Der höchste Berg der Welt – Heiligtum oder Arbeitsplatz?

Mount Everest Mother Goddess of the Universe
Soziales

Hast du schon jemals irgendjemand persönlich angetroffen, der den höchsten Punkt der Welt berührte, den uns dieser wunderschöne Planet Erde geschenkt hat? Ich nicht – bis an jenem Tag:

Ich lerne einen jungen Mann aus Belgien kennen, der den Everest erklommen hatte – er erfüllte sich damit seinen Lebenswunsch. In den vergangenen Jahren machte er zwei Anläufe, ihn zu besteigen, aber es schien ihm nicht zu gelingen.

Viele brauchen mehr als nur einen Anlauf, um ihr Ziel zu erreichen, hauptsächlich aus Krankheitsgründen oder wegen schlechten Wetterbedingungen. Man braucht dabei aber auch ein bisschen Glück für das Ganze: einen klaren Himmel nämlich am Tag der Besteigung, damit der Aufstieg auch wirklich möglich ist.

Zwei Tage später treffe ich eine zweite Person, die den Everest bestieg; diesmal einen Sherpa aus Nepal – und dieser nicht aus Lust am Bergsteigen, sondern weil es sein Job ist, dies zu tun.

Sherpas sind ein Bergvolk, welches sich über die gesamte Himalaya-Region im Norden Nepals erstreckt. Seit mehr als 500 Jahren sind sie ein Teil der vielen verschiedenen ethnischen Gruppen in Nepal (man spricht von einer geschätzten Zahl von insgesamt 25 ethnischer Gruppen in ganz Nepal) – jede spricht ihre eigene Sprache, hat eine eigene Kultur und ein individuelles Kastensystem. Sherpas stammen ursprünglich aus Mongolien und später auch aus Tibet; sie gehen unterschiedlichen Berufen nach; mehrheitlich Usus ist dennoch der Beruf des Bergführers (Bergführer in Höhenlagen). Die meisten der Bergführer, die den Mount Everest besteigen, sind aus dem Stamm der Sherpa, und doch gibt es heute noch andere Bergsippen, die auch diesem Business nachgehen.

Sherpas werden häufig mit vielen Schwierigkeiten konfrontiert: Eine davon ist es, sich über längere Zeiträume in dünner Luft zu bewegen. Da sie aber immer in dieser Region lebten und es ihr Land ist, so meinen sie, seien sie an ihre Umgebung eben angepasster und genießen deshalb den Vorteil, mit extremen Höhenlagen umgehen zu können – im Vergleich zu anderen Menschen. Womit sie sicher recht haben. Und doch können sogar sie unter schweren Kopfschmerzen leiden – v.a. jüngere Männer. Die meisten von ihnen haben noch nie Medikamente gegen Höhenkrankheiten, z.B. Kopfschmerzen oder gegen andere Krankheiten mit ähnlichen Symptomen, zu sich genommen.

Träger und Führer müssen sich einem umfangreichen medizinischen Check-Up unterziehen; wenn sie nämlich an irgendeiner ähnlichen Krankheit (wie vorhin beschrieben) leiden, ist es ihnen nicht mehr erlaubt, diesen Beruf auszuüben – das bedeutet dann für viele, dass sie Geld verlieren, von dem sie und ihre Familien aber abhängig sind. Weiters sind Familien schwer betroffen und mit Problemen konfrontiert, wenn sich ein Sherpa verletzt oder einen Finger verliert (z.B. aufgrund von Frostbeulen, was leider oft passiert), da er so nicht mehr für sie sorgen kann. Deshalb liegt es leider auf der Hand, dass das Leben eines Sherpas in vielen Belangen sehr schwierig ist.

Sherpa Kasang

Hier nun wertvolles Wissen, das sich aus einem langen Gespräch mit Sherpa Kasang ergeben hat, der mir alles aus erster Hand berichtete …:

Sherpa Kasang ist ein 55jähriger Mann und stolzer Besitzer eines Gästehauses in Phakding –  das ist ein kleines Dorf, das man während der Wanderung zum Everest findet. Er hat den Everest nicht nur einmal bestiegen, sondern insgesamt vier Mal. Kasang musste aber vorzeitig in Ruhestand gehen, da er an massiven Rückenproblemen leidet – er trug wirklich schwere Lasten über viele Jahre hinweg – aber hauptsächlich auch deshalb, weil seine Frau sehr um ihn besorgt war: Sie wusste nie, ob ihr Mann von der nächsten Expedition überhaupt wieder heimkehren würde – schließlich haben sie zwei Kinder und Enkelkinder. Als Führer/Träger in der Höhe zu arbeiten, an Everest-Expeditionen teilzunehmen, ist ein ausgenommen gefährlicher Job. Viele Sherpas haben sogar ihr Leben verloren am Everest; 2014 und 2015 wurden viele von Lawinen überrascht und unter dicken Massen Schnee zugeschüttet. Niemand weiß, wieviele Körper der Everest insgesamt schon verschluckte, aber bislang waren es mit Sicherheit mehr als 200 (seit 1951); und darunter befinden sich viele Sherpas. Da diese ihr Leben täglich riskieren, ist ihr Lohn sehr hoch dotiert: 6,000,- USD für zwei Monate; wenn man das mit Löhnen aus anderen Jobs vergleicht, ist dieser wirklich gut. Sie machen diesen Job nicht, weil er ihnen Spaß macht, sondern aus Liebe zu ihren Familien. Das viele Geld macht es ihnen möglich, Land zu erwerben und ihre Kinder in Kathmandu oder auch außerhalb zur Schule gehen zu lassen, um ihnen eine bessere Ausbildung finanzieren zu können.

Als Kasang Sherpa 12 Jahre alt war, half er seinen Eltern bereits bei der Arbeit; es ist in Nepal üblich, dass Kinder schon sehr früh zu arbeiten beginnen, um ihre Familien zu unterstützen. Als er 14 wurde, begann er – aufgrund von Geldschwierigkeiten innerhalb der Familie – einen Job als Träger und später parallel dazu als Küchenhilfe.

Das Durchschnittsgewicht eines einheimischen Trägers ist zwischen 55 und 62 kg, und doch tragen sie durchschnittlich 60 kg oder sogar mehr. Das ist ein sehr harter Job, da sie diese Lasten den gesamten Tag über tragen; das Übergewicht drücken auf ihr Rückgrat und verursacht viele gesundheitliche Probleme. Träger brauchen keine Schulungen, und aus diesem Grund starten Sherpas oft als Träger und üben erst später den Job als Führer aus.

Touristen-Träger am Weg zur Everest Base

Als Sherpa Kasang 18 Jahre alt wurde, beschloss er, Führer zu werden und ließ sich in Lukla dazu ausbilden; heute müsste man da nach Kathmandu gehen, um den Kurs zum Führer zu absolvieren. Er bewegte sich hauptsächlich zwischen Lukla und dem Everest Base Camp; aber im Alter von 38 Jahren absolvierte er das Training zum Führer in Höhenlagen und konnte deshalb im Everest-Spitzen-Bereich arbeiten.

Für Sherpas bedeutet der Everest keine Freude – es ist nur ein Job – sie brauchen das Geld und werden gut bezahlt. Und sie riskieren ihr Leben um 100 Mal mehr – jeder noch so kleine Fehler kann tödlich enden.

Sherpas sehen den Mount Everest übrigens nicht bloß als einen Berg, nein, für sie ist er etwas Heiliges  und hat eine religiöse Bedeutung. Es ist, als würden sie den Schoß der „Heiligen Mutter der Welt“ betreten, was sich Chomolungma nennt (stammt aus dem Tibetanischen). Sie respektieren den Berg sehr und glauben daran, dass, falls es ihnen nicht gelingt, ihn zu besteigen, sie die Götter irgendwie wohl böse gestimmt hätten. Jedes Mal, bevor die einheimischen Führer und Träger den Everest besteigen, gehen sie ins Kloster von Tengboche (das befindet sich auf 3,870 m Höhe) beten. Sie bitten die Göttin um Vergebung, Schutz und um Glück und spenden dafür viele Blumen und Geld.

Das Kloster von Tengbuche

Kasang sagt, dass sich in den letzten Jahren eine Menge verändert hätte: Früher hätten die Träger 25 nepalesische Rupien verdient, das sind 25 Cents am Tag (man berücksichtige dabei, dass vor 10 Jahren der Wechselkurs ein anderer war), dafür, dass man 35 kg am Rücken trug. Heute beträgt der Lohn eines einheimischen Trägers 12 USD pro Tag, egal wie schwer die zu tragende Last ist. Mit 12 Dollar pro Tag ist auch das Essen zu bezahlen, also bleiben ihnen ca. 9 USD am Tag übrig. Im Gegensatz zu den Touristen-Trägern – das sind jene, die die Ausrüstung oder die Rücksäcke der Bergsteigenden von einem Gästehaus zum nächsten tragen: Touristen-Träger kriegen 15 USD für ein Tragegewicht von ca. 30 kg.

Dreißig Kilogramm sollte das Höchstgewicht sein, was sie tragen dürfen, aber leider wird diese Regel oft nicht respektiert; und deshalb tragen sie in etwa drei Mal mehr die Menge, und das sind natürlich miserable Bedingungen.

Eine Everest-Expedition dauert durchschnittlich etwa zwei bis drei Monate, und die besten Zeiten für eine Wanderung sind März bis Mail oder September bis Oktober. Um vom Mount Everest Base Camp (EBC) (auf 5.380 m Höhe) bis zum Gipfel zu gelangen, gilt es, noch zwischenzeitlich die Hürde von vier weiteren Camps zu überwinden: Camp 1 (auf 6.100 m), Camp 2 (auf 6.500 m), Camp 3 (auf 7.400 m) und Camp 4 (auf 8.000 m). Die Kletterer starten für gewöhnlich um 4 Uhr Früh des Morgens und bereiten gleichzeitig die Ausrüstung für den Auf- und Abstieg am besagten Tag vor. Wenn man vom EBC zum Camp gelangt, muss man erneut zum Camp 2 absteigen und dann weiter zum Camp 3 klettern. Das Camp 2 ist ein sehr großes Camp, in dem Wasser zur Verfügung gestellt wird; steigt man höher, gibt es nur erhitztes Eis im Angebot. Ab dem Camp 4 braucht man Sauerstoff: Jeder Wanderer trägt 2 Sauerstoffflaschen sowie einen 15 kg schweren Rucksack mit sich (man kann einen Träger hinzuziehen und bezahlen, falls man seine eigene Last nicht selber tragen kann). Im Base Camp 3 angekommen muss man noch einmal zum Base Camp 2 absteigen, von wo aus man am nächsten Tag um 9 Uhr Früh den endgültigen Aufstieg zum Everest wagen kann – das aber nur, wenn die Wetterbedingungen gut sind, oder, mit den Worten der Sherpas gesprochen:

„Wenn die Mutter Gottes es dir erlaubt, das zu tun.“

Was Nahrung betrifft, so ist zu erwähnen, dass Kletterer ca 6.000-10.000 Kalorien am Tag verbrauchen (am Tag der endgültigen Gipfelbesteigung erhöht sich der Kalorienverbrauch sogar auf 20.000 Kalorien); deshalb ist es überaus wichtig – auch wenn man nur wenig Appetit verspürt auf Bergen in höheren Lagen -, eine hochkalorische Diät einzuhalten, um einen physischen Verfall zu verhindern. Zu dieser Diät gehört Tee, Brot, Suppen, Reis, Haferflocken und spezielle hochkalorische Mahlzeiten. Duschen und Wäschewaschen ist nur einmal im Monat möglich – und zwar im Camp 2.

Jeder Prozess in dem dafür vorgesehenen Camp ist wichtig, um sich zu akklimatisieren. Der finale Aufstieg zum Everest benötigt in etwa 4 Stunden. Kasang meint, dass viele Menschen in dieser Phase sterben, zum Glück aber niemand aus dieser Expedition. Er spricht über die Schwierigkeiten, die er zu bewältigen hatte während der Kletterungen: z.B. die eines Sauerstoffmangels oder wenn die Wetterbedingungen schlecht gewesen sind, bei starkem Wind (manchmal erreicht der Wind eine Geschwindigkeit von 100 km pro Stunde, und die Leute müssen ihre Zelte schützen, damit diese nicht davonfliegen), oder die Sonne, die einen blendet und du Gefahr läufst, einen Abhang abzustürzen.

Eine weitere Schwierigkeit ist, dass das Atmen in Höhenlagen schwieriger wird und schlimme Krankheitssymptome auftauchen könnten wie schwerer Husten, der sich verschlimmern könnte. Das kann sehr leicht die Hoffnung der Kletterer zerstören, und man man kann mit Folgen für die Psyche rechnen.

Kaang betont, dass der moralische Aspekt über die gesamte Wanderung hinweg sehr wichtig sei: Wenn sich z.B. jemand krank fühlt und absteigen muss, dann bringt sich die Person, die ihm dazu verhilft, das Camp zu erreichen, selber in Gefahr und verliert dabei auch noch die Möglichkeit, den Aufstieg zum Gipfel zu erreichen.

Kasang ist sich aber sicher, dass das Allerwichtigste beim Besteigen des Mount Everests eigentlich das Team sei:

Das gesamte Team sei der Schlüssel, da jeder mit dem anderen kooperieren und sich auf den anderen verlassen können muss – nur so kommt jeder sicher an. Leider, und das geschieht sehr oft, wird der Name der Sherpas kaum erwähnt, die Teil einer glücklichen Expedition waren. Manche Sherpas haben den Mount Everest 5 bis 7 Mal bestiegen, aber keiner kennt sie. Die Ausnahme dieser Regel bilden zwei Menschen, die 1951 zum allerlersten Mal den Everest erklommen hatten: Sie heißen Edmund Hillary, ein Mann aus Neuseeland, und Tenzing Sherpa aus Nepal. Ursprünglich sagte man, dass es Tenzing war, der Erster gewesen war, dann soll es wieder Edmund Hillary gewesen sein, der das Ziel als Erster erreichte – und am Ende wurde beschlossen, dass sie beide zur gleichen Zeit ankamen.

Die Wahrheit kennen nur die beiden, und so wird es wohl auch für immer bleiben.

Als Kasang früher als Führer arbeitete, kostete ein Everest-Aufstieg 7.000 USD; heute haben wir Summen zwischen 20.000 und 40.000 USD, und diese hängen von den jeweiligen Trekking-Firmen und der Anzahl der Personen, die an so einer Expedition teilnehmen, ab. Die Regierung kassiert dabei am meisten ein, um die Wege und die Wanderungen sicherer zu gestalten, und der andere Teil gehört den Sherpas. Als Kasang noch tätig war, bekam er 5 USD pro Tag – auch da sei wieder der damalige Wechselkurs zu beachten; heute sind das 105 USD pro Tag.

Kasang ist sehr happy und fühlt sich geehrt, diese Geschichte mit mir zu teilen. Ich danke ihm wirklich herzlich für diese interessanten Informationen und für sein mutiges Herz. Während des Gesprächs zeigt er mir sämtliche Fotos von ihm selber, als er noch jung war und den Everest bestieg, aber auch Bilder von seinen Kindern und Enkelkindern. Heute arbeitet er zusammen mit seiner Frau im Gästehaus, mit der er seit bereits 25 Jahren glücklich verheiratet ist. Er erzählt mir, dass er als buddhistischer Student im Tengboche Kloster lernte und sogar den Titel des Lama erreichte, was übersetzt im Tibetanischen Buddhismus so viel wie Lehrer heißt.

Nach dieser Konversation begann ich nachzudenken und mir viele Frage zu stellen; es gibt Leute, die behaupten, dass heute jeder, der sich eine Everest-Expedition, die zwischen 20.000 und 40.000 USD kostet, leisten könne, ihn auch besteigen könne; man könnte nämlich sogar jemand beauftragen, an die Spitze des Everest getragen zu werden.

Jetzt frage ich Euch:

  • Was denkt Ihr? Ist es wirklich jedem möglich, den Everest zu besteigen?
  • Wie seht Ihr diesen Kontrast zwischen Everest aus Spaß und Everest aus Jobgründen?
  • Wie ist es für Euch, etwas zu tun, das Euch Eure Religion eigentlich „verbietet“, es aber dazu dient, Eure Familien zu versorgen? Würdet Ihr so einen Job annehmen oder vielmehr einen anderen, in dem Ihr weniger verdient, Euch aber weniger schuldig fühlt?

Ich würde mich sehr über Eure Meinungen freuen …

Namaste

Übersetzung Englisch-Deutsch: Anna Dichen

Credits

Image Title Autor License
Mantra im Dorf Phakding Mantra im Dorf Phakding Isabel Scharrer CC BY-SA 4.0
Mount Everest Mother Goddess of the Universe Mount Everest Mother Goddess of the Universe Isabel Scharrer CC BY-SA 4.0
Das Kloster von Tengbuche Das Kloster von Tengbuche Isabel Scharrer CC BY-SA 4.0
Touristen-Träger am Weg zur Everest Base Touristen-Träger am Weg zur Everest Base Isabel Scharrer CC BY-SA 4.0
Das Dorf Phakding Das Dorf Phakding Isabel Scharrer CC BY-SA 4.0
Das Gästehaus im Dorf Phakding Das Gästehaus im Dorf Phakding Isabel Scharrer CC BY-SA 4.0

Diskussion (3 Kommentare)

  1. Bravo,guter Bericht mit viel Gefühl geschrieben!Harte Arbeit für diese Sherpas,rikieren oft das eigene Leben um ambitionierte Bergtouristen ihren egoistischen Stolz um wenig Geld zu befriedigen.Mach weiter so,herzliche Grüsse und Bussi Rudi Scharrer

  2. Bravo,guter gefühlsbetonter Bericht!Harte Arbeit für diese Sherpas die das eigene Leben riskiren um den egoistischen Stolz gewisser Bergtouristen zu befriedigen um wenig Geld.Mach so weiter Isabel,herzliche Grüsse.

    1. Vielen lieben Dank 🙂 eigentlich werden sie für nepalesische Verhältnisse schon sehr gut bezahlt . Ganz liebe Grüße Bussi