkte, versuchte ich zuerst mir das ganze schön zu reden, aber je länger ich nachprüfte und alle Winkelbeziehungen nicht mehr stimmten, die Planeten in anderen Tierkreiszeichen standen, das begann ich zu verstehen was ich hier machte. Denn aus dieser Deutung ergab sich ein völlig anderes Charakterbild. Das aber je länger ich dieses mir vor Augen führte wieder sehr gut auf meine Bekannte gepasst hätte. Daher überlegte ich wie das möglich wäre und kam auch nach Gewinnung einigen Abstands zur Lösung. Ich machte nur sehr allgemeine Angaben über die Person, es schien zwar, dass diese sehr genau zutreffen würden, aber es war eben nur Selbsttäuschung sowohl von mir , als auch meiner Bekannten. Jede der Aussagen traf zwar einen Charakterzug von ihr, aber genauso auch jede andere. Denn der Mensch hat keine festgefügten Charakter, den man solchen starren Konstellationen zuordnen könnte. Man ist in einer Situation besonders angrifflustig. Aber in einer anderen ist man sehr sachlich und legt großen Wert auf Ordnung. Der gleichen Mensch kann träumerisch, chaotisch, sich nach der Ferne sehnen, leidenschaftlich, ausgeglichen, strebsam, sehr selbstbewusst, häuslich, verspielt, bodenständig und erobernd sein. Er kann seine Probleme mit Grenzen anderer haben und sich doch zu anderer Zeit sehr genau an Vorgaben halten.

      Machen sie das Experiment. Suchen sie sich z.B: 100 Leute die sie nicht kennen und deren Geburtsdatum sie nicht wissen. Dann versuchen sie einzuschätzen, was für ein Tierkreiszeichen die Person sein könnte. Schreiben sie sich das Ergebnis auf. Danach fragen sie die Person wann sie geboren ist. Das Ergebnis ist einfach zu prognostizieren. Es ist bei genügend großen Mengen von Testpersonen irgendwo in der Nähe von 1:12. Aber auch bei ganz kleine Testgruppe liegen sie in jedem Fall im Durchschnitt mit Sicherheit in über der Hälfte der Fälle falsch. Anders ist es wenn die Personen die sie einschätzen, selbst stark an die Astrologie glauben. Dann entsteht die seltsame Tatsache, dass sie sehr oft richtig liegen. Das hat aber nichts mit der Kraft der Sterne zu tun. Sondern ebenso wie bei Numerologie oder Handlesekunst, mit der Tatsache, dass Menschen sich nach einem Rollenmodell verhalten, wenn sie genügend stark daran glauben, dass es für sie/er zutrifft.

      1. Ich glaube, und das ist ja das reizvolle, dass Menschen unterschiedliche Erfahrungen machen mit ein und der selben Sache. Mir passierte genau das Gegenteil, nämlich dass ich auf Grund von wichtigen Eckdaten in der Vergangenheit und auf Grund des Gesamteindruckes eines Klienten ihn nochmals eingehend befragte, ob seine angegebenen Daten wirklich stimmen. Sie stimmten nicht. Die Geburtszeit war falsch. Also jeder macht seine unterschiedlichen Erfahrungen und das bestätigt nur meine Erfahrung, dass es eine einzige Wahrheit für alle und immer nicht gibt.